Dem Abschlußband der „Tribute von Panem“-Trilogie habe ich mit gemischten Gefühlen entgegengesehen. Zum einen mit großer Spannung, wie es mit der Revolution in Panem weitergehen könnte, zum anderen mit der Befürchtung, es könne wie in Band 2 wieder nur zu einem Aufguss von Band 1 oder gar zu einer kitschigen Liebesschnulze kommen.
Um es gleich vorneweg zu nehmen: Meine Befürchtungen waren unberechtigt. Suzanne Collins ist es gelungen, meine hohen Erwartungen sogar noch zu übertreffen.
Aber zunächst zum Inhalt:
Nach ihrer Flucht aus der Arena findet sich Katniss in der sterilen, unterirdischen Welt von Distrikt 13 wieder. Hier dominieren Disziplin, Einheitlichkeit und ein strikter Tagesplan. Als psychisch labil eingestuft und damit quasi „vogelfrei“, entzieht sie sich dem monotonen Alltag von Distrikt 13 und sucht sich geheime Verstecke, in denen sie den Tag verbringen kann.
Doch dann zwingt Präsident Snow Peeta mit Folter zu medienwirksamen Auftritten, in denen der gefangene Tribut zum Ende der Rebellion auffordert. Um Peeta und die anderen Tribute zu retten, schließt Katniss einen Pakt mit Rebellenführerin Coin: Unter der Voraussetzung, dass Coin Peeta und den anderen Tributen öffentlich Amnesie zusichert, ist sie bereit, den Spotttölpel, die Leitfigur der Revolution, zu spielen. Peetas Warnungen, die Leute, für die sie handelt, genauer unter die Lupe zu nehmen, erachtet sie als Teil von Snow’s Propaganda und Gehirnwäsche. Doch schon bald deutet sich an, dass sich Coins Methoden von denen Präsident Snows nicht sonderlich unterscheiden. Kleine Disziplinlosigkeiten des aus dem Kapitol entführten Vorbereitungsteams werden mit Folter bestraft. Gale und Beetee entwickeln mit kühler Präzision aus Tierfallen „Menschenfallen“ und nehmen „Kollateralschäden“ billigend in Kauf. Den Krieg um die Medien beherrscht Coin mindestens genau so gut wie Snow: „Soldat“ Katniss wird herausgeputzt, in eine Fantasieuniform des von Snow ermordeten Designers Cinna gesteckt und medienwirksam an die Front geschickt. Dort macht sie mit Eigenwillen und Mut ihre Sache so gut, dass sie, ohne das zu wollen, zu einer Bedrohung für Coin wird, die die Nachfolge Snows anstrebt. Bei dem Sturm auf das Kapitol kämpft Katniss an vorderster Front und muss -wie bei Collins nicht anders zu erwarten- viele Menschen, die ihr nahe stehen, sterben sehen. Dabei bleibt Katniss weit davon entfernt, zur Heldin oder gar Mary Sue zu mutieren. Letztendlich ist ihr Beitrag zum Kampf sogar unbedeutend.
Collins Schreibstil ist sicher gewöhnungsbedürftig. Eine Sprachpoetin ist sie nicht. Die Sätze wirken noch kürzer, noch abgehackter, als in den Vorgängerbänden. Bei manchen Passagen würde ich gar von einem Telegrammstil sprechen. Für mich war das jedoch keine Schwäche. Im Gegenteil: Ich hatte den Eindruck, dass hier eine Autorin mit viel Engagement und Herzblut „nach vorne“ geschrieben hat und sich nicht mit ausschweifenden Beschreibungen aufhalten konnte, weil ihr die Geschichte so rasch aus der Feder floss. Das gibt dem Buch ein unglaubliches Tempo und dürfte wohl der Grund dafür gewesen sein, dass ich es in sieben Stunden an einem Stück durchgelesen habe, was sonst nicht meine Gewohnheit ist.
Darüber hinaus hat „Flammender Zorn“ eine Tiefe, die ich der Autorin nicht zugetraut hätte. Collins will eine Botschaft vermitteln. Ohne Pathos und Kitsch, lässt sie miterleben, wie nah Menschlichkeit und Unmenschlichkeit im Krieg beieinander liegen. Die kühle Berechnung, mit der Gale und Beetee die Methoden des Feindes übernehmen und „Kollateralschäden“ in Kauf nehmen, ist erschreckend. Wer will da am Ende noch definieren, wer Gut und wer Böse war. Es bleibt nur die Erkenntnis, dass ein Krieg immer grausam ist, die Besten zu früh sterben und es am Ende nur Verlierer gibt.
Dabei widersteht Collins der Versuchung, allzu sehr auf die Tränendrüse zu drücken (was sie eigentlich ganz gut beherrscht). Der (nicht wirklich überraschende) Tod eines lieben Menschen gegen Ende des Buches wird knapp, kalt und geradezu emotionslos geschildert. Zunächst gefiel mir diese Passage wegen ihrer kühlen Sachlichkeit gar nicht. Doch dann lässt Collins dem Leser Zeit, gemeinsam mit Katniss das in Sekundenbruchteilen Geschehene zu verarbeiten und mir wurde klar, dass diese Form der Schilderung der Wahrnehmung von Katniss wohl am besten entspricht.
„Twilight-Mädchen“ könnten vom letzten Band der Panem Trilogie enttäuscht sein, denn das Liebesgeplänkel Gale oder Peeta spielt in „Flammender Zorn“ zu meiner (angenehmen) Überraschung kaum eine Rolle mehr.
Sicher gäbe es auch Dinge, die sich an Panem kritisieren ließen. Nebenhandlungen werden vielleicht ein wenig zu oft dadurch erledigt, dass Nebencharaktere für tot erklärt werden. Am Ende versucht Collins, es allen Recht zu machen: Denen, die ein Happy End brauchen (für den amerikanischen Markt ganz besonders wichtig!) und denen, die lieber mitleiden möchten. So kann der Abschluss nur ein Kompromiss sein, doch den möchte ich als durchaus gelungen bezeichnen.
Für mich wäre übrigens ein anderes Ende zwingender, aber wohl nicht so marktgängig gewesen:
Nachdem Katniss Coil getötet hat, wird Gale Präsident und lässt den bereits beschlossenen Hungerspielen mit den Kindern des Kapitols zur „Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit“ weitere Spiele folgen. Im Epilog würde dann für Katniss und Peetas Kinder der erste Tag der Ernte anstehen…
Böse, oder? Aber vielleicht realistischer.
Ein Sonderlob an den Verlag für die gute Übersetzung und das saubere Lektorat. Die Aufmachung könnte für das Geld allerdings etwas hochwertiger sein. Papierumschläge sind nicht mein Ding, ein Lesebändchen habe ich vermisst und leider scheint der Buchrücken etwas schwach zu sein, so dass alle drei Bände bei uns nach zweimal lesen etwas verzogen aussehen. Aber solche Äußerlichkeiten treten hinter dem Inhalt selbstverständlich zurück.
Fazit: Vollkommen zu Recht die Nr. 1 der Spiegel Beststellerliste und für mich ein heißer Kandidat für das beste phantastische (Jugend-)Buch 2011 => Uneingeschränkt 10 von 10 Sternen.