Nun ist's geschafft.
Gestern habe ich das Buch zufrieden zugeschlagen. Das Ende ist wunderbar rund und - was mir besonders gefällt - nicht mit unnötigen Erklärungen und Friede, Freude, Eierkuchen-Szenen überfrachtet. Die Schwestern gehen Arm in Arm an Land, begleitet von Lily, Bertrand und Oscar, sehnlich erwartet von ihren Singapurer Freunden. Ein schöner Abgang.
Davon gab es eine Menge Sprünge, vor allem in den Zeitabläufen.
Dass Friedrich seinen Frieden im Obstgarten sucht, war sicher eine elegante Lösung, ihn loszuwerden. Die eine oder andere Szene mit ihm, die noch etwas mehr Einsicht in seine seelischen Abgründe gibt und den Selbstmord rechtfertigt, hätte ich begrüßt, weil der Mann ja praktisch schon seit Jahren ganz unten angekommen ist. Da fragt man sich: Weshalb jetzt und nicht schon früher.
Die Kinder werden hingegen ziemlich schnell groß. Auch wenn es nur Randfiguren sind, hat mich die Hochzeit von Dinah und Roy erfreut.
Bei Oscar hatte ich dauernd einen Typen wie Draco Malfoy vor Augen.
Die "Sabotage" in der "Von Trebow Trading Company" hätte man vielleicht schon etwas länger im Voraus anbahnen können; so kam es etwas plötzlich und verwundert, da der Mitarbeiter bisher doch immer recht zuverlässig war. Aber gut, diese Episode ist notwendig, damit Herrmann ins Geschäft einsteigen kann und vor allem Henry einen Grund zur Rückkehr hat. Natürlich mit Frau und Sohnemann im Schlepptau.
Nun dürfen er und Johanna endlich zusammenkommen. Nicht unbedingt die große Romantik-Szene des Buches, was sowohl am Alter der Figuren als auch an ihrem ruhigen Wesen liegt (da knistert es zwischen Leah und Bertrand erheblich mehr). Der zweite Frühling eben.
Indem Amelia auf Henry schießt, hat er endlich auch ein Druckmittel gegen sie in der Hand. Eine ziemlich extreme Reaktion, aber ich denke mal, die Frau war nicht mehr ganz knusper. Für die Scheidung ist es jedenfalls höchste Zeit. In Amerika wurden Scheidungen zu dieser Zeit schon salonfähig; in Europa war man wahrscheinlich etwas mehr vom alten Schlag, doch in den besseren Kreisen gab es auch schon öfters Scheidungen. Wenn der Mann die Schuld auf sich nahm, dürfte es sowieso nicht groß der Rede wert gewesen sein. Der Makel einer Scheidung traf eher die Frauen, zumindest, wenn sie schuldig geschieden wurden. Also alles bestens für Henrys Happy Ending mit Johanna.
Im Nachhinein ist mir übrigens aufgefallen, dass man eigentlich fast gar nichts über Henry Farnells Background erfährt, eigentlich nur, dass er mal mit Friedrich in dieser englischen Firma war, aber nicht woher er genau stammt, Familienkonstellationen etc. Vielleicht blieb er mir deswegen so fremd und austauschbar.
Lily, bisher eher blasse Mitläuferin, wird in diesem Abschnitt etwas greifbarer, wenn auch nicht so stark wie etwa Johanna oder Leah. Ich habe sie als relativ ausgewogen empfunden. Kein Temperamentsbolzen, aber freundlich, einsatzbereit, lebensbejahend, aber von ihrer obskuren Herkunft überschattet. Weshalb genau Ross Bowie sich für sie einsetzt und mit ihr nach Anjer schippert, ist mir allerdings nicht ganz klar geworden.
Ihr Interagieren mit Leah hat mir dagegen sehr gut gefallen.
Die letzten Szenen sind überhaupt sehr atmosphärisch dicht und die Vulkankatastrophe erzählerisch grandios wiedergegeben. Hier reihen sich die Szenen endlich wieder ohne große Sprünge aneinander, was die Spannung schürt.
Bowies Tod fand ich weniger tragisch. Einer musste draufgehen, und der Mann hat wenigstens keinen Familienanhang und konnte sich dadurch zu guter Letzt als Held beweisen. So ambivalent, wie von einigen angesprochen, fand ich ihn übrigens nicht. Bowie stand für mich eigentlich immer auf der Seite der "Guten". Ein bisschen desillusioniert und verbittert durch Johannas Verlobungsauflösung kam er mir vor, aber nicht bösartig. Da waren in Friedrich, Amelia und Oscar ganz andere Gegenspieler vorhanden.
Soviel zu den ersten Eindrücken. Da das Buch so detail- und handlungsreich ist, gäbe es noch eine Menge mehr zu erwähnen, das mir jetzt auf Anhieb nicht mehr einfällt. Deshalb behalte ich mir einen Nachschlag vor.
Im Fazit: Ein schönes unterhaltsames Buch, das leider darunter leidet, dass es für seinen Umfang fast zuviel Handlung enthält bzw. für die Handlung zu wenige Umfang. Dadurch entstehen viele Sprünge, gerade im letzten Drittel, was mich nicht ganz so stark in die Geschichte hat eintauchen lassen wie zu Beginn. Am Schluss war diese "Erzähldichte" dann zum Glück wieder vorhanden.
Ich denke, das Buch hebt sich von vergleichbaren Romanen dieses Genres positiv ab, weil es neben einer soliden Geschichte auch nachvollziehbar Land, Zeit und Leute schildert. Aus diesem Grund würde ich es jederzeit weiterempfehlen und werde auch zu Weihnachten einige liebe Menschen damit beglücken.
Ganz herzlichen Dank für all Deine Mühe, liebe Steffi, und die schöne Begleitung dieser unterhaltsamen Leserunde. Jederzeit gern wieder.