Beiträge von dracoma

    ASIN/ISBN: 3969992591


    Klappentext:


    Jeden Tag, während Cushla Lavery ihrer alkoholkranken Mutter das Frühstück macht, sich im Garten mit dem Nachbarn unterhält, ihre Grundschüler unterrichtet oder in der Bar ihrer Familie aushilft, werden die Toten und die Verletzten gezählt. Es ist 1975, und in Belfast eskaliert der Bürgerkrieg. Die katholischen Laverys betreiben ihren Pub in einer überwiegend protestantischen Vorstadt. Sie müssen vorsichtig sein – ein falsches Wort, schon findet man sich auf einer Todesliste wieder. In diesem »Höllenloch« gibt es vieles, was man besser nicht tut. Sich in einen verheirateten Mann verlieben, der nicht nur ein wohlhabender, angesehener Prozessanwalt ist, sondern auch noch Protestant. Sich einmischen, wenn ein Schüler schikaniert und sein Vater fast totgeprügelt wird. Gegen jede Vernunft beginnt Cushla eine leidenschaftliche Affäre mit dem deutlich älteren Michael Agnew, gegen jede Vernunft setzt sie sich für den kleinen Davy ein – und bezahlt einen hohen Preis. Louise Kennedys international gefeierter Roman erzählt von einer tief gespaltenen Gesellschaft, von einem Konflikt, dessen Wunden bis heute nicht geheilt sind, von Menschen, die versuchen, inmitten täglich stattfindender Gewalt ein normales Leben zu führen. Ein herzzerreißendes, bittersüßes, unvergessliches Buch.


    Mein Lese-Eindruck:


    Eine Welt voller Hass und Gewalt im Irland der 70er Jahre öffnet sich in diesem Buch. Der Leser erlebt die irischen troubles aus der privaten Sicht von Cushla Laverty, einer jungen Lehrerin in Belfast. Trotz der Waffenruhe ist das tägliche Leben von Bombenattentaten, gewalttätigen und grausamen Übergriffen, Überwachung und von Polizeiwillkür gepägt. Cushla und ihre Familie gehören zur katholischen Minderheit in einem durchwegs protestantisch bewohnten Viertel. Sie wohnt noch bei ihrer Mutter, einer Alkoholikerin, und abends hilft sie ihrem Bruder in dessen Pub aus. Hier lernt sie den protestantischen Anwalt Michael kennen, mit dem sie schließlich eine leidenschaftliche Affäre beginnt.


    Damit sind bereits einige „Übertretungen“ Cushlas benannt. Das ist zum einem die Tatsache, dass sie als junge Katholikin eine unmoralische Affäre hat und damit, jedenfalls nach Ansicht ihrer Familie, ihre Heiratschancen mindert. Zum anderen ist es der Umstand, dass Michael verheiratet ist, und, last not least, er ist Protestant. Die Beziehung wird daher von Geheimhaltung, von Verstellung und auch von Lügen begleitet.


    Eine weitere Übertretung besteht darin, dass Cushla sich eines kleinen Schülers annimmt, dessen Vater katholisch, die Mutter aber protestantisch ist. Die Familie ist täglichen Schikanen und auch tätlichen Übergriffen seitens ihrer protestantischen Nachbarn ausgesetzt. Die Angriffe gehen so weit, dass der Vater grausam verletzt und arbeitsunfähig wird. Cushla übertritt hier die Aufgaben, die ihr als Lehrerin zugewiesen sind, und kümmert sich um die Familie, die unter dem äußeren Druck zerbricht.


    Cushla sieht sich wegen dieser Übertretungen großem privaten Druck ausgesetzt, und zwar sowohl, von offizieller Seite durch den Schulleiter und den fanatisierten Priester, als auch im privaten Bereich durch Mutter und Bruder, die „tugendhaftes“ Verhalten einfordern. Auch hier übertritt Cushla tradierte Grenzen und verweigert das Nachleben von patriarchalischen Rollenvorstellungen. Sie wehrt sich gegen die Bevormundungen und damit auch gegen die traditionelle Abwertung der Frauen.


    Damit vermischt die Autorin das Thema der Emanzipation mit den politischen-konfessionellen und auch sozialen Konflikten, die Irland viele Jahre polarisiert haben. Diese Vermischung gelingt ihr ohne jede Verwerfung, und es ist beklemmend zu lesen, wie die Zeitgeschichte im privaten Leben Cushlas zur Tragödie wird.


    Fazit: lesenswert!!


    09/10 Pkt.

    ASIN/ISBN: B0C3L2Q36Y

    Klapptentext:


    Richard Fords berühmteste Figur, Frank Bascombe, ist zurück. Und nun, mit 74, wird seine unangefochtene Meisterschaft, auf lässige Weise den Frieden mit sich und dem Leben zu machen, noch einmal extrem gefordert. Sein Sohn Paul, 47, ist krank, ihm bleibt nicht viel Zeit. Eng waren beide nie, doch jetzt verbindet sie die Bereitschaft, sich mit ungelenker Liebe auf das Kommende einzulassen, und ihr Blick für die Komik des Abseitigen. Für ein letztes Abenteuer mieten sie ein Wohnmobil, einmal von Minnesota bis zum Mount Rushmore – der Weg ist das Ziel.

    Ford, der große Chronist des modernen Amerika, schickt seine Helden auf eine Odyssee durch die scheinbar banalen Attraktionen im Herzen des Landes und zeigt uns mit jeder kleinen Provinzhölle eine neue Facette des amerikanischen Lebens, das wir so gut zu kennen glauben.


    Mein Hör-Eindruck:


    Frank Bascombe, dieser amerikanische Durchschnittsmann, ist wieder da. Wie sein Autor, der demnächst 80 Jahre alt wird, ist auch Fred Bascombe gealtert: er ist 74. Franks Leben steht vor einer besonderen Herausforderung. Sein Sohn Ralph ist bereits früh verstorben, die Ehe zerbrach an diesem Verlust, und nun begleitet er seinen Sohn Paul, der an der tödlichen Krankheit ALS leidet und bald sterben wird.


    Der Plot ist eigentlich schnell erzählt: Vater und Sohn kaufen ein klappriges Wohnmobil und starten eine Tour zu den Absurditäten und Verrücktheiten der USA. Im Mittelpunkt steht dabei der Besuch des Mount Rushmore in Süd-Dakota, der Berg, in den die vier monumentalen Köpfe der Präsidenten George Washington, Thomas Jefferson, Abraham Lincoln und Theodore Roosevelt eingehauen sind. Ein Nationaldenkmal, ein Sinnbild des amerikanischen Selbstverständnisses und der Demokratie. Vater und Sohn sehen den organisatorischen Aufwand, die Parkplätze, die Menschenmassen, die pompöse Zugangsallee, die vielen Andenkenläden, den ganzen Konsum um dieses Denkmal herum, und sie sehen, dass das Denkmal bröckelt.


    Diese Feststellung ist typisch für den ganzen Roman: nicht nur das Denkmal, dieser Shrine of Democracy, bröckelt, sondern auch das Land. Ford und sein Protagonist scheinen hier zu verschmelzen, wenn sie sehr genau beobachten und beschreiben. Die Furcht vor Amokschützen in öffentlichen Freiplätzen, der ungebremste Konsum in Einkaufsparadiesen, die Negierung ethnischer Rechte, heruntergekommene und überteuerte Motels, Fast-Food-Ketten, ein Casino, das von Indianern betrieben wird, endlose Straßen, endlose Vororte, touristisch aufgemotzte Orte, ein bizarres Maismuseum, die Mayo-Klinik als perfekt durchorganisierter riesiger Gesundheitspark, der den Tod negiert, und natürlich Trump - das ist der Blick, den Autor + Protagonist dem Leser vermitteln: ein ernüchternder Blick auf ein zerbröckelndes Land.


    Das Verhältnis Vater-Sohn war nie das Beste, dennoch beschließt Frank, sich um den Sohn zu kümmern. Er beobachtet die schleichende Verschlechterung von Pauls Zustand, er registriert seine Muskelzuckungen, die zunehmende Muskelschwäche, die zu Stürzen führt, und seine Probleme beim Kauen und Sprechen. Es wäre also Zeit für das große Resümee, das die Klinik empfohlen hat. Und genau das tun sie nicht. Die Beiden reden viel, sie machen Witze, sie pflaumen sich an, aber sie reden nicht über die Dinge, die anstehen: Pauls Sterben und Tod. Aber hinter all den verbalen Spielereien klingt immer Franks tiefe Trauer über die Erkrankung des Sohnes heraus. Und diese verhaltene Mischung aus Tragik und Komik, aus Leid und Ironie macht den Roman anrührend bis zum letzten Satz.

    Die Gedanken von Vater und Sohn kreisen um die Frage, woraus ein gutes Leben besteht. „Ein tolles Leben habe ich nicht hingelegt“, sagt der Sohn, und der Vater darauf: „Aber du hast dich ordentlich geschlagen.“ Damit sind sie beide zufrieden. Frank verzichtet darauf, mit dem Schicksal zu hadern und nach dem Warum zu fragen. Er lehnt sich nicht auf, sondern beugt sich und nimmt das Schicksal an, das ihm zugewiesen ist. Die Frage nach dem Glück beantwortet er nüchtern und in Anlehnung an Augustinus so, dass Glück die Abwesenheit von Unglück ist. Und was ist ein gelungenes Leben? Die Antworten des Vaters auf diese Frage werden dem sterbenden Paul vorgelesen. Der Roman schließt mit dieser tröstlichen Aussage: Nicht alles hat Sinn und Zweck, vieles macht man nicht, obwohl man es machen wollte oder sollte, und auch wenn nicht alles klappt, wie es sollte, hat man trotzdem ein gelungenes Leben geführt.


    Der Roman wurde perfekt und kongenial übersetzt von Frank Heibert, :anbetChapeau!! Schade, dass das Nachwort der Print-Ausgabe im Hörbuch nicht enthalten ist! Ebenso perfekt ist die Einlesung von Christian Brückner, dessen variationsstarke Stimme v. a. in den Dialogen überzeugt.


    Fazit: ein wunderbarer Roman, melancholisch und witzig zugleich.

    10/10 Pkt.

    ASIN/ISBN: 3406806821

    Klappentext:


    Im August 1756 überfällt Friedrich der Große ohne Kriegserklärung Sachsen. Vor der hochgerüsteten preußischen Armee flüchtet Friedrich August, Herrscher über Sachsen und Polen, zusammen mit seinem Premierminister Heinrich von Brühl, nach Warschau. Aber die Reichsgräfin von Brühl bleibt in Dresden und kapituliert nicht, während das Land geplündert wird. Sie schmiedet einen Plan...
    Getarnt durch ein Pseudonym, macht sie sich mit ihrer Kammerzofe auf den mühevollen Weg nach Leipzig, wo Friedrich der Große seine Audienzen hält. Kann man durch eine beherzte Tat die Geschichte verändern, einen barbarischen Krieg beenden?
    In seinem neuen ebenso unterhaltsamen wie kenntnisreichen Roman erzählt Hans Pleschinski von einem wenig bekannten Ereignis der deutschen Geschichte und von heimlichen Heldinnen.


    Mein Lese-Eindruck:


    Ein Gift-Anschlag auf Friedrich den Großen? Davon erzählen die Geschichtsbücher nichts, aber das sagt nicht unbedingt etwas aus, da Geschichte bekanntlich von den Siegern geschrieben wird – und der ist in dieser Handlung König Friedrich II. von Preußen, der sicherlich dafür sorgte, dass kein Schatten auf den Glanz seiner Krone fiel.


    Pleschinski findet in der Hofchronik des Grafen Lehndorff eine kleine und zudem unklare Notiz, aber sie reicht, um seine Fabulierlust zu entfachen. So bleibt es also unklar, inwieweit das erzählte Geschehen der Realität entspricht, und der Leser ist damit zufrieden, dass es so hätte geschehen können.


    Die Handlung versetzt den Leser in die Zeit des 7jährigen Krieges, als Preußen 1756 ohne die übliche Kriegserklärung in Sachsen einfiel. Die sächsische Armee war zwar als einzige Armee Europas komplett mit Perücken ausgestattet, d. h. sie sah sicher fesch aus, hatte aber im Unterschied zur preußischen Armee wenig Ahnung von militärischem Drill, von Strategie und Taktik. Mit der Kapitulation dieser Armee beginnt der Roman.


    Pleschinski schart einige historische Personen um diesen Gift-Anschlag, allen voran die schöne und energische Reichsgräfin Brühl, deren verwöhntes Leben durch die preußische Besetzung in Trümmer gelegt wurde: ihr Mann flieht nach Polen, ihre Söhne stehen an der Front, ihre exorbitanten Kunstsammlungen werden geplündert, das Personal ist auf und davon, ihre vielen Schlösser sind zerstört. Sie will Sachsen retten und zur einstigen Größe zurückführen. Daher plant sie den Tyrannenmord und begibt sich auf eine beschwerliche Postkutschenreise von Dresden nach Leipzig.

    Streng genommen geht es in dem Buch weder um die Reise noch um den Giftanschlag, sondern es geht um den Zustand Sachsens nach dem preußischen Überfall. Sachsens Geschichte liegt dem Autor spürbar am Herzen. Er zeichnet das Bild eines Kulturstaates, in dessen Mittelpunkt ein glanzvoller Hof stand, offen für Theater, Musik und Literatur, mit prächtigen Gemäldesammlungen und Bibliotheken, mit repräsentativen Bauten und üppigen Festen. Und daher lässt Pleschinski auch einige Größen der Zeit auftreten wie Gottsched und die Gottschedin sowie Gellert, der sich in einer Sänfte behaglich durch den Park tragen lässt. Alles Geld Sachsens floss in Kultur und nicht wie in Preußen ins Militär.


    Pleschinski entwirft deutliche Bilder des Niedergangs, die die Gräfin Brühl in ihren Zobelpelzen auf ihrer Reise beobachten kann: die Zerstörungen und kriegsbedingten Wüstungen, Hunger, Verwahrlosung, Armut, Flüchtlingsströme, u. a. jüdische Emigranten aus Prag, Plünderungen und Übergriffe, zerstörte Herrensitze. Mit der Gräfin Brühl zeichnet Pleschinski damit zugleich die Vertreterin einer untergegangenen Zeit und markiert die Kapitulation von 1756 als einen Wendepunkt der sächsischen Geschichte, von dem sich Sachsen nicht mehr erholen wird.

    Pleschinski erzählt diese Geschichte multiperspektivisch. Alle kommen zu Wort, sei es der schöne Marwitz, der Friedrich II. und dessen Bruder als Lustknabe dient und offen auch bei den Damen über seine sexuelle Ausrichtung plaudert, sei es der intrigante Diener Glasow und sogar der Alte Fritz mit seinem ernüchternden Testament. Die historischen Recherchen sind beeindruckend, und das Einrücken von Original-Dokumenten macht den Roman noch authentischer. Trotz der zeitlichen Entfernung wirkt der Roman nicht verstaubt, die Figuren sprechen gewählt, aber nicht antiquiert. Aber ob die Leipziger tatsächlich schon damals auf dem Weg zur Nikolaikirche „Wir sind ein Volk“ skandiert haben? Und rutscht der vornehmen Reichsgräfin Brühl tatsächlich einmal ein „Fuck you“ heraus...? Und wenn nur die etwas hölzernen Reden nicht wäre... Historische Sachverhalte werden immer wieder nicht durch die Handlung transportiert, sondern im Dialog präsentiert, was gelegentlich recht steif wirkt.



    Trotzdem: ein vergnüglicher und kenntnisreicher Ausflug in die sächsische Geschichte.


    8/10 Pkt.

    ASIN/ISBN: 3293006116


    Und ich fange heute Nacht mit diesem Buch an.



    Der Dichter Diogo Santiago kehrt in seine Heimatstadt Beira zurück. Alle verehren ihn, doch als er Einsicht erhält in alte Akten der Geheimpolizei, gerät seine Welt ins Wanken.

    Während der Zyklon Idai drohend über Beira aufzieht, stürzen neue Wahrheiten auf ihn ein. Sein Vater, auch ein Poet, versuchte, im Geheimen die Verbrechen der Kolonialtruppen zu dokumentieren. Sein Cousin, der eines Tages plötzlich verschwand, war nie der, für den ihn alle hielten. Und was steckt hinter der tragischen Legende des schwarzen Jungen und des weißen Mädchens, die den Tod wählten, weil ihre Liebe verboten war?

    Die junge Frau, mit der sich Diogo rätselhaft verbunden fühlt, scheint Teil dieser Geschichten zu sein. Gemeinsam gehen sie auf die Suche nach Antworten, die unter dem Tosen des hereinbrechenden Sturms alle Gewissheiten vernichten.

    Klappentext:


    siehe oben!


    Mein Lese-Eindruck


    ... ist etwas weniger euphorisch als der Klappentext.


    „Verlogen“ ist der 2. Band einer Krimi-Serie um die Ermittlerin Elma. Schon im 1. Band wurde angedeutet, dass sie aufgrund einer privaten Tragödie von der Hauptstadt zurück in ihre Heimatstadt gezogen ist. In diesem Band erfährt der Leser nun den Grund.


    Auch der Kriminalfall, dem sich Elma und ihre Kollegen widmen müssen, schlägt den Bogen zurück zum 1. Band. Die Tatsache, dass vor Jahren eher nachlässig und voreingenommen ermittelt wurde, rächt sich nun. Der Leser begleitet Elma bei ihrer Ermittlungsarbeit, die realistisch dargestellt wird. Elma ist nicht als genialische Einzelkämpferin unterwegs, sondern hier arbeitet ein Team, dem Fehler unterlaufen, das auf falsche Fährten gerät und das sich immer wieder neu orientieren muss.


    Der Roman besteht aus zwei Handlungssträngen: einmal der um Elma und ihre Kollegen und dann, zeitlich versetzt, eine Art Tagebuch um die Entwicklung eines Mutter-Tochter-Paares. In diesem Handlungsstrang erfährt der Leser von den schwierigen Verhältnissen einer Teenager-Mutter und vor allem von deren Unvermögen, eine liebevolle Beziehung zu ihrer Tochter aufzubauen. Da keine Namen genannt werden, darf der Leser spekulieren, um sich dann mit unerwarteten Wendungen konfrontiert zu sehen. Allerdings lässt dann die Spannung nach, weil die Puzzlesteine recht schnell neu gelegt werden können. Diesen Spannungsverlust versucht die Autorin gegen Ende auszugleichen, was ihr nicht ganz gelingt.


    Der Epilog bietet Erklärungen für das Geschehen an, aber einige Handlungselemente, die vielleicht nur der Dramatisierung dienen, bleiben auch hier ungeklärt, die wegen Spoilergefahr nicht genannt werden können. Leider. Unter diesen logischen Brüchen leidet der Krimi, so spannend er auch ansonsten erzählt ist.


    6 von 10. Pkt.

    Klappentext:


    Der nächste Fall der erfolgreichen klassischen Krimiserie aus Japan - "Japans Antwort auf Agatha Christie." The Guardian.

    Der Privatermittler Kosuke Kindaichi reist auf die abgelegene Insel Gokumon, um einer der wichtigsten Familien dort eine tragische Nachricht zu überbringen: Einer ihrer Söhne ist auf einem Truppentransportschiff, das ihn nach dem Zweiten Weltkrieg zurück in die Heimat bringen sollte, gestorben. Doch Kindaichi ist nicht nur als Bote gekommen - mit seinen letzten Worten warnte der Sterbende, dass nun das Leben seiner drei Stiefschwestern in Gefahr sei. Der Ermittler ist entschlossen, dieser mysteriösen Prophezeiung auf den Grund zu gehen und die drei Frauen zu schützen - wenn er kann. Dann beginnt auf der Insel eine Serie grausamer Morde, und auch Kosuke Kindaichi selbst ist in Gefahr.


    Mein Hör-Eindruck:


    Zwei japanische Soldaten reisen am Ende des II. Weltkriegs nach Hause. Der eine ist der berühmte Privatdetektiv Kosuke, der andere sein Freund Chimata, der Erbe eines großen Fischerei-Unternehmens auf der Insel Gokumon. Chimata erkrankt jedoch auf der Heimreise, und da er wegen des Erbes den Tod seiner drei Halbschwestern befürchtet, bittet er auf seinem Sterbebett Kosuke um Hilfe.


    So kommt Kosuke auf die Insel Gokumon, die von Piraten und Sträflingen besiedelt worden war. Auf dieser kargen Insel empfängt Kosuke eine düstere Atmosphäre, die noch verstärkt wird durch die hochgelegenen Ruinen einer zerstörten Wehranlage. Unterhalb dieser Ruinen befindet sich die weitläufige Residenz der Familie seines Freundes.


    Diese Familie passt zum düsteren und unheimlichen Setting. Da ist der kürzlich verstorbene, aber nach wie vor präsente Patriarch sowie der wahnsinnige Vater, der in einem Käfig leben muss und der mit seinem Geschrei die Inselbewohner erschreckt; da sind seine drei flatterhaften Töchter, die der Erzähler als „rollige Katzen“ beschreibt, und da ist deren nicht standesgemäße Mutter, die mit ihrem Schamanentum die Inselbewohner die Inselbewohner verzaubert hatte und früh starb. Dazu kommt noch die verführerisch-schöne, aber intrigante Schwägerin.


    In dieser irritierenden Familie und dem Mikrokosmos einer Insel nimmt Kosuke inkognito seine Arbeit auf. Kosuke selber ist ein eher unappetitlicher Mensch. Er wirkt ungepflegt und fährt immer wieder so heftig durch seinen Haarschopf, dass seine Schuppen fliegen. Zudem neigt er zum Stottern, und das alles hat zur Folge, dass er oft unterschätzt wird.


    Kosuke arbeitet erfrischend altmodisch: er setzt seinen Verstand ein, er beobachtet, spricht mit den Leuten, sammelt Eindrücke, erstellt Zeitpläne und fällt dabei zusammen mit dem Leser auf falsche Fährten herein. Dabei gerät er selber in Verdacht und wird inhaftiert, bis ihn schließlich einige Haikus auf die richtige Spur bringen. Die Bösewichte werden entdeckt, ihre Motive werden entdeckt, und vor allem werden die Vorgehensweisen bei den aufwändig inszenierten Morden geklärt. Die endgültige Auflösung wirkt jedoch sehr bemüht und überzeugt nicht ganz.


    Auch die Erzählweise ist erfrischend altmodisch. Ein anonym bleibender Erzähler erzählt chronologisch die Handlung und wendet sich dabei immer wieder an den Leser. Die Figuren sind deutlich konturiert und werden mit Humor vorgestellt.


    Der Roman ist der 2. Band einer insgesamt 77bändigen Reihe um den Ermittler Kosuke Kindaichi und lässt sich ohne Kenntnis des 1. Bandes („Die rätselhaften Honjin-Morde“) problemlos lesen.

    Das Hörbuch wird zügig und eher sachlich, jedoch nicht monoton durch Denis Moschitto vorgetragen. Seine unaufgeregte Art vorzulesen passt zu diesem liebenswert gestrigen Krimi.


    Fazit: Ein altmodisch erzählter Krimi, in ruhiger Distanz erzählt.

    8/10 Pkt.


    ASIN/ISBN: 3351051190

    Dabei bediene ich sämtliche öffentlichen Bücherschränke,

    Na, dann kannst Du Dich ja doch trennen!

    Ich bin inzwischen dazu übergegangen, auf einer Truhe in der Diele die Bücher abzulegen, die ich nicht mehr brauche, und wenn Gäste da sind, dürfen sie mitnehmen, was sie wollen und wieviel sie wollen.

    Und wer nichts mitnimmt, darf nicht mehr kommen :)!

    ASIN/ISBN: 3961611564

    Klappentext:

    »Hallo! Ich heiße Nao, und ich bin ein Zeitwesen. Weißt du, was ein Zeitwesen ist? Wenn du einen Moment hast, erzähl ich es dir.« So beginnt das Tagebuch des japanischen Teenagers Nao, das eines Tages am Strand einer kanadischen Pazifikinsel angespült wird. Nao schreibt von Einsamkeit und Mobbing, vom depressiven Vater, von ihrer schillernden Urgroßmutter Jiko und den Geheimnissen des Zen. Die Autorin Ruth, die das Tagebuch gefunden hat, ist bald wie gebannt von Naos Notizen und beginnt zugleich um ihr Leben zu fürchten – hat Nao letztlich Selbstmord begangen? Ist sie im Tsunami gestorben? Die Suche nach Antworten gerät für Ruth zu einer magischen Reise durch die Gegenwart, die am Ende auch den Blick auf ihr eigenes Leben verwandelt.


    Mein Lese-Eindruck:

    Ruth, eine Schriftstellerin, die auf einer kleinen Insel von British Columbia lebt, findet am Strand ein ganz besonderes Treibgut: ein Päckchen mit einer Uhr, mit Briefen und dem Tagebuch der jungen Japanerin Nao.


    Aus diesen Zutaten lebt der Roman, der auf der einen Seite das Tagebuch Naos wiedergibt und auf der anderen Seite, in der Rahmenhandlung, die Reaktion der Schriftstellerin auf dieses Tagebuch erzählt. Die autofiktionalen Bezüge der Rahmenhandlung sind unübersehbar. Da auch Ruth japanische Wurzeln hat, sieht sie viele Parallelen zur Welt Naos und findet einen starken emotionalen Zugang zu dem Schicksal Naos. Nao wiederum verbindet ihre Lebensbeschreibung mit der Biografie ihrer Urgroßmutter, einer politischen Aktivistin und buddhistischen Nonne.


    Die Autorin spannt damit einen sehr breiten Bogen, in dem vieles Platz finden muss. Das Platzen der Dotcom-Blase und der soziale Abstieg der Familie, das japanische Schulwesen, der Zen-Buddhismus und seine Meditationstechniken, Geisterglaube, der Tsunami von 2011, Meeresströmungen, Vermüllung der Meere, der II. Weltkrieg, grausame Übergriffe der japanischen Armee im chinesisch-japanischen Krieg, Kamikaze, der Drill in der Kaiserlich-japanischen Armee, Mythen der indigenen Bewohner von British Columbia, die für Europäer ungewohnte Betrachtung des Selbstmords, Cyber-Mobbing, Wiederaufforstungsbestrebungen, das Problem invasiver Arten, Gewissen und Digitalisierung – das ist nur eine unvollständige Auflistung der Themen, die die Autorin anschlägt und die sie in einem Anhang teilweise näher erläutert. Unbestritten: das Buch ist lehrreich, und der Blick in den japanischen Alltag und vor allem das japanische Denken ist faszinierend.

    Sehr originell ist auch die Art und Weise, wie die Autorin die beiden Rahmenhandlungen miteinander verknüpft. Ruth erkennt nämlich, dass sie das Leben des Tagebuchschreiberin beeinflussen kann, und zwar durch einen Traum. Durch diesen Traum wird ihre Welt mit der Welt Naos verbunden, über die zeitlichen Unterschiede hinweg. Diese Einflussnahme ist rational nicht erklärbar – aber da das Haustier Schrödinger heißt, wird der Leser auch kurz in die Quantentheorie eingeführt.


    Diese Überfülle an Themen führt dazu, dass der Leser gelegentlich den roten Faden verliert. Eine straffere Erzählweise und der rigorose Verzicht auf einige Themen hätten dem Buch gut getan und zudem noch hinreichend Stoff für weitere Bücher geboten.


    Die vielen japanischen Einfügungen mögen zwar die Authentizität stärken, aber sind sie notwendig? Beispiel: „Nanka kusai yo!“ heißt schlicht „Hier stinkt etwas“, ist also kein japanisches Idiom. Diese häufigen Einsprengsel zwingen den Leser zu den Fußnoten und hemmen unnötig den Lesefluss.


    Trotz dieser Schwächen eine Lese-Empfehlung: der Roman ist ein lohnenswerter Ausflug in die japanische Gedankenwelt!


    5/10 Pkt.

    Schottland ist neben England das Land, in das ich am häufigsten gereist bin.

    Ja, das verstehe ich!

    Josephine Tey ist übrigens ein Pseudonym für Elizabeth Mackintosh, einer schottischen Jungfer aus Inverness, gestorben in den 50er Jahren. Ihr Roman "Alibi für einen König" wurde von der Crone Writers Association zum besten Krminalroman aller Zeiten gewählt.


    Der steht jetzt natürlich auf meiner Wunschliste!

    ASIN/ISBN: 3311300505

    Da folge ich Dir wieder einfach mal, Schottland ist immer ganz mein Geschmack.

    Du wirst Deinen Spaß an dem Buch haben!

    Allerdings ist die Autorin keine Nationalistin im Unterschied zu so vielen Schotten, und sie macht sich

    mächtig lustig über die Versuche, den schottischen Nationalstolz und die gälische Sprache wieder zu beleben.


    Wir waren eben erst auf den Hebriden, und im Nachhinein muss ich immer noch lachen, wie die Autorin ihren Kommissar die Hebriden erleben lässt: die Gesänge, die Tänze, das Essen und natürlich das Wetter.

    ASIN/ISBN: 386648691X

    Zur Autorin:

    Julie Otsuka, geboren 1962 in Kalifornien, lebt heute in New York City und ist ehemalige Guggenheim-Stipendiatin. 2012 erschien im mareverlag ihr internationaler Bestseller »Wovon wir träumten«, der von Publikum und Presse hymnisch gefeiert wurde und für den die Autorin u.a. den PEN / Faulkner Award, den Prix Femina sowie gemeinsam mit ihrer Übersetzerin Katja Scholtz den Albatros-Literaturpreis der Günter-Grass-Stiftung erhielt.


    Zur Übersetzerin:

    Katja Scholtz, geboren 1971, studierte englische und deutsche Literatur- und Sprachwissenschaft in Freiburg, Aberdeen und Bonn. Sie lebt und arbeitet in Hamburg und übersetzte u.a. Werke von Gabriel Josipovici, Mary Lavin und Julie Otsuka ins Deutsche. Für ihre Übersetzung von »Wovon wir träumten« wurde sie 2014 gemeinsam mit der Autorin Julie Otsuka mit dem Albatros-Literaturpreis der Günter-Grass-Stiftung ausgezeichnet.


    Klappentext:

    In ihrem Schwimmbad fühlen sie sich zu Hause, hier können sie bei ihren täglichen Bahnen ihre Sorgen hinter sich lassen: Designer, Nonnen, Hundesitter, Veganerinnen, Polizisten, Professorinnen, Schauspieler...

    Bis eines Tages ein Riss erscheint – am Beckengrund, aber auch im Gedächtnis von Alice, die genau wie die anderen hier im Schwimmen stets Trost und Halt gefunden hat. Während sie bald nur noch in bruchstückhaften Erinnerungen schwimmt, versucht ihre Tochter, sich in ihre Mutter hineinzuversetzen, ihr Verhältnis zueinander neu auszuloten und Alice’ Leben Sinn und Zusammenhang zurückzugeben.

    Aus so unterschiedlichen wie verblüffenden Perspektiven und mit unvergleichlichem Gespür für das Komische im Tragischen schreibt Julie Otsuka über Liebe und Verlust, Trauer und Erinnerung, Mütter und Töchter und die große Frage, was wir unseren Eltern schuldig sind.


    Mein Hör-Eindruck:


    „Solange wir schwimmen“, ist die Welt in Ordnung. In einem unterirdischen Schwimmbad treffen die unterschiedlichsten Menschen zusammen, die aus unterschiedlichsten Gründen hier ihre Bahnen ziehen. Jeder hat seine feste Bahn, und es gibt Rituale und feste Regeln für das Miteinander. Im Tageslicht dagegen, oberhalb des Schwimmbads, erkennen sie einander oft nicht. Im Tageslicht wirken die Menschen oft ungelenk, teilweise übergewichtig, das Alter zeigt sich in Krähenfüßen im Gesicht – unten aber, im Schwimmbad, kommt ihr jugendliches Selbst wieder zum Vorschein. Sie sind beweglich, geschmeidig und anmutig. Sie fühlen sich in der geordneten Welt des Schwimmbads sicher und geborgen.


    Ein Riss im Boden des Schwimmbads bringt die Gemeinschaft zum Nachdenken, und letzten Endes ist es dieser Riss, der auch für die Erzählung einen Riss bedeutet: das Schwimmbad muss saniert werden, die Schwimmgemeinschaft bricht auseinander und zwingt die Schwimmer aufs Land. Der Riss im Boden ist zugleich ein Riss im Kopf der Alice. Ihre beginnende Demenz führt dazu, dass sie innerhalb der Familie nicht mehr betreut werden kann.


    Das Besondere an diesem Roman ist weniger das Thema Demenz, sondern die Art und Weise, wie die Autorin es erzählt. Wie in ihrem ersten Roman wählt sie wieder das chorische Sprechen, und zwar einmal für die Schwimmenden, und dann für die Betreuer im Heim, die sich in Form einer Hausordnung an Alice wenden. Die Heimordnung ist streng, und es wird deutlich: Alice hat keine Zukunft mehr.


    Im 3. Teil kommt die Tochter zu Wort. Sie sucht nach Ursachen der Demenz-Erkrankung in der Lebensführung der Mutter und erinnert sich an erste Gedächtnisausfälle und andere Merkwürdigkeiten, wie z. B. das stereotype Wiederholen ein- und derselben Geschichte. Dazu kommen Vorwürfe wegen eigener Versäumnisse. In diesem Teil verschwindet das chorische Sprechen, aber nach wie vor ist das Erzählen stark rhythmisiert. Mit vielen Anaphern wie „Sie weiß noch“ und dann „Sie weiß nicht mehr“ macht die Erzählerin den Fortgang der Krankheit klar, bis ihre Mutter schließlich in Sprachlosigkeit und Apathie versinkt.


    Das rhythmisierte Sprechen führt zu einer nüchternen und klaren Sprache, in der kein Wort zuviel gesprochen wird. Umso eindringlicher wirken kleine Szenen der liebevollen Zuwendung zwischen Mutter und Tochter, und am Schluss meint man als Leser einen hoffnungsvollen Augenblick lang, dass diese Liebe die Krankheit überwinden kann.


    Ein berührender Roman über Familie und Verantwortung.


    Das ungekürzte Hörbuch wurde eingelesen von Sascha Icks, die mit ihrer kultivierten Stimme, die besondere bedrängende Wirkung des chorischen Sprechens perfekt wiedergibt und der Mutter eine eigene Stimme verleiht, ohne gekünstelt oder aufgesetzt zu wirken.