Aufgrund der vielen begeisterten Rezis hier habe ich "Die Marionette" kurz nach der Leserunde auch gelesen. "Machtlos" subbte schon, aber ich hatte spontan eher Lust "Die Marionette" zu lesen und hier wurde geschrieben, zum Verständnis sei es nicht unbedingt notwendig, "Machtlos" zu kennen.
"Die Marionette" konnte mich leider nicht überzeugen, geschweige denn begeistern, die Geschichte ist flüssig zu lesen, aber auch ziemlich stereotyp in seiner Thrillerstruktur, große Spannung kam für mich nicht auf. Von den Hauptcharakteren hat mich keiner wirklich angesprochen, weder Valerie noch Eric noch Katja noch Don Martinez, ich hatte kaum das Gefühl, Zugang zu ihnen als Personen zu haben, ich bezweifle auch fast, dass dies anders gewesen wäre, wenn ich "Machtlos" vorher gelesen hätte.
Vor etwa zehn Jahren habe ich einen Roman über einen Veteranen des Vietnamkrieges mit PTBS gelesen und kurz darauf hatte ich einen Bericht darüber gesehen, dass sich aus Afghanistan zurückgekehrte US-Soldaten das Leben genommen hatten, seitdem beobachte ich das Thema Posttraumatische Belastungsstörung "bewusst".
Zu meiner persönlichen Überlegung, "Was machen die eigentlich da in Afghanistan?", habe ich in den letzten Jahren einige Bücher gelesen / Dokus gesehen, mit Bezug zur Bundeswehr, sowie zur Entwicklung der Gesamtsituation dort und darin liegt wahrscheinlich auch mit mein Problem mit "Die Marionette". Es ist sicherlich nicht verkehrt über einen Unterhaltungsroman einem breiteren Publikum die behandelte Problematik vor Augen zu führen, das zeigt sich ja an den Reaktionen hier, aber hier im Forum gibt es auch irgendwo die Diskussion: "Wie gut muss Recherche sein?"
Und ich bin beim Lesen von "Die Marionette" immer wieder über Sachen gestolpert, die mich aus dem Lesefluss herausgerissen haben, zunächst mal die Sache mit Katja als Elite-Soldatin des KSK, in der Realität gibt es (noch) keine Frauen beim KSK, ist das Buch also als "Fantasy"-Thriller in einer alternativen Wirklichkeit gemeint? Wohl nicht, also warum nicht zu Beginn des Buches kurz erklären, warum Katja dabei ist, irgendwann zum Ende des Buchs wird mal erwähnt, das sie mit "Ausnahmegenehmigung" die Ausbildung zum KSK durchlaufen durfte. Es wäre spannend gewesen (auch ruhig in einem Thriller), mal etwas tiefer auszuleuchten, wieso Katja als Frau überhaupt zum KSK wollte, wie sie mit dem Leben in dieser "Männerwelt" zurechtkommt, Auslandseinsätze und die Zwischenzeit in Deutschland, der Umgang als weibliche Soldatin mit dem möglichen und tatsächlichen Töten, der Unterschied von männlichen zu weiblichen Soldaten im Einsatz ... Interessanter Stoff ist meiner Meinung nach reichlich vorhanden. Die Thematik wird teilweise gestreift, es bleibt aber alles sehr oberflächlich, wie auch die Thrillerhandlung mit der Problematik der deutschen Waffen eher schwammig abgehandelt wurde.
Als Beispiel für die von mir empfundene Oberflächlichkeit greife ich mal diese Szene zu Beginn auf:
Nach dem Anschlag auf den Konvoi in Afghanistan ist Katja die Einzige, die unverletzt ist und noch klar denken kann. Es muss ja nicht detailliert dargestellt werden, wie viele Fahrzeuge, wie viele Soldaten, zu welchem Zweck mit welchen Ziel unterwegs waren, aber ich fand beim ersten Lesen zum Einstieg in das Buch diese Eingangssequenz schon sehr plakativ dargestellt und diese Einschätzung hat sich beim nochmaligen Lesen dieser Szene nicht verbessert.
Nach dem Anschlag wird beschrieben: "diese vielen Toten", "zwei Soldaten liegen bewusstlos übereinander wie Puppen", Katja geht sofort auf den Soldaten zu, dem die Gedärme schon raushängen und gibt ihm die doppelte Portion Morphin, hat Zeit seine Wange zu streicheln und sich an dessen Stolz auf sein gerade geborenes Baby zu erinnern. Diese Verabreichung der doppelten Dosis Morphin führt ja dann zu der Plotwendung, dass sie deswegen möglicherweise zur Rechenschaft gezogen werden soll, was ihren Weg zur psychischen Destabilisierung fördert. Irgendwann später wird erwähnt, dass Katja natürlich auch eine Sanitätsausbildung gemacht hat, ABER: hätte sie sich also nicht zunächst nach dem Triage-System (s. auch Heike Groos, das Buch gibt die Autorin als Recherchequelle an) einen Gesamtüberblick über die Situation der Verletzten verschaffen müssen, der Soldat mit der beschriebenen Bauchverletzung wäre ohne sofortige notärztliche Versorgung wohl sowieso gestorben, hätte sie stattdessen von den als "bewusstlos wie Puppen" beschriebenen Soldaten durch Erstversorgung jemandem helfen können, eventuell dessen Leben retten? Hat "dieser Fehler" eventuell ein Menschenleben gekostet? Es wird dann auch noch kurz erwähnt, dass ihr Notruf mit dem eines weiteren Anschlags auf die Bundeswehr in der Nähe verwechselt wurde, aber was dann passiert ist, wie sie dann gefunden wurden, läuft ansonsten ins Leere.
Erwarte ich zuviel Detail?
Der Leser (ohne Vorkenntnisse) soll vielleicht nicht mit mehr Details als notwendig verwirrt werden, die Konsequenz sollte aber auch nicht sein, dass alles oberflächlich und schwammig bleibt. Es werden im Verlauf der Handlung immer wieder Geschehnisse / Behauptungen in den Raum gestellt, die ich nicht nachvollziehbar fand. Mehrfach habe ich zurückgeblättert, ob ich denn was überlesen hatte, aber mit den Augen alles gelesen zu haben während das Gehirn auf Durchzug geschaltet hat, ist ja auch kein gutes Zeichen.
Im vorigen Jahr im Frühjahr habe ich "Die reden - wir sterben" von Andreas Timmermann-Levanas gelesen. Soldaten, die unter Posttraumatischer Belastungsstörung leiden, sind im Allgemeinen eher keine gemeingefährlichen Irren
die sich durch die Bundesrepublik bomben
sondern die Aggression richtet sich oft gegen sich selbst, durch Rückzug aus dem sozialen Leben, Alkohol, Selbstmord.
Und die Begriffe "die Elite-Soldatin" und "traumatisiert" waren im Buch derart inflationär verwendet, dass ich sie nicht mehr hören konnte.
Mein Fazit:
"Die Marionette" ist ein konventionell aufgebauter Unterhaltungsthriller mit Schwächen, dem ich mehr Tiefe gewünscht hätte, das Buch ist aber flüssig zu lesen und für das Aufgreifen des Themas für eine breitere Öffentlichkeit gibt es von mir noch großzügige sechs Punkte.
Zum Thema kann ich u.a. folgende Sachbücher empfehlen:
Andreas Timmermann-Levanas und Andrea Richter - "Die reden - wir sterben. Wie unsere Soldaten zu Opfern der deutschen Politik werden"
Heike Groos - "Ein schöner Tag zum Sterben. Als Bundeswehrärztin in Afghanistan"
Marc Lindemann - "Unter Beschuss. Warum Deutschland in Afghanistan scheitert"
Im Moment lese ich
Andrew Feinstein - "Waffenhandel - Das globale Geschäft mit dem Tod"
(Die Wirklichkeit ist krasser als ein Thriller es sein kann ...)
Deutsche Waffen landen auch in der Realität in Ländern und bei Leuten, die eigentlich keinen Zugang dazu bekommen dürfen, dies ist nicht nur eine Gedankenspielerei in diesem Thriller. Ein Beispiel nach einer Recherche eines Nachrichtenmagazins: Saudi-Arabien hat das Recht zur Herstellung eines deutschen Waffen-Modells für den eigenen Gebrauch erworben, diese werden aber im Internet und auf Waffenmessen schon angeboten und landen wer weiß wo ...
[URL=http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,779924,00.html]Umstrittene Waffenlizenz - Saudis schwören auf deutsche Sturmgewehre[/URL]
(Anmerkung: Diese Rezi zu "Die Marionette" habe ich bereits im vorigen November geschrieben, als die Leseeindrücke noch frisch waren. Eigentlich wollte ich schon längst eine Buchvorstellung für das wirklich empfehlenswerte Buch "Die reden - wir sterben. Wie unsere Soldaten zu Opfern der deutschen Politik werden" schreiben und diese zeitnah zur dieser Rezi hier reinstellen, aber ...)
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