Beiträge von dracoma

    Ich muß gestehen, es haut mich um. Ich bin in Selm aufgewachsen, habe dort die ersten 10 Lebensjahre verbracht, von 1960 - 1970. In Beifang waren wir fast täglich, hatten aber keine Berührungspunkte mit den Leuten , es war streng geteilt: Dorf - Beifang. Schulen, Kirchen, alles gab es getrennt, obwohl es die Zeche "Hermann" in Selm da schon längst nicht mehr gab. Ich bin unglaublich gespannt auf das Buch.

    Das ist ja interessant. Ich hatte beim Lesen dauernd den Eindruck, dass da viel Autobiografisches verarbeitet wird, aber ich kann es nicht belegen. Martin Simons wurde 1973 geboren, sonst hättest Du ihn vielleicht in der Schule kennengelernt.

    Jetzt bin ich aber wirklich sehr gespannt, was Du dazu sagst und welche Erinnerungen sich bei Dir melden.


    Du sprichst von der strengen Trennung. War Beifang dann so eine Art Arme-Leute-Siedlung?

    Sehr atmosphärisch, realitätsnah und authentisch berichtet er von dem Leben an der Ostküste von Grönland. Seine Erzählart ist bildhaft und beschreibend, sodass man als Leser sich in die Welt von Inuit versetzt, fühlt.

    Unsere Grönland-Reise, geplant für diesen Sommer, musste wegen Corona kurzfristig abgesagt werden - und deswegen habe ich mir jetzt dieses Buch gegönnt, aufgrund Deiner Besprechung!

    in der Hoffnung, dass es nicht zu grausam für mein zartes Seelchen ist :)...

    ASIN/ISBN: 3446274111

    Zum Autor (Quelle Verlag):

    Mohamed Mbougar Sarr, geboren 1990 in Dakar, wuchs im Senegal auf und studierte in Frankreich Literatur und Philosophie. Er hat bereits drei Romane veröffentlicht, für die er u.a. mit dem Prix Stéphane-Hessel und Grand prix du roman métis ausgezeichnet wurde. Für "Die geheimste Erinnerung der Menschen", seinem ersten Werk, das auf Deutsch erscheint, erhielt er 2021 den Prix Goncourt. Sarr ist damit der erste senegalesische Autor, dem dieser Preis zugesprochen wurde. Die Übersetzungsrechte wurden in mehr als 22 Sprachen verkauft.


    Klappentext:

    Ausgezeichnet mit dem Prix Goncourt – Mohamed Mbougar Sarrs großer Roman über die Suche nach einem verschollenen Autor Mohamed Mbougar Sarr erzählt virtuos von der Suche nach einem verschollenen Autor: Als dem jungen Senegalesen Diégane ein verloren geglaubtes Kultbuch in die Hände fällt, stürzt er sich auf die Spur des rätselhaften Verfassers T.C. Elimane. Dieser wurde in den dreißiger Jahren als „schwarzer Rimbaud“ gefeiert, nach rassistischen Anfeindungen und einem Skandal tauchte er jedoch unter. Wer war er? Voll Suchtpotenzial und unnachahmlicher Ironie erzählt Sarr von einer labyrinthischen Reise, die drei Kontinente umspannt. Ein meisterhafter Bildungsroman, eine radikal aktuelle Auseinandersetzung mit dem komplexen Erbe des Kolonialismus und eine soghafte Kriminalgeschichte. Ein Buch, das viel wagt – und triumphiert.


    Mein Lese-Eindruck:

    „Für Yambo Ouloguem“- so die Widmung zu Beginn. Der Fall Yambo Ouloguem: ein junger Literat aus Mali gewann 1968 einen Literaturpreis in Frankreich, wurde bejubelt und dann wegen Plagiats fallen gelassen. Ouloguem kehrte nach Mali zurück und starb 2017.


    Hier findet Sarr seine literarische Vorlage: seinen Helden Diégane und v. a. Elimane geht es genau so wie Ouluguem. Diégane erkennt in seinem verschollenen Landsmann Elimane einen Schicksalsgefährten und beginnt daher ca. 50 Jahre nach dem Skandal und dem Verschwinden seinen Spuren zu folgen. Und so entsteht der Roman.

    Ein Kernthema des Romans ist das Selbstverständnis bzw. Fremdverständnis der Schriftsteller aus den ehemaligen Kolonien Frankreichs. In einer bitterbösen Satire reiht Sarr fiktive Kritiken an Elimanes Roman aneinander und klagt die rassistische Diskriminierung an. Einige Beispiele: Ein so kunstvolles Werk könne nicht von einem Schwarzen stammen, denn Afrika sei das Land der Barbarei und der Gewalt. Oder: Das Werk habe zu wenig „tropisches Kolorit“. Oder: Der Autor sei gebildet, aber wo sei die „afrikanische Seele“? Überhaupt: ein Jude als Schriftsteller ginge ja noch, „aber der Neger nie“.


    Und so geht es Fragen der kulturellen Aneignung, um den nach wie vor wirkmächtigen Kolonialismus und um den Spagat zwischen einem traditionsverhafteten Leben und dem Eintritt in die weiße Welt der ehemaligen Kolonialherren.


    Das hört sich trocken an, aber Sarr entfaltet eine derart unbändige Freude am Erzählen, dass der Leser davon gepackt wird. Er arbeitet mit Tagebüchern, Briefen, Zeitungsartikel, Interviews, Erzählerberichten und jeder Menge Berichte von Zeitzeugen aus 3. und 4. Hand, die Handlungsorte wechseln, und immer wieder wechselt er mitten im Text die Erzählerperspektive. Manchmal allerdings war mir persönlich das Pathos der Sätze zu plakativ. Zugegeben: es war nicht immer leicht, den verschlungenen Pfaden des Buches zu folgen, und auf manche prätentiöse Fremdwörter wie „phaläkische Verse“ hätte ich auch verzichten können.


    Das Fazit des Romans ist hart: „Wer war eigentlich Elimane? Das gelungenste und zugleich tragischste Produkt der Kolonisation. … Das ist Elimane: die ganze Trostlosigkeit der Entfremdung.“