Beiträge von dracoma

    ASIN/ISBN: B0BKLSPVF6


    Über die Autorin (Quelle: Amazon):

    Die Autorin Steph Jagger lebt mit ihrem Mann und zwei Hunden auf Bainbridge Island, Washington. In ihrer Arbeit als Lebenscoach möchte sie Menschen zu einem tieferen Verständnis für sich selbst und die eigene Geschichte bringen. "Wildes Vergessen" ist ihr zweites Buch und erschien unter dem Originaltitel "Everything left to remember" im Frühjahr 2022, begleitet vom überschwänglichen Lob der Buchhandelspresse in England und den USA.


    Klappentext:

    Wie eine Tochter ihre Mutter kennenlernt, während diese sie nach und nach vergisst...

    Steph Jagger hatte nie das beste Verhältnis zu ihrer Mutter. Doch mit einem Mal muss sie miterleben, wie die Erinnerungen v on sich und ihren Liebsten der Frau , die sie geliebt und großgezogen hat, unter dem Einfluss ihrer Demenzerkrankung mehr und mehr verschwinden. Wie viel weiß sie als Tochter eigentlich selbst von ihrer Mutter?

    Die beiden begeben sich auf eine (erste und letzte) gemeinsame Reise in die Wildnis der Nationalparks von Wyoming und Montana – auf einen Campingtrip, der schöne und traurige Erinnerungen weckt, aber auch neue Momente des Glücks und der Versöhnung schafft. Ein schonungslos ehrlicher und erstaunlich erkenntnisreicher persönlicher Blick auf die Krankheit Demenz und eine alles verändernde Reise.


    Mein Lese-Eindruck:


    Eine Tochter, die Autorin, macht mit ihrer an Demenz erkrankten Mutter eine Reise. Sie wollen 14 Tage durch die Rocky Mountains fahren und campen. Das hört sich gut und interessant an.

    Den Einsatz der Autorin kann man nur Respekt zollen. Das Verhältnis zu ihrer Mutter war nie gut, sie wehrte sich beharrlich gegen die Vorstellung, so zu werden wie ihre Mutter. Leider erfährt der Leser keinen Grund für diese Abwehr. Mit der Reise will sie ihrer verschwindenden Mutter eine Freude machen, aber wichtiger ist ihr ein anderer Grund: sie will dem nachspüren, was ihr von ihrer Mutter und den vorhergehenden Frauengenerationen aufgeschwungen wurde. Also eine Reise zu sich selbst, was immer das auch sein mag.


    Das Kurzzeitgedächtnis ihrer Mutter schwindet zusehends, sie verlernt auch lebenslang ausgeübte Tätigkeiten, und das zerrt naturgemäß an den Nerven der Tochter. Diese Belastung erzählt die Autorin freimütig, und das macht die Lektüre auch interessant. Im Vergessen aber sieht die Autorin eine Art Rückzug in archaisches Wissen – und diese esoterische, spirituelle Ausrichtung des Buches war nicht meine Sache. Natürlich gibt es eine Menge Unsichtbares zwischen Himmel und Erde. Hier aber wird jede Naturbetrachtung und viele Verhaltensweisen der Mutter in dieser Weise erklärt. So beobachten die Beiden bei einem Ausritt eine Bisonherde, und da heißt es: „Meine Mutter gleicht dem Bison. Sie bringt ein rituelles Opfer dar. Ihre Tage sind Zerstörung und Wunder in einem. Ich sah meiner Mutter zu, wie sie die Bisons beobachtete – nicht ehrfürchtig, sondern wissend. Sie kommunizierte mit den Bisons in einer Sprache ohne Worte. Ich spürte das Flüstern auf meiner Haut.“ (S. 62 ff.). An anderer Stelle füllt der Regen „die leeren Kammern in unserem Innern“ (S. 61), das „Weibliche in all seiner Glorie“ (S. 140) wird beschworen, der „fehlende Zugang zu unserer Ganzheit, zu unserer Fähigkeit, alles von unserer Essenz festzuhalten“ (S. 152) wird beklagt – und so fort.


    Es fällt der Autorin vielleicht leichter, mit diesen Betrachtungen das Verschwinden der Mutter zu ertragen. Insofern mag das Buch ein Gewinn sein für Leser, die kein Problem mit dieser Esoterik haben. Mich persönlich haben diese verschwurbelten Gedanken zunehmend angestrengt. Ich war nicht der richtige Leser.

    Ich freue mich wieder halbscharig ;(- weil


    - die Eislawine vom Dach langsam abtaut und meine Töpfe rausgucken

    - und mein geliebtes (teures) Ilex-Bäumchen freigibt

    - und weil mein Ilex-Bäumchen noch zwei kleine Äste hat (es hätte ja alles abhauen können...)

    - und weil ich, wenn der vereiste Schnee weiter taut, ich einen üppigen Strauß mit Ilex ins Haus holen kann.


    Man soll ja bekanntlich mit dem zufrieden sein, was man hat.

    ASIN/ISBN: 3737101493


    Sabrina Janesch, Sibir


    Mit dem Buch könnte ich gleich in den "Begeistert"-Thread wandern.

    Es geht um die Verschleppung deutscher Zivilgefangener nach Sibirien, nach Kasachstan und ihre Spätaussiedlung nach Deutschland. Die Autorin kann aus ihrer eigenen Familiengeschichte schöpfen.

    Aber wie sie das erzählt - das ist einfach wunderbar. Fließend, fast assoziativ stellt sie zwei Kindheiten gegenüber und zeigt, wie familiäre Traumata weiterleben.

    Jetzt habe ich die 71 ersten Kapitel vom „Mann ohneEigenschaften“ gelesen, das Pensum für die erste Zusammenkunft über das Buchmeines Literaturkreises.

    Da habt Ihr Euch aber wirklich was vorgenommen!

    Mich hat das Buch einfach MASSLOS beeindruckt. Auch die Ironie, die Dir so gut gefällt; da habe ich einfach immer meinen Spaß dran.

    Aber diese unglaublich Weitsicht, die Musil hatte, dieser glasklare Blick auf seine Zeit und das untergehende

    Kakanien - phänomenal, finde ich.

    ich wünsche Dir viel Spaß bei den übrigen hunderttausend Kapiteln!


    ASIN/ISBN: 3730600400

    Und ich freue mich, weil...

    - die Eislawine, die von unserem Dach auf eine Terrasse gekracht ist, zwar den Tisch zermatscht hat, aber dass

    man ihn wieder reparieren kann

    - dass mein Topf mit Tulpenzwiebeln zwar noch in der Lawine feststeckt, aber zumindest sichtbar ist

    - dass die Eislawine langsam abtaut. Ist bloß noch 1 m hoch.


    Always look on the bright side of life, dideldum...

    ASIN/ISBN: 3846409545


    Steph Jagger, Wildes Vergessen


    Der Klappentext hörte sich interessant an: eine Tochter macht mit ihrer an Demenz erkrankten Mutter eine Reise durch die Rocky Mountains. Nicht nur, um der Mutter eine Freude zu machen, sondern um ihre Mutter besser kennenzulernen, bevor sie verschwindet, und, das vor allem, um zu erkennen, welche Eigenschaften etc. ihr selber von ihrer Mutter und deren vorhergehenden Generationen aufgeschwungen wurden.

    Na gut.

    Aber muss man dann alles derart esoterisch-spirituell betrachten... Der Blick der Mutter, die eine Bisonherde betrachtet, wird esoterisch gedeutet: die Mutter kommuniziert mit den Bisons und deren uralter Weisheit, und die Tochter fragt sich, was sie den Bisons mitteilt.

    Eigentlich frage ich mich das auch...

    ASIN/ISBN: 3846409545


    Steph Jagger, Wildes Vergessen


    Der Klappentext hörte sich interessant an: eine Tochter macht mit ihrer an Demenz erkrankten Mutter eine Reise durch die Rocky Mountains. Nicht nur, um der Mutter eine Freude zu machen, sondern um ihre Mutter besser kennenzulernen, bevor sie verschwindet, und, das vor allem, um zu erkennen, welche Eigenschaften etc. ihr selber von ihrer Mutter und deren vorhergehenden Generationen aufgeschwungen wurden.

    Na gut.

    Aber muss man dann alles derart esoterisch-spirituell betrachten... Der Blick der Mutter, die eine Bisonherde betrachtet, wird esoterisch gedeutet: die Mutter kommuniziert mit den Bisons und deren uralter Weisheit, und die Tochter fragt sich, was sie den Bisons mitteilt.

    Eigentlich frage ich mich das auch...

    Klappentext:


    Ein Gespräch voller überraschender Wendungen

    Nives hat kürzlich ihren Mann verloren, nach langjähriger Ehe. Zuerst gefasst, bald aber einsam auf ihrem Hof, beschließt sie, ihr Lieblingshuhn Giacomina ins Haus zu holen, und muss erstaunt feststellen, wie gut ihr diese Gesellschaft tut. Als Giacomina sich eines Abends plötzlich nicht mehr bewegt, weil sie zu lange auf die Waschmaschinenwerbung gestarrt hat, gerät Nives in Panik: Sie ruft Loriano Bottai an, den befreundeten Tierarzt, den sie wie alle anderen Dorfbewohner seit Jahrzehnten kennt. Was folgt, ist ein Gespräch, das wiederholt unerwartete Wendungen nimmt, Unausgesprochenes entlarvt, Beziehungsgeflechte offenlegt, in die Abgründe einer verpassten Liebe blicken lässt und schlussendlich die Frage stellt, was ein Leben eigentlich ausmacht – die verpassten oder die gelebten Chancen?


    Zum Autor (Quelle: Kein & Aber Verlag):


    Sacha Naspini, geboren 1976 in Grosseto, lebt heute in Follonica. Er ist Drehbuchautor, schreibt für La Repubblica und arbeitet als Lektor und Artdirector mit verschiedenen Verlagshäusern zusammen. Er hat bereits mehrere Romane veröffentlicht, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Nives ist sein erstes Buch, das auf Deutsch erscheint.


    Mein Hör-Eindruck:


    Der Roman beginnt mit einem Paukenschlag: Anteo, Nives‘ Mann, will die Schweine füttern, erleidet einen Herzschlag und stürzt tot in den Schweinetrog, worauf ihn das Schwein anknabbert.

    In der Folgezeit leidet Nives unter der Einsamkeit und holt sich das Huhn Giacomina ins Haus, und in der Gesellschaft dieser gefiederten Freundin lebt sie wieder auf. Sie erkennt aber durchaus das Groteske der Situation: „Ich hab mein Leben für einen gegeben, den ich hätte durch ein Huhn ersetzen können.“ Eines Tages verfällt Giacomina beim Werbe-Fernsehen in eine katatonische Starre, und Nives ruft den Tierarzt Loriani an – und dieses Telefonat ist der eigentliche Roman.


    Der Dialog beginnt recht kurzweilig und amüsant, passend zu der merkwürdigen Situation. Beide sind im selben Ort aufgewachsen und kennen sich ihr Leben lang, und so wendet sich das Gespräch der Jugendzeit zu und dem damaligen überraschend locker-sinnenfrohen Miteinander des Freundeskreises. Bis dahin denkt der Leser, dass der Roman sich darin erschöpft: in der Ansammlung von Sprachwitz und allerlei Skurrilitäten, über die man lachen muss.


    Aber dann gewinnt die Geschichte einen unerwarteten Tiefgang. Nives holt nämlich das verbale Hackebeilchen heraus und nimmt die gemeinsame Vergangenheit gnadenlos ins Visier. Und nun entfaltet sich ihr ganzes Leben, dem der Leser/Hörer atemlos folgt: eine schlimme Geschichte von Liebe, Treue und Untreue, Versprechungen und gebrochenen Schwüren, von Verrat, Einsamkeit, Rache und Schuld, von Trauer und nicht heilenden Verletzungen bis hin zur Giftmischerei.


    Nives‘ Sprache ist ländlich-direkt. Vor allem ihre originellen plastischen Vergleiche bringen den Leser trotz des bitteren Inhalts immer wieder zum Lachen. Dabei überschreitet der Autor aber nie die Grenze zum Obszönen.


    Das Telefonat endet mit der bitteren Erkenntnis, dass Nives ihr ganzes bisheriges Leben als vertane Chance verlebt und der Hochherzigkeit ihres Mannes keine Chance gegeben hat. Dieser eigentlich bittere Schluss wird vom Autor im letzten Satz ins Leichte überführt: das Huhn Giacomina kommt zu sich und legt ein Ei.


    Das Hörbuch wird eingelesen von Timo Weisschnur und Tanja Fornaro. Durch die beiden Stimmen wirkt der telefonische Dialog authentischer. Tanja Fornaro übernimmt am Schluss neben ihrem Part der Protagonistin auch den von Donatella, der Ehefrau des Tierarztes, und die Differenzierung der beiden Stimmen gelingt ihr mühelos.


    Fazit: eine originelle Erzählsituation, eine tiefgründige Geschichte.


    ASIN/ISBN: 3036958916

    Klappentext:


    In Bildern von enormer Eindringlichkeit schildert Serhij Zhadan, wie sich die vertraute Umgebung in ein unheimliches Territorium verwandelt. Mindestens so eindrucksvoll ist seine Kunst, von trotzigen Menschen zu erzählen, die der Angst und Zerstörung ihre Selbstbehauptung und ihr Verantwortungsgefühl entgegensetzen. Seine Auseinandersetzung mit dem Krieg im Donbass findet mit seinem Roman Internat ihren vorläufigen Höhepunkt. Ein junger Lehrer will seinen 13-jährigen Neffen aus dem Internat am anderen Ende der Stadt nach Hause holen. Die Schule, in der seine berufstätige Schwester ihren Sohn "geparkt" hat, ist unter Beschuss geraten und bietet keine Sicherheit mehr. Durch den Ort zu kommen, in dem das zivile Leben zusammengebrochen ist, dauert einen ganzen Tag. Der Heimweg wird zur Prüfung. Die beiden geraten in die unmittelbare Nähe der Kampfhandlungen, ohne mehr sehen zu können als den milchigen Nebel, in dem gelbe Feuer blitzen. Maschinengewehre rattern, Minen explodieren, öfter als am Tag zuvor. Paramilitärische Trupps, herrenlose Hunde tauchen in den Trümmern auf, apathische Menschen stolpern orientierungslos durch eine apokalyptische urbane Landschaft.


    Mein Hör-Eindruck:


    Der Plot ist eigentlich schnell erzählt: Pascha, ein Lehrer in den Dreißigern, holt seinen Neffen Sascha aus einer umkämpften Stadt zu sich nach Hause.


    Ort und Zeit werden nur marginal erwähnt: wir hören einmal den Namen der Stadt Charkiw, es ist Januar – man kann also davon ausgehen, dass der Roman im umkämpften Donbecken spielt. Es geht jedoch nicht um die Ukraine, es geht nicht um einen konkreten Krieg. Der Autor ergreift nicht Partei, er nimmt keine Schuldzuweisungen vor. Es geht in einem weiteren Sinn allgemein um die Schrecklichkeiten des Krieges, wie sie überall stattfinden können.


    Pascha, der Protagonist, ist ein völlig unpolitischer Mensch. Er ist Lehrer, Zivilist, hört keine Nachrichten, vermeidet eine politische Positionierung und mischt sich nirgendwo ein. Der Weg zu seinem Neffen und der Weg zurück nach Hause macht aus ihm einen anderen Menschen. Er durchläuft apokalyptische Szenerien, die an die Gedichte Georg Trakls erinnern. Dabei begegnet er Menschen, meistens Frauen und Kindern, und er erkennt, dass er handeln muss. Als Lehrer kommt ihm offensichtlich eine besondere Rolle zu; von ihm wird erwartet, dass er die richtigen und wichtigen Informationen hat, dass er Hilfe leistet und Sorge für die anderen trägt. In diese Rolle - eine Rolle, die Pascha bisher vermieden hat – wächst er jetzt Schritt für Schritt tatsächlich hinein.


    Der Roman führt uns eindringlich vor, was der Krieg mit Menschen macht. Hier gelingen dem Autor verhaltene und zugleich ausdrucksstarke Bilder, die sich dem Leser einprägen; ob das der durchschossene Mantel des tapferen Sportlehrers ist oder das klingelnde Handy eines Toten, der jeden Tag um 8 Uhr von seinen Kindern angerufen wird. Pascha begegnet auf seiner „Winterreise“ Menschen, die sich in Endzeit-Landschaften bewegen, die alles aufgegeben haben und nur das Notwendigste mit sich führen. Sie wissen nicht wohin, die Infrastruktur ist zusammengebrochen. Die Realität dieser Menschen besteht aus gegenseitigem Misstrauen, aus ständiger Angst, aus Sorge um die nächste Mahlzeit, aus dem dringenden Bedürfnis nach Wärme, aus Desinformation seitens der Regierung, Alarm und Beschuss, Verlust der Wohnung und der Lebensgrundlage, aus Begegnungen mit Soldaten, deren Zugehörigkeit nicht immer zu erkennen ist. Solidarität und Hilfe trifft er selten. „Kein Mitleid mit niemandem“ wird zum Mantra Paschas.

    Ein bitteres Fazit!


    Der Roman wird eingelesen von Frank Arnold. Seine klare, teilweise metallische Stimme passt zu den Schrecken, die der Roman erzählt. Frank Arnolds Vorlesekunst zeigt sich besonders in den Dialogpassagen, die er mit wechselnder Lautstärke und vor allem wechselnder Stimmfärbung perfekt gestaltet.


    Absolute Lese- und Hör-Empfehlung!

    ASIN/ISBN: 3518428055

    ASIN/ISBN: 3518428055


    Serhij Zhadan


    Das Buch bekam den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, und ich war skeptisch, ob das nicht "nur" ein politischer Preis ist. Gestern habe ich das Buch (Hörbuch) beendet und bin sehr beeindruckt. Es geht in keiner Weise um politische Propaganda, sondern um das, was der Krieg mit einer Stadt, mit den Menschen, mit Familien und auch mit den Tieren macht. Der Autor lässt seinen Helden durch eine apokalyptische Welt gehen, eine Welt, die an die Gedichte Georg Trakls erinnert. Ein sprachgewaltiger Roman.