Beiträge von Wiesner19

    clear.gifDa muss ich dann jetzt auch meinen Lieblings-Trakl bringen :):


    Untergang


    Über den weißen Weiher

    Sind die wilden Vögel fortgezogen.
    Am Abend weht von unseren Sternen ein eisiger Wind.

    Über unsere Gräber
    Beugt sich die zerbrochene Stirne der Nacht.
    Unter Eichen schaukeln wir auf einem silbernen Kahn.

    Immer klingen die weißen Mauern der Stadt.
    Unter Dornenbogen
    O mein Bruder klimmen wir blinde Zeiger gen Mitternacht.

    Sehr schön analysiert und verwoben mit der eigenen Biographie übrigens in
    "Vor Feuerschlünden" , Franz Fühmann

    Wandle zurück, in die Fußstapfen tretend, in welchen die Menschheit ihren leidvollen großen Gang durch die Wüste der Vergangenheit machte: so bist du am gewissesten belehrt, wohin alle spätere Menschheit nicht wieder gehen kann oder darf.

    Nietzsche - Menschliches, Allzumenschliches


    Da ich gerade bei Nietzsche bin: Fand ich als Biertrinker immer witzig:


    Wie ist es eigentlich möglich, daß junge Männer, die den geistigsten Zielen ihr Dasein weihn, nicht den ersten Instinkt der Geistigkeit, den Selbsterhaltungs-Instinkt des Geistes in sich fühlen – und Bier trinken?

    Nachmittags im Garten Herbststimmung. Nietzsche fiel mir ein:


    "Dies ist der Herbst, der – bricht dir noch das Herz!"


    Ich liebte immer den genialen Gedankenstrich, weniger das Gedicht selbst. Storm ist mir bei diesem Thema viel näher:


    Der Nebel steigt, es fällt das Laub;

    Schenk ein den Wein, den holden!

    Wir wollen uns den grauen Tag

    Vergolden, ja vergolden!

    Und geht es draußen noch so toll,

    Unchristlich oder christlich,

    Ist doch die Welt, die schöne Welt,

    So gänzlich unverwüstlich!

    Und wimmert auch einmal das Herz -

    Stoß an und laß es klingen!

    Wir wissen's doch, ein rechtes Herz

    Ist gar nicht umzubringen.

    Der Nebel steigt, es fällt das Laub;

    Schenk ein den Wein, den holden!

    Wir wollen uns den grauen Tag

    Vergolden, ja vergolden!

    Wohl ist es Herbst; doch warte nur,

    Doch warte nur ein Weilchen!

    Der Frühling kommt, der Himmel lacht,

    Es steht die Welt in Veilchen.

    Die blauen Tage brechen an,

    Und ehe sie verfließen,

    Wir wollen sie, mein wackrer Freund,

    Genießen, ja genießen.


    Und ja, die Novellen, vor allem "Immensee", eine zarte und unglaublich schöne Geschichte. Aber auch die anderen, die ich las, waren stark, und ich werde mir diese hier bei Gelegenheit anhören.

    Schon damals immer mal wieder in Herrndorfs Blog geschaut, nun lese ich das Buch – mit großem Gewinn. Mehr als eine ergreifende Krankengeschichte: es geht über das Leben und das Sterben.

    Die besondere Tragik ist greifbar: Im Moment des Erfolgs ist der vitale, sportliche Mann in seinen Vierzigern urplötzlich dem Tode geweiht. Er, der das Leben liebte und bekannte, schon „vorher“ unter Thanatophobie gelitten zu haben, wird getragen in seinem langen Scheiden von einem großen Freundeskreis. Kommunikation war ihm das Wichtigste.

    Und ja, sie schienen das Leben in vollen Zügen zu genießen: Baden, Fußballspielen, Kino, Literatur, Ritte von Party zu Party. Der Autor einer zelotischen Gazette bezeichnete in einem Nachruf den Kreis um Herrndorf als „Bildungsprekariat“, womit er im Gegensatz zur ursprünglichen Bedeutung des Begriffes wohl meinte, dass die – mindestens literarisch – hochgebildeten Jungs und Madels erheblich weniger verdien(t)en als Jürgen Drews oder die Wildecker Herzbuben. Herrndorf schrammte in seiner Ein-Zimmer-Hinterhauswohnung finanziell immer knapp am Existenzminimum vorbei, Geld bedeutete ihm nichts, und als er nach dem Erfolg von „Tschick“ plötzlich „Geld wie Heu“ hatte, konnte er nicht mehr viel damit anfangen. Plante nicht noch ein Abenteuer der intensiven Art, eine Weltreise etwa, jetzt, da der Sensenmann an die Pforte klopfte, nein, er stürzte sich geradezu manisch in die Arbeit.

    Originelle Gedanken und hübsche Passagen, wie eingangs die rund um das Bekenntnis, den Blick früh schon auf die Vergangenheit gerichtet zu haben, Goethe fiel mir sofort ein, obwohl leicht deplatziert: „Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten, die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt“ , oder etwa sein gespaltenes Verhältnis zu Tellkamp (und den Quatsch, den Mann mit Thomas Mann auf eine Stufe stellen zu wollen), oder plötzliche, originelle Gedankenblitze, einmal auch um den in seiner Badewanne ertränkten Schopenhauer. Und natürlich um die Kankengeschichte selbst ...

    Auch ein Berlin-Buch. „Berlin war richtig“ meint er an einer Stelle. Na ja, da darf man durchaus anderer Meinung sein …

    Herrndorf hat unglaublich viel gelesen. Ich bin noch nicht ganz durch, glaube aber nicht, dass er einen Hinweis gibt auf das, was ich selbst lesen würde, wenn ich mich zur letzten Tat entschlösse: Seneca und Marc Aurel, und noch einmal den „Diskurs über den Freitod“ von Jean Amery.

    Herrndorf spricht von Caro-Kann. Schade, hätte zu gern mal gegen ihn Schach gespielt.

    Beide, das ist das Entscheidende, kamen aus unzugänglichen Regionen, aus irgendeinem »Jenseits«. Der eine aus jener Sphäre letzter Spiritualität, wo die Kulturen dreier Jahrtausende und zweier Erdteile ihr Symposion halten - der andere aus einem Dschungel weit unterhalb der Lotung letzter Schundliteratur, aus einer Unterwelt, wo dem zusammengebrauten Muff von Kleinbürgerhinterzimmein, Obdachlosenasylen, Kasemenaborten und Hinrichtungshöfen Dämonen entsteigen.


    Haffner - Geschichte eines Deutschen (hier gerade über Rathenau und Hitler :grin)

    22.50 BR

    "Mörderischer Vorspung"

    Vor der atemberaubenden Kulisse der Rocky Mountains entspinnt sich ein Kampf zwischen einem mörderischen Diamantenräuber und einem ungleichen Duo aus Polizist und Bergführer.

    Könnte nicht müde werden, diesen Streifen zu loben und zu preisen: äußerst gelungenes Buddy-Movie, Abenteuerfilm, Thriller, über weite Strecken auch Whodunnit. Regisseur Roger Spottiswoode gelang es, Hollywoodlegende Sidney Poitier noch einmal aus dem Bau locken. Tom Berenger, Kirstie Allie als gekidnappte Bergführerin, Clancy Brown – die Spiefreude der exzellenten Schauspierlerriege scheint nahezu mit Händen greifbar. Bestes Actionkino der 80er Jahre. Hochspannung, Witz, rasantes Tempo – ein Geschenk für Filmfreunde.

    "Nibelungentreue", "aussteigen", - das klingt hart nach entweder oder. Ich sehe das entspannt: 5 Minuten Thema und Kritiken vorher anschauen, dann wird entschieden.

    Manche Tatorte haben einen Bonus. Die Dresdner Crew z.B. gefällt mir ausgesprochen gut (und das tödliche Sächseln wird ausgespart). Denen gebe ich immer eine Chance.

    Nach 100 Jahren Hollywood lässt sich nichts Neues erfinden, mochte der Drehbuchautor gedacht haben, hat damit auch nicht ganz Unrecht und bedient sich schon für die Grundidee bei Hitchcock „Zwei Fremde im Zug“ bzw. bei der Vorlage von Patricia Highsmith.

    Das Verprügeln einer Leiche ist grenzwertig und wurde schon in „The Untouchables“ vom kanadischen RCMP-Officer mit einem „Ich verabscheue Ihre Methoden“ kommentiert. Hier aber wie dort heiligt der Zweck die Mittel.

    Dass die Bundeswehr in dem Streifen offenbar Produktionshilfe leistete, ist erstaunlich, das Bild des bravourös von Götz Otto dargestellten Frauenhassers in Soldatenkluft lässt sich nicht so einfach mit dem Ausrücken einer Fahrzeugkolonne samt markigem „Wir sind Kameraden“ zur Auffindung der Chefin auslöschen.

    Unrealistisch, könnte man meinen, die Motivation der Täter, doch es gibt sie tatsächlich, pathologische Frauenfeinde sogar jenseits verklemmter Psychopathen usw., die Incel-Bewegung und ihre widerlichsten Protagonisten, rechtsextremistische Attentäter, sprechen Bände. Sie alle kennen nicht den Satz des größten Philosophen unseres Zeitalters, Reinhold Messner, den ich selbst von ihm bei einem Vortrag hörte: „Frauen sind die besseren Menschen“.

    Das fiese, Überlegenheit heuchelnde Grinsen Ottos kontrastiert eindrucksvoll mit seiner Blödheit, zum Beispiel dem Anwalts-Rookie die Wahrheit zu erzählen, aber auch dies gab es schon in etlichen Hollywoodfilmen.

    Man hätte mehr draus machen können, von mir 6,5/10 auf der Richterskala.

    Der ultimative Segler-Roman ist „Das Rätsel der Sandbank“ von Robert Erskine Childers (übrigens auch ein faszinierender Typ. Seine letzten Worte vor dem Erschießungskommando: "Take a step forward, lads. It will be easier that way."[


    „Moby Dick“ - wohl so ziemlich das dramatischste Finale der Weltliteraur. Leider wissen die meisten Leser vorher schon, wie die Sache ausgeht … Moby Dick hat Längen, die man notfalls überlesen kann, aber kaum jemand hat das Meer in einer so epischen Breite beschrieben wie Melville. Grandios!


    „Der Seewolf“ Weichmann trifft die Inkarnation Nietzsches idiotischer Übermenschenidee. Bei uns hieß früher jedes zweite Boot „Ghost“ :), das sagt wohl alles ...


    „Das Meer: Gedichte" (Reclams Universalbibliothek). Passt in jede Hosentasche! Großartige Lyrik. Wenn dir also also bei einer Halse nicht der Großbaum gegen die Rübe knallte und du auch noch ein bisschen zusätzliche Meeresatmo haben willst, steck' es dir ein. ;):grin