Beiträge von scoffer

    @ Voltaire:


    Das mit den kleinen Dosen kommt mit der Zeit automatisch, je nachdem, wie oft die Geschichten gelesen werden.


    Was den Blick zur Seite angeht, brauchst du dir keine Sorgen zu machen ... wann immer ich Zeit habe, schaue ich mich hier in allen möglichen Bereichen um.

    geli73 :


    Irre ich mich, oder heist dieser Bereich des Forums: "Autorenecke: Eigene Kurzgeschichten, Gedichte, Texte, etc."?


    WER soll da denn WAS posten? Mark Twain seine Kurzgeschichten? Magnus Mills seine Romane?


    Erhelle mich! Ich habe übrigens schon am Rande mitbekommen, dass es hier um Bücher geht :)

    Ich dachte, ich hätte sie noch gar nicht hier gepostet. Als ich danach gesucht habe, habe ich sie nämlich nicht gefunden. Unter diesen Umständen wäre es natürlich sinnig, den jeweils doppelten thread zu löschen.


    @ geli73: Wenn dich meine Beiträge annerven, brauchst du sie doch einfach nur nicht zu lesen.

    Einkaufen im Dorf
    Wer uns auf unserem bisherigen Rundgang begleitet hat, weiss sicher, dass es in unserem Dorf einen fantastischen Supermarkt gibt, der nicht nur von den direkten sondern auch von den indirekten Anwohnern rege genutzt wird. Das liegt natürlich keineswegs daran, dass der Supermarkt so besonders schön wäre ... genau genommen ist das Gegenteil der Fall, aber es ist nun mal die einzige Einkaufsmöglichkeit weit und breit.
    Begeben wir uns nun also auf eine spannende Entdeckungsreise, ein wahres Shopping-Event. Meistens muss man den Supermarkt durch den Haupteingang betreten. Es existiert zwar noch ein Eingang direkt in den Getränkemarkt, aber der ist nur sechseinhalb Stunden täglich passierbar. Während der anderen siebeneinhalb Stunden, die der Markt geöffnet hat, kann man schliesslich verlangen, dass der gemeine Kunde seine Getränke erst mal an allen Regalen vorbei zur Kasse karrt, falls er zufällig einen der wenigen Einkaufswagen ergattern konnte. Andernfalls erhält er als kostenlosen Service des Marktes ein ausgewogenes Fitness-Programm. Auf das Thema Service werde ich übrigens später noch einmal zurückkommen, denn der wird in unserem Markt ganz gross geschrieben.
    Wenn man den Markt also durch den Haupteingang betritt, hat man zur Linken erst einmal die Kundentoiletten, die selbstverständlich immer abgeschlossen sind, damit nicht irgendein Bauerntrampel mit seinen versifften Gummistiefeln voller Gülle auf die Idee kommt, diese auch zu benutzen. Und die vielen Berufspendler, die den Markt auf dem Heimweg besuchen, können schliesslich auch zuhause oder im Büro pinkeln gehen. Um dem Kunden überflüssige Wege zu ersparen, stehen vor den Toiletten übrigens diese tollen Einkaufsautos für Kinder, die mit ihren eingebauten Hupen dazu beitragen, dem Markt eine gewisse Atmosphäre der Lebendigkeit zu verleihen und darüberhinaus auch prächtig die Ansage "Bitte besetzen Sie eine weitere Kasse!", die wie in einer Endlosschleife durch den Markt dröhnt, zu übertönen.
    Wenn man nun also die beiden Glastüren und die ständig halb umgeklappte Schmutzfangmatte überwunden hat, sieht man zur Linken sofort den einladenden Kassenbereich. Das ist taktisch gut durchdacht, denn auf diese Weise kann man auf Anhieb erkennen, ob man einen "Hannelore-Tag" erwischt hat. Hannelore ist die wohl älteste Kassiererin des Marktes und nach einhelliger Meinung der Bevölkerung schon ewig da. Vermutlich war sie sogar schon vor dem Markt da, und man hat das Gebäude um sie herum gebaut. Hannelore scheint übrigens eine fanatische Anhängerin des Zen-Buddhismus zu sein und ihn auch während der Arbeit zu praktizieren. Hierzu möchte ich kurz Wikipedia zitieren: "Zen kann das Zeitempfinden verändern. In der Konzentration des Praktizierenden verliert die subjektive Empfindung für Zeit ihre Bedeutung. Die Konstruktion beziehungsweise Definition von Vergangenheit und Zukunft verliert ihren Einfluss auf das Bewusstsein.". Wer bislang die wandernden Steine im Nationalpark Death Valley für langsam hielt, weil noch niemand eine wirkliche Bewegung bei ihnen gesehen hat, wird sich bei Hannelores Anblick während des Kassierens sofort bewusst, dass auch diese Leistung noch zu toppen ist. Es soll schon vorgekommen sein, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum von Waren abgelaufen ist, während sie von ihr über den Scanner gezogen wurden.
    Aus diesem Grund spaltet Hanni, wie sie von ihren Anhängern liebevoll genannt wird, die Kunden des Marktes in zwei Teile. Zum einen gibt es eine Gruppe, die sie ob ihrer besinnlichen Arbeitsweise verehrt und gelegentlich kann man sogar beobachten, dass ihr der Shanty-Chor des Dorfes eine Ständchen bringt. Der Shanty-Chor unseres Dorfes ist übrigens weltweit der Einzige, der zwar über 28 Mitglieder, aber nur 7 verschiedene Gesichter verfügt. Häufig lässt sich auch beobachten, wie chinesische Reisegruppen ehrerbietig vor der Kasse knien und ihr huldigen.


    Zum Anderen gibt es die erbitterten Gegner von Hannelore, zu denen mehr oder weniger offensichtlich auch die meisten anderen Angestellten unseres Supermarktes gehören.

    Nun aber mal weiter durch den Rundgang in unserem dörflichen Shopping-Center: Wenn man den Eingangsbereich und die Chinesen erfolgreich passiert hat, landet man sofort in der Obst- und Gemüseabteilung. Die Platzierung der Frischwaren am Eingang ist übrigens in doppelter Hinsicht geschickt, denn zum einen kann der leicht faulige Geruch durch den Haupteingang besser abziehen und gegebenenfalls noch auf die naheliegenden Toiletten geschoben werden, und zum anderen kann der Geschäftsführer auf diese Art und Weise leichter behaupten, das Obst sei erst auf dem Weg zur Kasse verdorben, während man bei Hannelore auf seine Audienz gewartet hat. Tatsache ist jedoch, dass zum Beispiel der Eisbergsalat, der schon am Montag geliefert wurde, am Samstag immer noch sein tristes Dasein im Regal fristet. Zumindest Teile davon, denn er wird jeden Abend brav ausgewickelt, von seinen faulen Teilen befreit und dann wieder eingewickelt. Aufgrund dieser Methode verliert er während einer Woche etwa die Hälfte seines Gewichts, wohingegen der Preis an dieser Art der Reduktion in keinster Weise teilnimmt. Häufig ist es sogar so, dass er am Wochenende fünfzig Prozent teurer ist, als unter der Woche ... vermutlich müssen die wenigen verkauften Salate die vielen Unverkauften mitfinanzieren, die anschliessend als Spende an die Kneipe an der Ecke gegeben werden, wo man sie dann als "Vier-Jahreszeiten-Salat (All-in-One-Version)" ahnungslosen Zugezogenen auf´s Auge drückt, die die Unverschämtheit besitzen, ihr Essen telefonisch zu bestellen.


    Nachdem man die Biomüll-Abteilung, wie meine süsse Frau sie immer nennt, überwunden hat, kommt man zu den Kühltruhen mit dem abgepackten Fleisch, in denen man gelegentlich auch den typischen Klassiker der guten deutschen Küche findet: Sushi. Allerdings muss man schon genau hinsehen, um die 9 winzigen Röllchen, die überwiegend aus Reis bestehen, zu entdecken. Am leichtesten identifiziert man die Verpackung anhand des Preisschildes, das mit 6,99 Euro deutlich aus der Menge hervorsticht, unter anderem, weil es weiss ist. Damit unterscheidet es sich farblich hervorragend von all den eingelegten Fleischprodukten, die man hier unter den Bezeichnungen "mariniert" oder "mit feuriger Zigeunersauce" anbietet. Nach unserem Grillabend im letzten Sommer und dem anschliessenden Krankenhausaufenthalt darf ich allerdings mit Fug und Recht annehmen, dass diese Fleischprodukte ihren Weg zur Kasse schon mindestens einmal zuvor gefunden hatten, um dann direkt vor dem Markt weggeworfen zu werden. Dort werden sie einmal wöchentlich von dem Azubi des Marktes, der Hannelore im Tempo seines Kassiervorgangs nur minimal nachsteht, wieder eingesammelt. Er ist es auch, der mit einer Spritze die rote Sauce in die Verpackungen befördert und die Etiketten mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum überklebt. Unter dem Etikett des Fleisches zu meiner Grillparty im Jahr 2007, war zumindest der alte Preis noch in DM angegeben.


    Direkt vor Kopf sieht man nun schon die Tchibo-Abteilung, die heutzutage in keinem modernen Markt mehr fehlen darf, und die normalerweise durch Übersichtlichkeit und eine begrenzte Produktpalette hervorsticht. Allerdings möchte ich bezweifeln, dass an irgendeinem anderen Ort der Erde eine Tchibo-Abteilung existiert, in der das Sortiment grösser ist, als in unserem Dorf. Denn während man in anderen Geschäften die Artikel, die man nicht verkauft hat, an Tchibo zurückgibt, bleiben sie bei uns einfach im Regal liegen. Das hat zur Folge, dass man dort mitten im Sommer auch schon mal eine Winter-Sturm-Maske neben dem Euro-Umrechner in der vergilbten Verpackung entdecken kann. An sich ist das ja auch gar nicht so schlecht, so lange man keine Ware zu reklamieren hat. Was soll man auch schon antworten, wenn von Tchibo ein Schreiben nach Hause kommt, in dem steht: "Leider können wir Ihren Garantiefall nicht anerkennen, da dieser Artikel vor zwölf Jahren zum letzten Mal von Tchibo verkauft wurde."?


    Nun biegt man links ab und kommt in die erste der langen Geraden. Rechts und links in den Regalen findet man weitere gekühlte Waren wie Sahne, Milch und Käse, welcher anscheinend von einigen Herstellern hier zur Reifung im Rohzustand angeliefert wird, quasi noch halb aus der Kuh hängend. Am Ende der Reifungsperiode wird er dann wieder abgeholt und mit dem Prädikat "12 Monate gereift" an andere Märkte verkauft. Gerüchten zufolge sollen Whiskey-Produzenten schon versucht haben, sich des gleichen Prinzips zu bedienen. Natürlich war dieser Versuch von vorneherein zum Scheitern verurteilt, da die Ureinwohner alles, was auch nur entfernt mit Alkohol zu tun hat, sofort aufkaufen, um sich die Zeit auf dem Weg zur Kasse ein wenig zu versüssen. Erst kürzlich sah ich direkt vor mir einen verzweifelten Kunden verstohlen an einer Flasche Nagellackentferner nuckeln.


    Die Gänge in unserem Markt sind nicht wirklich kurz, aber dafür wenigstens auch nicht so breit. Normalerweise können sich zwei Menschen mit Einkaufswagen, die sich in verschiedene Richtungen bewegen, gerade noch so aneinander vorbeidrücken, immer vorausgesetzt, der Mensch ist nicht breiter, als der Einkaufswagen, den er schiebt, was allerdings in unserem Dorf nur auf etwa die Hälfte der Bevölkerung zutrifft. Richtig problematisch wird es erst, wenn der Markt eine neue Lieferung bekommen hat, wie es immer Montags der Fall ist. Denn an jedem Montag sind sämtliche Geraden unserer Shopping-Mall mit Paletten voller Ware und leeren Kartons so vollgestellt, dass man praktisch keine Chance hat, mit dem Einkaufswagen durchzukommen. Allerdings hilft an diesen Tagen, wie in so vielen anderen Fällen auch, unsere freiwillige Feuerwehr: Jeden Montag werden in einem Abstand von sieben bis acht Metern auf die heiser hervorgekrächzte Anweisung des Geschäftsführers, der sich am vorhergegangenen Samstag beim Singen wohl etwas übernommen hat, leere Einkaufswagen in den Gängen aufgestellt. Man legt daraufhin also seine gewünschten Artikel einfach in einen der bereitgestellten Wagen, aus dem sie dann von einem Mitglied der freiwilligen Feuerwehr wieder herausgenommen und in einem waghalsigen Balanceakt über die Paletten in den nächsten Wagen befördert werden. Eigentlich ist die "wandernde Ware" auch gar keine so schlechte Idee, so lang man nicht an einem Montag versucht, Alkohol zu kaufen, da dieser entweder von der Feuerwehr zum Löschen irgendeines persönlichen Brandes verwendet wird, oder die Flaschen in einem Anflug von Jongleur-Kunst in den nächsten Wagen geworfen werden, wo sie natürlich sofort kaputtgehen.


    Angesichts der Unmengen von Paletten ist es in der Tat immer wieder erstaunlich, wie oft man bei uns im Markt vor Regalen steht, in denen zwischen einzelnen Artikeln metergrosse Lücken klaffen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Sittich-Futter für unsere widerwärtigen Wellensittiche, die daran schuld sind, dass ich unsere Küche mittlerweile nur noch mit Ohrenschützern betrete, weil die Mistviecher so einen Affenkrach machen und die normalerweise nach drei Tagen verhungern, wenn man sie nicht füttert. Gut, daran bin ich selbst schuld ... wer konnte schon ahnen, dass meine süsse Frau meinen Rechtschreibfehler in einem Liebesbrief, der den Satz enthielt "Du bist wie ein menschgewordener Engel und du bist gut zu Vögeln!" als Aufforderung ansehen würde, die Viecher überhaupt erst anzuschaffen ... und dann auch noch gleich 15 Stück davon. Aber zurück zu den leeren Regalen: Auf unsere Kritik, dass das Futter schon seit acht Wochen nicht mehr im Regal stand, sagte der Geschäftsführer mit der rauchigen Stimme: "Ich kann nichts dafür, das hat die Zentrale nicht geliefert.". Immerhin gelobte er Besserung. Am nächsten Montag, nachdem alle Paletten abgeladen worden waren, begaben wir uns also zu besagtem Regal, und tatsächlich war eine Änderung eingetreten. Zwischen all dem leerem Raum stand jetzt ein schönes handgeschriebenes Schild mit den Worten: "Wellensittiche direkt vom Züchter zu günstigen Preisen. Garantiert für zwei Wochen vorgemästet.". Seitdem lassen wir uns alle zwei Wochen eine neue Garnitur Wellensittiche liefern, was uns auch nicht teurer kommt, als das Futter. Bedauerlicherweise hat der Züchter meine Anfrage nach Vögeln mit durchtrennten Stimmbändern empört zurückgewiesen, zumindest zu dem in seinen Augen geringen Preis, den wir bezahlen wollen. Jetzt weiss ich auch wieder, wo der Begriff "Servicewüste Deutschland" herkommt.


    Wer uns auf unserem bisherigen Gang durchs Dorf begleitet hat, weiss ja schon, dass unser Supermarkt serpentinenartig angelegt ist, so dass man zwangsläufig an allen Artikeln vorbeikommt, natürlich nur, falls die Zentrale sie geliefert hat, bevor man schliesslich die Endgerade erreicht, an deren Anfang sich die Fleischereiabteilung und deren Ende sich die 3 Kassen befinden, von denen allerdings nur in Ausnahmefällen höchstens zwei geöffnet sind. Häufig trifft man auf dem Weg dorthin auch auf Hannelore, die für einen an der Kasse stehenden Kunden einen Artikel holt, den dieser vergessen hat. Dabei ist es ihr völlig gleichgültig, ob die Schlange an der Kasse vier, vierzig oder vierhundert Meter lang ist. Besonders schön und ein einmaliges Schauspiel ist es für die Wartenden, wenn Hannelore die Kartons mit den neuen Zeitschriften durchwühlt, von denen unser Markt nur etwa 870 Verschiedene im Programm hat. Da kann schon schnell mal eine Stunde ins Land gehen, weil Hanni während des Suchens auch gerne mal den einen anderen Artikel liest, der ihr in die Finger fällt. Gelegentlich vergisst sie dabei auch den an der Kasse wartenden Kunden und beginnt damit, die Regale mit den neuesten Ausgaben aufzufüllen.


    Immerhin muss man Hannelore zugestehen, dass sie mit ihrer Arbeitsweise den Aufschwung in unserem Land deutlich nach vorne gebracht hat. Und das nicht nur, weil einige Kunden Artikel zu einem Mehrwertsteuersatz von 16% in ihren Wagen gelegt haben und an der Kasse dann doch 19% Mehrwertsteuer dafür berappen mussten, weil mittlerweile das Neue Jahr angebrochen war, sondern auch, weil einige findige Hartz-4-Empfänger ihre Chance genutzt haben, eine Ich-AG zu gründen. Diese jungen und schlauen Unternehmer, die das Ziehen von Wartenummern aus allen erdenklichen Arten von Ämtern bestens beherrschen, verkaufen seit einigen Monaten erfolgreich und zu völlig überhöhten Preisen Standplätze in der Schlange vor Hannelores Kasse.

    Ein Fremder im Dorf


    Kürzlich wollte meine Frau eine Bekannte aus dem Nachbardorf besuchen, und weil sie den Weg nicht genau kannte, beschloss ich, sie zu begleiten. Es ist natürlich nicht so, dass wir in diesen modernen Zeiten kein Navigationsgerät im Auto hätten, allerdings mussten wir schon beim ersten Einschalten feststellen, dass an der Stelle, wo unser Dorf hätte sein müssen, nur ein grosser weisser Fleck zu sehen war. Zugegeben, ganz weiss war er nicht. Direkt in der Mitte stand das Wort: "Gefahrenzone", begleitet von einem schwarz-weissen Totenkopf. Die nächste Ortschaft die auf der Karte verzeichnet war, befand sich 50 Kilometer von unserem Dorf entfernt. Also fuhren wir los.


    Unter normalen Umständen wäre das Dorf der Bekannten nur 7,7 km entfernt gewesen, doch unsere Gemeindeverwaltung hatte in ihrer unendlichen Weisheit auf der direkten Strecke eine Vollsperrung eingerichtet weil dort in einigen Monaten für einige Tage ein paar kleinere Bauarbeiten vorgenommen werden sollten. So durften wir also im Sinne der Förderung der heimischen Wirtschaft, insbesondere der Tankstelle, die vermutlich dem Bürgermeister gehört, eine Strecke von 12,4 km auf uns nehmen. Wir fuhren also munter los, nicht ahnend, was uns bevorstünde. Bereits fünf Kilometer vor dem Dorf der Bekannten stand ein Wegweiser. Unter dem Wegweiser befand sich ein Schild "Sackgasse". Und, um es auch dem letzten Deppen zu verdeutlichen, befand sich darunter noch ein Schild mit den Worten: "Die Strasse endet dort!". Was ich jetzt eigentlich nur noch vermisste, war ein Schild mit der Aufschrift: "Keine Wendemöglichkeit", doch das fehlte.


    Wir wagten es trotzdem, und bogen in der angezeigten Richtung ab. Die Strasse war besser, als ich angenommen hatte, allerdings nur bis zum Ortsausgangsschild des aktuellen Ortes. Danach wandelte sie sich schnell von einem befestigten Feldweg in etwas, was man in anderen Regionen Deutschlands als touristische Attraktion unter der Bezeichnung "Moor" zur Schau gestellt hätte. Rechts und links der Strasse befanden sich tiefe Gräben, die mit verbeulten Wagen gefüllt waren. Aus einem dieser Wagen grinste uns ein Totenschädel entgegen .... offenbar kam hier nicht allzu oft jemand vorbei, der Hilfe hätte rufen können.


    Bereits nach eineinhalb Stunden trafen wir dann im dem Ort der Bekannten ein. Da meine Frau zu mir sagte: "Das war das letzte Mal, dass ich die besucht habe!", sparte ich mir die Mühe, sie kennen zu lernen und beschloss, im Wagen auf meine Frau zu warten. Vielleicht konnte ich ja ein der Zeit ein paar aufschlussreiche Beobachtungen zu den Anwohnern machen. Ich machte es mir also im Auto bequem und wartete darauf, dass der erste Einheimische vorbei käme. Ich wartete zehn Minuten .... nichts. Ich wartete zwanzig Minuten ... immer noch nichts. Nach dreissig Minuten hatte ich noch nicht die Spur eines menschlichen Lebens entdeckt. Nach einer Stunde erwog ich schon, doch die Bekannte meiner Frau kennen zu lernen, als plötzlich ein alter Mann in mein Blickfeld geriet. Bangen Herzens fragte ich mich: "Geht er oder steht er?", aber ich war nicht in der Lage, es genau festzustellen. Nachdem ich eine Viertelstunde später wieder in seine Richtung sah, bemerkte ich allerdings, dass er sich unserem Wagen gute zwei Meter genähert hatte. Er besah sich unser Kennzeichen .... er stutzte ... plötzlich entdeckte er mich im Wageninneren. Er musterte mich genau, machte einen Abgleich mit seiner internen Anwohnerdatenbank .... und raste plötzlich wie ein angeschossenes Wildschwein davon.


    Nur siebenundzwanzig Sekunden nachdem er verschwunden war, kam ein deutlich jüngerer Mann in Sicht, der sich dem Wagen näherte und völlig unverhohlen durch die Scheibe glotzte. Ungläubig schüttelte er den Kopf und verschwand wieder. Kurz darauf erschienen zwei jüngere Kerle von der freiwilligen Feuerwehr und zogen in einem Abstand von zehn Metern ein Absperrband um unseren Wagen. Kaum, dass die beiden ihre Arbeit beendet hatten, bekam ich den nächsten Eingeborenen zu Gesicht, unzweifelhaft der Sohn des ehemaligen Dorfmetzgers, was man unschwer an der mobilen Bratwurstbude erkennen konnte, die er hinter sich her zog. Kurz nachdem er die Kohlen angeheizt und die beiden alten Männer (vermutlich der ehemalige Gastwirt des Dorfes und sein bester Kunde) das erste von drei Hundert-Liter-Fässern Bier geöffnet hatten, wurden an das Lattengerüst, das man mittlerweile um unseren Wagen gebaut hatte, undurchsichtige Planen gehängt. Bevor das provisorische Zelt ganz fertig war, konnte ich eben noch im Rückspiegel einen kleinen Tisch erkennen, an dem Eintrittskarten verkauft wurden.


    Ich musste nicht lange auf den ersten Besucher warten, obgleich noch nicht alle Scheinwerfer korrekt auf unseren Wagen ausgerichtet waren. Man liess sie immer in Fünfergruppen herein, Kinder erhielten ermässigte Eintrittspreise, da sie ja ohnehin meistens nur auf dem Autodach herum kletterten und deshalb nicht allzu viel Platz im Zelt benötigten. Ich war mittlerweile schon ziemlich geblendet von den zahlreichen Blitzen der Einwegkameras und der Technik-Freak mit der Digitalkamera konnektierte sofort eine neue Domain mit dem Namen www.ich-hab-ihn-selbst-gesehen.de.vu, auf der er seine Aufnahmen für 8,99 EURO pro Stück zum Download anbot.


    Etwa zweieinhalb Stunden und vierhundertsiebenunddreissig Besucher später, wurde das provisorische Zelt wieder abgebaut und der Spuk war vorbei. Dachte ich jedenfalls. Wie man sich doch irren kann ... offensichtlich hatte einer der Einheimischen meinen fehlenden Ehering bemerkt, der wie immer zuhause in der Schmuckschatulle lag, um ihn vor den in der Gegend ansässigen Strassenräubern zu schützen, und daraus geschlossen, dass ich Single oder zumindest theoretisch noch zu haben war. Aus diesem Grund hatte man genau gegenüber vor unserem Wagen eine Bühne aufgebaut, in der nun im grellen Scheinwerferlicht meine potenziellen Partnerinnen auftraten.


    Trotz des sehr starken Schnapses, den man mir mittlerweile in die Hand gedrückt hatte, fühlte ich mich fatal an eine dieser mittelalterlichen Freak-Shows erinnert, auf denen man seinerzeit die absonderlichsten Gestalten der menschlichen Kreatur vorgeführt hatte. Die erste "Schönheit" trug ein Schild, auf dem stand "Ich bin die Tochter des Bürgermeisters. Wenn du mich nimmst, erhältst du auf Lebenszeit einen kostenlosen Parkplatz im Dorf!". Nicht das ein kostenloser Parkplatz in dieser Einöde besonders schwierig zu finden gewesen wäre. Man hätte hier auch völlig problemlos die jährliche Neuwagenproduktion der Stadt Detroit unterbringen können.


    Die Zweite, die auftrat, hatte etwa die Form eines Quaders, zumindest entsprach ihr Körperumfang genau ihrer Körperlänge. Auf ihrem Schild standen die Worte: "Wenn du mich nimmst, brauchst du im Winter weder einen Ofen noch Bleibausteine gegen die Glätte im Auto!". Da ich nicht vorhatte, das Ortseingangsschild in diesem Leben auch nur noch ein einziges Mal zu passieren, winkte ich sie mit einer mittlerweile schon etwas herablassenden Geste fort.


    Die Dritte, die über die Bühne stolzierte trug ein Schild mit der Aufschrift: "Ich bin etwas ganz Besonderes ... meine Geschwister sind auch meine Eltern!". Ihrem Aussehen nach waren wohl allerdings auch ihre Grosseltern schon Geschwister. Die Vierte in der Reihe hatte den Slogan: "Ich bin dick und hässlich, aber wenigstens reich!". Das war natürlich ein sehr gutes Argument, wenn man bedenkt, dass die drei Vorgängerinnen ebenfalls dick und hässlich waren. Trotzdem konnte sie mein Herz nicht erobern.


    Es folgten noch einige andere, eine Garnison des Schreckens wie selbst Pieter Brueghel der Jüngere sie nicht besser hätte darstellen können. Mittlerweile war es schon Abend geworden ... die meisten Besucher hatten sich inzwischen persönlich mittels Handschlag von mir verabschiedet, ich sass im Wagen und wartete auf meine Frau. Endlich erschien sie, in Begleitung einer Frau, die nicht eben dünn aber dafür auch wenigstens nicht schön war, und erzählte mir, ihre Bekannte wolle mich wenigstens kurz kennen lernen.


    So schnell hat mich noch niemand meine Frau ins Auto zerren und losfahren sehen! Und fast hätten wir es geschafft, den Ort zu verlassen, wenn, ja wenn nicht auf der Hauptstrasse gerade der allabendliche Fackelumzug stattgefunden hätte, bei dem man die Toten und die Pestkranken einsammelte. Und endlich wurde mir klar, was das Strassenschild vom Nachmittag eigentlich sagen wollte: "Die Strasse endet dort!"

    Frisches Blut für unser Dorf


    Der zweite Weltkrieg endete bekanntlich am 8. Mai 1945. Alle jungen und brauchbaren Männer waren gefallen oder als vermisst gemeldet. Alle jungen und brauchbaren Frauen waren weggezogen oder lesbisch geworden. So war es an vielen Orten in Deutschland und so war es auch in unserem Dorf. Geblieben waren nur die, die noch keine oder keine Kinder mehr erzeugen konnten, und die paar, die man aus taktischen Gründen noch nicht einmal in den Krieg geschickt hatte, um Deutschland an der Front nicht noch weiter zu schwächen, weil sie aufgrund ihres Intelligenzquotienten wahrscheinlich eher auf die eigenen Leute, als auf den Feind geschossen hätten. So ganz unter dem Motto: "Ah, da drüben den kenne ich, dem winke ich mal mit dem Gewehr ...".


    So kam es also, dass sich zu dieser Zeit bei uns im Dorf nur noch die Deppen miteinander verpaarten, schon weil zu dumm waren, um den Führerschein zu machen und die Flucht zu ergreifen. Aus diesem Grund nahm die Degeneration in der Bevölkerung so stark zu, dass eines Tages eine Gruppe von Wissenschaftlern auf unser Dorf aufmerksam wurde. Ein besonderes Augenmerk dieser Forschung bezog sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema: "Dreieiige Drillinge und viereiige Vierlinge", von denen es in unserem Dorf jeweils mehr als fünf Exemplare gab.


    Eines Tages allerdings lag der durchschnittliche Intelligenzquotient der Bevölkerung plötzlich unter 62 und die übergeordnete Kreisbehörde beschloss, alle Forschungsprogramme zu beenden und mit dem Anwerben neuer Anwohner für das Dorf zu beginnen. Um das Leben auf dem Dorf attraktiver zu gestalten, reinigte man zuerst den Dorfteich und stellte ausserdem eine neue Verkäuferin für das Lebensmittelgeschäft ein. Sie war ein hübsches und freundliches Mädchen aus der Stadt und hiess Hannelore. Danach sprach man einzeln mit jedem Dorfbewohner und forderte ihn auf, seine entfernteren Verwandten (Freunde hatten sie ja keine) zu einem Umzug ins Dorf zu bewegen. Sicher, ein Rundschreiben wäre einfacher, aber mit Sicherheit wirkungsloser gewesen, schon weil die meisten Dorfbewohner jener Zeit des Lesens nicht mächtig waren.


    Ein schöner Plan ... der natürlich auf ganzer Linie scheiterte. Die meisten entfernten Verwandten konnten sich dunkel an den Cretin aus dem Deppendorf erinnern, der peinlicherweise irgendwie auf der Ahnentafel gelandet war, und umfuhren den Bereich so weiträumig wie möglich. Die paar, die tatsächlich ins Dorf zogen, kamen aus noch kleineren Orten mit einem noch geringeren Durchschnitts-IQ. Also beschloss man auf dem Amt, andere Massnahmen zu ergreifen.


    Es sollten richtige Fremde angelockt werden. Richtige Fremde mit sauberen Genen. Also erschuf man das "Frisches - Blut - für - unser - Dorf" - Programm. Die neuen Dorfbewohner sollten zahlreiche Vergünstigungen erhalten, wie zum Beispiel Steuerfreiheit, kostenloses Essen in der Kneipe an der Ecke und bevorzugte Positionen an der Kasse des Lebensmittelgeschäftes bei Hannelore. Dafür mussten sie natürlich auch einige Bedingungen erfüllen. Man entwarf also eine Anzeige für die überregionalen Zeitungen mit einer genauen Beschreibung der Vergünstigungen und der Bedingungen. In der ersten Anzeige lauteten diese:


    Bedingungen:


    *


    IQ von mindestens 126
    *


    Körpergrösse mindestens 1,90 Meter
    *


    Ahnen der vierten Generation mindestens aus 16 verschiedenen Familien


    Nach der Schaltung der Anzeige in allen Zeitungen ganz Deutschlands, die in mehr als dreihundert Kilometer Entfernung herausgegeben wurden, wartete man wochenlang auf die erste Anmeldung eines neuen Anwohners. Man wartete und wartete. Und wartete noch ein bisschen länger. Eines Tages tauchte dann plötzlich doch noch ein stattlicher junger Mann auf und jeder dachte, er wäre aufgrund der Anzeige erschienen. Alle Einwohner begleiteten ihn sogleich auf das Einwohnermeldeamt, um Zeuge des historischen Moments seiner Einbürgerung zu werden.


    Der damalige Bürgermeister, der sein Amt erhalten hatte, weil er mit einem IQ von 70 als überdurchschnittlich intelligent galt, begrüsste den Anwärter ehrerbietig und legte ihm die Einbürgerungsvereinbarung zum Lesen vor. Es handelte sich um ein Dokument, in dem sich der potenzielle Neubürger verpflichten sollte, mit möglichst vielen Anwohnern des jeweils anderen Geschlechts möglichst viele Kinder zu zeugen. Im Gegenzug, so versicherte der Vertrag würde man im Dorf nicht schlecht über ihn reden. Der Kontrakt hatte etwa 20 Seiten, auf denen noch die vielen anderen Vorzüge, wie beispielsweise kostenloses Baden im Dorfteich, beschrieben wurden.


    Der Fremde würdigte den Vertrag keines Blickes, schlug sofort die letzte Seite auf, und war gerade im Begriff seine Unterschrift zu leisten, als er gefragt wurde, ob er den Vertrag nicht erst lesen wolle. "Lesen?", sagte der Fremde ... "Ich kann doch gar nicht lesen. Ich bin aus dem Nachbardorf und wollte die Geburt meiner Drillinge anzeigen." Der Bürgermeister tobte, die Menge brodelte und der Fremde wurde geteert und gefedert aus dem Dorf gejagt.


    Schweren Herzens beschloss man im Dorf, noch eine zweite Anzeige zu schalten. Auch diese enthielt wieder die zahlreichen Vergünstigungen und einige Bedingungen:


    *


    IQ von mindestens 109
    *


    Körpergrösse von mindestens 1,75 Meter
    *


    Ahnen der fünften Generation aus mindestens 8 verschiedenen Familen
    *


    Die Anzeige wurde sofort in allen Zeitungen geschaltet, die mehr als hundertfünfzig Kilometer vom Dorf entfernt herausgegeben wurden und das grosse Warten begann erneut. Wieder gingen Monate ins Land, in denen man auf der Gemeinde nichts anderes zu tun hatte, als neue Geburten zu registrieren, denn die hiesigen Ureinwohner hatten eine ähnliche Reproduktionsrate wie Kaninchen. Kein Wunder, denn sie hatten ja sonst nicht viel zu tun. Zu dumm zum Arbeiten, zu blöd zum Lesen und die meisten Fernseher waren defekt, weil einer der Bewohner aus einem Altgerät mal ein Aquarium gemacht hatte. Das wollten die neidischen Nachbarn damals natürlich auch alle haben ...


    Interessanterweise gibt es in unserem Dorf nur ungemein wenige Sterbefälle. Das liegt vermutlich daran, dass Charlotte Benkner hier mal Urlaub gemacht und den Gerüchten zufolge ihr Neugeborenes in der Kneipe an der Ecke vergessen hat, bevor sie nach Ohio auswanderte. Dafür sind sie aber ungemein lange fruchtbar und nutzen das auch redlich aus. Während die Fertilitätsrate in Deutschland im Jahr 2000 bei durchschnittlich 1,37 lag, glich sie sich in unserem Dorf eher der Rate von Burkina Faso an, das seinerzeit mit 6,8 an der Weltspitze lag.


    Ein halbes Jahr war seit der letzten Annonce vergangen und genauso lange hatte sich kein Fremder mehr dem Dorf genähert. Obwohl man mittlerweile rund ums Dorf als Jäger verkleidete Späher verteilt hatte, die das Geschehen beobachten sollten, war niemand im näheren Umkreis gesichtet worden. Nicht einmal die stolzen Väter aus den Nachbardörfern trauten sich noch zu uns, um ihre Mehrlingsgeburten anzumelden. Aus diesem Grunde gibt es in dieser Region inzwischen auch jede Menge Menschen, die nie registriert worden sind, ganz ähnlich wie in Burkina Faso.


    Der Dorfrat trat also zusammen und beriet über einen letzten Versuch, Fremde zum Einzug in das Dorf zu bewegen. Zu allen bisherigen Vergünstigen wollte man nun den Freiwilligen auch noch ein grosszügiges monatliches Taschengeld sowie freie Kost und Logis zubilligen. Die bevorzugte Position an der Kasse bei Hannelore konnte man mittlerweile sowieso nicht mehr verwenden, weil sie sich dem dörflichen Benehmen nicht nur angepasst hatte, sondern die Einheimischen mittlerweile darin übertraf. Lange Zeit glaubte man übrigens, dass ein privates Video, welches bei YouTube aufgetaucht war, eine völlig überzogene Zeitlupendarstellung einer Kassiererin darstelle. Wie sich später herausstellte, war es aber vielmehr die achtfach beschleunigte Aufzeichnung eines Wissenschaftlers der sich mit dem Bardet-Biedl-Syndrom beschäftigte.


    Wie auch immer ... man beschloss, sogar bei den Anforderungen noch geringe Abstriche zu machen:


    *


    IQ zwischen 62 und 74
    *


    Körpergrösse von mindestens 1,52 Meter
    *


    Ahnen der sechsten Generation aus mindestens 4 verschiedenen Familien


    Wieder wurde die Anzeige grossräumig geschaltet, diesmal in allen Zeitungen, die in Entfernung von mehr als zwei Kilometern vom Dorf herausgebracht wurden.


    Und siehe da ... schon am gleichen Nachmittag setzte ein Treck in unser Dorf ein. Sie kamen aus allen vier Himmelsrichtungen, blockierten die Strasse und rissen sich auf der Gemeindeverwaltung die Einbürgerungsverträge gegenseitig aus den Händen. Natürlich waren es keine wirklichen Fremden, sondern nur Bewohner aus den Nachbardörfern, die keine Lust mehr hatten aufgrund ihres fehlenden Arbeitsplatzes in Armut zu leben.


    Nun wurde das "Frisches - Blut - für - unser - Dorf - Programm" endgültig eingestellt. Die einzigen Fremden im Dorf sind ein Paar, das hier vor dreineinhalb Jahren mal eine Autopanne hatte und immer noch auf die Ersatzteile wartet, und wir. Aber wir weigern uns beharrlich, uns mit den Ureinwohnern zu verpaaren ...

    Essen im Dorf


    Hunger !!! Eines schönen Abends sassen wir mal wieder zuhause, unglücklicherweise war auch noch Sonntag, und hatten einen unstillbaren Hunger, der sofort und ohne Zögern bekämpft werden musste. Natürlich hatten wir nichts zu essen im Haus, weil wir nach unserem samstäglichen Einkauf alle Lebensmittel schon auf dem Weg zur Kasse verschlungen hatten, während wir darauf warteten, zu Hannelore vorgelassen zu werden. Glücklicherweise wird der örtliche Supermarkt statt wie bisher nur bis neun demnächst bis 22.00 Uhr geöffnet bleiben. Das ändert zwar nichts an der Kassiererin, aber man hat wenigstens eine Stunde länger Zeit, um Lebensmittel für den Notfall zusammenzuraffen.


    Wie auch immer: Es war also Sonntag, der Supermarkt hatte unverschämterweise geschlossen, und wir sahen nur einen einzigen Ausweg aus dem Dilemma: HAJAK´S DÖNERBUDE. Wir hatten dort schon gelegentlich etwas zu essen bestellt, vor allem, weil wir von dem ersten Kontakt mit dem Inhaber so begeistert waren. Das war am zweiten Abend, nachdem wir im Dorf unseren Hauptwohnsitz bezogen hatten. Als ich damals den Laden betrat, erkannte ich den Inhaber sofort als einen der vielen Schaulustigen wieder, die sich anlässlich unseres Einzuges auf dem Hof vor unserem Haus versammelt hatten. Hajak begrüsste mich an jenem Abend mit den Worten: "Und, gefällt´s euch im Dorf?". Da ich diese Frage nach knapp 40 Stunden Aufenthalt nicht abschliessend beantworten wollte, antwortete ich mit einem jovialen "Ach ja!".


    Nun aber zurück zu Hajaks Dönerbude. Dort bekommt man neben den üblichen türkischen Speisen, die wirklich lecker sind, unter anderem auch Pizza zu kaufen. Ich bestellte also an jenem Abend die "Pizza Turka". Diese machte ihrem Namen alle Ehre, denn neben Tomaten, Käse, Knoblauchwurst und Rinderschinken enthielt sie auch in nicht unerheblichen Mengen dieses bekannte rote Gewürz, das man sonst nur auf Döner oder bei meiner Schwiegermutter zum Ausbrennen von Warzen antrifft. Trotzalledem war die Pizza insgesamt recht gut. Beim nächsten Mal als ich dort etwas für ein spätes Abendessen holen ging, begrüsste mich Hajak mit den Worten: "Und, habt ihr euch schon eingelebt?". Eine durchaus berechtigte Frage, weil wir ja nun schon volle vier Tage im Dorf wohnten. Aus diesem Grunde antwortete ich ihm aus vollstem Herzen: "Ach ja!".


    Da meine Brandwunden im Hals gerade in der Heilung begriffen waren, bestellte ich dieses Mal eine "Pizza Gemüse", die mir laut Speisekarte als Zutaten Tomaten, Käse und Brokkoli verhiess. Hajak nickte und begann mit der Zubereitung. Zuhause angekommen nahm ich die Pizza aus der Schachtel und machte mich heisshungrig darüber her, ohne mir die Zutaten näher zu betrachten. Noch während ich an dem ersten Bissen kaute, machte sich ein Gefühl der Schärfe in meinem Gaumen breit, das sich in etwa mit dem Genuss eines "Paragraphen" vergleichen liess. Der "Paragraph" ist ein Absinth, den man bei der Bärwurzerei erstehen kann, und der mit 55% in der Gruppe der schnellwirkenden Alkoholika deutlich punktet. Wie auch immer: Ich besah mir meine "Pizza" Gemüse" nun etwas genauer und stellte fest, dass sie statt den angegebenen Zutaten Tomaten, Käse, Knoblauchwurst und Rinderschinken enthielt. Natürlich waren diese Zutaten unter der dicken Schicht dieses bekannten roten Gewürzes und Warzenheilmittels kaum zu erkennen.


    Beim nächsten Mal bestellte ich "Pizza Hawaii" mit Tomaten, Käse, Ananasstücken und Schinken und erhielt "Pizza Hajak" mit Tomaten, Käse, Knoblauchwurst und Rinderschinken und dem altbekannten roten Desinfektionsmittel. Nun wollte ich es genau wissen. In grenzenloser Aufopferung meiner Gesundheit im Dienste der Forschung, bestellte ich im Laufe der Zeit jede Pizza, die auf der Speisekarte zu finden war. Es gab fünf Preisklassen und bei jeder diesen Pizzen waren unterschiedliche Beläge angegeben. Nach 16 Versuchen, die "Pizza Turka" und die vier Sorten Calzone eingeschlossen, kam ich zu folgendem Ergebnis:


    Alle Pizzen bei Hajak´s Dönerbude enthalten:


    Tomaten, Käse, Knoblauchwurst, Rinderschinken und dieses irrsinnig scharfe rote Zeug, dass von der Gemeindeverwaltung und den ansässigen Bauern bei Hajak auch zur Unkrautvernichtung geordert wird.


    Keine Pizza von Hajak´s Dönerbude enthielt die angebenen Zutaten, ausser natürlich der anfangs erwähnten "Pizza Turka".


    Seitdem ich zu dieser Erkenntnis gelangte, bestelle ich nach der Einführungskommunikation, die sich mittlerweile auf die beiden Sätze "Und?" und "Ach ja!" verkürzt hat, nur noch "Zwei mal Pizza". Seit diesem Tag bekomme ich merkwürdigerweise verschiedene Beläge, die sich aufgrund dieses merkwürdigen roten Zeugs, dass vermutlich als Fallout bei einem Atombombentest entstanden ist, natürlich nicht näher identifizieren lassen.


    Nun aber zurück zu jenem verhängnisvollen Sonntag, von ich dem eingangs sprach. Wie neuerdings üblich wollten wir bei Hajak´s Dönerbude telefonisch bestellen und das Essen dann abholen. Ich rief an ... besetzt. Ich rief nochmals an ... besetzt. Auch beim dritten Versuch war besetzt und ich nahm an, dass einer von Hajaks Gästen dort im Laden gegessen hatte und Hajak in diesem Moment verzweifelt versuchte, einen Notarzt für schwere Verbrennungserscheinungen anzufordern. Also ging ich persönlich hin.


    Statt der erwarteten Menge der Schaulustigen und dem Rettungshubschrauber entdeckte ich voller Entsetzen ein Schild an Hajaks Tür, auf dem stand: "Wir machen Urlaub von dem vielen Geld von diesem komischen Typ, der bei uns schon alle Pizzen probiert hat. Bitte versuchen Sie es in vier Monaten noch einmal.". Nun war allerdings wirklich Not am Mann. In unserem Dorf gibt es zwar auch noch eine Pizzeria, die wir am ersten Abend unseres Aufenthaltes getestet hatten, aber wir hatten uns damals entschlossen, lieber zu verhungern, als dort noch einmal zu bestellen, weil uns die gummiartige klebrige Substanz mit den undefinierbaren Zutaten sehr genau im Gedächtnis geblieben war. Zugegeben: Hätte ich damals beim Besuch der Pizzeria etwas genauer hingeschaut, hätte es mich sicher stutzig machen müssen, dass dort alle Gäste entweder Nudeln oder Salat verzehrten.


    Nun blieb für diesen Sonntag also nur noch die Kneipe an der Ecke, die auf einem vier Quadratmeter grossen Schild "Mittagstisch ab 4,50 Euro" anbietet. Bisher hatten wir uns immer gescheut, diese Möglichkeit der Nahrungsaufnahme in Erwägung zu ziehen, schon weil wir die näheren Zusammenhänge genau kennen. Wenn in der Kneipe an der Ecke gekocht wird, entsteht über dem ganzen Dorf eine grosse schwarze Wolke, die mit einem penetranten Geruch nach altem Fett einhergeht. Schallwellenartig breitet sich das Geräusch zugeschlagener Fenster über das ganze Dorf aus, beginnend bei den Nachbarn der Kneipe bis hin zum Haus der alten Kräuterhexe, das sich in absoluter Alleinlage 4 Kilometer vom Dorfkern befindet. Die Dorfsirene ertönt, um alle Dorfbewohner zu warnen und die Feuerwehr rückt in Strahlenschutzanzügen aus. Kurz nach dem Ertönen der Sirene hört man Martinshörner von Krankenwagen. Die Ortseingänge werden von der Polizei weiträumig abgeriegelt.


    Ungeachtet aller drohender Konsequenzen rief meine süsse Frau also in der Kneipe an der Ecke an. Begrüsst wurde sie mit einem ins Telefon genuschelten und dabei doch gekeiftem "Die Ecke", was vermutlich die freundliche Begrüssung eines potenziellen Gastes darstellen sollte. Sie nannte ihren Namen und bekam die Antwort: "Was?". Sie nannte ihren Namen nochmals und erhielt die gleiche Antwort, woraus sie schloss, dass ihr Gesprächspartner nicht etwa schlecht hörte, sondern nur wissen wollte, was ihr Begehr sei. Daraufhin fragte sie, ob man die angebotenen Speisen auch zum Mitnehmen bekommen könne, worauf sie von ihrem Gesprächspartner angeschrien wurde: "Grundsätzlich geht alles!". Daraufhin bestellte sie zweimal Jägerschnitzel mit Pommes a´ 6,50 Euro und Salat. Auf ihre Frage, wann sie das Essen abholen könne, teilte man ihr mit: "Ich muss nur die Chefin anrufen, zwanzich Minuten.".


    18 Minuten später begab ich mich also auf den Weg zur Kneipe an der Ecke, weil ich meine süsse Frau einem solchen Charmeur von Gastwirt nicht aussetzen wollte. Vorsichtshalber setzte ich meinen Motoradhelm auf und vergass auch nicht, meine Pistole und das Pfefferspray einzustecken. Nachdem ich eingetreten war und die Anwesenden mit einem freundlichen "Guten Abend !" begrüssen wollte, schrie mir der Wirt schon im Türrahmen zu: "Iss gleich fertich!". Ich setze mich also an den Tresen und begann sofort mit meiner üblichen Bestandsaufnahme. Die Kneipe an der Ecke hat sieben Tische mit insgesamt 36 Sitzplätzen, von denen genau einer besetzt war. Auf diesem Platz sass, direkt neben einem Geldspielautomaten der obligatorische Zocker, den man in jeder Kneipe findet. Während er beharrlich an seinem (vermutlich zwanzigsten) Bier nuckelte, versuchte er mit der linken Hand imaginäre Fliegen zu verscheuchen. Vielleicht glaubte er aber auch, mit dieser Handbewegung die Räder des Automaten in die richtige Stellung bringen zu können.


    Neben mir und dem Zocker befanden sich noch fünf weitere Personen in der Kneipe, der zauberhafte Chameur hinter und vier andere Männer vorm Tresen. Drei dieser vier hatten eine auffällige Ähnlichkeit miteinander, vor allem hinsichtlich ihren beginnenden Glatzen und ihres Bauchumfanges. Nur einer passte körperlich nicht so richtig zu den anderen ... der war damals vermutlich im Rahmen des "Frisches - Blut - für - unser - Dorf" - Programmes angeworben worden, auf das ich später noch genauer eingehen werde. Ich vermutete, dass an diesem Abend noch weitere Gäste erwartet wurden, denn einer der Drillinge sagte: "Der Hubert kommt noch, der hat gesagt, es ist zu warm zum bumsen.". Insgeheim hoffte ich natürlich, dass Hubert kein Mitglied des "Frisches - Blut - für - unser - Dorf" - Programmes sei, aber ich weiss es nicht genau, weil der Wirt in diesem Moment eine Plastiktüte auf den Tresen knallte und sagte: "16,80". Ich zahlte also und verabschiedete mich freundlich, was die Anwesenden kommentarlos zur Kenntnis nahmen.


    Bevor ich mich nun mit knurrendem Magen auf den Heimweg begeben konnte, zwang mich der örtliche Polizist, dem anwesenden Arzt meine Adresse mitzuteilen, damit man mich später schneller finden könne. Da ich in der Eile meinen Ausweis vergessen hatte, begleitete mich die komplette Mannschaft nach Hause und bezog Stellung vor unserer Wohnungstür. Kurz darauf hörten wir auch den Rettungshubschrauber auf dem Hof landen. Vorsorglich wurde auch die Landstrasse zur nächsten Stadt gesperrt, um die Rettungwege im Falle einer drohenden Epedemie freizuhalten. Die Polizei konnte ja nicht wissen, ob wir nicht womöglich Gäste eingeladen hatten.


    Zuhause angekommen wickelte ich sofort die vier Styroporpakete aus der orangen Plastiktüte mit den grossen Schlaufen und begierig nun endlich unsere knurrenden Mägen zu füllen, öffneten wir die Deckel. Wie sich bereits beim ersten Bissen herausstellte, wäre das allerdings gar nicht nötig gewesen, da es geschmacklich keinen Unterschied machte, ob man die Verpackung nun mitass oder nicht. Die Pommes waren dicke gelbliche Stücke, aussen noch etwas roh, dafür innen aber durchaus noch nicht durchgebraten. Ausserdem war der Koch offensichtlich ein fanatischer Anhänger der salzarmen Ernährung. Das spiegelte sich auch in dem Salatdressing wieder, welches mich farblich ein bisschen an das Zeug erinnerte, das ich damals auf der Jacke hatte, als ich im Zirkus von galoppierenden Kamelen angepisst wurde. Rein geschmacklich unterschied sich das Dressing in nichts von den anderen Zutaten der Speise: Es schmeckte einfach nur fade und nach ranzigem Bratfett. Vermutlich handelte es sich bei dem Bratfett um ein altes Erbstück, mit dem schon Bratwürste nach der Metzgerordnung von Heilbronn vom 7. April 1489 hergestellt worden waren. Ganz sicher aber war es auch schon in einigen alten Kriegen als Kanonenschmiere benutzt worden.


    Das einzige kulinarische Highlight des ganzen Essens war die Panade der Jägerschnitzel. Die Schnitzel waren etwa zwei Zentimeter hoch, wobei sich auf jeder Seite etwa 0,8 Zentimeter Panade befanden. Aus diesem Grund wäre das Essen sicher auch für einen Vegetarier geeignet gewesen, wenn dieser nicht allzu pingelig wäre. Die Panade war tatsächlich etwas cross und erinnerte von der Konsistenz ganz auffällig an das, was man in jedem Baumarkt unter der Bezeichnung "Rindenmulch" zu kaufen bekommt. Das Minimum an fast rohem Fleisch machte sich kaum bemerkbar.


    Es war mir zwar anfangs ein absolutes Rätsel, wieso die Panade so verbrannt und das Fleisch so roh waren, schliesslich kam ich aber doch auf die Lösung, als ich auf die erste Nadel eines Elektrotackers biss. Offensichtlich wurde die Panade schon im Januar für den Rest des Jahres vorgebacken und dann bei Bedarf tiefgefroren auf die Schnitzel getackert.


    Wir beendeten unser Mahl, wie wir es begonnen hatten, mit knurrenden Mägen und stopften die Pakete wieder zurück in die Tüte, auf welcher mir erst jetzt das grosse schwarze Kreuz auffiel. Beim Nachschlagen der Bedeutung dieses Symbols wurde mir einiges klar. Dort stand nämlich:


    Bezeichnung: gesundheitsschädlich Xn


    Wirkungen: führt in grösseren Mengen zu gesundheitlichen Schäden oder zum Tode


    Vorsichtsmassnahmen: Nicht einatmen, berühren, verschlucken, bei Vergiftungen Arzt aufsuchen, Erbrechen verursachen, Gegengift, Magen auspumpen

    Rettet den Teich


    Als ich letzten Sommer (Er dauerte in diesem Jahr ungefähr vom 3. bis 19. März ... Wär ich bloss ein Kaff weitergezogen, da, wo die vielen grossen Deutschlandfahnen hängen. Da ist immer schönes Wetter, wie mir einer der Ureinwohner versicherte, der so schnell wie möglich einen Nachmieter suchte. Allerdings hat´s bei dem in der Hütte auch ganz verdächtig nach Gras (Oder wie der ortsansässige Polizist unseres Dorfes, der in Regel durch Abwesenheit auffällt, sagen würde: "Haschisch".) gerochen) unser schönes Dorf verliess ...


    Ich merke schon, dass eine schleichende Anpassung an die Bevölkerung des Dorfes unausweichlich ist, wenn man nur lange genug hier wohnt. Den obigen Satz kann ich selbst kaum noch verstehen, und beginne ihn daher noch mal von vorn:


    Als ich letzten Sommer unser schönes Dorf verliess, um in die grosse grosse Stadt zu fahren, stach mir plötzlich ein stechender, fauliger Geruch in die Nase. Ich wendete meinen Blick nach rechts (So, wie es sich auf dem Dorf gehört.) und sah zum ersten mal bewusst direkt neben der Strasse, aber gut von baufälligen Häusern und toten Bäumen getarnt, einen Tümpel, dessen Farbe ungefähr die Gleiche war, die das Zeug hatte, dass ich nach meinem letzten Essen in der Kneipe an der Ecke später wieder von mir gegeben habe.


    Unerschrocken wie ich nun mal bin, holte ich sofort meine Gasmaske, die ich mir kurz nach dem Einzug in unsere beschauliche Wohnung auf dem Land gekauft hatte, aus dem Kofferraum und ging los, um mir dieses Wunder der Natur näher anzusehen. Zwar konnte ich unter dem geschlossenen Algenteppich weder Fische noch Wasser entdecken, dafür aber sah ich eine halb verweste Hand, die gelegentlich auftauchte, um mich mit ausgestrecktem Zeigefinger zu sich zu locken. Als Zeichen des Verzichts nahm ich meine Pistole (In unserem Dorf darf meiner Erfahrung nach jeder Idiot in der Gegend rumballern.) und gab einen gezielten Schuss ab, worauf sie verschwand. Nachdem ich mir dieses stinkende Stück Schande noch ein Weilchen angesehen hatte, schwor ich mir, nie wieder in seine Nähe zu kommen und vergass es für erste.


    Aber wie heisst so schön: "Man trifft sich immer zweimal im Leben.". Genauso ging es mir mit unserem, wie ich inzwischen erfahren habe, "Dorfteich". Als ich kürzlich nach einer rasanten Fahrt über den Parkplatz unseren örtlichen Supermarktes direkt vor dem Eingang des Ladens parkte (Das macht man hier anscheinend immer so.) und gemächlich hinein ging, um mir wieder mal Biomüll zu völlig überzogenen Preisen andrehen zu lassen, fiel mein Blick auf das schwarze Brett des Ladens, wo neben den unzähligen "Nachmieter dringend gesucht"-Zetteln auch einer hing, der mit den Worten betitelt war: "Aufruf zur ersten Dorfteich-sauber-mach-Aktion". Ich weiss natürlich, dass sich dieses Wortkonstrukt grauenhaft anhört, aber genau so stand es auf dem schweinchenrosa Zettel an der Wand. Im Anschluss an diese Aktion, bei der wie üblich auch für das leibliche Wohl gesorgt werden würde (Auch wenn mir schleierhaft ist, wie man bei dem Gestank dort irgendwas Essbares runterwürgen könnte.) sollte in der Kneipe an der Ecke der Verein "Freunde des Dorfteichs" gegründet werden. In unserem Dorf gibt es übrigens jede Menge Vereine, einer heisst meines Wissens "Freunde der örtlichen Giftstoffdeponie". Aber das nur am Rande.


    Ich nahm mir also fest vor, wenn schon nicht zur Dorfteich-sauber-mach-Aktion, dann doch wenigstens zur Gründungsveranstaltung des Vereins zu gehen. Ich hätte mir den Termin ganz sicher auch zuhause aufgeschrieben wenn, ja wenn an diesem Tag nicht wieder Hannelore an der Kasse des Supermarktes gesessen hätte. Um diesen Umstand etwas näher zu erläutern, werde ich ein paar Worte dazu verlieren ... wer das lieber nicht wissen will, lässt besser gleich die nächsten vier Absätze aus.


    An diesem Tag sass also mal wieder als einzige Kassiererin "unser Hannelörchen" an der Kasse. Nun muss man wissen, dass unser Supermarkt eine architektonische Schönheit mit einer Seitenlänge von etwa 400 Metern und einer Breite von circa 35 Metern ist. Das ist unheimlich praktisch, schon weil es zwischen den Regalen keine Durchgänge gibt, so dass man tatsächlich an jeden Regal vorbei muss, um zur Kasse zu gelangen. Wenn man dort ankommt hat man also in der Regel ungefähr 2 km Strecke zurückgelegt. Schlauerweise ist die Metzgereiabteilung so angelegt, dass sie sich quasi auf der Endgeraden zur Kasse befindet. Von dort aus kann man praktisch den ganzen Gang bis zur Kasse überblicken. Im Abstand von jeweils fünfzig Metern hängen grosse Displays an der Decke, die einem neben der verbleibenden Strecke auch die geschätzte Ankunftszeit bis zur Kasse mitteilen. Normalerweise reicht die Schlange der Wartenden in der absoluten Stosszeit etwa vier bis fünf Meter bis zur Kasse.


    Nicht so, wenn Hanni an der Kasse sitzt. In diesem Fall endet die Schlange für gewöhnlich direkt an der Metzgereiabteilung, also gute 400 Meter von der Kasse entfernt. Das ist nicht so gut für den gemeinen Kunden, aber sehr gut für die Metzgereiabteilung, die an diesen Tagen endlich die warme Mittagsmahlzeit der ganzen letzten Woche verkaufen kann. Bei den Kunden, die diese Chance verpasst haben, wird man Hannelore später jede Menge leere Lebensmittelverpackungen über den Scanner ziehen sehen, weil sie den Kram aufgrund des urinstinktlichen Überlebenswillens der menschlichen Kreatur schon auf dem Weg zur Kasse verzehrt haben. Das hat natürlich den Nachteil, dass man praktisch mit leeren Händen nach Hause kommt, aber was soll´s. Ausserdem ist Hannelore ja nicht jeden Tag da.


    Ungefähr 8 Meter von der Kasse entfernt hängt eine Art Klingel, die auf Knopfdruck eine Bandansage mit den Worten "Bitte besetzen Sie eine weitere Kasse" verlauten lässt. Natürlich benutzt in unserem schönen Dorf niemand dieses Teil, zum einen, weil es in ungefähr vier Meter Höhe hängt und zum anderen, weil es ja von dort aus nur noch etwa 25 Minuten bis zur Kasse sind. Vermutlich war ich der Einzige, der es je benutzt hat, aber nur, weil an diesem Tag zufällig eine Leiter in der Nähe stand und weil sie so ein tolles Display aufgehängt hatten, auf dem stand: "Wir besetzen eine weitere Kasse innerhalb von 90 Sekunden!". Tatsächlich fing auch sofort der Countdown an: 90, 89,88 ... 38, 37, 37, 37, 37.


    Eines Tages begegnete mir auf dem Weg zu Hannelore der Junior-Chef des Ladens, zu dem ich sagte: "Wenn das mein Laden wäre, würde ich dieses Relikt an der Kasse sofort dem Museum für Sepulkralkultur überschreiben. Die können noch ein paar Tote gebrauchen.". Er begann daraufhin bitterlich zu weinen und sagte: "Ich würde die Alte so gern rausschmeissen, aber die ist schon dreissig Jahre hier ... wenn ich das mache, werfen die Einheimischen mich in den Dorfteich!". Ein derartiges Opfer konnte ich natürlich nicht von ihm verlangen.


    Kommen wir nun also zurück zum eigentlichen Thema: Unser Dorfteich. Nachdem ich aufgrund der oben genannten Umstände nicht nur die erste "Teich-sauber-mach-Aktion" sondern auch noch die Gründungsveranstaltung in der Kneipe an der Ecke verpasst hatte, stiess ich heute zufällig auf einen Bericht darüber in der örtlichen Zeitung. Dort war zu lesen, dass man sich am vergangenen Wochenende getroffen hatte, um "Unkraut, Schilf und einige Leichen aus dem ersten Weltkrieg aus dem Dorfteich zu holen". Für das leibliche Wohl war gesorgt. Weiter war zu lesen, dass am folgenden Mittwoch die fleissigen Helferinnen und Helfer den Verein "Freunde des Dorfteichs" gründeten. Der arme geplagte Journalist, der über diese wahnsinnig spannende Aktion zu berichten hatte, schrieb weiter, dass das erklärte Ziel des Vereins sei, den Dorfteich zu erhalten, ihn zu pflegen und mit dem Grün drumherum als Naherholungsgebiet zu gestalten.


    Bei ihrem fröhlichen Zusammensein in der Kneipe taten die 19 Gründungsmitglieder das, was alle Vereinsmeierer am Anfang tun: Sie beschlossen eine Satzung und wählten einen Vorstand. Sie wählten neben den beiden Vorsitzenden und dem Schatzmeister sogar eine Referentin für Öffentlichkeitsarbeit. Deren Aufgabe wird vermutlich darin bestehen, Warnschilder zu entwerfen, die sich nähernde Unwissende vor den Gefahren des Molochs warnen. Vielleicht entwirft die Dame aber auch Anzeigen für Reisebüros mit den Worten: "Geniessen Sie Ihren Urlaub in unvergesslicher Athmosphäre in unserem traumhaften Naherholungsgebiet. Alles, was Sie aus unserem See ziehen, müssen Sie behalten. Wohnen Sie in einer beschaulichen Unterkunft mit Blick auf´s Ufer. Gute Einkaufsmöglichkeiten vorhanden."

    Ich wollte zur Abwechslung auch mal Kreatives posten ... in diesem Fall einige Geschichten über unser Dorf. Alle Schilderungen entsprechen der Wahrheit und nichts als der Wahrheit ;-)


    UNSER DORF
    Unser Dorf soll schöner werden


    Unser Dorf soll schöner werden, hiess es einstmals. Und mit Sicherheit hätte unser schönes Dorf den berühmt-berüchtigten Wettbewerb schon in seinem Entstehungsjahr gewonnen, wenn ... ja, wenn der damalige Bürgermeister die Anmeldung, die nach langen und feuchtfröhlichen Abenden in der Kneipe an der Ecke beschlossen worden war, auch abgeschickt hätte. Dumm gelaufen.


    Ich will ja nicht behaupten, dass hier im Dorf nur Deppen wohnen, schon weil ich mich dann selbst mit einschliessen würde, aber es scheint schon so zu sein, wie die alte Kräuterhexe aus dem nahe gelegenen Wald es mir damals erzählt hat. Sie sagte nämlich: "Als damals die Intelligenz über die Welt ausgeschüttet wurde, stand auf dem heutigen Dorfplatz eine verängstigte Menschenmenge und blickte gen Himmel. Ein Flirren und Funkeln erhellte seinerzeit den Himmel und die Menschen standen da, mit offenen Mündern, und glotzten nach oben. Doch gerade als die "Intelligenz" auf ihre Häupter fallen wollte, verbargen sie ängstlich ihr Gesicht, so dass nur das "I" auf ihre Stirn fiel und haften blieb."


    Und dort ist es ganz offensichtlich bis heute verblieben.



    Sperrmüll im Dorf


    Es ist Abend im Dorf und grosse Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Am nächsten Tag wird der Sperrmüll abgeholt. Ein an sich relativ normaler und durchaus nicht bemerkenswerter Umstand, sollte man meinen. Nicht so in in unserem Dorf! Die Sperrmüllabholung in diesem schönen Landstrich erfolgt dreimal im Jahr, und immer wenn die Gemeinde im Herbst den Müllkalender verteilen lässt, werden von den hiesigen Einwohnern zuallererst die Tage der Sperrmüllabholung leuchtend rot markiert. Danach wird der Kalender in einem teuren, goldenen und reich verzierten Rahmen direkt neben die Haustür gehängt, damit man ihn bei jedem Verlassen des eigenen Domizils zwangsläufig sehen muss. Denn nichts in der Welt der Dorfbewohner wäre verhängnisvoller, als diesen wichtigen Termin zu verpassen. Es soll sogar Menschen geben, die eine sorgfältig laminierte Kopie des Kalenders zusätzlich von aussen neben die Tür hängen, oder ständig bei sich tragen.


    Als ich das erste Mal beobachtet habe, was passiert, wenn in unserem Dorf der Sperrmüll abgeholt wird, nahm ich noch an, dass es die erste Abholung seit etwa 17 Jahren war. Noch nie im meinem Leben habe ich derartige Berge von alten Möbeln und Schrott auf einer so begrenzten Fläche gesehen. Hätte ich damals zufällig gerade ein neues Skigebiet in den Niederlanden eröffnen wollen, hätte ich nur alles einsammeln und auf einen Haufen werfen müssen. Etwas Erde und Gras drauf und fertig wäre mein neues Davos gewesen. Neugierig geworden, studierte ich sorgfältig den Kalender, um die nächste Abholung nicht zu verpassen, da ich ja annahm, dass ich die kärglichen Häuflein, die diesmal zu erwarten wären, sonst möglicherweise übersehen könnte. Der besagte Tag nahte also, und bereits am Abend zuvor sah ich auffällig viele Kleintransporter, als ich von der Arbeit nach Hause kam. Die Strassen waren noch leer. Also begab ich mich in unsere Wohnung, und, nach einem Blick der Vergewisserung auf den neben der Tür platzierten Müllkalender zuerst vor den Fernseher und dann ins Bett. Ich schlief schlecht in dieser Nacht, da ich ständig von den dröhnenden Motoren der Kleinlaster geweckt wurde, die durch die Strassen patrouillierten. Als ich am nächsten Morgen das Haus verlassen wollte, um zur Arbeit zu fahren, traf mich die Realität wie ein Schock. Sämtliche Strassen des Ortes, inklusive unserer Hofeinfahrt, waren mit Sperrmüll zugestellt. Polizisten, die in voller Schutzmontur und Bewaffnung in gepanzerten Bussen, gefolgt von Wasserwerfern, für die Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit garantieren sollten, sahen sich einer lebensbedrohlichen Gefahr und einem schier unlösbaren Problem gegenüber. Nachdem ich vergeblich versucht hatte, mittels eines zufällig auf unserem Hof geparkten Baggers eine Schlucht durch unsere Einfahrt zu graben, rief ich meinen Arbeitgeber an, um ihm mitzuteilen, dass ich heute leider nicht zur Arbeit erscheinen könne. Er war überaus erstaunt über meinen Anruf und sagte: "Ich wusste doch schon, dass du heute nicht kommst. Schliesslich weiss ich, wo du wohnst." Offensichtlich wusste er mehr als ich über die Geschichte der Sperrmüllerei in der unserem Dorf. Das musste sich ändern.


    Ich kletterte also über den Haufen in unserer Einfahrt, und begab mich Richtung Gemeindeverwaltung. Dort angekommen traf ich auf einen völlig entnervten Angestellten, der ins Telefon brüllte: "Nein, verdammt, es sind keine Plätze mehr frei! ... Sie hätten sich eben früher anmelden müssen! ... Es nützt Ihnen überhaupt nichts, mir jetzt Geld anzubieten, es gibt keine Passierscheine mehr!". Dann sah er mich völlig entgeistert an und schrie: "Was wollen ...". Weiter kam er nicht, weil schon wieder alle Telefone auf seinem Schreibtisch klingelten, und mit einer verächtlichen Geste und einer wegwerfenden Handbewegung verwies er mich des Raumes. Ich schlich davon.


    Nachdem ich zwei Stunden später schwer blutend, mit einem blauen Auge und völlig zerkratzt wieder zuhause angelangt war, (Die Entfernung zur Gemeindeverwaltung beträgt übrigens nur knappe 180 Meter) berichtete ich meiner süßen Frau von den Geschehnissen, und begab mich dann gemeinschaftlich mit ihr ins Internet. Meine Suche bei Google nach "Sperrmüll und dem Namen unsers Dorfes" ergab auf Anhieb 1321 Treffer. Die Einträge, die wir fanden, lösten eine gewisse Fassungslosigkeit und Schauer der Angst bei uns aus. Ein paar wenige davon möchte ich daher schlagzeilenartig auflisten:


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    "DIE NEUESTEN BILDER VOM SPERRMÜLL IN XXX (Unsere Ortbezeichnung mussten wir aus Sicherheitsgründen löschen, um nicht noch mehr Mülltouristen anzulocken!) !!!" (Die Seite war am selben Morgen erstellt worden und der Besucherzähler zeigte mehr als 407.000 Zugriffe.)
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    "LAST MINUTE BUSREISEN - DIE LETZTEN PLÄTZE FÜR DIE SPERRMÜLL-IN-XXX-TOUR !!! HIN- UND RÜCKREISE INCL. 4 STUNDEN AUFENTHALT NUR 586 EURO MINDESTGEBOT!"
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    "RADIO FFH, STAUMELDER: SÄMTLICHE ZUFAHRTSSTRASSEN NACH XXX SIND WEITERHIN BLOCKIERT: ORTSKUNDIGE WERDEN GEBETEN, DEN BEREICH WEITRÄUMIG ZU UMFAHREN."


    Natürlich begaben wir uns daraufhin sofort wieder ausser Haus. Draussen angekommen, hörten wir nun auch endlich die Lautsprecherdurchsagen der Polizei:


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    Bewahren Sie Ruhe!
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    Es ist niemand in Gefahr!
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    Die Anwohner werden gebeten, Fenster und Türen geschlossen zu halten, und ihre Häuser nicht zu verlassen!
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    Plünderer werden ohne Vorwarnung erschossen!
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    Die Gemeindeverwaltung hat den Ausnahmezustand ausgerufen!
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    Notärzte und Sanitäter finden Sie hinter allen Ortsausgangsschildern!
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    Alle Besucher werden gebeten, ihre Fingerabdrücke nehmen zu lassen, damit im Todesfalle die Identifizierung der Opfer leichter zu bewerkstelligen ist!
    *


    Bewahren Sie Ruhe! Es ist niemand in Gefahr!


    Mittlerweile waren auch die Wagen der Stadtverwaltung eingetroffen. Die Mitarbeiter versuchten verzweifelt, wenigstens einen Teil der Beute für die städtische Müllverbrennung zu ergattern. Unter dem wachsamen Auge der Ordnungshüter und geschützt durch die Wasserwände der freiwilligen Feuerwehr, gelang es ihnen bisweilen, ein einzelnes Stuhlbein oder manchmal auch nur einen versehentlich abgestellten gelben Sack in die nahezu leeren Abholfahrzeuge zu befördern. Der erste Tote des Tages entstand nicht durch den Neid der Besitzlosen, sondern durch die Schütte des Abholwagens, als er versuchte einen verschimmelten Tisch vor dem endgültigen Verschwinden zu retten. Es kam, wie es kommen musste: Sein Oberkörper erfuhr später am Tage eine Feuerbestattung, während sein Unterleib von übereifrigen Sammlern und Jägern in einen versifften Transporter geschmissen wurde.


    Wir flüchteten uns gerade noch rechtzeitig ins Haus, hoffend, genug Vorräte für die Dauer der Belagerung zu besitzen, und begaben uns auf der Suche nach Informationen sofort wieder ins Netz. Beim weitergehenden Studium der Google-Einträge fanden wir nach langen Stunden endlich auch die Erklärung für das immense Sperrmüllaufkommen in unserem Dorf:


    *


    "1-A-Sperrmüll für die Einwohner von XXX! Bei uns zahlen Sie lediglich den Kilopreis! Greifen Sie zu, solange der Vorrat reicht! Inklusive Transportversicherung! Anlieferung bis Keller Unterkante nur 99,- EURO