Zitat
Original von Oryx
Idgie
: Naja, es ist schon offensichtlich, dass Mitteleuropäer kaum wissen, was in Afrika passiert.
Ich frage mich, wer hier im Forum aus dem Stegreif sofort 3 Staatsmänner nennen kann, die gerade im Amt sind.
Yep, das könnte ich ............... aber ich denke, darum geht es nicht. Es geht einfach darum, dass kaum ein Europäer, selbst wenn er sich den Globus 100x anguckt, eine Vorstellung davon hat, wie groß und vielfältig der Kontinent ist und wie verschieden die Menschen und Völker dort sind.
Ich bin froh, dass du dich hier auch äußerst ............ du bist glaube ich der einzige Insider outside und zumindest für einige Bereiche kompetenter als wir alle.
Wenn ich überlege, wie wenig wir in der Schule gerade über Afrika gehört und gelernt haben und wie wenig sogar meine Kinder erfahren, dann ist es kein Wunder. Für mich war ganz Afrika besiedelt von Bantus und Pygmäen, alle laufen nackig herum und unsere Lehrerin hat uns damals von Menschenfleisch erzählt, das unter der Hand auf Märkten verkauft wurde .................... alles in allem ein gruseliger Kontinent, den man am meisten schätzte für die big five und spätere Trophäen an der Wand. Das nächste waren dann die Bilder der 'Biafra-Kinder', die man täglich im TV hungern sah. Dass es dort damals einen Krieg gab, das ging in der Flut der Bilder fast unter.
Und so kennt man Afrika: Hungerbäuche, große Kinderaugen, weiße Helfer, Getreidesäcke, die vom Himmel fallen, korrupte Politiker, beschnittene Frauen ............. und dann als fast schon logische Folge den dealenden Afrikaner an einem x-beliebigen Hauptbahnhof.
Das bisschen Afrika, das ich kennen gelernt habe war ganz anders.
Arm?
Ja, wenn man das nach deutschen Lebensverhältnissen definiert
Hungrig?
Ja, natürlich, in unserer Küche wurde den ganzen Tag gewerkelt, mal ein Stew, mal eine Peppersoup, mal Chicken mit Jolofreis ......... die erste warme Mahlzeit gab es zum Frühstück, die letzte wenn die Sonne noch nicht vom Himmel gefallen war.
Dumm?
Nein, ganz sicher nicht. Bildung hat einen hohen Stellenwert, wer nichts lernt, bleibt mit kleinem Business auf der Strecke und wird nie eine Familie ernähren können. Aber auch gebildete können das oft nicht weil die Verdienste unter aller S** sind. Das ist immer wieder ein guter Nährboden für Korruption im kleinen Stil. Wer gebildet ist und über die nötigen Beziehungen verfügt kann dagegen ein gemachter Mann sein ............ und tief stürzen, wenn dann nach endlosen Jahren wirklich mal ein anderer Präsident an die Macht kommt.
Und selbst nicht gebildete Menschen habe ich als sehr lebenserfahren und teils als sehr weise erlebt.
Stolz:
JAAAAAAAAAA, sehr stolz und das trifft zumindest in Ghana auch für sehr viele Frauen zu. Ich kenne fast ausschließlich Ashanti-Frauen. Sie sind stolz, ständig busy busy und sind in ihren Familienclans oft die Hauptverdiener, Ernährerinnen und Erzieherinnen. Ihr Status in der Familie wächst mit der Anzahl der Lebensjahre und wenn ein Mann/Ehemann nichts taugt, dann kann er das Weite suchen.
Aids?
Ist für viele Menschen, die ich kenne, ein absolutes Fremdwort, eine 'Sache', die vom Westen kommt und man selbst kennt niemanden, der 'so etwas' hat ............. und überhaupt, es gibt so viele Krankheiten, die nicht oder nicht richtig behandelt werden (vor allem bei Menschen aus den Dörfern), wer will da immer die richtige Diagnose stellen? Zumindest muss in Ghana seit einiger Zeit vor jeder Eheschließung ein Aidstest vorgelegt werden. Solche Maßnahmen werden eher belächelt und als neue Schikane der Regierung gesehen. Es fehlt definitiv eine umfassende Aufklärung über diese Krankheit aber Ghana ist auf einem guten Weg, es gibt mittlerweile einige Programme zur Aufklärung, Prävention und Behandlung.
Glauben?
Stark, zu stark für meinen Begriff und teilweise lähmend für einen wirklichen Fortschritt. Ich kenne mehr Leute, die versucht haben, sich ihr Lebensglück zu erbeten als tatsächlich den Ar*** hoch zu heben und die Initiative zu ergreifen.
Selbst habe ich einige Afrikaner kennen gelernt, die fest daran glauben, dass es Zeit ist, die Europäer zu remissionieren weil sie dabei sind, ihren Glauben zu verlieren. Die meisten waren selbst Priester einer der zahllosen christlich geprägten Gemeinden hier in Deutschland und auch in Ghana.
Krieg?
In Ghana Gott sei Dank nicht, Ghana gehört immer noch zu den Ländern Afrikas, die Flüchtlinge versorgen und beherbergen. Werden die Konflikte rund um Ghana größer und die Flüchtlingsströme größer, wird es auch dort nicht mehr so friedlich sein. Die ersten Anzeichen dafür gibt es.
Wirtschaft?
Jein. Minen und Fabrikationsstätten sind teilweise so veraltet, dass hier kein Mensch unter solchen Bedingungen arbeiten dürfte. Dort wird improvisiert, was das Zeug hält. Es gibt nur wenige moderne Betriebe, unter anderem werden dort Neoplan-Busse gebaut. Lukrativer Abbau von Bodenschätzen wird betrieben, allerdings existieren Kontrakte zu ausländischen Partnern und die sahnen kräftig ab. So kommt keine Wirtschaft auf die Beine. Es gibt einige Fair Trade-Projekte. Diese Projekte werden hauptsächlich von Frauen geführt. Landwirtschaftliche Produkte und Kakao gehören in diesen Projekten zu den Hauptexportgütern. Verstärkt kommen auch hochwertige handwerkliche Arbeiten auf den europäischen und amerikanischen Markt, es handelt sich um Möbel, Dekogegenständen und eine Fülle von Stoffen, die wir so hier nicht finden. Es gibt also nicht nur den berühmten handgeschnitzten Holzelefanten.
Außerdem gibt es Ansätze, selbst 'Müll' zu recyceln, nicht immer mit Erfolg weil es nicht genügend 'hochwertigen' Müll gibt. Vieles wird von den Menschen selbst immer wieder verwendet bis es endgültig kaputt ist. Das Sammeln von Plastik aller Art und Papier ist üblich und dient hauptsächlich dem eigenen Business.
Entwicklung?
Ja, Ghana ist seit fast zwei Jahrzehnten 'stabil', politisch und wirtschaftlich, trotz galoppierender Inflation. Es gibt viele hochqualifizierte Leute in Ghana, die an eigenen Universitäten studiert haben oder im Ausland. Die vielen weißen Helferlein werden teilweise eher belächelt als wirklich ernst genommen aber niemand wird es den Helfern ins Gesicht sagen, was man über sie denkt. Überhaupt ist eine ehrliche Meinung nur schwer heraus zu bekommen .............. man spricht nicht klar und geradeaus sondern über viele verwundene Wege. DAS ist EIN Problem bei der Kommunikation zwischen schwarz und weiß.
Ganz gerne wird auch mal ein Europäer zum Chief ernannt, die Europäer verwechseln das dann auch schon mal mit der Königswürde oder dem Status eines Häuptlings. Aber der König ist und bleibt auf alle Fälle ein Einheimischer, jemand, der die Belange seines Volkes kennt und Situationen besser beurteilen kann. Der König der Ashantis z.B. ist kein Herrscher, der tun und lassen kann, was er will. Er trägt Verantwortung und muss anstehende Probleme lösen, seien es private Konflikte oder Sorgen und Nöte von Bauern etc. Alle Entscheidungen trifft er gemeinsam mit einem Ältestenrat, den Chiefs. Sind die Entscheidungen falsch und haben negative Folgen, wird der König schnell seines Amtes enthoben.
Die europäischen Chiefs bieten den Vorteil, dass sie nach Ansicht vieler Ashantis über die besseren finanziellen Mittel verfügen und so manches Projekt besser unterstützen können als ein einheimischer Chief. Außerdem weiß man ziemlich genau, dass Europäer sich gerne hofieren lassen. Dass man hinter ihrem Rücken über sie lacht, bekommen die meisten nicht wirklich mit.
Alles was ich weiß von Ghana, bezieht sich auf EIN Volk (die Ashanti) unter vielen allein in GHANA .............. es gibt dort die Ga, die Ewe, die Fanti, die Ho, die Haussa und noch einige Völker mehr, jedes Volk hat seine Sprache, die Akan-Völker sprechen unterschiedliche Versionen Twi ............. also, Ghana ist nicht sehr groß und hat eine Fülle von Kulturen zu bieten, die selbst mein Mann nicht alle wirklich kannte.
Tja, und Afrika ist halt soooooooooo riesengroß, dass man nicht alle Probleme und Nichtprobleme in einen Sack packen kann ............ Life is different.
Gabi
*ach ja, noch etwas: die meisten Schulsysteme in afrikanischen Ländern sind ausgerichtet nach den Schulsystemen der ehemaligen Kolonialherren. Das hat zur Folge, dass viele Afrikaner viel mehr über Europa und den Rest der Welt erfahren als wir über Afrika............. und das schließt alle Bereiche ein: Kultur, Industrie, Wirtschaft, Geschichte, Politik usw.