Meine Meinung:
Venedig, 1475: Während des Karnevals versucht eine junge, hochschwangere Frau verzweifelt und letztlich vergeblich ihren Mördern zu entkommen. Bevor sie stirbt, bringt sie in den Gassen der Serenissima und vor den Augen des um Hilfe herbei geeilten Glasmachers Piero ihr Kind zur Welt, und so beginnt das Leben von Sanchia.
Das Mädchen wächst auf bei den Zieheltern Piero und Bianca und entwickelt sich zum Ebenbild der leiblichen Mutter, mit hellen, fast weißblonden Haaren, ein Farbton für den so manche modebewusste Venezianerin töten würde. Die Feinde ihrer Mutter werden auf Sanchias Existenz aufmerksam, sie kann ihren Häschern nur knapp entkommen und wird zu ihrer eigenen Sicherheit in ein Kloster gebracht, aber dort lauern neue Gefahren. Zunächst jedoch wird durch Anregung der lebensklugen Äbtissin Albiera Sanchias Interesse an der Heilkunst geweckt. Spätestens hier mag man sich denken "Nicht schon wieder ein historischer Roman mit einer bildhübschen und zudem heilkundigen Protagonistin, die sich gegen die ach so böse Männerwelt behaupten muss." Keine Sorge, dieser Roman ist erfreulicherweise anders, denn Sanchia entwickelt sich zwar zu einer sehr guten, mit schneller Auffassungsgabe gesegneten Hebamme und Heilerin, aber sie bewegt sich immer nur im für Frauen begrenzten Rahmen der damaligen Zeit. Sanchias Schönheit ist für sie eine nutzlose, aber manches Mal gefährliche Nebensächlichkeit. Wissbegierig wie sie ist, steckt sie ihre Nase am liebsten in Bücher. So wird in diesem Roman auch einiges in Frage gestellt, was ich überhaupt nicht erwartet hatte und deshalb umso erfreuter zur Kenntnis genommen habe.
Auch die Tatsache, dass Sanchia sich ausgerechnet in den Sohn jener Patrizierfamilie verliebt, die schon ihrer Mutter und später auch ihr nachstellte, gibt dem ohnehin schon spannenden Roman zusätzlichen Reiz, ohne dabei in eine platte Liebesgeschichte abzudriften.
Das Rätsel über Sanchias Herkunft wird erst ganz am Ende gelöst und für meinen Geschmack hat die Autorin dabei ein wenig zu dick aufgetragen, was die bis dahin wirklich gut gestrickte Geschichte aber nicht abwerten soll.
Charlotte Thomas legt mit diesem 1.028 Seiten starken Roman ein Debüt vor, das einen wahren Lesesog auslöst. Der Verlag bezeichnet das Buch als einen prächtigen historischen Bilderbogen voller Abenteuer, Intrigen und Leidenschaft - ausgebreitet vor der einzigartigen Kulisse Venedigs und besser kann man es gar nicht zusammenfassen. Zudem besticht die Autorin durch faszinierende Eloquenz in Kombination mit dem Wissen aus offensichtlich akribischer Recherche, denn auf eindrucksvolle Art sind alle notwendigen Information über das Leben der damaligen Zeit geschickt in das Geschehen eingeflochten, wobei selbst die profansten Tätigkeiten interessant wirken; von den detaillierten Beschreibungen über z.B. das Stechen des grauen Stars, den oft aussichtslosen Kampf gegen die Pest, die Glas-/ Spiegelherstellung etc. einmal ganz abgesehen. Des Weiteren gibt es eine Reihe interessanter Nebenfiguren, die alle eine eigene Geschichte haben. Es ist ein rasanter, spannender und nicht zuletzt sehr informativer Roman, den man sich nicht entgehen lassen sollte.
Viele Grüße
Kaypso