Beiträge von dracoma

    bin gespannt auf weitere Bücher,

    Das sind so viele, die kann ich gar nicht alle einstellen, wäre auch zu langweilig.

    Nur ein paar noch:


    ASIN/ISBN: 3257236921

    F. Scott Fitzgerald, Der große Gatsby.


    ASIN/ISBN: 3518468499

    Juan Carlos Onetti, Das kurze Leben.


    »La vie est brève«, das Leben ist kurz, mürbe Chansonweisheit, nächtlich gesungen im Salon der Señora Mami in Buenos Aires. Juan María Brausen, illusionsloser Texter in einer Werbeagentur, möchte heraustreten aus seinem Leben, ein anderer sein. Nach einer schweren Operation seiner Frau macht er die Erfahrung, dass er nicht zu einer einzigen Existenz verurteilt ist. Hinter der dünnen Wand der Nachbarwohnung hört er die Lebensäußerungen der Prostituierten Queca, und in Gedanken wird er zu Juan María Arce, ihrem brutalen Geliebten. Zugleich phantasiert er sich in die Gestalt des Arztes Díaz Grey, Hauptfigur eines Drehbuchs, an dem er schreibt. Als Queca von ihrem Zuhälter ermordet wird, identifiziert Brausen sich mit dem Mörder und flieht, als Juan María Arce, nach Santa María, in die von ihm selbst entworfene Stadt, wo sich sein Weg mit dem von Díaz Grey kreuzt.

    Der Roman, der 1950 erschien, als Onetti in Buenos Aires Redakteur einer Nachrichtenagentur war, bildet den Grundstein seines Ruhms. Er hat bis heute nichts von seiner Faszinationskraft eingebüßt; in ihm tritt der Leser zum ersten Mal in die Welt von Santa María ein.



    ASIN/ISBN: 3446172491

    Elias Canetti, Die Stimmen von Marrakesch.

    Elias Canetti fährt Ende der sechziger Jahre gemeinsam mit Freunden nach Marrakesch. Die geheimnisvolle Stadt und das orientalische Leben fesseln ihn auf Anhieb. Er streift durch Marrakesch, besucht die Läden der Suks, den Kamelmarkt, lauscht den seltsamen Rufen eines bettelnden Blinden und fängt so den eigentümlichen Zauber der orientalischen Welt ein. Sein berühmt gewordenes Buch über die geheimnisvolle marokkanische Stadt ist ein Reisebericht ganz besonderer Art, in dem der Leser ebensoviel über Canetti wie über die fremden Orte und Menschen erfährt, von denen er detailliert erzählt.


    ASIN/ISBN: 3518374729

    Jorge Semprun, Was für ein schöner Sonntag!

    Eine Bücherkiste für mich von einer Bekannten, und hier ein paar Schätze daraus - neu, teilweise noch eingeschweißt, alle ungelesen. Da hatte jemand Großes vor, und dann ging ihm die Puste aus.

    Vermutlich geht mir das genau so!


    ASIN/ISBN: 3518391712

    Marcel Proust, In Swanns Welt.


    ASIN/ISBN: 3596158982

    E. M. Foster, Wiedersehen in Howards End.


    ASIN/ISBN: 3717522221

    James Joyce, Ein Portrait des Künstlers als junger Mann.


    ASIN/ISBN: 3937793542

    Claude Simon, Die Akazie.


    Das sind jetzt 4 von ca. 50 Büchern.

    Ich ersaufe grad in neuen Büchern...

    Vielleicht erst einmal ein paar von den Büchern, mit denen mich meine Freundin wieder versorgt hat. Sie ist der Bestseller-Leser, im Unterschied zu mir, aber ich nehme ihre "abgelegten" Bücher immer gerne.


    ASIN/ISBN: B0932C5PVR

    Anne Mette Hancock, Grabesstern.


    ASIN/ISBN: B0B886LBRB

    Thomas Piketty, Eine Kurze Geschichte der Gleichheit.


    ASIN/ISBN: B081SJS89D

    Rutger Bregmann, Im Grunde gut. Eine neue Geschichte der Menschheit.


    ASIN/ISBN: B06XCB6YY2

    Klaus Brinkbäumer, Gespräche


    ASIN/ISBN: 3770169697

    Raynor Winn, Wilde Stille.


    ASIN/ISBN: ‎ B07CJ32HWP

    Annie Ernaux, Erinnerung eines Mädchens.

    ASIN/ISBN: 3737101493


    Klappentext:


    Furchterregend klingt das Wort, das der zehnjährige Josef Ambacher aufschnappt: Sibirien. Die Erwachsenen verwenden es für alles, was im fernen, fremden Osten liegt. Dorthin werden Hunderttausende deutscher Zivilisten – es ist das Jahr 1945 – von der Sowjetarmee verschleppt, unter ihnen auch Josef. Kasachstan ist das Ziel. Dort angekommen, findet er sich in einer harten, aber auch wundersamen, mythenvollen Welt wieder – und er lernt, sich gegen die Steppe und ihre Vorspiegelungen zu behaupten.

    Mühlheide, 1990: Josef Ambacher wird mit seiner Vergangenheit konfrontiert, als nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine Woge von Aussiedlern die niedersächsische Kleinstadt erreicht. Seine Tochter Leila steht zwischen den Welten und muss vermitteln – und das zu einem Zeitpunkt, an dem sie selbst den Spuk der Geschichte zu begreifen und zu bannen versucht.

    Sabrina Janesch erzählt mitreißend und in leuchtenden Farben die Geschichte zweier Kindheiten, einmal in Zentralasien nach dem Zweiten Weltkrieg, einmal fünfzig Jahre später in Norddeutschland. Dabei spannt sie meisterhaft einen Bogen, der unbekannte, unerzählte Kapitel der deutsch-russischen Geschichte miteinander verbindet. Ein großer Roman über die Suche nach Heimat, die Geister der Vergangenheit und die Liebe, die sie zu besiegen vermag.


    Mein Hör-Eindruck:


    Sabrina Janesch entführt ihren Leser in eine Welt, die in Geschichtsbüchern eher marginal auftaucht und deren letzte Zeitzeugen allmählich aussterben. Sie stellt uns das Schicksal der deutschen Familie Ambacher vor, die vor Generationen in das Wartheland eingewandert war und von dort im II. Weltkrieg nach Sibirien verschleppt wurde – als Zivilgefangene, wie so viele andere deutschstämmige Familien auch. Janesch erzählt von der Verschleppung, dem Leben in Kasachstan und der Rückkehr nach Deutschland in ein Land, das den Rückkehrern fremd geworden ist.


    Die Autorin verteilt die Handlung auf zwei Zeitebenen und auf zwei Protagonisten, beides Kinder: einmal das Kind Josef, aus dessen Perspektive die Zeit in der kasachischen Steppe erzählt wird, und in der Jetztzeit ist es Josefs Tochter Leila, aus deren Sicht wir die Situation der Rückkehrer erleben.

    Die Art und Weise, wie die Autorin diese beiden Ebenen miteinander verbindet, ist bestechend flüssig und geschmeidig. Assoziativ reiht sie die Erlebnisse der beiden Kinder aneinander; ob es ein Sturm in der Steppe ist, der Schamane bzw. die Tante als Heilerin, der Wintereinbruch, der Schulbesuch – die Zeitebenen verzahnen sich bewundernswert leicht ineinander. Dadurch wird deutlich, welche Gemeinsamkeiten zwischen den Generationen bestehen. Beide leiden unter dem Trauma der Entwurzelung, beide fühlen sich fremd und ausgegrenzt, beide suchen letztlich nach ihrer Identität.


    In der Gegenwart kommt noch eine Facette hinzu. Was zunächst wie ein unmotivierter Kinderstreich aussieht – der Diebstahl von Zahngold -, entpuppt sich als Hinweis auf diejenigen, die für die Verschleppung und die Traumatisierung vieler Menschen verantwortlich waren: die Nationalsozialisten, deren Täter nach wie vor ungestraft unter uns leben. Hier schafft die Autorin mit Pawel eine wirklich beeindruckende Figur.


    Der Teil, der in der Steppe spielt, hat mir wesentlich besser gefallen. Hier gelingen der Autorin einfach schöne Bilder wie z. B. das Kind Josef, das heimlich Wörter aus dem verbotenen Deutsch sammelt und aufbewahrt, um seine Identität und auch die Verbindung mit seiner toten Mutter zu bewahren. Sie vermeidet auch jede Schwarz-Weiß-Zeichnung der Figuren, und damit gelingen ihr mit wenigen Federstrichen Bilder von menschlicher Solidarität über ethnische Grenzen hinweg, aber auch Verrat und Eigennutz.


    Der Jetzt-Teil gerät mir teilweise zu larmoyant. Die ständigen Klagen über die „schwere Kindheit“ und die grobe Ausgrenzung der Rückkehrerkinder – z. B. getrennte Sitzplätze in der Schule – wirken zu dramatisch. Zudem decken sie sich nicht mit meinen eigenen Wahrnehmungen.


    Das Hörbuch wird eingelesen von Julia Nachtmann: perfekt, ein großer Hör-Genuss!


    Insgesamt ein überzeugendes Buch, intelligent konstruiert.

    Lese- und Hör-Empfehlung!

    ASIN/ISBN: 380313353X


    Klappentext

    »Alleinstehend. Mit Hamster«, so beschreibt sie sich selbst. Suzu lebt in einer japanischen Großstadt. Unscheinbar. Durchscheinend fast. Der neue Job aber verändert alles. Ein umwerfender Roman über Nachsicht, Umsicht und gegenseitige Achtung: Herr Ono ist unbemerkt verstorben. Allein. Es gibt viele wie ihn, immer mehr. Erst wenn es wärmer wird, rufen die Nachbarn die Polizei. Und dann Herrn Sakai mit dem Putztrupp, zu dem Suzu nun gehört. Sie sind spezialisiert auf solche Kodokushi-Fälle. »Fräulein Suzu«, wie der Chef sie nennt, fügt sich widerstrebend in die neuen Aufgaben. Es braucht dafür viel Geduld, Ehrfurcht und Sorgfalt, außerdem einen robusten Magen. Die Städte wachsen, zugleich entfernt man sich voneinander, und häufig verschwimmt die Grenze zwischen Desinteresse und Diskretion. Suzu lernt schnell. Und sie lernt schnell Menschen kennen. Tote wie Lebendige, mit ganz unterschiedlichen Daseinswegen. Sie sieht Fassaden bröckeln und ihre eigene porös werden. Und obwohl ihr Goldhamster sich neuerdings vor ihr versteckt, ist sie mit einem Mal viel weniger allein. Milena Michiko Flašar hat eine frische, oft heitere Sprache für ein großes Thema unserer Zeit gefunden. Und sie hat liebenswert verschusselte Figuren erschaffen, die man gern begleitet. Ein unvergesslicher, hellwacher Roman über die ›letzten Dinge‹.


    Mein Lese-Eindruck:


    Die Autorin wendet sich in ihrem neuen Buch wieder dem Thema der Einsamkeit zu, dieses Mal dem sog. Kodokushi, dem „einsamen Tod“. Mit diesem Begriff bezeichnen die Japaner das unbemerkte Sterben eines Menschen, der erst Tage, Wochen, Monate nach seinem Tod aufgefunden wird.

    Suzu, die junge Protagonistin, befindet sich in einer Lebenskrise: ihr Studium hat sie aufgegeben, ihr Job als Aushilfskellnerin wurde ihn gekündigt, und weil sie Geld für sich und ihren Hamster braucht, landet sie eher zufällig in einer Reinigungstruppe, die die Wohnungen solcher Kodokushi-Fälle säubert.

    Wie die Autorin mit diesem düsteren Thema umgeht und wie sie es verknüpft mit dem Ausweg ihrer Heldin aus einer Lebenskrise – das hat mich begeistert.


    Wieder ein Buch der leisen Töne und der Zwischentöne.

    Das Thema ist wie in Flasars vorhergehenden Büchern wieder ein gesellschaftliches Thema, aber es wird heruntergebrochen auf die Entwicklung einer jungen Frau, die sich diesem Thema persönlich stellt und ihren Blick auf die Welt und ihre Mitmenschen ändert. Sie bewegt sich in kleinen Schritten, die in kleinen Schlaglichtern, einem kurzen Nebensatz aufleuchten, und es bleibt dem Leser überlassen, von diesen äußeren Handlungen auf das Innere der Heldin zu schließen. "Show not tell" in Reinkultur! Hier gelingen der Autorin eindringliche Bilder von großer Dichte und Aussagekraft, die gerade durch die zurückhaltende Erzählweise ein hohes Maß an Emotionalisierung bewirken. Und die lange im Gedächtnis bleiben.


    Die Sprache passt sich der noch jungen Protagonistin an, sie ist eher berichtend, frei von jeder Dramatik, unaufdringlich und zugleich leichtfüßig. Die Ich-Erzählerin verschont ihren Leser zwar nicht mit den eher grausigen Details ihrer Arbeit, aber es bleiben Details, die weiter nicht ausgewalzt werden. Alle Berichte von ihrer Arbeit lassen den tiefen Respekt spüren, den ihr Arbeitgeber von ihr und ihren Kollegen einfordert.


    Der ganze Roman vermittelte mir das Gefühl des leichten Lesens, aber immer wieder blättert man zurück und liest manche poetisch-schönen Stellen nochmals. Die Leichtfüßigkeit des Erzählens sollte nicht unterschätzt werden: der Roman ist kunstvoll konzipiert mit einer aussagestarken Rahmenkonstruktion, die sich besonders sinnfällig im 1. und letzten Satz zeigen.


    Eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der Ich-Erzählerin kommt Herrn Sakai zu, dem väterlichen Mentor: ein Mann, der zwar vom einsamen Tod lebt, aber alles dafür tut, um der Vereinsamung der Menschen in seinem Umfeld entgegenzuwirken.


    Und genau das tut die Heldin auch: sie wendet sich den Menschen in ihrem räumlichen und emotionalen Umkreis zu.

    Und das gilt nicht nur für Japan, denke ich.


    10/10 Punkte!

    Zur Autorin (Quelle: Fischer Verlag):


    Trude Teige bietet uns einen bewegenden Einblick in die Nachkriegszeit in Norwegen und Deutschland und wie das Schicksal auch die folgenden Generationen prägt. Ihr Roman »Als Großmutter im Regen tanzte« stand mehrere Jahre lang auf den norwegischen Bestsellerlisten; ihre Werke werden in viele Sprachen übersetzt. Trude Teige gehört zu den bekanntesten Journalistinnen und TV-Moderatorinnen Norwegens. Für »Als Großmutter im Regen tanzte« recherchierte sie auch in Berlin und Demmin.


    Klappentext:


    Eine starke Frau in dunklen Zeiten. Und eine junge Frau, die zurückschauen muss, um nach vorn blicken zu können.
    Als Juni ins Haus ihrer verstorbenen Großeltern auf der kleinen norwegischen Insel zurückkehrt, entdeckt sie ein Foto: Es zeigt ihre Großmutter Tekla als junge Frau mit einem deutschen Soldaten. Wer ist der unbekannte Mann? Ihre Mutter kann Juni nicht mehr fragen. Das Verhältnis zwischen ihrer Mutter und ihrer Großmutter war immer von etwas Unausgesprochenem überschattet.

    Die Suche nach der Wahrheit führt Juni nach Berlin und in die kleine Stadt Demmin im Osten Deutschlands, die nach der Kapitulation von der russischen Armee überrannt wurde. Juni begreift, dass es um viel mehr geht als um eine verheimlichte Liebe. Und dass ihre Entdeckungen Konsequenzen haben für ihr eigenes Glück.

    »Als Großmutter im Regen tanzte« erzählt davon, wie uns die Vergangenheit prägt bis in die Generationen der Töchter und Enkelinnen. Doch vor allem ist es eine Geschichte über die heilende Kraft der Liebe.

    Drei Generationen, verbunden durch die Liebe und ein tragisches Geheimnis der Nachkriegszeit


    Mein Lese-Eindruck:


    Trude Teige greift ein bis dato vernachlässigtes und vielen unbekanntes Thema auf: das Schicksal der sog. „tyskerjentene“, der „deutschen Mädchen“. Damit sind die Frauen gemeint, die während des II. Weltkriegs aus unterschiedlichen Gründen mit einem der deutschen Besetzer eine Liebesbeziehung eingingen. Sie wurden öffentlich geschoren und so als Volksverräterinnen gebrandmarkt. Damit verloren sie nicht nur ihre Ehre, sondern oft auch auch ihre berufliche Anstellung.


    Nach der Heirat verloren sie ihre norwegische Staatsbürgerschaft, d. h. sie verloren nun auch ihre Heimat. Lebten sie noch in Norwegen, wurden sie bei Kriegsende ohne richterlichen Beschluss in Lagern interniert und nach Deutschland expatriiert, da sie ja deutsche Staatsbürger waren. Erst ab 1950 wurde ihnen die norwegische Staatsbürgerschaft wieder zuerkannt, sofern sie sich in Norwegen niederlassen wollten.


    Man schätzt, dass ca. 50.000 Frauen betroffen waren; die Dunkelziffer dürfte hoch sein. Aus diesen Beziehungen gingen ca. 12.000 Kinder hervor, die in Pflegefamilien oder Heimen untergebracht wurden. Übrigens gab es auch Beziehungen zwischen Norwegern und deutschen Frauen, die jedoch unbeanstandet blieben.


    Das Ausmaß dieses Rechtsbruchs seitens der norwegischen Regierung wurde erst in den letzten Jahren bekannt. Wichtig war hier die Biografie der ABBA-Sängerin Anni-Frid Lyngstadt, die als Tochter einer „tyskerjente“ und eines deutschen Soldaten zur Welt gekommen war. Inzwischen erfolgte eine offizielle Entschuldigung.


    Trude Teige hat sich also ein sehr brisantes Thema ausgesucht. Sie verknüpft es mit der desolaten Situation des besiegten Deutschlands 1945 und dem Massenselbstmord in Demmin, einer Stadt in der sowjetisch besetzten Zone, einem ebenfalls lange Zeit verschwiegenen Thema.


    Die Handlung erstreckt sich über drei Generationen und zwei Zeitebenen. In der Jetzt-Zeit ist es die Enkelin Juni, die vor ihrem gewalttätigen Ehemann flüchtet und das Haus der lange verstorbenen Großmutter aufsucht. Bei der Sichtung des Nachlasses fallen ihr unerklärliche Fotos und geheimnisvolle Briefe in die Hände, sie ahnt ein dunkles Familiengeheimnis, und so beginnt sie ihre Recherchen zum Schicksal der Großmutter Thekla. Deren Geschichte wiederum wird als paralleler Handlungsstrang erzählt, sodass der Leser mehr weiß als die Enkelin. Der abrupte Wechsel der Zeitebenen führt am Anfang zu Orientierungsproblemen führt und hemmt den Lesefluss.


    Die zentrale Figur des Romans ist die Großmutter Thekla. Ihre Enkelin Juni bleibt eher blass, noch mehr aber Lilla, die Vertreterin der Zwischengeneration: eine Frau, die sich weder mit ihrer Mutter noch mit ihrer Tochter versteht und zur Alkoholikerin wird. Offensichtlich wurden die traumatisierenden Erlebnisse der Großmutter unreflektiert an die Tochter und wiederum an die Enkelin weitergegeben („transgenerationale Traumaweitergabe“). Zwischen Enkelin und Großmutter bestehen viele Parallelen, die sich nicht nur in biografischen Details zeigen (z. B. ungeklärter Vaterschaft), sondern sinnfällig werden in der Reise der Enkelin zu den Lebensorten der Großmutter und Zeitzeugen.


    Die Autorin hat gründlich recherchiert, das muss man ihr lassen. Die Vermittlung der historischen Wirklichkeit gelingt ihr aber weniger durch die Handlung als durch belehrende Gespräche: der Bürgermeister, der neue Freund und Nachbar, der zufällig Historiker ist und der wiederum einen kundigen Freund hat. Etwas mehr „show not tell“ hätte dem Roman Lebendigkeit verliehen! Die Situation der Bevölkerung im hungernden Berlin wird zwar in eindringlichen Bildern vermittelt, aber z. B. das tagelange Herumirren Theklas und erst recht der Besuch einer Entnazifizierungsverhandlung wirken aufgesetzt und unmotiviert.

    Der Schluss wirkt sehr enttäuschend: plötzlich ist er da, und der Roman rutscht ins Triviale eines Liebesromans ab. Leider.


    Fazit: ein wichtiges Thema, aber erzählerische Schwachpunkte.


    3,5 von 5 Sternen


    ASIN/ISBN: B0BJNB2RD3

    Zum Autor (Quelle: Verlag):


    Gabriel Herlich wurde 1988 in Frankfurt am Main geboren. Nach dem Besuch einer jüdischen Schule studierte er Betriebswirtschaft in Wien und Grenoble. Seit 2014 arbeitet er in der Tech-Branche und lebt mit seiner Familie in Hamburg. „Freischwimmer“ ist sein Debutroman.


    Klappentext:


    Es gibt Zeiten im Leben, auf die man zurückblickt und begreift, dass sie alles verändert haben – für Donnie Frey ist diese Zeit sein 21. Sommer. Eine einzige schicksalhafte Begegnung reicht aus, um Donnie völlig aus der Bahn zu werfen. Plötzlich sieht er sich mit Fragen konfrontiert, denen er bislang erfolgreich ausgewichen ist. Was bedeutet es, eigene Entscheidungen zu treffen und mit den Konsequenzen zu leben? Wie weit würde er gehen, um für seine Überzeugungen einzustehen? Antworten auf diese Fragen findet er dort, wo er sie am wenigsten erwartet hätte: in Zimmer 311 eines Altenheimes, auf dem Fahrersitz eines Buchanka und in einem malerischen Hotel in Südfrankreich.


    Mein Hör-Eindruck:


    Gabriel Herlich greift in seinem Roman ein Thema auf, das immerhin fast 80 Jahre nach Ende des Nationalsozialismus immer noch nicht erledigt ist: die persönliche Bereicherung der Nazigrößen und ihrer Familien an den Enteignungen jüdischen Eigentums und die mangelhafte bzw. fehlende Restituierung dieser Raubkunst bis heute. Eine empörende Situation, die Ferdinand von Schirach als „zweite Schuld“ bezeichnet.


    Herlich verbindet dieses Thema mit den Motiven eines Adoleszenz-Romans. Ein künstlerisch begabter Junge leidet unter seiner Isolation und findet Anschluss im falschen Milieu. Hier klingt ein dritter Themenbereich an: der nach wie vor existente Antisemitismus. Allerdings tritt er hier so grob konturiert auf, dass er nicht zu übersehen ist. Seine Vertreter sind alkoholfreudig, übergriffig, aggressiv, gewaltbereit und kriminell. Vielleicht gelingt es dem Autor in einem nächsten Werk, gerade den latenten und dadurch gefährlicheren Antisemitismus darzustellen? Dem Protagonisten gelingt die Lösung aus seinen unguten Verstrickungen, und er schwimmt sich buchstäblich und vor allem im übertragenen Sinne frei. Er übernimmt Verantwortung für sein Handeln und stellt sich auch den unbeabsichtigten Folgen.


    Nicht alle Handlungselemente überzeugen in ihrer inneren Logik. So gelingt z. B. der Diebstahl eines Schlüssels nur dadurch, dass die Haustür unverschlossen und der Schlüssel sich auch nur eine Armeslänge entfernt ist. Diese und andere Stellen habe ich aber gerne verziehen, weil mir die unprätentiöse, ruhige Art des Erzählens sehr gut gefallen hat. Ein beeindruckendes Debut!


    Die Stimme des Sprechers Heiko Grauel macht Nuancen im Text deutlich und verleiht den einzelnen Personen unterschiedliche Stimmfärbungen, ohne jedoch in ein Kammerspiel zu verfallen. Eine perfekte Einlesung!


    ASIN/ISBN: 386532830X

    An einer Besprechung zum neuen Buch von Milena Michiko Flasar wäre ich mehr als interessiert. "Sie nannten ihn Krawatte" ist mir in guter Erinnerung geblieben.

    Mir auch. Da habe ich zum ersten Mal von diesen Hikikomoris gelesen.


    Mir gefällt das neue Buch bisher sehr gut. Flasar greift wieder das Thema Einsamkeit auf; das scheint in Japan ein gesellschaftliches, strukturelles Problem zu sein.

    Dieses Mal geht es um den einsamen Tod von Menschen, die sozial isoliert sind und meistens erst Wochen nach ihrem Tod aufgefunden werden. Es macht mich nachdenklich, dass es dafür in Japan ein eigenes Wort gibt: Kodokushi.


    Ich stelle mit Sicherheit meinen Lese-Eindruck ein; ich brauche dieses Bedenken für mich selber.


    ASIN/ISBN: 380313353X

    Auf der Bank vor unserem Haus stand kurz vor Mittag eine Umzugskiste, voll mit Büchern. Von einer

    Kollegin, und die hat sie wiederum von jemandem, der... und so fort.

    In der Kiste ist allerhand Frommes, aber auch jede Menge Bände aus der SZ-Bibliothek Weltliteratur, alle noch eingeschweißt - das ist doch was Feines!

    Jetzt habe ich einen Band mal mit ins Haus genommen.


    Carson McCullers, Das Herz ist ein einsamer Jäger.


    ASIN/ISBN: 393779333X