Beiträge von dracoma

    Meine September-Bücher

    Hoffentlich mache ich alles richtig...


    Greg Woolf; Metropolis; 1; Monatshighlight

    Stephan Malinowski; Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration; 1; mein Lese-Eindruck befindet sich hier.

    Andrea Giovene; Die Autobiografie des Giuliano di Sansevero; 3,5; Lese-Eindruck folgt noch

    Jean-Christophe Rufin; Der Gehängte von Conakry; 1,5

    Alain Claude Sulzer; Doppelleben; 1;mein Lese-Eindruck hier

    Anthony Horowitz; Die drei Königinnen; 3,5

    Agatha Christie; Das Sterben in Wychwood; 3

    ASIN/ISBN: 386971249X

    Klappentext:

    Ein grandioser Roman über die letzten Jahre der zwillingsgleich lebenden Brüder Goncourt und das Doppelleben ihrer Haushälterin, inmitten von Glanz und Elend im Paris zu Zeiten Napoleons III.

    Der Roman nimmt uns mit zu Jules und Edmond de Goncourt, die alles teilten: das Haus, die Gedanken, die Arbeit, die Geliebte. Zu zweit gingen sie zum Treffen mit Flaubert, Zola und anderen Künstlern ins Palais der Cousine des Kaisers, in Ausstellungen und zu Restaurantbesuchen mit Freunden und Bekannten. Und danach lästerten sie ab über alle, die sie getroffen hatten, im geheimen Tagebuch, das sie gemeinsam führten. Berühmt-berüchtigt waren sie für ihren Blick, dem angeblich nichts entging, und ihre spitze Feder, die alles notierte. Bis Jules unheilbar erkrankte …

    Und der Roman nimmt uns mit in die Gegenwelt: zu Rose, ihrer Haushälterin, die zum Hausstand gehört wie ein Möbelstück. Die unbemerkt von den Brüdern existenzielle Dramen durchlebt, sich hoffnungslos in den Falschen verliebt und von ihm schamlos ausgenutzt wird, die ein Kind austrägt, ohne dass die Brüder es bemerken, es gebiert, liebt und später auch verliert; die Trinkerin wird und ihre Dienstherrn hintergeht und bestiehlt, ohne dass diese es merken. Bis sie stirbt und den Brüdern ein Licht aufgeht …

    Ein packendes Epochengemälde in Lebensläufen, die gegensätzlicher kaum sein können.


    Zum historischen Hintergrund:

    Die beiden Brüder Edmond und Jules de Goncourt stammten aus einer vermögenden Familie und lebten ihr Leben lang ausschließlich für ihre Interessen, hauptsächlich die Literatur. Sie lebten und arbeiteten fast symbiotisch zusammen, teilten sich sogar ihre Geliebte. Mit ihrem literarischen Interesse für die niederen Stände gelten sie als die Begründer des Naturalismus.

    Ein besonderes Zeitdokument ist das Tagebuch (ab 1851), das beide Brüder verfassten und das Edmond, der ältere Bruder, nach Jules‘ Tod noch 25 Jahre alleine fortführte. In diesem Tagebuch nehmen die Beiden kein Blatt vor den Mund. Sie beobachten scharf und mitleidlos, notieren unbestechlich genauestens Intimitäten ihres Freundeskreises, zu dem die wichtigsten Literaten ihrer Zeit und auch die Prinzessin Mathilde, Nichte Napoleons und Kusine des Kaisers Napoleon III., gehörten. Das vollständige Tagebuch erschien 2013 erstmals auf Deutsch und ist die Quelle für Sulzers Roman.

    Der Prix Goncourt ging aus einer Stiftung Edmonds Goncourts hervor und gilt inzwischen als der begehrteste Literaturpreis Frankreichs.

    Mein Lese-Eindruck:
    Selten hat mir ein Romantitel so gut gefallen wie „Doppelleben“. Dieser Titel trifft in mehrfacher Weise zu, und zwar auf jeden der verschiedenen Handlungsstränge. Die kapitelweise miteinander verschränkt werden.

    Zunächst betrifft „Doppelleben“ das symbiotische Zusammenleben und -arbeiten der beiden Brüder Goncourt. Jules‘ Syphilis-Erkrankung wird von seinem älteren Bruder beharrlich geleugnet, und hier gelingen Sulzer sehr empathische und berührende Szenen, wenn er die Sorge und auch die Verzweiflung Edmonds erzählt, der sich mit dem geistigen Verfall seines Bruders nicht abfinden kann.

    „Doppelleben“ betrifft aber auch die Magd Rose, die seit den Kindheitstagen der Brüder im Haus lebte und sie wie eine Mutter aufopferungsvoll versorgte. Erst nach ihrem Tod erfahren die Brüder von ihrem Doppelleben: sie hatte sich verschuldet, gestohlen und betrogen, um ihren jungen Geliebten zu finanzieren, dem sie hörig war. Beide Brüder mussten erkennen, dass sie, die so stolz auf ihre scharfe Beobachtungsgabe waren, bei den Tragödien in ihrer direkten Umgebung blind waren. Typisch für sie: sie beschließen einen professionellen, d. h. ästhetischen Umgang mit dem Erlebten und schreiben den Roman Germinie Lacerteux, in dem sie das Leben einer Frau der niederen Stände mit allen abstoßenden Facetten thematisieren.

    „Doppelleben“ betrifft aber auch die Zeit, in die der Autor seinen Leser mitnimmt. Es ist die Zeit Napoleons III., wir erleben den Glanz der Salons, üppige Festmähler und opulente Vergnügungen – und auf der anderen Seite das Elend der Unterschicht: gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen, Alkoholismus, Kriminalität, Prostitution. Sulzer verschränkt beide Seiten der Gesellschaft. In Erinnerung bleibt eine pointierte Szene, als im Salon der Prinzessin ein Arzt dieses Elend ins Gespräch bringt, was von der champagnertrinkenden Gesellschaft jedoch als „degoutantes Hirngespinst" abgetan wird.

    Sulzers Buch besticht nicht nur durch die genaue historische Recherche, sondern auch durch die immer ruhige, fast behäbig-altmodische Sprache, in der er erzählt. Dramatisches wechselt mit Lyrischem, Anekdoten aus den Tagebüchern sorgen für Kurzweil. Sulzer erzählt seine Geschichte mit Empathie, ohne larmoyant zu werden, und so gelingt ihm ein spannender Roman, der eine starke Sogwirkung entfaltet.

    Hast du schon Ich bin Circe gelesen?

    Das und das Achill-Buch liegt, seit es herausgekommen ist, auf dem SuB. Mein Mann hat die Bücher inzwischen gelesen, ihm haben sie sehr gut gefallen!

    ASIN/ISBN: 3961610827

    denn all deine Fragen hätte ich auch so gestellt.

    Bestimmt noch mehr ! - ich hab mich schon zurückgehalten. Jetzt überlege ich z. B., was Helena in Troja eigentlich den ganzen Tag gemacht hat außer schön zu sein. Da erfährt man leider auch nichts.

    Zur Autorin (Quelle: Verlag):

    Tanya Pyankova wurde 1985 in der Region Iwano-Frankiwsk in der Ukraine geboren. Sie ist Autorin mehrerer Romane und Gedichtbände, die in ihrer Heimat zahlreiche Preise gewonnen haben, außerdem ist sie Leiterin der Literaturagentur Potion sowie Organisatorin einer Vielzahl von Literaturfestivals, Theateraufführungen und Poesieperformances.


    Zum historischen Kontext:

    Durch die Reise der Außenministerin Anna-Lena Baerbock in die Ukraine, bei der sie auch das Holodomor-Denkmal besuchte, wurde die Erinnerung an den Holodomor, auf Deutsch „Tötung durch Hunger wieder lebendig. Zu Beginn der 30er Jahre fielen dieser Maßnahme allein in der Sozialistischen Teilrepublik Ukraine geschätzt 3,5 bis 7 Millionen Menschen zum Opfer. Die Ursachen können inzwischen eindeutig benannt werden: die chaotische Durchsetzung der Zwangskollektivierung, damit verbunden die Entkulakisierung, die Förderung der Industrialisierung zu Lasten der Landwirtschaft, der Abtransport der Getreideernten und des Viehbestandes, die Erhöhung der Abgabequoten, Ausreiseverbote u. a. . Diese Maßnahmen wurden in der Ukraine mit besonderer Gründlichkeit durchgeboxt, um den Widerstandswillen des ehemals reichen und fruchtbaren Landes zu brechen.

    Der Holodomor wurde in der SU bis heute nicht aufgearbeitet, und in der Ukraine begann man erst im Rahmen der Perestroika, die mündlichen Überlieferungen schriftlich zu fixieren. Inzwischen wird die Tragödie als Genozid von den meisten westeuropäischen Staaten anerkannt.


    Mein Lese-Eindruck:

    Normalerweise liest man erst das Buch und anschließend das Nachwort. Trotzdem ist es sinnvoll, in diesem Fall sich erst dem Nachwort zuzuwenden, weil die Intention und Gestimmtheit der Autorin für das Buch wesentlich sind. Das Nachwort nimmt tatsächlich die Stelle eines Vorworts ein.


    „Dieser Roman“, sagt sie, „handelt vom Unterschied zwischen den Ukrainern und den lügnerischen moskowitischen Horden, deren Methoden ständige Angriffskriege, Propaganda, Manipulation und Geschichtsfälschung sind“ (S. 287). Sie erhebt schwerste Vorwürfe gegen Russland. Sie sieht die aktuellen Kriegsereignisse als eine Fortsetzung des Genozids an, dem ihr Land und ihre Landsleute in den 30er Jahren ausgesetzt waren. Wieder „vergewaltigen russische Verbrecher ukrainische Frauen und Kinder, töten, zerstören, bestehlen sie mein Land, entwenden Getreide, setzen Felder in Brand“ (S. 286). Daher sei die Vergangenheit für sie aktueller denn je, denn „das durch den Völkermord verursachte Trauma“ (S. 287) sei nach wie vor spürbar und zeige sich nicht nur im öffentlichen Leben, sondern auch im privaten Bereich. Und hat man dieses Buch gelesen, wird einem wieder einmal klar, dass man die Vergangenheit kennen muss, um die Gegenwart zu verstehen.


    Die Autorin entfaltet ihre Geschichte mit drei Stimmen, mit denen sie die Bandbreite der damaligen Gesellschaft abdecken kann und die Opfer und Täter gleichzeitig zu Wort kommen lassen. Da ist einmal Dusja, die Kulakentochter, deren Vater wie so viele Bauern in die Zwangsarbeit verschickt wurde, während die Mutter in der Kolchose arbeitet, ohne mit dem Verdienst ihre beiden Kinder ernähren zu können. Ihre Stimme erzählt dem Leser von dem großen Sterben in ihrem Dorf und ihre Versuche, mit Gras, Baumrinde, Schuhsohlen das Aushungern zu überstehen. Eine andere Stimme gehört Solja, der Frau des verantwortlichen Kommissars, die auch unter Hunger leidet – aber im Unterschied zur Dorfbevölkerung hungert sie in einem Sanatorium, um ihr Übergewicht zu reduzieren. Sie ist das Sprachrohr ihres Mannes, ein Opfer der Propaganda, die die Kulaken als Staatsfeinde sieht, und sie bricht zusammen, als sie mit der Wirklichkeit konfrontiert wird. Die dritte Stimme gehört einem Dorfbewohner, der sich zum Handlanger der Kommunisten macht und in ihrem Dienst arbeitet. Diese drei Stimmen sprechen jeweils für sich, aber im Verlauf der Handlung werden sie Stück für Stück immer dichter miteinander verwoben. Dazu kommt eine vierte Stimme, die die Autorin immer wieder zu Wort kommen lässt: das ist die Stimme des personifizierten Hungers, der mit baumelnden Beinen auf dem Ofen sitzt, der die Menschen begleitet, sie quält und sie verhöhnt. So entsteht ein in sich stimmiges Gesamtbild.


    Das Gesamtbild ist schlimm. Wir lesen von Zwangsarbeit, von Propagandamaßnahmen und Täuschung, von der Zerstörung der Kirchen und ihres Kulturgutes, vom Personenkult um den „schnauzbärtigen Tod“ (S. 88), vom täglichen Einsammeln der Leichen, von gewalttätigen Requirierungen, von Treulosigkeit, Egoismus und vor allem von den verzweifelten Versuchen der Menschen, Nahrung zu finden: Frösche, Mäuse, Vögel, Insekten, Baumrinde, Gras, Erdwürmer, Spelzen etc., immer heimlich, um nicht angezeigt zu werden und den Roten Kommissaren in die Hände zu fallen. Wir lesen auch von Auswegen aus dieser Not, um die Essensrationen zu sichern: das Gemeinmachen mit den Kommissaren und die Erledigung von Hilfsdiensten und auch Prostitution. Wie Brecht schon sagte: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Oder wie Dusja sagt: „Wir verlieren, was uns zu Menschen macht“ (S. 221). Die Autorin verschont ihre Leser auch nicht vor grausamen Szenen wie Kindsaussetzung, Ermordung von Neugeborenen und Kannibalismus.


    Das Bild der Ameisen zieht sich durch das ganze Buch hindurch. Es sind die Roten Ameisen, in Anspielung an die Roten Kommissare, die als Bild für die menschenverachtenden und im übertragenen Sinn „gefräßigen“ Kommunisten immer wieder zitiert werden.


    Das Buch enthält sehr viele innere Monologe und Reflexionen der drei Stimmen, und dadurch kommt es zu Redundanzen. Hier wären Straffungen angebracht gewesen. Ein weiterer Kritikpunkt ist das Pathos, das natürlich verständlich ist (s. Nachwort), aber doch gelegentlich zu dick aufgetragen ist. Sätze wie „Ihre nackte Wehrlosigkeit trifft wie die Sichel des Todes die schwankende Ähre des Menschenschicksals“ (S. 254) empfand ich als überzogen, aber auf der anderen Seite zeigen sie auch die starke und bildhafte Sprache der Autorin, die durchgängig zu beobachten ist.


    ASIN/ISBN: 3753000779

    Ich habe im Oktober gelesen

    Ann-Helen Laestadius, Das Leuchten der Rentiere. Rezension eingestellt.

    Leigh Bardugo, Die Sprache der Dornen.

    Fernando Aramburu, Die Mauersegler. Rezension eingestellt.

    Hervé Tellier, Ich verliebe mich so leicht.

    Monique Roffey, Die Meerjungfrau von Black Conch.

    John Galsworthy, Das Herrenhaus.

    Claire Heywood, Wir Töchter von Sparta. Rezension eingestellt.



    Momentan lese ich

    John Burnside, In hellen Sommernächten.

    John Burnside, Anweisungen für eine Himmelsbestattung. Gedichte.

    neu: Tanya Pyankova, Das Zeitalter der Roten Ameisen.


    Als nächstes will ich lesen

    Franz Werfel, Die 40 Tage des Musa Dagh. (SuB)

    Mariana Leky, Kummer aller Art.

    Stine Pilgaard, Meine Mutter sagt.

    Joyce Carol Oates, Zwei oder drei Dinge, die ich dir nicht erzählt habe.

    neu: Gina Kolata, Influenza. Die Jagd nach dem Virus.

    ASIN/ISBN: B0B4P7DD4G

    Gekauft.

    Obwohl ich bisschen skeptisch bin.


    Mehr Antike wagen! Eine spannende und unterhaltsame Reise zu den Grundlagen der modernen Welt

    Vom Kampf um Troia bis zum Ende des römischen Imperiums: In seinem fesselnden Parforceritt durch die Antike entfaltet Michael Sommer anderthalb Jahrtausende Menschheitsgeschichte. Mit vielen Rückbezügen auf die heutige Zeit schärft seine pointierte Erzählung unser Bewusstsein für die großen Bögen des historischen Dramas, das sich um das antike Mittelmeer ereignete. Ein hochaktuelles Buch, das zeigt, wie stark unsere eigene Gegenwart mit der antiken Welt der Griechen und Römer verflochten ist.

    ASIN/ISBN: B09LVZ92L4

    Aus der Kreisbücherei entliehen!


    Darum geht es:

    Eine Hymne auf die Liebe und auf die Freiheit - vom Gewinner des International Booker Prize.

    David Diop erzählt die Lebensgeschichte des Botanikers Michel Adanson (1727-1806), der als erster weißer Naturforscher den Senegal bereist. Sein Ziel ist eine umfassende Enzyklopädie der afrikanischen Fauna. Als Adanson von dem tragischen Verschwinden einer jungen Frau erfährt, bekommt seine Expedition ein neues Ziel. Und er findet sie: Die mysteriöse Maram lebt als Heilerin in einem Dschungeldorf, um den Sklaventreibern zu entkommen. Adanson verliebt sich in sie und begreift immer mehr, dass sein weißes westliches Weltbild überholt ist. Trotzdem kann er Maram nicht vor ihrem Schicksal retten ... Erst nach Adansons Tod findet seine Tochter die Reisehefte und begreift, wer ihr Vater wirklich war. David Diop schreibt so eindrücklich über die Leidenschaft des Entdeckens wie über die Abgründe des Kolonialismus und formt daraus eine Ode an die Liebe.

    An 12 Tagen hat Matthew Sweeneyj eweils eine Seite geschrieben, während er auf seine todbringende Diagnose wartete.

    Ich lese den Gedichtband auch gerade, in kleinen Happen. Die Sequenz Die Eule hat mich sehr beeindruckt.


    Wie der Dichter erst den Ruf der Eule hört, wie sie ihm vertrauter wird, wie er sich Gedanken zu ihrem Aussehen macht und nicht weiß, wie er sich zu ihr verhalten soll , die Farbsymbolik, die Verwischung von Traum und Wirklichkeit und wie er sich letztlich damit abfindet und die Eule als Todesboten sieht - das ging mir durchaus unter die Haut, weil man ja Sweeneys Biografie kennt.


    Vielleicht bist Du mit dem Gedichtband schon durch und kannst weitere Eindrücke schildern?

    Klappentext:

    Wer waren die Frauen, die hinter dem Trojanischen Krieg standen?

    Die Schwestern Helena und Klytämnestra brechen in Claire Heywoods Neuerzählung des Trojanischen Kriegs Wir Töchter von Sparta endlich ihr Schweigen.

    Helena und Klytaimnestra sind durch ihre Schönheit und ihren Stand nichts als Überfluss gewohnt, ganz Griechenland liegt ihnen zu Füßen: Sie sind die Prinzessinnen von Sparta. Doch dieses Privileg hat seinen Preis. Noch als Mädchen werden die Schwestern getrennt und verheiratet - mit dem mächtigen Agamemnon und seinem Bruder Menelaos von Troja. Als Königinnen wird von ihnen nur zweierlei erwartet: die Geburt eines Erben und die Verkörperung der sanftmütigen, sittsamen Natur einer Frau. Bald wiegen die Vernachlässigung und die Grausamkeit ihrer Ehemänner schwer auf ihnen. Und somit finden sie sich an dem Punkt wieder, an dem sie gegen die Zwänge ihres Geschlechts aufbegehren müssen, um sich selbst ein neues Leben aufzubauen – und damit die Geschichte für immer zu verändern.

    Mit Wir Töchter von Sparta hat Claire Heywood eine erhellende Neuinterpretation des Kriegs zwischen Sparta und Troja geschrieben, der den Frauen seiner Geschichte ihre Stimme zurückgibt und zeigt, wie Feminismus bereits im alten Griechenland eine Rolle gespielt haben könnte.


    Mein Lese-Eindruck:

    Nebenfiguren eine Stimme zu geben – das ist eine beliebte Technik im Creative Writing und kann zu originellen Ergebnissen führen. Claire Heywood schreibt im Nachwort ihres Romans, dass sie „archäologische Realitäten mit mythologischer Tradition“ und einer „neuen Geschichte“ verbinden will, um „die Lücken zu füllen, die dieser Rahmen offenlässt“ (S. 359). Nichts spricht dagegen, Homers Epos abzuändern und/oder neue Schwerpunkte zu setzen. Entscheidend ist natürlich, dass sich ein stimmiges Gesamtbild ergibt. Damit ist der Anspruch formuliert, dem sich der Roman stellen muss.


    Klytämnestra und Helena wuchsen als Schwestern am Königshof in Sparta auf – und hier ist schon die erste Lücke. Wie mag die Erziehung der Schwestern gewesen sein? Durften sie tatsächlich nur „den ganzen Tag ... spinnen und weben“ (S. 27)? Das würde nicht zu der Tatsache passen, dass Mädchen und Frauen im hellenistischen Sparta erheblich mehr Freiheiten hatten als ihre Zeitgenossinnen. Wie erlebten sie die Zeitumstände, die von Krieg geprägt waren? Wir erfahren nichts. Diese Abgehobenheit von äußeren Gegebenheiten findet sich immer wieder. So kreisen die Gespräche der Schwestern und ihre Gedanken hauptsächlich um Ehemann und Familie: Liebt er mich? Liebt er mich noch? Liebt er mich nicht mehr? Hat er eine Geliebte? Oder keine?

    Damit wird die Autorin diesen Frauengestalten meiner Meinung nach nicht gerecht. Dies zeigt sich besonders deutlich bei Klytämnestra, die Ehefrau des Agamemnon, König von Mykene. Agamemnon baute Mykene zu einem der mächtigsten Königreiche der Bronzezeit aus. Das bedeutete für Klytämnestra, dass in der Zitadelle von Mykene ein großer Haushalt mit Sklaven, Dienern und Gästen zu organisieren und zu verantworten war. Während der Kriegszüge Agamemnons übernahm sie die Regierungsgeschäfte, was nur kurz anklingt und der Autorin keine Vertiefung wert ist. Schade! Für Helena gilt ähnliches. Menelaos vertraut ihr „die Aufgabe an, Sparta und mich selbst zu vertreten“ (S. 187). Wie meistert sie diese Aufgabe? Auf der anderen Seite traut ihr die Autorin offenbar kein Interesse an der Außenpolitik zu, wenn Helena das Gespräch ihres Mannes mit Aeneas über die drohende Gefahr durch die Assyrer oder Hethiter unterbricht und ein Kompliment für ihr neues Kleid einfordert. So dumm kann sie doch nicht gewesen sein?


    Ein weiteres Beispiel für eine nicht gefüllte Leerstelle ist der Raub der Helena. Paris und seine Leute plündern in Abwesenheit des Königs Menelaos den spartanischen Königspalast und verladen die Beute auf ihre Schiffe. Heywoods Helena ist davon überrascht und hat die Plünderungen offensichtlich nicht bemerkt, und ihre Brüder, die Prinzen Castor und Pollux sind im Unterschied zu Homers Ilias anwesend. Aber reagieren nicht. Ist das glaubwürdig? Sicher nicht, da die Prinzen die Plünderungen nicht ohne Gegenwehr hingenommen hätten.


    Heywood bemüht sich sichtlich um die Psychologisierung ihrer Figuren, um sie über die Jahrtausende hinweg an den heutigen Leser heranzurücken. Das gelingt ihr auch. Allerdings fragt man sich bei der ständigen Diskussion des jeweiligen Liebesglücks, ob damit nicht die Ansprüche unserer eigenen Zeit kritiklos angewendet werden.


    Die Autorin setzt gut gewählte Schwerpunkte. Dennoch hätte ich gerne gewusst, wieso sie Nikostatos, den Sohn der Helena mit Menelaos, unterschlägt; immerhin der Thronerbe Spartas. Und wieso Kassandra, die Seherin, Priesterin und Königstochter, nur die nichtssagende Rolle eines dünnen blonden Mädchens zugewiesen wird.


    ASIN/ISBN: 3426282674

    Edit: ISBN ergänzt, damit das Cover angezeigt wird. Gruß Herr Palomar

    ASIN/ISBN: 3753000779


    Harter Tobak!

    Es geht um den Holodomor in der Ukraine in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts.

    Die Autorin schreibt mit einem gewissen nationalen Pathos, aber das kann man ihr kaum verdenken.


    Klappentext:

    Matschuchy, Ukraine, 1933: Die junge Jawdocha versucht verzweifelt, sich und ihre Familie am Leben zu halten – doch der Hunger setzt nicht nur ihren Körpern zu, sondern immer mehr Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung greifen zu verzweifelten, unmenschlichen Maßnahmen im Kampf um das nackte Überleben. Nur wenige Kilometer von ihnen entfernt wird Solja, die wohlhabende Frau des ortsansässigen Parteivorsitzenden, von ihren eigenen, völlig unterschiedlichen Dämonen heimgesucht und scheitert daran, Gewicht zu verlieren – und Swyryd, ein Repräsentant der sowjetischen Kommunalverwaltung, nutzt seine Machtposition, um seine große Liebe Hanna, Jawdochas Mutter, zu manipulieren.

    In drei verschiedenen Erzählstimmen erschafft Tanya Pyankova das erschreckend aktuelle Psychogramm einer Zeit und einer Nation, das relevanter nicht sein könnte: Die von der Sowjetunion besetzte Ukraine erlitt eine Hungersnot, die das Leben vieler Millionen Menschen forderte – und die von den Besatzern als politisches Machtinstrument gezielt hervorgerufen worden war. Dieser Genozid ging als Holodomor ("Tötung durch Hunger") in die Geschichte ein.

    Sprecher: Bernd Reheuser.


    Klappentext:


    Bühne Fry für die großartigste Geschichte der Welt!

    Es ist die größte Geschichte von Heldentum und Hass, Liebe und Leiden, Rache und Reue, Verlangen und Verzweiflung, die sich die Menschheit je erzählt hat: Der Kampf um das legendäre Troja, das für Götter und Menschen gleichermaßen Segen und Fluch war und zum Schauplatz alter Fehden, sagenhafter Herausforderungen und verwickelter Intrigen wurde. Es sind jene menschlichen Leidenschaften, blutig in den Sand einer fernen Küste geschrieben, die heute noch zu uns sprechen. Der meisterhafte Erzähler Stephen Fry übertrifft sich nach seinen Erfolgen »Mythos« und »Helden« selbst, haucht einmal mehr einem antiken Stoff auf atemberaubend schöne Weise neues Leben ein und holt ihn in unsere Zeit.


    Mein Hör-Eindruck:


    Der Mythos um Troja wurde schon oft erzählt, und wer hier eine reine Nacherzählung von Homers Ilias erwartet, wird angenehm und aufs Beste überrascht!

    Vorneweg: Stephen Fry kennt die Ilias, er hat seinen Homer gelesen, und er ist sattelfest, was die großen mythischen und historischen Zusammenhänge angeht.


    Und so beginnt er nicht wie Homer mit der Auseinandersetzung zwischen Agamemnon und Achilles im Heerlager vor den Toren Trojas, sondern er erzählt von der Gründung, dem Aufstieg und der immensen handelspolitischen Bedeutung der Stadt Troja. Fry nimmt dann den Hörer richtiggehend an die Hand und führt ihn Schritt für Schritt in das dichte Geflecht der Mythen ein. Ein wenig Vorwissen erleichtert das Verständnis. Der unkundige Hörer kann leicht den Überblick verlieren und wird erschlagen von der Fülle an Namen und komplizierten Verwandtschaftslinien. Fry erkennt das Problem und versetzt sich in seine Leser, indem er - didaktisch sehr geschickt! - den Leser direkt anspricht, um Geduld bittet und auf die Bedeutung für den Verlauf der Geschichte verweist. Gelegentlich wiederholt er auch oder fasst zusammen und sichert damit das Verständnis.


    Ganz wichtig aber für das Verständnis ist die unnachahmliche Art des Autors, wie er seine Erzählung vorträgt. Es ist nicht nur sein herrlich trockener Humor, mit dem er den Hörer zum Lachen bringt und den der Sprecher mit seiner süffisant-ironischen Tonlage unterstützt. Es sind auch seine Ausführungen zum Hintergrundwissen, z. B. zur Frage der Überlieferung, eine Erklärung der Begräbnisriten, zur Sprache etc. Einzelne Szenen malt er so lebhaft aus, dass im Kopf des Hörers gewaltige Bilder entstehen, z. B. das Anlanden der griechischen Flotte vor Troja und v. a. das barbarische Gemetzel bei der Einnahme der Stadt. Wo Ernsthaftigkeit angebracht ist, bleiben der Erzähler und der Sprecher auch ernsthaft und nehmen sich zurück. Mit den nachdenklichen Kommentaren gerade zum Blutrausch und den Gräueltaten der Griechen sprengt er den Rahmen einer Nacherzählung. An dieser Stelle erinnert er an vergleichbare historische Ereignisse, z. B. die Einnahme Berlins durch die Rote Armee oder die Niederschlagung des indischen Aufstandes durch die Briten. Mit diesen Kommentaren rückt er die Ereignisse über die Jahrtausende hinweg an unsere Jetzt-Zeit heran.


    Homers Ilias zeigt menschliche Verhaltensweisen in allen Bandbreiten: Güte, Eitelkeit, Heldenmut, Vaterlandsliebe, Opferbereitschaft, Verlogenheit, Egoismus, Feigheit, Treue und so fort, und der Grund des Handelns liegt in der Lenkung durch die Götter. Fry überführt auch diesen Gedanken in unsere Zeit: das Eingreifen der Götter kann metaphorisch gesehen werden als innere Stimme der Person, und er schließt, dass man die Menschen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen dürfe.


    Fazit: ein exzellentes Hörvergnügen, sehr beeindruckend, lebendig und frisch, nur empfehlenswert.


    ASIN/ISBN: 3961056935

    Vielleicht gibst Du ja mal Laut, wie sie Dir gefallen haben?

    An Lyrik-Bänden lese ich ziemlich lange so vor mich hin, die kann ich nicht in einem Rutsch konsumieren und verdauen - daher nur ein kleiner Zwischenstand - in einem Jahr vielleicht mehr :)!

    Der Gedichtband ist zweisprachig, so dass ich doppeltes Vergnügen habe und tatsächlich immer wieder auch den englischen Text lese. Der Übersetzer Ian Galbraith hat ganze Arbeit geleistet.

    Burnsides Stärke liegt ganz offensichtlich im Lyrischen (merkt man auch "In hellen Sommernächten") und im Betrachtenden, und das kann er einfach gut, finde ich. Da entstehen wunderschöne Bilder, mit nur wenigen Strichen. Er liebt das Kleine, Unauffällige, Unprätentiöse, und dem wendet er sich intensiv zu und verliert sich in seinem Anblick.

    Das muss man mögen - und ich mags halt.


    ASIN/ISBN: 3446252665

    Ich habe im Oktober gelesen

    Ann-Helen Laestadius, Das Leuchten der Rentiere.

    Leigh Bardugo, Die Sprache der Dornen.

    Fernando Aramburu, Die Mauersegler.

    Hervé Tellier, Ich verliebe mich so leicht.

    Monique Roffey, Die Meerjungfrau von Black Conch.

    John Galsworthy, Das Herrenhaus.


    Momentan lese ich

    Claire Heywood, Wir Töchter von Sparta.

    John Burnside, In hellen Sommernächten.

    John Burnside, Anweisungen für eine Himmelsbestattung. Gedichte.


    Als nächstes will ich lesen

    Franz Werfel, Die 40 Tage des Musa Dagh. (SuB)

    Tanya Pyankova, Das Zeitalter der Roten Ameisen.

    Mariana Leky, Kummer aller Art.

    Stine Pilgaard, Meine Mutter sagt.

    Joyce Carol Oates, Zwei oder drei Dinge, die ich dir nicht erzählt habe.

    ASIN/ISBN: 3426282674


    Claire Heywood, Wir Töchter von Sparta


    Das Buch erzählt die Geschichte von Helena und Klytemnästra, den beiden Töchtern von Leda, der Königin von Sparta, und ihrem Mann, König Tyndareos bzw. Zeus (die Sache mit dem Schwan). Ich habe kein Problem damit, dass antike Mythen anders als gewohnt erzählt werden und die Schwerpunkte anders zu setzen, aber hier klappt das nicht so richtig. Das geht schon damit los, dass Helena in Sparta bleibt, während Klytemnästra Agamemnon, den König von Mykene, heiratet - und die beiden Frauen treffen nicht mehr zusammen, d. h. die Geschichte verläuft zweigleisig.

    Leider gibt es durch die Umerzählung auch logische Brüche - also ich werde nicht warm mit dem Buch.