Zitat
Original von licht
Hallo Beowulf, ist es nicht doch so, daß es - wie auch immer es gemeint ist - tatsächlich der stärkere sein muß, der Recht setzt und durchsetzt?
Man kann diesen Gedanken sogar noch weiter spinnen: im Grunde ist "Recht" nichts weiter als institutionalisierte Gewalt.
In der Steinzeit war es einfach, Gewalt auszuüben: man mußte nur mit Steinen schmeißen. (Die Intifada probiert diese Methode heute noch) Solange es keine wirklich stabilen Metallpanzerungen gab, war dies eine wirksame Methode, einen Despoten und seine Gefolgshaft zum Teufel zu jagen - daher wurde bis weit in die Bronzezeit hinein z.B. bei den alten Griechen mit Konzepten wie der Demokratie experimentiert.
Dann kam die Eisenzeit, und mit ihr die römischen Legionen, die große, rechteckige Langschilde vor sich hertrugen. Von da an wurde die Ausübung von Gewalt immer mehr zur Angelegenheit einer gut ausgebildeten Schwertkämpfer-Elite. Den Gipfel erreichte diese Entwicklung im mittelalterlichen Feudalismus, als ein durchtrainierter Ritter in voller Rüstung dem einfachen Volk als quasi unverwundbar erscheinen mußte. Aus jener Zeit stammte auch das von Rousseau kritisierte Fehderecht: wer sich mit einem Ritter anlegen wollte, sei es ein Rechtsstreit oder was auch immer, mußte ihn zum Duell fordern.
Mit dem Aufkommen einfach zu handhabender Schießpulverwaffen in der Frühindustriailisierung zerfiel diese Machtgrundlage des Feudalismus zusehends: jeder unausgebildete Hansel kann ein Gewehr abfeuern, und die industrieelle Produktion sorgt dafür, daß auch jeder Hansel ein Gewehr erwerben kann. Seitdem ist in der Ausübung von Gewalt wieder Masse statt Klasse angesagt, was die Franzosen als erste erkannten und uns die Segnungen der modernen Demokratie ermöglichten.
Letztlich ist also das Kriterium, das jeden Staat und jede Rechtsordnung ausmacht, das Gewaltmonopol, das den tatsächlichen Möglichkeiten der Gewaltausübung Rechnung tragen muß.
Nun herrscht unter zivilisierten Leuten ein allgemeiner Konsens, daß Gewalt an sich etwas zerstörerisches ist, das in der gesellschaftlichen Gesamtbilanz immer (die Opfer) mehr kostet als sie (dem Täter) nützt, weswegen in vielen Fällen die reine Androhung von Gewalt gegenüber ihrer tatsächlichen Ausübung als das kleinere Übel gesehen wird. Nach dem Muster "bevor du mich schlägst, solltest du wissen, daß mein Bruder/Clan/Staat dir noch sehr viel mehr wehtun kann - laß es besser nicht darauf ankommen".
Was hat das jetzt mit dem Thema zu tun? Ein staatliches Gewaltmonopol zu haben, bedeutet, die Ausübung von Gewalt an eine Institution zu deligieren. Da drängt sich die Frage auf, wieviel Gewalt soll diese Institution denn konkret ausüben? Und die naheliegende Antwort lautet, immer nur so viel, wie unbedingt nötig. Nicht so viel, wie nötig, um sämtliche "private, unkontrollierte" Gewalt zu verhindern - das wäre eh unmöglich - sondern so viel, wie unbedingt nötig, um zu verhindern, daß "private Gewalt" beispielsweise von Mafiagruppen dem Gewaltmonopol ernsthafte Konkurrenz macht. Wenn z.B. eine von ihrer Familie verstoßene Türkin mehr Angst vor der Erschießung durch ihren Bruder haben muß, als der Bruder vor der Festnahme durch die Polizei, dann ist das eine Bankrotterklärung des Gewaltmonopoles.
Wann kann es "unbedingt nötig" sein, einen Menschen zu töten? Doch nur in Notwehrsituationen, wenn dieser Mensch eine akute, unmittelbare Bedrohung für Leib und Leben anderer darstellt. Ein Gefangener ist für niemanden unmittelbar lebensgefährlich. Ein Gefangener kann durch das, was er zu erzählen hat, eine Gefahr für die Machtbasis seiner Ex-Komplizen werden, aber dies ist keine Lebensgefahr. Einen Gefangenen hinzurichten, gibt der Staatsgewalt mehr macht, als sie haben sollte. Einen Gefangenen hinzurichten, ist immer ein Akt des Terrors, dazu gedacht, potentielle Gegner einzuschüchtern.
Was das Ganze mit der Menschenwürde zu tun hat? Wer sich dazu hergibt, um des Machterhaltes einiger obskurer Figuren willen einen wehrlosen, unbewaffneten Gefangenen hinzurichten, handelt würdelos. Er verletzt dabei weniger die Würde des Gefangenen (die ist eh unantastbar) sondern ent-würdigt sich vielmehr selbst. Leute, die ihre eigene Menschenwürde so leichtfertig opfern, möchte ich weder in der Justiz noch im Strafvollzug haben.
Als die Nachricht von Saddams Hinrichtung im Radio kam, wurde mir richtig übel.