.
Edit Januar 2009: Nachdem ich alle fünf Staffeln gesehen habe, habe ich eine neue Rezension zu THE WIRE geschrieben. Die Eingangsrezension hatte ich im Januar 2008 geschrieben, nach den ersten drei Staffeln.
Edit November 2010: Überraschend aber nicht unmöglich, "The Wire" erscheint als deutsche DVD-Veröffentlichung.
D'Angelo Barksdale, wegen Mordes angeklagt, wird aus Mangel an Beweisen vor Gericht freigesprochen, obwohl es ursprünglich zwei Augenzeugen gegeben hatte. Eine Zeugin hat ihre Aussage zurückgenommen, der andere Zeuge sagt zwar aus, es reicht aber nicht für eine Verurteilung. Einige Tage später wird dieser Zeuge erschossen aufgefunden.
Jimmy McNulty, Detective bei der Mordkommission in Baltimore, wird dadurch auf Stringer Bell und Avon Barksdale, D's Onkel, aufmerksam. Drogendealer, die die "Projects" (Sozialsiedlungen in West Baltimore und hauptsächlich von Afro-Amerikanern bewohnt) mit Drogen versorgen und zu deren Verantwortung bis zu zehn weitere Morde gehen könnten. McNulty ist einer der besten Mordermittler des Dezernates, er hält sich selbst auch für den Besten und hat das Talent, sich ständig und überall unbeliebt zu machen. Mit Hilfe von Richter Phelan, in dessen Verhandlung die Jury D'Angelo Barksdale freigesprochen hatte und der ein gutes Thema für seine Wiederwahl braucht, gelingt es McNulty gegen den Willen seines Vorgesetzten Major Rawls, dass eine Task Force ins Leben gerufen wird, um Avon Barksdale und Bell zu untersuchen. Andere Dezernate werden um die Abstellung von Polizisten gebeten und einige Abteilungen nutzen diese Gelegenheit, "Ballast", untaugliche Kollegen auf diese Task Force abzuschieben.
Die Task Force besteht aus McNulty; Kima Greggs, Herc und Carver und Lt. Daniels, alle vier aus dem Drogendezernat, und dem vermeintlichen (oder wirklichen) Ballast, Freamon, Pryzbylewsky, Santangelo und zwei Oldies, die mit Zeitung lesen ihre Zeit bis zur Pensionierung absitzen wollen. Es gelingt, noch einen guten Mann, Sydnor, aus einer anderen Abteilung zu holen.
Statt in 45 Minuten ein bis zwei Fälle zu lösen, wie in den meisten Krimi-Serien üblich, nimmt sich "The Wire" Zeit eine Ermittlung realistisch darzustellen. Eine Ermittlung ist meist langwierig, es gibt immer wieder Rückschlage und Barksdale und Bell wären als Drogendealer nicht so erfolgreich geworden und bisher nie polizeilich aufgefallen, wenn sie dämlich und unvorsichtig wären. Das titelgebende "Wire" ist eine Abhöranlage, da sonst kaum Möglichkeiten bestehen an sie, die beide selbst weder Drogen noch Waffen in die Hand nehmen, heranzukommen. Morde sind im Auftrag ausgeführt worden und die "hoppers", die die Drogen auf der Straße verkaufen, sind nach einigen Monaten im Knast oder Jugendarrest, wenn es überhaupt dazu kommt, sowieso wieder zurück auf der Straße.
Department Politik bei der Polizei und persönlicher Ehrgeiz spielen eine wichtige Rolle in "The Wire". Der Kampf gegen das Verbrechen hat nicht immer Priorität, wenn es mit den Karriereplänen einiger Polizisten, Staatsanwälte, Richter oder Politiker nicht konform geht. Ein Jahr vor der Wahl des Bürgermeisters (Staffel 3) gibt es die Anweisung von ganz oben, die Verbrechens- und Mordrate drastisch zu senken, Polizisten sind daraufhin mit der Beschönigung der Statistiken fast mehr beschäftigt als mit Polizeiarbeit.
Die Macher von "The Wire" wissen, wovon sie schreiben. Ed Burns war zwanzig Jahre Polizist in Baltimore und David Simon Polizeireporter. David Simon sagt im Interview, dass sie die Serie aufgebaut haben wie einen Roman, "ein Sittenbild und die exemplarische Schilderung einer amerikanischen Stadt zu Beginn des Jahrtausends" " … ein Erzählrhytmus mit langen epischen Bögen. Es ist ein wenig wie Tolstoi im Fernsehen".
Staffel 1 und 3 drehen sich vorwiegend um das innerstädtische Drogenproblem, Staffel 2 hat den erzählerischen Schwerpunkt bei den Dockarbeitern im Hafen von Baltimore, Staffel 4 beschäftigt sich mit dem Schulsystem und Staffel 5 mit den Medien, Figuren und Handlungsstränge ziehen sich durch alle Staffeln. Drehbuchautoren einzelner Folgen sind unter anderen George Pelecanos und Dennis Lehane, Krimi-Lesern wahrscheinlich bekannt.
Alle Charaktere sind vielschichtig, realistisch und überzeugend dargestellt, es gibt keine klare Grenze zwischen Gut und Böse / Weiß und Schwarz, sondern viele Stufen von Grau. Nicht nur die Persönlichkeiten der Ermittler werden dargestellt, sondern auch die der Dealer und dazwischen die Junkies. Es gibt keine wirklich Hauptrolle, das Zusammenspiel der vielen Charaktere, auch der vielen Nebenfiguren macht die Serie aus. Kima Greggs ist eine gute Polizistin, Lt. Daniels hält die Gruppe zusammen, einige Ermittler wie Freamon und Pryzbylewsky überraschen durch ihre Qualitäten, wodurch sich die Task Force zu einem guten Team entwickelt.
Der Zuschauer lernt die Dealer als Menschen kennen, von Stringer Bell und Avon Barksdale und bis zur untersten Stufe, den kleinen Dealern, die den ganzen Tag auf dem Hof in den Projects herumlungern und den Stoff verkaufen und sich die Wartezeit mit Palavern vertreiben. Beim Zuschauen fragt man sich, in wieweit sie eine Wahl haben, zu sein was sie sind. (Gleichzeitig ernst und witzig sind viele Dialoge z.B. die Dialoge über Schach, Kopfrechnen und ChickenMcNuggets, Staffel 1). Die Task Force versucht Beweise zu finden, McNulty beschattet Stringer Bell und folgt ihm … zum College, wo dieser Kurse in Makroökonomie besucht, Preiselastizität, der Zusammenhang von Produkt, Preis und Umsatz.
Gute Dialoge sind ein wichtiger Bestandteil von "The Wire" und durch realistische matter-of-fact Situationen entsteht oft schwarzhumorige Komik und dadurch viele witzige Szenen.
Bunk Moreland ist der Partner von McNulty bei der Mordkommission, während McNulty bei der Barksdale Task Force beschäftigt ist, hat er auch weiterhin Kontakt zu ihm, da einige Morde wahrscheinlich beide Ermittlungsgruppen betreffen. Die Szene, in der die beiden einen bereits Monate alten Tatort untersuchen, der eventuell auch im Zusammenhang mit Barksdale stehen könnte und sie sich dabei fünf Minuten nur mit dem F-Wort unterhalten ist schon ein Klassiker. (Staffel 1)
Herc und Carver sind mehr an muskelorientierter Polizeiarbeit als an der Denkarbeit interessiert, daher verbringen sie auf Anweisung viel Zeit irgendwo rumzusitzen und auf irgendwas zu warten und dabei zu quatschen, die Dialoge der beiden, sowie die Unterhaltungen von Bunk Moreland und McNulty, wenn diese den Abend mal wieder irgendwo in einer Bar ausklingen lassen haben oft hohen Unterhaltungswert, mal mehr oder weniger philosophisch angehaucht .... oder nur Quark ..... *g*
Ein Pastor über die Drogensituation: "It's like sweeping leaves on a windy day", und diese Aussage gibt auch den Grundton der Serie wieder.
Und Carver: "That's why we’ll never win; when they fuck up, they are fucked. When we fuck up, we get a pension."
Omar Little raubt Drogendealer aus und das waren diverse Male Barksdales Dealer. Er ist in seinem Viertel bekannt und gefürchtet, aber auch respektiert und sehr sehr cool .... einer meiner Lieblingscharaktere.
Omar sagt vor Gericht gegen einen von Barksdales Leuten aus. Levy ist der Anwalt von Barksdale, Gant der ermordete Zeuge.
Levy: You're here because you, you want to tell the truth about what happened to Mr. Gant in that parking lot.
Omar: Yep.
Levy: When in fact, you are exactly the kind of person who would, if he felt he needed to, shoot a man down on a housing project parking lot and then lie to the police about it, would you not?
Omar (insulted): Hey look man, I ain't never put my gun on no citizen.
Levy: You are amoral. You are feeding off the violence and the despair of the drug trade....You're stealing from those who are themselves stealing the life blood from the city. You're a parasite who leeches off...
Omar (interrupting): Just like you, man.
Levy:...the culture of drugs. Excuse me, what?
Omar: I got the shotgun. You got the briefcase. It's all in the game, though, right?
Judge Phelan gives Levy a "you can't argue with logic like that" shrug.
Die meisten Charaktere sprechen Slang, auch das ist ein Teil der Authentizität und Atmosphäre von "The Wire", Untertitel sind daher zu empfehlen, auch ich habe die Serie mit Untertiteln geschaut.
"The Wire" ist meiner Meinung nach eine der besten TV-Serien aller Zeiten. Im deutschen Fernsehen läuft sie natürlich nicht, obwohl im März 2008 schon die vierte Staffel (England / Region 2) auf DVD erscheint. "The Shield", eine andere gute Polizei-Serie lief eine Staffel und wurde Jahre später noch mal irgendwo im Nachtprogramm versteckt, dieses Schicksal wäre für "The Wire" eventuell auch zu befürchten.
Wahrscheinlich ist "The Wire" zu realistisch, zu intelligent, zu kompliziert, hat zu viele Charaktere und Handlungsstränge, ist zu langsam, zu dialoglastig und actionarm, um für das deutsche Fernsehen als Erfolg versprechend angesehen zu werden.
Die DVD ist das beste Medium für eine Serie dieser Art. Der Zuschauer kann selbst entscheiden wie viel er sich anschaut und das wird bestimmt mehr als eine Episode am Stück sein, da "The Wire" süchtig macht. Die Handlungsstränge ziehen sich über viele Episoden hinweg, bei mehreren Episoden in kurzer Zeit bleibt der Zuschauer besser in der verschachtelten Handlung. Die dritte Staffel von "The Wire" hatte ich schon bei Erscheinen gekauft, mir aber aufgespart, da ich vorher die ersten beiden Staffeln unbedingt noch mal anschauen wollte und habe dazu jetzt die Woche Urlaub genutzt. Leider habe ich nicht so viel gelesen wie ich ursprünglich geplant hatte, dafür aber innerhalb von 8 Tagen alle drei Staffeln, 37 Episoden, gesehen und ich freue mich schon auf die vierte Staffel.
Edit Januar 2009: Eingangsbemerkung und Link hinzugefügt.
Edit November 2010: Eingangsbemerkung zur DVD-Veröffentlichung hinzugefügt, Links zu YouTube entfernt und Schlussanmerkung hinzugefügt.
Die Eingangsrezension war die erste oder zweite Rezension, die ich je geschrieben habe, weil mich "The Wire" ab der ersten Staffel so begeistert hat. Die von mir hier angesprochenen Details kann man wohl erst verstehen NACHDEM man die Staffel/n gesehen hat. Mit mehr Rezi-Schreib-Erfahrung wäre ich - besonders in einer vorstellenden Rezension - nicht so ausführlich auf Details eingegangen, daher habe ich später eine neue Rezension geschrieben. Diese Eingangsrezi habe ich aber belassen.
Jeder hat natürlich das Recht auf Meinungsäußerung, aber ja, ich gestehe, ich habe mich damals über diese erste Reaktion geärgert, die ich als ziemlich pampig und nervend empfunden habe. Danach habe ich erstmal für sehr lange Zeit keine Rezensionen mehr geschrieben, weil mir die Lust vergangen war. In Allerlei Buch wird gerade - von einer Neu-Eule angeregt - über Reaktionen/fehlende Reaktionen auf geschriebene Rezis diskutiert. "Sozusagen als meine Antwort darauf" von mir hier diese recht ausführliche Anmerkung. Ich hätte keine Reaktion dieser Reaktion vorgezogen oder, wenn es was zu beanstanden gibt, bitte in ein paar vollständigen Sätzen. But, that’s life.
Irgendwann dann hatte ich wirklich Lust, zu einem Buch eine Rezension zu schreiben und sporadisch schreibe ich Rezensionen, für mich und den Autor und weil es mir Spaß macht.
.