Steven Runciman - Geschichte der Kreuzzüge
"Deus lo volt"
(Gott will es)
(Papst Urban II. auf der Synode von Clermont 1095)
Eine britische Tradition in der historischen Wissenschaft hat schon früh im 19. Jahrhundert ihre große narrative Kraft entwickelt und auf diese Weise gelang ihr eine enorme populäre Wirkung in alle Leserschaften hinein. Sir James Cochran Stevenson Runciman (1903 - 2000), war solch ein "erzählender" Historiker. Sein Wissen um die Kreuzzugsgeschichte begründete sich vor allem durch seinen Lehrstuhl für Byzantinische Kultur und Geschichte an der Universität Istanbul, während der sein dreibändiges Standardwerk "Byzanz" entstand. In der Istanbuler Zeit begann Runciman sich intensiv mit der Geschichte der Kreuzzüge auseinanderzusetzen, ein Unterfangen, das in diesem vorliegenden Standardwerk zum Ausdruck kam, Grundlage auch seiner diesbezüglichen Vortragsreihe am Trinity College in Oxford. Bis heute gilt dieses Buch als der umfassendste Versuch, die verschiedenen Phänomene und die ihnen entsprechenden Deutungsversuche in einen einer historischen Fragestellung entsprechenden Kontext zu stellen.
Der Ausdruck "Kreuzzug" wurde erst im 18. Jahrhundert eingeführt, vorher sprach man von Kreuzfahrt oder, dem spirituellen Ursprung entsprechend, von "Pilgerfahrt".
- Das waren militärische Unternehmungen, um den christlichen Glauben unter den "Heiden" zu verbreiten, oder gegen "Ketzer" ( mhd.von Katharer) wiederherzustellen. -
Bis zur ersten Jahrtausendwende galt allgemein die kirchliche Auffassung, der offensive Krieg sei mit dem christlichen Gebot der Gewaltlosigkeit nicht zu vereinbaren. Vor allem durch die kirchliche Reform der cluniazensischen Bewegung (vgl. Bernhard von Clairveaux) und die damit erfolgte Steigerung der Spiritualität im 11.Jahrhundert setzte sich die Überzeugung durch, der Glaubenskampf sei ein berechtigter Krieg, den die abendländischen Ritterschaft zu führen habe.
Interessanterweise kam ebenfalls zu dieser Zeit im Reich des muslimischen Sultans Babyar und seines Nachfolgers Saladin der Gedanke des "jihad" auf, des "Heiligen Kriegs", der von den Gläubigen gegen die Ungläubigen zu führen sei. Eine Idee, die dem spekulativen Denken, geistigem Liberalismus und der vielfältigen Gedankenwelt der islamischen Welt bis dahin völlig fremd war.
Grundlagen für die Kreuzzugsidee waren also auf beiden Seiten neue Züge von geistiger Intoleranz und zunehmender Unfreiheit des Denkens.
Runciman stellt nun die wichtigsten vier Kreuzzüge chronologisch vor, erklärt die Vorgeschichte und lässt die Ereignisse "sich erzählen", entsprechenden einem Tatsachenbericht. Dabei hält er sich an die Quellen, d.h. die kirchlichen, die arabischen und die byzantinischen Augenzeugenberichte, die schriftlich oder überliefert vorliegen. Dabei ist die nötige Quellenkritik zu beachten. So können byzantinische (griechische) Übersetzungen oder Abschriften aus dem Hocharabischen vom Original erheblich abweichen, bzw. den Gegenstand im Ganzen verändert wiedergeben. Daher ist der textkritische Apparat mit Hinweisen auf die entsprechenden Kommentare im Anhang dieses Werks besonders umfangreich.
Beurteilung;
Es ist immer schwierig, einen "Klassiker" zu bewerten, ein solcher ist das vorliegende Buch ohne Zweifel. Die Abfolge der Geschehnisse ist lückenlos und umfassend dargestellt, es bleiben keine losen Enden, es bleiben keine Verwaschungen oder Auslassungen. Aber das hier voliegende Buch stammt aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, ist es "zeitgemäss"?
Wir sind es heute gewohnt, die historischen Fragestellungen daraufhin abzutasten, ob sie einer gewandelten Auffassung von Geschichtlichkeit noch adäquat sind. Wie ist die Verengung der Sicht auf den Dualismus Christentum - Islam zu bewerten? Ist der Text in seiner eindimensionalen Fragestellung schon "antiislamisch"? Ist die Fragestellung "eurozentrisch"?
Diese Problemstellung ist auch für den Historiker nicht immer eindeutig zu bewerten, schließlich bewegt er sich selbst ja ebenfalls in einer von seiner Zeit bestimmten "Position". Ich will als Ansatz die Konsequenzen Runcimans subsummieren, die er als Kenner der islamischen und der christlichen mittelalterlichen Welt zu sehen glaubte:
Der Konflikt um die Kreuzzüge war ein 'pars pro toto' für alle großen Konflikte der Menschheit.
Er hatte religiöse, politische, territoriale, ethnische und zivilisatorische Komponenten.
Für die islamische Welt waren die Kreuzzüge ein traumatisches Ereignis, dessen Spuren sich bis in die heutige Zeit verfolgen lassen. Aus dem Gefühl der kulturellen Überlegenheit heraus, war man in der islamischen Welt am "barbarischen" Abendland bis dahin wenig interessiert gewesen. Diese Einstellung schien sich durch die Erfahrungen während der Kreuzzüge noch zu bestätigen. Dagegen wuchs nun das Wissen um die abendländische Kampfstärke und die politischen Verhältnisse und Herrschaftsformen des Abenlands, was zu einer vielfältigen Politik der Abschottung führte, die nur durch Handelsbeziehungen durchbrochen wurde.
Das Abendland profitierte durch die Kreuzzugserfahrungen in der Erweiterung des intellektuellen und geographischen Horizonts.
Auf beiden Seiten stärkten die Kreuzzüge das eigene Selbstbewusstsein und das Wissen voneinander. Auf der muslimischen Seite waren sie der Initialgedanke zur politischen Einigung der zerstritten islamischen Welt unter Saladin und der Errichtung eines zentralistischen Mamlukenstaates.
Im Abendland traten nach den Kreuzzügen dagegen eher nationalistische Bestrebungen einem christlichen "Einigungsgedanken" entgegen.
Obwohl für das Abendland ein politischer Fehlschlag, wurden die Kreuzzüge in ihrer kulturellen und zivilisatorischen Konsequenz in der Literatur des Abendlands bis in das 19. Jahrhundert hinein überwiegend positiv bewertet, das änderte sich in der Rezeption erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Hier liegt für mich die Stärke von Runcimans Werk:
Er war in der Lage, die Sicht beider Lager in eine Gesamtschau einzuordnen, er konnte perzeptieren. Seine Wahrnehmung läßt Raum für Gedankenspiele und Interpretationen. Er moralisiert nicht und überlässt die Wertung seinen Lesern.(m/w/d)
Ein Klassiker also, der mit seinen über 1200 Seiten noch lange das Standardwerk über die europäischen Kreuzzüge bleiben wird. Und darüber hinaus von großer erzählerischer Kraft und farbiger Sprache, ein spannendes Geschichts- und Geschichtenbuch.
Das Runciman dabei auf eine wissenschaftliche Quellendiskussion verzichtet und das Werk ein Theoriedefizit aufweist, steht ihm dabei gut an, zu Gunsten der Lesbarkeit.
Mit gutem Gewissen gebe ich hier also 5 Sterne und meine Empfehlung an alle Geschichtsinteressierten.