Das Buch hat bei mir einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen, aber am Ende bin ich froh, dass ich es gelesen habe.
Erst einmal habe ich mehrere Anläufe gebraucht, um reinzukommen. Den Prolog fand ich sehr anstrengend, weil ich nicht recht verstand, wer nun wer war, mir die Situationen nicht recht vorstellen konnte, die Sache mit den Farben nicht recht einsah... Die Art des Erzählers, kurze fettgedruckte Einschübe einzufügen, wie Merksätze in einem Lehrbuch, hat mir von Anfang an gefallen, kapiert habe ich das alles aber auch nicht gleich.
Irgendwann hatte ich aber den Prolog überwunden, und dann begann die "richtige" Geschichte. Die Szene im Zug bzw. im Schnee fand ich immer noch sehr schwer zugänglich, vielleicht auch wegen der Erzählperspektive, aber als Liesel einmal in Molching angekommen war, wurde es endlich besser.
Oder auch nicht, die erste Hälfte fand ich nämlich - wie schon im "Bücher, die jeder mag, nur du nicht"-Thread geschreiben - sehr unspektakulär, um nicht zu sagen tendenziell langweilig. Der Erzähler war zwar angeblich der Tod, das spielte aber fast keine Rolle, es hätte genauso gut jemand anders sein können. Und die kurzen Sätze haben mich extrem genervt.
Eine Frage zum "Saumensch": Gehe ich recht in der Annahme, dass es sich hierbei nicht um "den Menschen", sondern um "das Mensch" (= Frau, Mädchen) handelt? In Kombination mit "Saukerl" schien mir das naheliegend. Und da hat es mich auch nicht sehr gestört. Überhaupt fand ich die deutschen Wort-Einsprengsel (hab's auf Englisch gelesen) ganz in Ordnung, abgesehen mal von "Grande Straße" (warum heißt das nicht "Große Straße"?? sie schien mir doch die Funktion zu haben) und ein paar anderen kleinen Fehlern. Dass die deutschen Wörter fast immer auf Englisch erklärt wurden, war für mich natürlich unnötig, aber ich fand's gut gemacht.
Naja, und dann kam die zweite Hälfte, und alles wurde anders. Wahrscheinlich ungefähr ab dem Zeitpunkt, als Max kommt, oder noch ein bisschen später. Da plätschert nicht mehr die Kinderzeit dahin, sondern es ist Nazizeit, und Liesel und ihre Familie beginnen die Auswirkungen zu spüren. Das fand ich sehr intensiv und ergreifend dargestellt, ganz aus der Perspektive von Liesel bzw. der Leute von Molching. Jetzt trat der Tod als Erzähler auch mehr hervor. Dass er jeweils schon recht früh erzählt, wer sterben wird, hat für mich den Gänsehautfaktor nur noch erhöht; ich habe die Personen zum Teil mit anderen Augen gesehen, wenn ich wusste, dass sie nicht mehr lange leben würden bzw. wie sie Tode kommen würden. Ich glaube, viele Geschichten könnten ganz genauso oder so ähnlich passiert sein; ich fand die Schilderung sehr authentisch und einfühlsam - teilweise hat es mich sehr mitgenommen.
Der Schluss war mir insgesamt eine Spur zu kitschig, allein schon
dass Liesel nach dem Bombenangriff von Ilse Hermann aufgenommen wird
... aber trotzdem hat mich die Schilderung, wie der Tod jeweils die Seelen an sich nahm, überzeugt und berührt.
Und "ihr Mann", mit dem sie in Australien lebt, das ist doch Max, oder?
Nicht ganz funktioniert hat für mich allerdings die Sache mit Liesels selbstgeschriebenem Buch. Nur an ganz wenigen Stellen schreibt der Tod, wie Liesel etwas in ihrem Buch darstellt, ansonsten ist er es, der so erzählt, als sei er dabeigewesen - was er ja, von einigen Szenen abgesehen - nicht war. Das hätte noch besser ausgenutzt werden sollen, finde ich. Die "Faksimiles" von Max' Büchern - ich dachte, das waren die echten Seiten von Max, aber Liesel hat sie ja für ihr Buch reproduziert, und die Originale sind vermutlich verloren gegangen... das war mir nicht klar genug.
Übrigens, "Reinhold Zucker" - ist "Zucker" nicht ein typisch jüdischer Name? Oder war das Zufall, dass der jüdische Held in "Alles auf Zucker" so hieß? Das hat mich ein bisschen irritiert, ich dachte, da kommt noch was.
Also, Fazit: Die zweite Hälfte des Buchs mit ihren Schilderungen, wie die Leute auf dem Dorf dort in Bayern und vor allem ein 13-jähriges Mädchen die Nazizeit und den Krieg erleben und wie sie umeinander Angst haben und sich kümmern, macht es alles, alles wett. 6 Punkte für den ersten Teil, 9 für den zweiten, macht großzügige 8.