Moin allerseits,
zunächst möchte ich mich bei Bernard bedanken, der mich so würdig vertreten hat. Die Beiträge
Zitat
Original von Bernard
aus reinem Selbsterhaltungstrieb. Am Ende des Tages kommt Macht aus Gewehrläufen.
[...]
Im Gegensatz zu früheren Zeiten wäre es in einer modernen Anarchie so, dass ein kleines Kind vermittels allgemein verfügbarer moderner Feuerwaffen die gleiche Macht ausüben könnte wie jeder andere auch. Man braucht nicht groß und stark sein und jahrelang Schwertkampf üben, um jemanden töten zu können.
Entsprechend riskant lebt jemand als Diktator, zumal es ihm kaum gelingen wird, große Gefolgschaften zu sammeln, die ihn unterstützen (mangels der Existenz von Geld zum Beispiel).
Dazu kommt die relative Problemlosigkeit des Gruppenwechsels, die ein bedeutender Faktor ist: "Mir gefällt eure Art des Zusammenlebens nicht - ich ziehe drei Straßen weiter." Abstimmung zwischen Gesellschaften/ Gruppen mit den Füßen.
[...]
Eine Analogie für diese Gesellschaftsform ist der Wilde Westen
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und später
Zitat
nach Fukuyama wären beispielsweise bestimmte Gebiete in Afghanistan nicht dem afghanischen Staat zuzuordnen, sondern dem "Staat" eines War Lords, weil dieser dort die Regeln macht und sie durchsetzt, egal, was in Kabul beschlossen wird, und zwar nicht im Einzelfall, sondern im Regelfall.
hätte ich nicht besser formulieren können.
Insbesondere, nachdem für mich selbst der Anstoß, über diese Thematik nachzudenken, aus einem Forum kam, in dem man erst einmal genötigt wird, sich mit bestimmten Begriffen vertraut zu machen, bevor man mitreden kann ohne gleich als Troll betrachtet zu werden. Begriffe wie "libertär", "Anarcho-Kapitalismus", "Sezessionsrecht" und "Nicht-Aggressions-Prinzip", mit denen sich diese selbsternannten "wahren Liberalen" gegen "linksliberale und neoliberale Gelb-Sozialisten" abzugrenzen versuchen. Es ist erfrischend zu lesen, wie Du die Grundkonzepte dieser Denkrichtung in allgemeinverständliche Worte gebracht hast.
Ich bin ebenfalls der Meinung, daß eine "Wildwest-Anarchie" gegenüber einem funktionierenden Staatswesen gewisse Nachteile hat. Technologische Großprojekte wie z.B. Design und Produktion eines neuen Computerchips lassen sich nunmal nicht von einem 200-Leute-Kibbuz stemmen.
Allerdings lohnt es sich durchaus, sich auf das Gedankenexperiment einzulassen. Wir leben heute in einer Welt, in der kein Staat ein Weltreich errichten und alle anderen unter seine Herrschaft zwingen kann - spätestens an Atommächten wie Russland und China würde sich auch G.W.Bush die Zähne ausbeißen. Ein Staat, der wie Nordkorea oder Pakistan ein kleines Arsenal an Atomwaffen besitzt, verhandelt mit den "Großen und Mächtigen" auf Augenhöhe. Was wäre, wenn das, was zwischen Staaten funktioniert, auch zwischen Individuen funktionieren würde? Niemand wagt es, jemand anderen zu unterjochen oder auch nur zu überfallen, weil es immer sein könnte, daß der beste Freund des Überfallenen gleich mit der AK47 um die Ecke kommt. Niemand will der erste sein, der zum Mittel der Gewalt greift, weil jeder die Eskalation fürchtet. Unter Nachbarn gäbe es einen Nicht-Angriffs-Pakt, weil ein permanenter Kleinkrieg nicht nur unmoralisch, sondern vor allem auch für beide Seiten kostenträchtig und unprofitabel wäre. Und wenn Fremde Stunk machen, trommelt man die Bürgerwehr zusammen.
Was wäre in so einer Welt ohne Gewaltmonopol anders, was würde fehlen zu dem, was wir "Staat" nennen?
- Es gäbe keine Steuern
- keine Sozialabgaben
- keine Schutzgelderpresser
- keine Wehrpflicht
- keinen Reichsarbeitsdienst
- keine Sklaverei
- kein Patentamt und kein Postministerium, daher
- überhaupt keine Monopole, auch in der Wirtschaft nicht
- keinen Krieg
- kein "gesetzliches Zahlungsmittel", sondern evtl. mehrere konkurrierende Währungen.
Anhand dieser Unterschiede kann man sich klarmachen, was einen "Staat" von einer "Gesellschaft" oder einem "Verein" unterscheidet - und erst wenn man sich das klargemacht hat, kann man bewerten, was es mit Forderungen nach einem "schlanken Staat" oder einem "starken Staat" auf sich hat.
Wären wir alle der Staat, hieße ein schlanker Staat wohl, wir müssen alle abnehmen, und ein starker Staat, wir müssen alle trainieren - und genau darum geht es ja nicht.