Inhalt - Kurzfassung
Der Roman beginnt im Jahr 8 n. Chr., in dem von den Römern als befriedet deklarierten Germanien. So ganz friedlich geht es jedoch nicht zu, stellt Thorag, der Sohn eines cheruskischen Gaufürsten, fest, als er gemeinsam mit Freunden von den Auxiliartruppen aus dem Osten nach Hause zurückkehrt. Der Widerstand gegen die Römer, die die Bevölkerung durch Abgaben auspressen, wächst. Aber auch unter den Cheruskern herrscht keine Einigkeit, einige wollen die Römer vertreiben, andere sie nicht reizen und wieder andere verfolgen ganz eigene Interessen.
'Thorag' ist der Auftakt einer fünfteiligen Germanen-Saga:
1. Thorag oder Die Rückkehr des Germanen
2. Der Adler des Germanicus
3. Marbod oder Die Zwietracht der Germanen
4. Die Germanen von Ravenna
5. Arminius - Fürst der Germanen
Autor
Homepage von Jörg Kastner
Meine Meinung:
Nachdem Tiberius, der spätere Nachfolger Kaiser Augustus, vielleicht doch etwas zu voreilig die Einnahme Germaniens verkündet hat, sitzt nun Publius Quinctilius Varus als Statthalter am Rhein und grübelt, wie er sein Ansehen steigern kann. Dazu braucht er einerseits Geld, das er durch noch mehr Abgaben aus den Barbaren herausholen will, aber er braucht auch einen aufsehenerregenden Erfolg, der seinen Namen am römischen Himmel erstrahlen läßt. Da kommen ihm die Anzeichen eines rebellischen Geheimbundes der Germanen gerade recht. Er wird sie besiegen, die Grenzen des Reiches noch ein wenig weiter stecken und so sein politisches Schwergewicht demonstrieren.
Die Germanen plagen stattdessen ganz andere Sorgen. Einmal sehen sie sich gar nicht als Einheit eines germanischen Volkes, sondern als unabhängige Stämme, die sich je nach Interessenslage verbünden oder bekämpfen und sind daher auch untereinander in Auseinandersetzungen verwickelt. Zum anderen bemerken sie aber sehr wohl, wie die Römer ihre Bauern und Handwerker durch immer höhere Abgaben ausbluten lassen und ihre Unzufriedenheit mit dem römischen System wächst.
In diese aufgeheizte Stimmung kommt Arminius, Sohn eines hochrangigen Cheruskerfürsten, nach mehreren Jahren Soldatendienstes für das Römische Imperium, mit seiner Truppe in seine Heimat zurück, um nach dem Tode seines Vaters die Herrschaft über den Gau zu übernehmen. Mit dabei ist auch Thorag aus dem Stamm der Donarkrieger, der vieles an der römischen Lebensweise und Organisation schätzen gelernt hat, nun aber mit Entsetzen das Elend der germanischen Bevölkerung mitansehen muss. Thorag sucht nach einer friedlichen Lösung, sitzt aber in einer ausweglosen Situation zwischen den Stühlen. Verächtlich als Römling von seinen Cheruskerbrüdern angesehen, von den Römern nur als Mittel zum Zweck benutzt, schließt sich Thorag dem Widerstand gegen die Römer an, der von dem inzwischen mächtigen Arminuis formiert wird. Die Vorbereitungen zur Varusschlacht rollen an.
Jörg Kastner hat die Zeit um die bekannte Varusschlacht zu einem lebendigen, funkelnden Roman verarbeitet. Historische Fakten und Annahmen (es ist ja immer noch nicht abschließend geklärt, wo denn nun genau diese Schlacht tatsächlich statt fand) bilden den Rahmen, in dem das Verhältnis Römer - Germanen durch eine fiktive Geschichte Gestalt annimmt.
Im Mittelpunkt steht Thorag, ein sympathischer Held, aus dessen Blickwinkel wir das Geschehen miterleben. Zugegeben, Thorag ist eine Art Superheroe, der im Grunde seines Herzens ein friedliebender Mensch ist, aber auch keinen Kampf scheut und beherzt sein Schwert schwingt. Dabei erledigt er seine Gegner wie das tapfere Schneiderlein gleich Sieben auf einen Streich, bezwingt riesige Bären, Eber und einen Ur mit bloßen Händen, erträgt schwere Verletzungen und Erniedrigungen mit stoischer Gelassenheit, ist gut zu Menschen und Tieren und hat oft auch noch Mitgefühl für seine Widersacher. Zudem ist er ausgesprochen attraktiv, ein blonder muskelbepackter Hüne, den nicht mal eine Schramme im Gesicht nach den vielen Kämpfen verunstaltet. Zu gut, um wahr zu sein.
In diesem Fall verzeihe ich das, weil Thorags übermenschliche Qualitäten für mich schon einen humoristischen Touch hatten und mich zum Lachen brachten, wenn er sich mal wieder in einem aussichtslosen Kampf befand. Außerdem gewinnt er nicht immer, oft genug muss er Niederlagen einstecken. Aber da er natürlich auch klug ist, findet er letztendlich doch wieder einen Weg aus brenzligen Situationen.
Es sind halt stürmische, kriegerische Zeiten und genau das spiegelt der Roman wider. Die Germanen, hier in der Hauptsache die Cherusker, die einen Strohtod (Tod außerhalb des Kampfes, ganz schlimm: Tod im Bett) als unehrenhaft empfinden, sind es gewohnt, Unstimmigkeiten mit Körper- und Waffenkraft zu entscheiden. Wir nehmen daher natürlich auch an einigen innergermanischen Kämpfen teil, wo so einige Köpfe und Gliedmaße abgetrennt werden und viele Krieger ihr Leben lassen. Und die Varusschlacht selbst ist genau das: eine Schlacht, in der verzweifelt-zornige Germanen verzweifelt-sich wehrende Römer attackieren. Da gehts nicht gerade zimperlich zur Sache.
Ich fand diese Szenen jedoch nicht übermäßig grausam, es ist halt Krieg und Kriege blieben nicht blutlos.
Aber natürlich besteht der Roman nicht nur aus Schilderungen der Kämpfe. Wir erfahren viel vom Alltagsleben und der Kultur der germanischen Völker, genauso wie vom Leben der Römer im 'besetzten' Germanien. Das alles verpackt Jörg Kastner in spannende Szenen um Thorags Erlebnisse, in denen zusätzlich manchmal kleine Juwelen schlummern. Da wird wie nebenbei erwähnt, dass Thorag als Reisemitbringsel für seine Mutter farbige Fensterglasscheiben, sorgfältig verpackt und gehütet, von seiner langen Reise aus Rom mitschleppt. Das ist schon rührend, wenn man bedenkt, dass Fensterglas erst viel später etwas Alltägliches wurde, nur die reichen Römer schon darüber verfügten, dann ist auch klar, dass dies damals ein sehr kostbares Geschenk, etwas Seltenes und Exclusives für die Germanen war, die keine Fensterscheiben hatten. Ich bin sicher, ich habe so einige der liebevoll eingeflochtenen Details übersehen, weil sie mir nicht geläufig waren.
Besonders froh bin ich, dass der Roman ohne langausschweifende Liebesverwicklungen auskommt. Für die Romantiker: Es gibt eine Liebesgeschichte, es gibt auch Verwicklungen, aber zu meinem Glück ist das so dezent eingewoben, dass selbst ich Allergikerin es vertragen habe.
Sehr angenehm ist auch der Anhang: In einem Nachwort wird die Abgrenzung der Fakten- und Datenlage von der Fiktion erläutert. Zusätzlich gibt es ein ausführliches, sehr hilfreiches Glossar, ein Personenregister (nach historisch belegt und fiktv gekennzeichnet) und eine Zeittafel.
Für mich kam Jörg Kastners 'Thorag oder Die Rückkehr des Germanen' gerade zur rechten Zeit. Nachdem ich mich in den vergangenen Monaten viel mit den Römern herumgetrieben habe, war es für mich sehr vergnüglich zu lesen, wie die Gegenseite denn auf die römische Vormachtstellung reagierte.
'Thorag' hat mich bestens unterhalten und ich habe dabei eine Vorstellung bekommen, wie es gewesen sein könnte.
9 von 10 Punkten