Beiträge von dracoma

    Klappentext:


    Der spanische Bestsellerautor Fernando Aramburu legt einen großen humanistischen Roman über einen Mann namens Toni vor. Toni ist ein Antiheld, der das Leben nicht liebt. Nur seinen Hund. Er fasst einen Entschluss: Er will allem ein Ende setzen. In genau 365 Tagen. Am 31. Juli beginnt das letzte Jahr, und dieser Roman hat 365 Kapitel, eins für jeden Tag. Die ersten Monate sind für Toni geprägt von Erinnerungen an seine Familie in der wechselhaften spanischen Geschichte, Beobachtungen seiner Landsleute und Erlebnissen, die ihn in seiner Weltsicht bestärken. Doch dann kommt es zu einer unerwarteten Begegnung mit einer Frau, deren Hund auch Toni heißt. Ein Zeichen! Und mit einem Mal gerät Tonis Plan ins Wanken.

    Voller Herzenswärme, traurig, lustig, zutiefst berührend: ein meisterhaftes Werk. Die Chronik eines Countdowns, die auf fantastische Weise von der Hoffnung auf ein glückliches Leben erzählt. Für die spanische Kritik ist es schon jetzt ein Klassiker des 21. Jahrhunderts.

    Fernando Aramburu wurde 1959 in San Sebastián im Baskenland geboren. Seit Mitte der achtziger Jahre lebt er in Hannover. Für seine Romane wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. dem Premio Vargas Llosa, dem Premio Biblioteca Breve, dem Premio Euskadi und zuletzt, für Patria, mit dem Premio Nacional de la Crítica, dem Premio Nacional de Narrativa und dem Premio Strega Europeo. Patria wurde als Serie für HBO verfilmt.


    Meine Meinung:


    Toni, Lehrer der Philosophie, will nicht mehr leben und beschließt seinen Selbstmord: nach Ablauf eines Jahres, am 1. August, wird er sich töten. Das Datum wählt er, weil dann die Mauersegler, die er um ihre Leichtigkeit und Unbeschwertheit beneidet, wieder in Richtung Süden ziehen werden. Bis dahin notiert er Tag für Tag seine Gedanken, Erlebnisse etc. auf, und so besteht dieses Buch aus einem Kapitel pro Tag und ist eher ein Tagebuch als ein Roman. In diesen vielen kleinen Kapiteln entfaltet sich vor dem Leser Tonis Leben. Die Episoden sind nicht chronologisch geordnet, sondern einzelne Facetten werden wie mit einem Schlaglicht beleuchtet. Tonis Alltag ist der eines durchschnittlichen Großstadtmenschen, eher eintönig, und seine Kontakte beschränken sich auf seinen Hund Pepa und wenige Menschen, darunter seinen einzigen Freund, der gemeinsam mit ihm Suizid begehen will.


    Ein Sympathieträger ist dieser Toni sicherlich nicht. Obwohl er Philosophie studiert hat, ist er ausgesprochen oberflächlich. Er orientiert sich bei anderen Menschen an Äußerlichkeiten und schätzt, vermutlich unter dem Einfluss des Vaters, devote Frauen. Er hasst seine Schüler und seinen Beruf und ist der Inbegriff eines Misanthropen. Zudem gefällt er sich in seinem Lebensüberdruss und seiner negativen Grundeinstellung und tut sich selber unendlich leid. Aber trotzdem wächst einem dieser Toni, dieser Ritter von der traurigen Gestalt, ans Herz und man fragt sich beim Lesen zunehmend beklommener, ob er seinen Entschluss wirklich in die Tat umsetzen will.


    Je näher der 1. August heranrückt, desto mehr kann man bei Toni eine Entwicklung beobachten. Er wird nicht im Frieden mit allen (vermuteten) Bösewichten aus dem Leben scheiden, aber er erkennt immerhin, dass er und sein Bruder ihre Mutter aufgrund ihrer Besitzansprüche um ihr eigenes selbstbestimmtes Leben gebracht haben. Da kommt Trauer auf, und das gilt auch gegenüber seinem Vater, der seine familiäre Dominanz mit Gewalttätigkeit behauptete und trotzdem litt. Er bedauert zutiefst, dass er niemals die Chance auf ein Gespräch wahrgenommen hat.

    Und so bekommt die Lebensbilanz des Helden den Anstrich einer ars moriendi.


    Besonders gut gefallen hat mir die Virtuosität, mit der der Autor das Titelmotiv, die Mauersegler, variiert und als omnipräsentes Leitmotiv verwendet, und Aramburu gelingt eine beeindruckende Szene, wenn der Protagonist kurz vor seinem geplanten Tod einen halbverwesten Mauersegler findet.


    Der Roman ist über 800 Seiten stark, sicher hätte man ihn kürzen können, aber er ist keine Sekunde langweilig. Aramburu erzählt so humorvoll, so leichtfüßig und witzig, und der skurrile und teilweise erschreckend schwarze Humor seines Helden sorgt immer wieder für Heiterkeit, wobei sich Aramburu aber niemals in Slapstick oder Grobheiten verirrt. Dazu ist ihm sein Anliegen zu ernst: die Klage um vertane und nicht genutzte Kommunikationsmöglichkeiten.


    ASIN/ISBN: 3498003038

    Stephen Fry, Troja


    Stephen Fry hat eine lockere Art, die Geschichte von Troja bzw. Ilios seinen Lesern zu vermitteln. Launig und humorvoll, aber niemals flapsig erzählt er den Sagenkreis, er lässt die olympische Götterwelt aufmarschieren und spart nicht mit mitunter despektierlichen Anmerkungen.

    Immer wieder wendet er sich an den Leser und hilft ihm, den Überblick zu bewahren, indem er zusammenfasst oder nochmals an eine bestimmte Episode erinnert.

    Mir gefällt das Buch bisher sehr gut! Es ist kurzweilig, und, da bin ich streng :alter, Fry kennt sich aus. Er hat seinen Homer gelesen!

    ASIN/ISBN: 3961056935

    Ich schließe mich meiner Vorrednerin an: mir hat das Buch auch sehr gut gefallen!


    Zur Autorin (Quelle: Verlag):

    Ann-Helén Laestadius (*1971) ist eine schwedische Journalistin und Autorin und gebürtige Sámi. In Schweden war sie bereits für ihre vielfach preisgekrönten Kinder- und Jugendbücher sehr bekannt, bevor sie mit ihrem ersten Roman für ein erwachsenes Publikum, "Das Leuchten der Rentiere", einen Nummer-1-Bestseller landete. Der Roman wurde u.a. als Buch des Jahres 2021 ausgezeichnet. Ann-Helén Laestadius lebt in der Nähe von Stockholm.


    Mein Lese-Eindruck:

    “Samisch zu sein bedeutete, seine Geschichte in sich zu tragen, als Kind vor dem schweren Rucksack zu stehen und sich zu entscheiden, ihn zu schultern oder nicht“ (S. 190).

    Die Autorin versetzt ihre Leser in die Welt der Samen, dem einzigen indigenen Volk Europas. Im Zentrum steht Elsa, die als Kind die Tötung ihres Renkalbs und ihre eigene Bedrohung erleben muss. Die Wehrlosigkeit ihrer Familie verbittert sie zunächst, aber im Lauf der Jahre verdichten sich ihre Erlebnisse und sie begreift die Ursachen dieser Wehrlosigkeit als strukturelles rassistisches Problem. Elsa entschließt sich, den „schweren Rucksack“ zu tragen. Sie wird mutig und setzt sich zur Wehr, auch wenn sie erkennt, dass sie dafür einen hohen Preis zahlen muss.


    Die Ablehnung der samischen Kultur und Lebensweise zeigt sich in vielen Bereichen: wir lesen von grausamen Jagden auf die Rentierherden der Samen, von Mobbing und gewalttätigen Übergriffen in den Schulen auf samische Kinder, von alltäglichen rassistischen Beleidigungen, von Telefonterror, von massiven psychischen Erkrankungen und vom Desinteresse der Polizei, bei Übergriffen zu ermitteln. Zugleich wird der Lebensraum der Samen immer weiter eingeengt, nicht nur durch die klimatischen Veränderungen, sondern auch durch die staatliche Forcierung des Bergbaus, der die Weidegründe der Rentierherden schmälert. Gleichzeitig vermittelt uns die Autorin die tiefe Liebe der Samen zur Natur und die Art und Weise, wie sie mit und in der Natur leben, ohne in idyllisierende Schwärmerei zu verfallen.


    Wie die Autorin das alles in ihre Geschichte einwebt, hat mir hervorragend gefallen. Sie belehrt nicht, sie informiert nicht, sie jammert nicht und klagt nicht an, sondern sie erzählt einfach die Geschichte Elsas. Und damit gelingen ihr auch sehr anrührende und tief beeindruckende Episoden, wenn sie z. B. die tiefe Trauer der Schwester um ihren geliebten kleinen Bruder in wenigen Strichen so erzählt, dass die Bilder in Erinnerung bleiben. Ihr Erzählen wirkt gleichmütig und durch die durchwegs einheitliche Syntax eher statisch, fast hölzern. Gelegentliche dramatische Ausrutscher wie “eine diabolische Energie, die sie einen Schritt zurücktreten ließ... und ihr Gesicht zog sich in kleinen schnellen Zuckungen um die Augen und den Mund zusammen“ (S. 331) verzeiht man gerne.

    Zum Autor:

    Stephan Malinowski, * 1966, wurde erstmals bekannt mit seiner Dissertation Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat. Mit dieser Dissertation betrat er ein bis dato weitgehend unerforschtes Gebiet: die Geschichte des deutschen Adels zwischen Kaiserreich und III. Reich.

    Nach Lehraufenthalten an der FU Berlin, an der Harvard Universität u. anderen Hochschulen unterrichtet Malinowski an der Universität Edinburgh.


    Zum Hintergrund:

    Seit 2014 laufen Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik und der Familie Hohenzollern, die sich auf das sog. Ausgleichsleistungsgesetz beruft und Ansprüche auf Schlösser, Liegenschaften, Tausende von Kunstschätzen und andere Vermögenswerte erhebt, die nach dem II. Weltkrieg von der Sowjetischen Militäradministration enteignet wurden. Malinowski wurde mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt zur Frage, ob der Ex-Kronprinz Wilhelm dem Nationalsozialismus „erheblichen Vorschub“ geleistet habe. Wenn ja, wären Leistungen nach diesem Gesetz ausgeschlossen. Diese sog. Hohenzollerndebatte entwickelte sich in den Folgejahren zum „bedeutendsten geschichtspolitischen Konflikt des Landes“ (SPIEGEL). Malinowski und Journalisten wurden von den Hohenzollern mehrfach verklagt.

    Das vorliegende Buch basiert auf den Ergebnissen des Gutachtens.


    Mein Lese-Eindruck:

    Gleich zu Beginn stellt der Autor klar, dass er sein Buch nicht auf die Frage der Vorschubleistung reduziert sehen will. Er betrachtet sein Buch eher als Fallstudie, in der er die Handlungen einer hochadligen Familie mit der historischen Methode untersucht. Der Autor legt seine Darstellung daher breit an und beginnt mit dem Exil des Kaisers Wilhelm II. und des Kronprinzen in den Niederlanden und beobachtet ebenfalls das Agieren der Familie und der Vertrauten. Ein wesentlicher Untersuchungsgegenstand ist dabei die Kommunikation zwischen den Hohenzollern und der Öffentlichkeit. Der Autor betont die Bedeutung der Selbstdarstellung bzw. Performance für das Bild, das die Hohenzollern der Öffentlichkeit bieten wollten. Die war nicht immer leicht zu meistern; so ließ sich z. B. die Fahnenflucht des Kaisers und des Thronfolgers in den folgenden Jahren nur schwer vermitteln. Ein breit aufgestellter Stab an PR-Beratern, Ghostwritern, Journalisten, Juristen etc. sorgte für das gewünschte Außenbild der Figur.

    Malinowski legt akribisch dar, wie die Hohenzollern die Hoffnung auf eine Restitution nicht aufgaben und wie sie sich zum Steigbügelhalter der Nationalsozialisten machten. Dazu nutzen sie ihren charismatischen Namen, der Sehnsüchte im Volk hervorruft, die den Kyffhäuser-Mythos assoziieren lassen, wobei der aktuelle Namensträger jedoch von Charakter und Leistung her diesen Erwartungen nicht gerecht wird. Zusätzlich nutzen sie die informellen Kommunikationsmöglichkeiten des Adels bzw. Hochadels, wie sie sich bei Jagdgesellschaften, Bällen, in den Clubs, den Offizierkasinos etc. ergaben. Die Verbindung des nationalen mit dem konservativen Lager glückt, und der Tag von Potsdam, an dessen Inszenierung auch die Hohenzollern beteiligt sind, zeigt eindrucksvoll den Schulterschluss von Alt und Neu.

    Die nächsten Jahre sind gekennzeichnet von Anbiederungsversuchen, Anpassungen und Arrangements. Nach wie vor stellen die Hohenzollern dem Regime ihre jahrhundertealte Geschichte, ihr Charisma und den Glanz ihres Namens zur Verfügung. Trotzdem reicht der Einfluss nicht so weit, um im arrivierten NS-System eine bedeutende Rolle zu spielen.


    Liest man die Quellen, die Malinowski anführt, fällt es schwer, an die imaginierte Opferrolle der Hohenzollern zu glauben. Da werden die Verhaftungen von Kommunisten, Sozialisten, Juden und anderen „Volksfeinden“ als „Aufräumarbeiten“ abgetan, Mussolini wird wegen seiner „genialen Brutalität“ bewundert, und schon in den 20er Jahren halten sich Hitler, Röhm und Göring als Gäste im Cecilienhof auf. Die Hohenzollern verfassen Wahlaufrufe für Hitler, und es werden Sätze zitiert wie „Jetzt heißt es, jedem in die Fresse zu hauen“, der die Regierung Hitler angreife. Es gibt Geldzuwendungen, einer der Prinzen leistet Assistenz im SA-Folterkeller und so fort. Malinowski stützt seine Darlegungen auf eine breite Quellenlage (sehr viel Bildmaterial, wir leben schon im Zeitalter des Bildes), die er genau auswertet und zugleich die apologetischen Ausführungen anderer Historiker widerlegt. Sein Urteil: Es dürfte "auch im Adel aller Sparten nur wenige Familien gegeben haben, die so geschlossen, so stetig, so radikal und so wirkungsvoll gegen die Republik und ihre Prinzipien aufgetreten sind wie die politisch relevanten Mitglieder der Familie Hohenzollern" (S. 620). Kronprinz Wilhelm und seine Familie gehörten überwiegend nicht zum harten Kern der Nationalsozialisten, aber sie entfalteten ihre Wirkung für das Regime als „Opportunisten und Kollaborateure“ (S. 613).


    Das Buch ist lesefreundlich gegliedert in Kapitel und kleinere Unterkapitel. Die Überschriften der Unterkapitel sind gelegentlich ironisch wie „Dem Widerstand widerstanden“ (S. 505) oder „Royale Resterampe“ (S. 535). 117 Seiten Anhang (Fußnoten, Quellen und Literatur) belegen den historischen Anspruch.

    Trotzdem: Ein Buch, das trotz seiner methodischen Dichte gut zu lesen ist – eine packende Darstellung auch für den Laien.


    ASIN/ISBN: 3549100299

    "Büchereule" passt zu mir; ich habe jahrelang Eulen gesammelt, aber den ganzen Plunder vor einiger Zeit in Kisten verpackt und auf den Speicher verschoben.

    Bis auf einige wenige schöne Stücke:)!

    Ich lese, seit ich denken kann. Ich liebe Ausstellungskataloge, historische Sachbücher, Krimis, zeitgenössische Belletristik, Kochbücher, Gartenbücher, Klassiker (was immer man darunter versteht) und Lyrik. Vor Horror und Grusel fürchte ich mich, und zu SF finde ich (noch) keinen rechten Zugang, kann ja noch werden.

    Meine anderen Leidenschaften: unser Garten (s. Avatar), essen und trinken, Radwanderungen, segeln, stricken.

    Ansonsten versuche ich gerade, mich hier im Forum zu orientieren.

    :wave