Der zwölfjährige Jamie Gabriel trägt vor der Schule Zeitungen aus, eines Morgens im Oktober kehrt er nicht zurück. Seine Eltern, Paul und Carol Gabriel, werden von der Polizei in den ersten Stunden noch nicht ernst genommen, zunächst wird gefragt, ob Jamie Gründe hätte die Schule zu schwänzen, oder wegen familiärer Probleme nicht nach Hause zu kommen. Carol weiß aber sofort, dass etwas passiert sein muss. Die Polizei kann ihnen nicht helfen, alle Plakataktionen und Vermisstenanzeigen, die die Eltern selber initiieren sind vergeblich, 14 Monate später ist Jamie immer noch verschwunden. In der Zwischenzeit hatten sie die Hilfe von zwei Privatdetektiven in Anspruch genommen, sogar eine Frau, die bei ihnen vor der Tür stand und ihre Hilfe als Medium angeboten hatte, haben sie nicht abgewiesen. Bei einem weiteren ergebnislosen Besuch bei der Polizei, wo sie realisieren, dass Jamie inzwischen als "cold case" nur in den Akten verwaltet wird, erhalten Paul und Carol von einem Streifenbeamten die Visitenkarte von Frank Behr, einem ehemaligen Polizisten und inzwischen Privatdetektiv, der den Auftrag zur Suche nach Jamie annimmt. Paul möchte sich an den Ermittlungen beteiligen, zunächst lehnt Frank Behr dies ab, es ist völlig gegen seine Arbeitsprinzipien, aber schließlich stimmt er doch zu, dass Paul ihn begleitet. Behr findet heraus, dass Jamie nicht zufällig entführt wurde.
"City of the Sun" beginnt im ersten Kapitel damit, dass Jamie am Morgen aufsteht, sich anzieht und die gelieferten Zeitungspakete für seine Tour vorbereit. Der Leser hat direkt einen persönlichen Bezug zu dem Jungen, und durch die Erzählperspektive auch zu jedem weiteren der Charaktere. In den nächsten Abschnitten lernt der Leser auch die Entführer von Jamie persönlich und namentlich kennen und man kann erahnen, warum er entführt wurde. Die Eltern haben keine Informationen, die Polizei keinen Anhaltspunkt und keine Spur.
Die Handlung setzt 14 Monate später wieder ein. David Levien gelingt es großartig seine Charaktere zu zeichnen. Die Trauer und Verzweiflung der Eltern, die die komplette Basis ihres Lebens verloren haben, die nicht mehr miteinander sondern nebeneinander leben, die nicht mehr fähig sind wirklich miteinander zu reden. Sie sind Gefangene in ihrem neuen Haus, das ihr Traumhaus sein sollte, aber es ist nicht möglich das Haus mit all den Erinnerungen zu verlassen, denn wenn Jamie zurückkehrt muss er sie dort finden können, und sie lassen jeden Abend die Lampen für seine Rückkehr brennen.
Als Frank Behr den Auftrag zur Suche nach Jamie annimmt, sagt er Paul und Carol sofort, sie müssten realistischerweise davon ausgehen, dass Jamie nicht mehr lebt, er könnte ihnen bestenfalls dabei behilflich sein herauszufinden, was geschehen ist, damit sie endlich Frieden finden können. Nach und nach erfährt der Leser, dass auch Frank Behr’s Sohn mit sieben Jahren gestorben ist und wie, auch Frank ist geschieden, weil seine Ehe an diesem traumatischen Erlebnis zerbrochen ist, er kann also sehr gut mit den Eltern aber besonders mit Paul mitfühlen.
"City of the Sun" ist sehr spannend, der Leser weiß zwar, wer Jamie entführt hat, weiß aber nicht ob er noch lebt, ob die Chance besteht, Jamie lebend wiederzufinden. David Levien ist ein erfolgreicher Drehbuchautor, das wusste ich beim Lesen des Buches noch nicht, die Konzeption und der Aufbau der Handlung sind sehr gut, die Charaktere sind sehr gut und dreidimensional geschrieben, die Verzweiflung der Eltern ist zum Greifen nah. Nach Vierfünftel der Handlung hätte ich das Buch mit Neun von Zehn Punkten bewertet. Leider fand ich das Ende etwas enttäuschend, dieses Ende war mir zu sehr "Showdown" und ließ die vorherige Raffinesse der Darstellung und Charakterisierung vermissen. Wenn ich ganz kleinlich wäre, gibt es auch noch zwei weitere Punkte, die aber wahrscheinlich eher zu meinen persönlichen Störfaktoren gehören: Frank Behr hat ein Date mit einer Dame, die er während der Ermittlung kennengelernt hat, und er hat so etwas wie eine persönliche Fehde mit dem Polizeichef, seinem ehemaligen Boss. Ersteres kommt mir oft vor wie künstlich hinzugefügt und unerheblich für die Handlung (braucht jeder Krimi eine Liebesgeschichte? Ich meine, nein!) und zweiteres ist schon oft verwendet worden, um mehr Konflikt für die Handlung zu erzeugen. Beides sind auch nur minimale Punkte im vorliegenden Buch. Da es bald eine Fortsetzung mit Frank Behr geben wird, wird wahrscheinlich beides in den Plot einfließen.
Frank Behr hat mir sehr gut gefallen, ein interessanter Charakter und Ermittler für weitere Bücher.
"City of the Sun" ist auf jeden Fall ein spannendes und empfehlenswertes Buch und ich habe mir das im Juli erscheinende "Where the Dead Lay" schon vorgemerkt.
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