... weil mir mein missglückter Urlaub noch
in den Knochen hängt.
Ein letztes Mal eine Solotour per Kanu
auf einem kanadischen Fluss, dachte ich mir, und vergaß einmal mehr,
wie alt ich schon bin. Ich bin ein wildniserfahrener Kanute und habe
schon Flüsse befahren, die sich selbst einheimische, erfahrene
Kanuten im besten Alter nicht getrauen zu fahren, aber es hat eben
alles seine Zeit. Gleich in der ersten Nacht auf dem Zeltplatz holte
ich mir was weg, denn es war saukalt, ganz selten dort um diese
Jahreszeit, fast ein Novum. Ich hatte mir das Wetter natürlich vorher
angeschaut, war verblüfft gewesen und davon ausgegangen, dass es nur ein ganz
kurzes Zwischenspiel war, aber ich sollte mich irren. Das ging noch
zwei Wochen so weiter. Ich fühlte mich mies, aber unbestimmtes Krankheitsgefühl hin oder her,
ich organisierte dann auch vor Ort die Tour, Stress, man darf nichts vergessen, ich kaufte mir ein gebrauchtes Kanu und fuhr dann - unvernünftigerweise - los. Just als
ich auf einem 60km langen See war, bekam ich eine akute Bronchitis.
Es gab kein Zurück, ich musste durch den verdammten See, bis der
Fluss wieder weitgehend den Transport des Kanus übernehmen würde.
Zu meinem großen Ärger fuhren 4x Motorboote an mir vorbei – mit
aufgeschnallten Kanus. Vor 15 Jahren, als ich das letzte mal vor Ort
war, gab es das noch nicht. Der Großteil der Kanuten lässt sich das
Kanu heutzutage eben einfach durch den See (keinerlei Strömung,
Bewältigung ausschließlich durch Muskelkraft) transportieren, um
erst danach einzusetzen. Die Zeit ist an dir vorbeigegangen, alter
Junge, dachte ich. Ich war durch die Bronchitis völlig entkräftet,
musste nach jedem Paddeltag einen Tag aussetzen, das Wetter war mies,
und als wollte es sich auch noch über mich lustig machen, hatte ich
auch noch Gegenwind (sehr selten dort), so dass ich teilweise kaum von der
Stelle kam. Als nach 7 Tagen (früher brauchte ich 1,5 bis 2) dann
der Fluss wieder übernahm, wurde es kurzzeitig schön warm und
regenfrei, und ich genoss die zwei Tage im schönsten Abschnitt des
Flusses (kristallklares Wasser), wiewohl immer noch entkräftet,
Auswurf usw. Dann regnete es wieder öfter, einmal fand ich Schutz in
einem kleinen Blockhaus. Ein Kanadier versuchte abends die Tür zu
öffnen, ich hatte sie zugezogen mit einem dafür vorgesehenen Faden. Ich bedeutete ihm zu warten, bis ich den Faden abgehängt hatte. Er stöhnte, aber ich hatte wenig Lust
auf einen Bären im Haus. Er schaute mich grimmig an und fragte, ob
ich da übernachten wolle, ich bejahte, er verschwand. Ich hatte ihn schon vorher gesehen, er war auch mit einem Kanu unterwegs. Hättest du
ihm doch anbieten sollen, auch dort zu übernachten, dachte ich noch, das gebietet die Höflichkeit, denn eine fette Regenwolke bewegte sich wieder in Richtung Blockhaus, ich rannte
hinterher, aber er war schon wieder weg. Am nächsten Tag ignorierten
mich die Kanadier, die ich immer mal wieder traf. Ich hörte heraus,
dass er ihnen irgendeine Schauergeschichte („er weigerte sich, ihn
da schlafen zu lassen“) vertickt hatte. Klar hätte ich ihn sofort
einladen müssen, aber er war ein unsympathischer Typ, tat auch
gleich drei Schritte rückwärts, als wir uns gegenüber standen
(viel Knoblauch , glaubte nicht, dass er da auch pennen wolle,
und er war ja vor allem nicht mal auf die Idee gekommen, einfach zu
fragen. Selbstverständlich hätte er da schlafen können. Das ist
doch klar. Auch genug Platz da drin. Man hilft sich immer in der
Wildnis. Aber ich bin nicht auf die Welt gekommen, um jedem die
Wünsche von den Lippen abzulesen.
Das gipfelte dann darin, dass 2x einer von den einheimischen Kanadiern vor mir herfuhr, offenbar um die besten
Angelplätze zu sichern. Einmal auch mein verlogener Besucher. Paddelte wie ein Wilder. Hätte
nicht viel gefehlt, und ich hätte ihn mir gegriffen, als er dann anlandete ...
So viel
übrigens auch zu menschenfreier Natur.
An größeren Säugetieren sah ich
außer ein paar Bibern und den üblichen niedlichen Squirrels –
nichts, Null, nada, niente. Das hatte ich auch noch nicht. Früher
war ich immer vielen Tieren begegnet: Elchen, Wölfen, Luchsen, Bären
… und das ist schließlich die Würze einer solchen Reise.
Apropos Squirrels: Auf dem Zeltplatz
bissen sie mir dann einen leeren Farbeimer durch (nutzte ich als
wasserdichten Packsack). Nicht schlecht, die Jungs. Sie hatten
beobachtet, wie ich einen Kanten Brot dort reinsteckte)
Auch der sorgsam gepflegte
Einzelgängermythos „Du und die Natur“ hatte sich – auch durch
die physische Schwäche infolge Entkräftung – in Nichts aufgelöst.
So einsam habe ich mich selten gefühlt. Ich hatte Depressionen, während mir früher immer das Herz aufgegangen war in
freier Natur. Dann rutschte ich einmal beim Anlanden aus und nahm ein
Bad im 5 Grad warmen Fluss. Knöchel dabei verrenkt, jede Menge
hübscher blauer Flecken usw. Mein Glück, dass ich die Heckleine
fest in der Hand gehalten hatte, sonst hätte ich noch das Boot
verloren – der absolute worst case. Schlimmer, als wenn mir das Bier ausgegangen wäre, was zum Glück nicht passierte
Auch der Mythos des legendären Flusses war längst passè. Ich kannte ihn ja schon. Trotz majestätischer Natur langweilte es mich mittlerweile schon fast. Warum zum Teufel bist du nicht woanders hingefahren? schalt ich mich. Es gibt noch genug interessante Gegenden, die man noch nicht kennt. O Mann!
In einem Dorf, eigentlich nur eine
Zwischenstation, brach ich dann ab, verscherbelte mein Kanu für
einen Appel und ein Ei, schenkte dem sympathischen Kanadier meine
Ausrüstung (war für ihn wie Weihnachten: Grillgitter, Gummistiefel, Plane, Schwamm, Leftovers wie Konserven, Öl, Salz, Zucker usw.) und buchte später in der
Landeshauptstadt um.
Hier angekommen, schlief ich erstmal
komplette 12 Stunden durch, während ich sonst mit Schlafstörungen
zu kämpfen habe – das sagt schon alles.