Das Nein.
Nein, ich werde nein sagen, denke ich und grinse blöd, während mein Mund ja sagt. Meine Hausaufgaben, meine Mitschriften, meine Tests. Sie nehmen, was sie kriegen, schreiben ab, wo immer sie können. Ich lasse sie und schiebe ihnen mein Heft rüber. In diesen Augenblicken huscht für Sekunden so etwas wie Dankbarkeit über ihre Gesichter. Ich sehe es, oder bilde mir ein es zu erkennen. Ja, sie sind angewiesen auf mich, rede ich mir ein, als meine saubere Schreibschrift auf fremdem Papier zu Krakeln mutiert.
Später auf dem Pausenhof stehe ich allein herum. Freizeit ist nicht meine Zeit. Die anderen spielen fangen, stecken die Köpfe zusammen und lästern, die ganz coolen rauchen. Und da bin ich. Ich gehöre zu denen mit den blauen Pullundern und den karierten Kragenhemden darunter, die natürlich fein säuberlich in die Hose gesteckt sind, welche wiederum von braunen Gürteln auf Taillenhöhe gehalten werden. Meine Nase ziert eine Brille, die ich abgrundtief hasse, die schon mehrere Male gesprungen ist - auf die ich angewiesen bin. Ohne sie verschwimmt die Welt zu einem farbigen Brei. Sie macht meine Augen kleiner als sie sind und gibt mir die intellektuelle Note, die hier unerwünscht ist und andererseits doch so gefragt. Ich bin einer von denen, die auf der Bank im Pausenhof sitzen und ein Schulbuch lesen oder ein Was-Ist-Was-Buch oder vielleicht ein Physikbuch der fünften Klasse, obwohl ich erst in der dritten bin. Wenn Mädchen kommen verdrücke ich mich in die andere Ecke.
Im Winter sind Pausen schrecklich. Man kann nichts lesen, weil einem dabei die Finger gefrieren. Man kann auch sonst nichts tun außer rum zustehen und seinen Atem zu beobachten, wie er in kleinen Wölkchen vom Mund aufsteigt, zu fühlen, wie ein Tropfen sich den Weg zur Nasenspitze bahnt und es sich dort bequem macht.
Und dann kommen sie. Ich sage noch „Aber ich hab Euch doch…“
Batsch. Eisige, krümelige Nässe rinnt innen an meiner Jacke hinab und es prickelt im Gesicht. Die Welt verwässert hinter den Brillengläsern. Ich rücke sie zurecht und höre sie lachen. Bunte Schemen hüpfen auf und ab.
„Haha, steht da und wehrt sich nicht einmal, der Streber…“.
Batsch. Diesmal trifft es den Hinterkopf. Meine Mütze fällt in den Schnee. Ich taste nach ihr.
„Hört doch auf mit dem Unfug…!“ protestiere ich schwach und merke, dass ich wie ein Lehrer klinge.
Ein harter Tritt befördert mich zu meiner Mütze. Ein kurzes Zappeln, dann gebe ich auf, während schrilles Lachen eisige Schneemengen in meine Kleider begleitet. Nach einer halben Ewigkeit naht die Rettung. Ein Lehrer natürlich. Die Jungs verziehen sich und lassen einen nassen Sack zurück. Ich bleibe noch ein bisschen liegen und frage mich, woran es liegt. Erst als die Pausenglocke klingelt rappele ich mich mühsam auf die Beine und schlurfe Richtung Klassenzimmer. Mathestunde.
Ich werde nein sagen, denke ich entschlossen.
Und mein Mund sagt ja.