Beiträge von Marvin

    Bei mir war es so: Ich drehe mich mitten im Winter in einer verdreckten Kellerbar in Ohio von 'nem überlaufenden Klo weg: draußen grölt gerade eine Horde Affen in Lederjacken im Chor, während ein weiterer Affe in Stretchhosen auf die Imitation einer Les Paul Gitarre eindrischt, die über 'nen schrottreifen Marshall-Amp läuft. Das Licht, der Lärm, das Mädchen an der Bar, durch deren verschwitztes T-Shirt ich beinahe hindurchschauen kann...Urplötzlich trifft mich der Schlag angesichts der Sinnlosigkeit, der Absurdität, der schier überwältigenden Verrücktheit von all dem.


    Ich liebe diese Reihe ja auch. Zumindest immer, wenn ich mal in der Bretagne in Urlaub bin.


    Aber ich finde die Geschichte von Jean-Luc Bannalec auch eigentlich zu schräg um wahr zu sein.

    Der heißt ja eigentlich Jörg Bong und war bis 2019 Geschäftsführer der S. Fischer Verlage. Ich habe Artikel gelesen, die ihm unterstellen, die ganze Reihe sei eigentlich eine Art Persiflage und wenn ich lese, wie inflationär er zB das Wort "umgehend" einsetzt, kann ich nicht umhin zu glauben, dass der das extra macht.


    Und doch ist diese Reihe im besten Sinne Unterhaltungsliteratur, eine Art Mischung zwischen Reiseführer und Regionalkrimi, mit einem Personal, das zwar zugespitzt ist bis zur Karikatur, aber darum eben auch mühelos und leicht zu lesen wie ein Asterix.


    Und damit ist diese Reihe ein echter Sonderfall für mich. Mir egal, ob Jörg Bong mich für einen leicht zu manipulierenden Dummkopf hält, ich genieße das trotzdem. Zumindest, wenn ich im Finistere am Strand liege. Es ist ja auch einfach zu schön da. Findet Auch Andreas Eschbach.

    Und trotzdem bin ich extrem gespannt darauf, was Du zum nächsten sagen wirst. Es erscheint in ungefähr acht Monaten. Mehr darf ich noch nicht sagen.

    Das ist jetzt ein extremer Cliffhanger. In acht Monaten? Also Frühjahr 2024? Ich bin auch extrem gespannt. Ich habe echt und total keine Ahnung.

    Wie versprochen:


    Ich habe in ziemlich jungen Jahren „Der Mann der Donnerstag war“ von Chesterton gelesen. Einfach, weil das bei meinen Eltern im Regal stand. Letztens ist mir Jasper Fforde in die Hände gefallen und da heißt die Protagonistin „Thursday Next“. Ob das ein Zitat ist?


    Dass es sich bei dem Titel „Freitags bei Paolo“ auch um ein Wortspiel mit einem Nachnamen handelt, und dass dieser Name schon bei Daniel Defoe auftaucht, das ist mir erst bei der Lektüre langsam aufgegangen und ich fand es eine echt coole Idee.


    Clemens Freitag und Marie de Bruijn sind total tolle Leute. Sie sehen gut aus, sind begabt und werden beide von einer Menge Menschen gemocht. Clemens ist vielleicht ein bisschen aggressionsgehemmt und Marie dafür eher ein bisschen das Gegenteil, aber darum ergänzen sie sich gut und so kommt es dann, dass sie in der Sylvesternacht auf 2000 ein Paar werden. Das ist ja schonmal geschickt gemacht, denn an die Sylvesternacht 2000 haben vermutlich 90% der Leute, die als Leser in Frage kommen, noch ziemlich konkrete Erinnerungen. Ich für meinen Teil habe da gearbeitet.


    Und überhaupt ist das sehr gut durchdacht. Diese Beziehung entwickelt sich nämlich absolut ideal. Die beiden lieben einander intensiv, leidenschaftlich, körperlich und zugleich intellektuell und menschlich. Sie ergänzen und respektieren einander und ermöglichen dem jeweils anderen, sich weiterzuentwickeln. Das könnte einen abstoßen. So ähnlich wie dieses Paar in einem der Loriotfilme, erinnert sich noch einer? „Ich freue mich immer, wenn ich noch etwas von dir lernen kann.“ „Du Gute“ „Du Guter“


    Aber das tut es nicht, denn das Buch geht sehr nett mit seinem Personal um. Man versteht als Leser, was da vor sich geht, warum die Protagonisten so empfinden. Man kann das mitfühlen. Trotzdem ist das natürlich eine dezente Provokation, so ein bisschen ein Köder, der da ausgeworfen wird. Solche Beziehungen gibt es nicht. Und wenn doch, dann ist es eine Lüge. Und sie gehen kaputt. Ätsch. Tatsächlich habe ich meine Zweifel, ob es sowas in der wirklichen Wirklichkeit gibt, aber hier ist es ja schließlich nur ein Buch. Und hier gibt es das eben doch.


    Dann bringt die Geschichte noch ein paar andere potentielle Aufreger, vor denen ich ehrlich etwas Sorge hatte. Nämlich Cancel Culture und Linke Politik. Clemens wird ein bekannter Comedian und kriegt Schwierigkeiten, weil er sich auf den ersten Blick ziemlich hanebüchenen Vorwürfen ausgesetzt sieht, die sich in Zeiten von social Media aber zu einem Shitsorm auswachsen. Und Marie wird in einer linken Partei erfolgreich, mit allen Intrigen und Winkelzügen, die dazugehören. Beide Themenfelder in einem Unterhaltungsroman, das könnte platt, provokativ und politisch engstirnig werden. Aber ich kann Entwarnung geben. So gnädig, wie das Buch mit seinen Protagonisten ist, so ist es auch mit den Nebenfiguren. Auch mit den eigentlichen Antagonisten. Sogar der bekannteste deutsche Thrillerautor, der in Frauengestalt auftritt, und von dem ich weiß, dass viele Leute ihn trotz oder wegen seiner Popularität echt nicht leiden können, kommt vergleichsweise gut weg. Ich würde sogar sagen, Nadine Frontzecki gibt an der ein oder anderen Stelle ein paar ganz schön tiefsinnige Analysen von sich.

    Und darum wirkt die Auseinandersetzung mit diesen beiden eher zeitgeistigen Themenfeldern eben nicht engstirnig, sondern ausgewogen und freundlich und überlässt es ehrlich dem Leser, was er von Identitätspolitik und solchen Sachen hält.


    Überhaupt, die Nebenfiguren. Das ist ein zusätzlicher Spaß, die Bezugnahme auf reale Persönlichkeiten lässt sich (trotz des „frei erfunden“ Disclaimers im Nachwort) unmöglich leugnen und es ist einfach vergnüglich, wenn Namen wie „Bargeld“, „Einzick“ oder „Kautz“ auf echte Prominente verweisen. So schwer ist das meist auch nicht zu erraten.


    Und dann passiert, was passieren muss – sie lieben sich nicht mehr und trennen sich. Das muss nicht passieren, weil das im echten Leben auch immer passiert (selbst wenn das stimmen würde). Das muss passieren, weil es der Plot erfordert, denn eine Geschichte, in der immer nur alles super ist, eignet sich einfach nicht für einen Roman. Und es fordert den Leser heraus. Warum genau haben die sich denn jetzt getrennt? Das ist die gute Frage, die im Buch eher atmosphärisch beantwortet wird und die in einer Gesellschaft, die im Herzen doch an die große, ewige Liebe glaubt, einfach eine Provokation darstellt. Diese Geschichte stellt die Lebensentwürfe vieler Leser in Frage. Und gerade dadurch, dass sie eine einfache Antwort auf die Frage, warum sich solch ein Paar denn in Gottes Namen trennen muss, verweigert oder zumindest nur nebulös behandelt – es war halt irgendwie vorbei – lässt es sich auch nicht einfach widerlegen. Man muss es halt schlucken. Bei den beiden lief das halt so. Und ganz am Ende finden beide das ganz genau richtig.


    Es gibt so etwa 39874 Epiloge, wie nach einem Kinofilm, wenn nach den Credits nochmal eingeblendet wird, wie es mit den Protagonisten weitergegangen ist. Wie die Zugaben von Bands, die einfach Spaß haben, noch weiterzuspielen, selbst wenn das Saallicht schon wieder angegangen ist. Oder wie die Zugaben von Clemens, der manchmal einfach aus Bock noch weitermacht.


    Wahrscheinlich ist „Freitags bei Paolo“ mein Lieblingsbuch von Tom. Aber es ist immer gerade das letzte mein Lieblingsbuch, was auch damit zu tun haben kann, dass ich langsam älter werde. Und Tom auch.

    @alle: vielen lieben Dank für das freundliche Willkommen. Ich fühle mich gleich, als wäre ich hier schon länger dabei...


    Hey, Marvin.

    Hey - schön dich hier zu hören. Ich habe vor, hier noch etwas zu "Freitags bei Paolo" zu schreiben. Aber erst, wenn ich durch bin.

    Keine Panik.

    Da fühlt man sich gleich wie zuhause.:)



    In welcher Gegend wohnst Du denn?

    Rheinland Nähe Köln. Noch jemand hier aus der Gegend?

    Hallo Eulen,

    ich habe schon viel von euch gehört.


    Ich bin über 50, beruflich und privat in gesicherten Verhältnissen und schon eine ganze Weile - eine verdammt ganze Weile, bestimmt 20 Jahre oder sowas - bei den 42ern, weil ich immer mal wieder was geschrieben habe. Allerdings nichts davon gut genug, um damit wirklich etwas zur reißen.

    Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich hier reinpasse, denn ich lese zwar regelmäßig und gerne, aber nicht ganz so stapelweise und schnell, wie das hier einige zu tun scheinen. Ich würde aber trotzdem gerne mitmachen, allein schon, weil ich viele Bücher, die ihr hier besprochen habt, auch gelesen habe, und gerne meine Kommentare dazu loswürde.


    Also - ich hoffe, wir lernen uns noch kennen, soweit das in so einem Forum geht. Und an die, die mich schon kennen, einfach hallo.:wave