Beiträge von evaczyk

    Die Oma unter Kleingärtnern

    Online-Oma Renate Bergmann ist zurück und in einem Berlin, in dem von Corona keine Rede ist, geht sie unter die Kleingärtner. Zwar ist die 82-Jährige gut damit beschäftigt, ihre vier Ehemänner oder vielmehr ihre Gräber zu gießen - aber was tut man nicht alles für gute Freundinnen, in diesem Fall Gertrud. Deren Lebensgefährte muss sich nämlich einer Bandscheibenoperation unterziehen. Doch wer kümmert sich in der Zwischenzeit um die Kleingartenparzelle?

    Klar, dass Renate Bergmann da nicht untätig bleiben kann und in gewohnt launigem Ton in "Fertig ist die Laube" die Welt der Kleingärtner kommentiert. Dass ihr Einsatz nötig ist, stellen die beiden Frauen schnell fest, denn in einer Laubenpieperkolonie herrschen strenge Regeln und so manchem ist die mit jeder Menge Metallschrott überlagerte Parzelle des Bandscheibenpatienten schon länger ein Dorn im Auge. Ganz besonders dem Verwalter der Kleingärtnergemeinschaft, den Renate noch als Platzwart von ihrem Campingabenteuer kennt....

    Die beiden rüstigen Damen aquirieren Helfer, zücken den Korn-Flachmann und krempeln die Ärmel hoch. Gewissermaßen nach dem Motto: Einmal Trümmerfrau, immer Trümmerfrau. Das Aufräumen der Parzelle kriegen sie jedenfalls hin, dann ist der gärtnerische Ehrgeiz geweckt. Zwischen dem Spießertum strenger Kleingartenregeln, in denen selbst die Höhe der Hecke normiert ist, und ökologischen Freigeistern, die am bei Neumond Unkraut jäten (oder war es Vollmond?) lernt auch die erfahrene Gräberpflegerin Renate einiges dazu. Nur was mit all den vielen Zucchini zu machen ist, die von Kleingärtner zu Kleingärtner "verschenkt" werden, bleibt nicht nur ihr ein Rätsel.

    Launig geschrieben in gewohnter Manier ist auch dieser Monolog der "Online-Oma" unterhaltsam zu lesen. Für ein paar Schmökerstunden in der Laube oder auf dem Balkon auch für Nicht-Gärtner geeignet.

    Detroit Noir

    Mit seinem Buch "Der gekaufte Tod" hat Stephen Mack Jones für mich einen Krimi mit Wow-Effekt geschrieben: Tough und hart, doch zugleich mit Wärme und Menschlichkeit, mit einem interessanten Protagonisten und einem Plot, in dem es um Korruption, Machtmissbrauch und den drohenden Untergang einer Stadt geht, ohne zu beschönigen oder zu resignieren. Geschrieben in einem lakonischen Stil, der manchmal von düsterer Poesie durchsetzt ist, ein Krimi Noir, der Schablonen vermeidet und atmosphärisch dicht ist, dazu spannend bis zum Schluss.

    In einer Stadt, aus der die wohlhabenden Weißen fliehen und in der sich die Latinos und die Afroamerikaner nicht gegenseitig über den Weg trauen, ist August Octavio Snow ungewöhnlich: Die Mutter stammte aus Mexiko, der Vater ein schwarzer Cop, der aus dem tiefsten Süden stammte und sich den Respekt der Nachbarn in Mexicantown erwarb.

    Auch August wurde nach seinem Dienst bei den Marines in Afghanistan Polizist, doch das ist Vergangenheit. Nach seiner Klage gegen seine Entlassung - er ermittelte gegen korrupte Kollegen bei der Polizei und in der Politik - ist er zwölf Millionen Dollar reicher und kehrt nach einem Jahr auf Reisen zurück in seine Geburtsstadt und nach Mexicantown in das Haus, in dem er aufgewachsen ist. Inzwischen hat er hier nur noch die Gräber seiner Eltern.

    Kurz darauf bittet ihn die Großunternehmerin Eleanor Padget, Vorkommnisse in ihrer Bank zu untersuchen. Das lehnt Snow up. Wenige Tage später ist die Frau tot, angeblich Selbstmord. Snow allerdings will nicht daran glauben. Ohne Auftrag oder Polizeimarke ermittelt er auf eigene Faust, versucht, über einen Hacker herauszufinden, ob etwas an der Bank verdächtig ist. Schnell stellt er fest, dass sowohl der CEO der Bank als auch FBI und Polizei nicht glücklich sind über seine Schnüffelei. Snow wird bald klar, dass er in mehr als ein Wespennest gestochen hat - und nicht nur sein Leben ist bald in Gefahr.

    Mit einem alten Freund und einem Ex-Soldaten, der noch seine Rolle im zivilen Leben sucht, muss sich Snow gegen Widersacher wehren und das Leben von Eleanore Padgets Tochter schützen. Gewissermaßen als Schwert in Gottes linker Hand, wie es an einer Stelle heißt. Wobei Snow auch im Rechtschaffenheit bemüht ist, das Viertel seiner Kindheit nicht aufgeben und Gangs und Drogen überlassen will. Ein jugendlicher Kleinkrimineller wird zu einem Projekt für ein anderes Leben und auch die mexikanische Familie mit problematischem Aufenthaltstatus beschäftigt den Ex-Polizisten.

    Es passt irgendwie, dass der große Showdown diese Detroit noir-Krimis ausgerechnet zwischen den katholischen Feiertagen Allerheiligen und Allerseelen stattfindet. Die Noche de los muertes, in der die Mexikaner ihrer Toten gedenken, an den Gräbern das Leben feiern, ist hier eine Nacht, in der vieles enden kann.

    Stephen Mack Jones nimmt seine Leser mit auf eine tour de force durch Detroit, mit immer wieder neuen Wendungen, mit reichlich Gewalt aber auch einer Perspektive einer gewissen Hoffnung. Und ich hoffe definitiv, mehr von diesem Autor zu lesen.

    So long, Marianne


    Eine der großen Liebesgeschichten der Popkultur, Flair der 60-erJahre und griechisches Inselleben in einer Künstlerkolonie - "Sommer der Träumer" bringt ein wenig Sonne und Wärme in den Corona-Winter. Fiktionalisierte Biografien sind ja seit einigen Jahren recht beliebt als Belletristik-Genre, ob es sich nun um Hemingways Ehefrauen, das Liebesleben von Eleanor Roosevelt oder in diesem Fall die 1960 auf der griechischen Insel Hydra lebenden Künstler handeln, allen voran der junge und noch unbekannte Leonard Cohen.

    In diese Künstlerkolonie lässte Polly Samson die 18-jährige Erica und ihren Bruder Bobby nach dem Tod der Muter und der Flucht vor dem schwierigen Vater stranden. Das Erbe der Mutter ermöglicht den beiden, unter griechischer Sonne zu leben, ohne sich ein Jahr lang um Ausbildung, Beruf und Geldverdienen kümmern zu müssen. Auf Hydra lebt bereits Charmain Clift, eine alte Freundin ihrer Mutter mit ihrem Mann - beide sind Schriftsteller - und drei Kindern, gewissermaßen die Queen der Künstlerkolonie aus Briten, Amerikanern, Schweden, Norwegern und anderen, die hier malen, dichten, Romane schreiben und vor allem reichlich feiern und übereinander herziehen.

    Eifersüchterleien und Affären, viel Klatsch und Alkohol und ein freizügiges Leben parallel zu der gleichsam als malerische Staffage dienenden konservativ-traditionellen Dorfgesellschaf prägen das Leben auf Hydra, in das auch Erica voll eintaucht. Hinter Unverbindlichkeit und scheinbarer Leichtigkeit lauert allerdings auch viel Unglück. Teil der Inselgesellschaft sind auch die Norwegerin Marianne, die von ihrem Mann verlassen wird und Muse des jungen Schriftstellers Leonard wird, während Ericas eigene Liebesträume zerplatzen, als sich ihr Freund Jimmy nicht als so monogam erweist, wie sie es sich gewünscht hätte.

    Trotz des vielversprechenden Settings bleiben die Personen des Romans, einschließlich Ich-Erzählerin Erica, eher oberflächlich. Was Erica letzlich aus ihren Erfahrungen mitnimmt, wie sie sich als Mensch entwickelt - das alles ist eher vage. Auch die unglücklich-getriebenen sind letztlich nur daueralkoholisiert und aggressiv, welche Dämonen sie auch bekämpfen mögen - das muss der Leser erraten.

    Angesichts der Tatsache, dass Erica später, als alte Frau, wieder auf Hydra lebt, wäre es interessant gewesen zu erfahren, wie sie nun auf das Leben von damals zurückblickt, ob sie das Auftreten der Ausländer in den 60-ern heute als respektlos gegenüber der einheimischen Bevölkerung bewertet oder eine kritische Einstellung zu der letzlich ziemlich ignoranten Künstlergesellschaft entwickelt hat.

    Sommer der Träumer ist leicht und locker zu lesen, mehr Tiefe hätte dem Buch aber gut getan.

    Leuchttürme, Katzen und Familienbande


    Es wimmelt nur so von Sprachbildern, literarischen Anspielungen und Exzentrik in Anja Baumheiers Roman "Die Erfindung der Sprache", geschrieben mit einem großen Herz für Exzentriker (und Katzen) mit viel grüner Hoffnungsfarbe. Eine Familiengeschichte der anderen Art mit einem sympathischen Antihelden und zahlreichen skurril-sympathischen Figuren. Das fängt schon an mit der Familie von Adam Riese, des hochintelligenten, aber ein wenig weltfremden Sprachforschers, der mit der ganz normalen zwischenmenschlichen Kommunikation so seine Probleme hat.

    Denn Großvater Ubbo ist ein bergsteigerbegeisterter Ostfriese, der in der Heimat naturgemäß wenige Höhen vorfindet. Bei einer Reise ins böhmische Altvatergebirge lernt der gelernte Bäcker die backbegeisterte Leska kennen und lieben. Auf der fiktiven ostfriesischen Insel Platteoog, die einer ausgestreckte Katze ähnelt. Mit wenigen Einwohner, die alle ihre liebenswerten Macken haben, erinnert Platteoog ein wenig an Lummerland, wenn es statt zwei Bergen auch einen Leuchtturm gibt, der stark restaurierungsbedürftig ist - was wiederum Hubert Riese auf die Insel kommt. der sich ähnlich aprupt in Ubbos und Leskas Tochter Oda verliebt wie einst die beiden ineinander.

    Adam, lange Zeit einziges Kind der Insel, kommt zwar als Frühchen auf die Welt und weigert sich lange zu sprechen, sonst aber ist alles lange Zeit Friede, Freude, Eierkuchen auf Platteoog. Bis Hubert eines Tages beschließt, auf dem Jakobsweg zu pilgern, aber nie zurückkehrt. Die Inselpolizistin forscht bei der Guardia Civil nach, der Inseldoktor bei spanischen Krankenhäusern, die Gebete des Inselpfarrers bleiben unerhört - und Oda verstummt irgendwann vor lauter Trauer. Was besonders problematisch ist, da sie auf dem Festland ausgerechnet die Ratgebersendung "Sprich dich frei" moderiert.

    18 Jahre später ist Oda immer noch stumm und Adam promovierter Linguist in Berlin, ein Mann, der nur Grau trägt und Routine braucht, so sehr seine temperamentvolle, tschechisch-deutsch radebrechende Großmutter auch versucht, ihn zu Speed-Dating zu überreden. Dann kommt ein alarmierender Anruf: Seit einem Besuch in einer Buchhandlung ist "Lage dramatisches Drama" - Oda weigert sich nun nicht nur zu sprechen, sondern auch zu essen.

    Einziger Anhaltspunkt: Das Buch einer gewissen Zola Hübner scheint Oda so traumatisiert zu haben. Adam recherchiert und findet eine Göttinger Logopädin, aus deren Leben sein Vater zwischenzeitlich ebenfalls entschwunden ist. Mit Zola, die einer Lisbeth Salander mit mehr Sozialkompetenz ähnelt, bricht er in deren altersschwachem Bully auf nach Bad Kissingen. Aus dem fränkischen Kurstädtchen war Hubert einst nach Ostfriesland gekommen. Wird es hier Hinweise zu seiner Vergangenheit geben, die Aufschlüsse über seinen Verbleib geben?

    Auf einer Irrfahrt durch Europa muss Adam über sich selbst und seine Ängste herauswachsen, buchstäblich bis ans Ende der Welt - nämlich Finisterre in der Bretagne. Dass auch die Plateooger Inselgemeinschaft ihn dabei nicht hängen lässt, versteht sich von selbst.

    Abenteuerlich, skurril und warmherzig begleitet Baumheier ihren Helden auf seiner Odyssee und als Leser bangt und hofft man mit. Ein liebenswert erzählter Roman mit Wohlfühlgarantie und allerlei Katastrophen und viel Optimismus.

    Vermisstenfall als Auftakt neuer Küstenkrimi-Reihe


    Ostfriesenkrimis gibt es schon reichlich, mit "Nordwesttod" hat Autorin Svea Jensen nun den Auftakt einer Nordfriesland-Serie veröffentlicht. Naturgemäß geht es also auch darum, den Rahmen für Folgebände zu setzen, die Hauptfiguren vorzustellen und Entwicklungspotenzial aufzuzeigen. Das merkt man, denn es geht mindestens ebenso so stark um die privaten Probleme der Protagonistien wie um das Berufliche, sprich den Kriminalfall. Und natürlich darf das Setting nicht zu kurz kommen, schon gar nicht, da der Konflikt zwischen (ausuferndem) Tourismus und Umweltschutz auch Teil des Plots ist.

    Die Zeichen stehen jedenfalls von Anfang an auf Neustart: Hendrik Norberg, der bisher Kriminalbeamter bei der Mordkommission war und seit dem Tod seiner Frau vor wenigen Monaten alleinerziehender Vater ist, steckt beruflich zurück und übernimmt die Leitung des kleinen Polizeireviers von Sankt Peter Ording. Aufgebrochene Ferienwohnungen und Kneipenstreitigkeiten statt Kapitaldelikten - das ist schon eine Umstellung, aber er will seine beiden Söhne nicht aus der gewohnten Umgebung reißen, zumal auch seine Schwiegereltern vor Ort leben und bei der Betreuung der Jungen helfen. (Hier stellt sich mir allerdings die Frage, wie er trotz auswärtigem Kripo-Job monatelang seine Frau pflegen konnnte)

    Neu im Norden ist auch Anna Wagner, vom LKA München an die Kollegen in Schleswig Holstein abgeordnet, wo eventuell eine eigene Einheit für Vermisstenfälle aufgebaut werden soll, ähnlich der, in der Anna gearbeitet hat. Die Amtshilfe in Kiel kommt ihr gelegen, hat sie doch eine schmutzige Scheidung hinter sich und der Ex weigert sich, aus dem Haus auszuziehen, bei dem es sich obendrein um ihr Elternhaus handelt. An Hendriks erstem Arbeitstag hat auch sie gerade angefangen zu ermitteln: Mitarbeiter der Seehundstation haben eine Kollegin vermisst gemeldet, die nach dem Urlaub nicht zur Arbeit erschienen ist.

    Die Ermittlungen gestalten sich schwierig, denn die vermisste Nina war sehr zurückhaltend, was ihr Privatleben angeht, Die Kollegen wissen nur, dass sie während des Urlaubs mit ihrer Familie sprechen wollte. Doch waren das die Adoptivmutter und Schwester eine Hoteliersfamilie mit Expansionen, die zum Bruch mit der Umweltschützerin Nina führten? Oder die biologische Mutter, zu der sie erst vor wenigen Jahren Kontakt aufnahm, die sie aber durch zu starkes "Klammern" wieder auf Distanz gehen ließ. Und was ist mit den beiden Männern, die in ihrem Leben eine Rolle spielen sollen?

    Für Hendrik ist die Anwesenheit Annas in Sankt Peter-Ording, die er zuerst als störend empfunden hatte, eine willkommene Gelegenheit, doch wieder kriminalistisch zu arbeiten. Anna wiederum ist angesichts von Deich und Salzwiesen nicht traurig darüber, nicht in Kiel am Schreibtisch sitzen zu müssen. Gibt es womöglich ein Arbeitsmodell, das ihr dauerhaft Präsenz an der Küste ermöglicht?

    Wer schon einmal in Sankt Peter Ording und Umgebung war, kann lesend Erinnerungen auffrischen - bei einem Regionalkrimi spielt der Lokalkolorit schließlich immer eine Rolle. Mit der langwierigen und oft unergiebigen Ermittlung in einem Vermisstenfall kommt natürlich weniger Tempo ins Buch als mit Verfolgungsjagden und Beziehungsdrama. Zudem gibt es einige Längen, die sicherlich zumindest teilweise dem Auftakt-Setting geschuldet sind. Solider Küstenkrimi, der Erinnerungen an Deichspaziergänge und Krabbenbrötchen weckt.

    Ein Mönch muss sich entscheiden


    Es gibt Bücher, die überraschen durch Stille und Unaufgeregtheit - und je mehr man sich auf sie einlässt, desto mehr geben sie zurück. "Aus der Mitte des Sees" von Moritz Heger ist so ein Buch. Stille ist gewissermaßen Bestandteil des Genius Loci, spielt die Handlung doch in einem Benediktinerkloster in der Eifel. Für Bruder Lukas, mit etwa 40 Jahren nicht mehr wirklich jung, aber auch noch nicht alt, ist der zum Kloster gehörende Vulkansee Ruhe- und Rückzugsort. Hier pflegte er mit seinem Mitbruder Andreas schwimmen zu gehen, mit dem er vor 16 Jahren in den Orden eintrat. Nicht nur das gemeinsame Noviziat verband - die beiden waren die jüngsten Mönche, Zeichen, dass das Kloster noch lebendig war, obwohl alle anderen Mönche schon deutlich älter waren.

    Doch jetzt ist Lukas alleine - Andreas verliebte sich in eine Frau, verließ das Kloster, seit kurzem ist er Vater und zu Beginn des Romans zögert Lukas mit dem Schreiben seiner Antwort an die junge Familie, fast als wolle er Andreas für seinen Treuebruch bestrafen. In dem ruhig erzählten Roman folgen die Leser Lukas in seiner Alltagsroutine und zu seinen Auszeiten am Steg. Die täglichen Gebetszeiten, das "Ora et labora" prägen den Klosteralltag im 21. Jahrhunderten ebenso wie einst im Mittelalter. Manches hat sich allerdings geändert. Es gibt einen Freundeskreis zum Erhalt der Basilika und zahlende Gäste, die im Kloster für ein paar Tage Rückzug aus ihrem Alltag suchen. Lukas ist der Gastbruder und damit für die Besucher zuständig.

    Ausgerechnet in den Tagen, an denen er mit sich ringt, was und wie er Andreas antworten will, wie er zu dem einstigen Mitbruder, ehemaligen oder immer-noch-Freund steht, tritt mit der Schauspielerin Sarah eine Frau in sein Leben. Keines von den Kloster-Groupies, die gerne mal einen Mönch verführen wollen. Und doch macht sie ihn neugierig, will er sich auf sie einlassen, mehr, als die Regeln erlauben. Ist für Lukas eine Liebe möglich, wie Andreas sie gefunden hat? Oder fühlt er sich an sein Gelübde gebunden, gerade in einer Zeit, da die Überalterung der Mönchsgemeinschaft die Zukunft in Frage stellt und er die Möglichkeit hätte, als Prior und rechte Hand eines neuen Abtes Verantwortung zu übernehmen?

    Der Mönch in der Lebensmitte und Lebenskrise - sein langjähriger Mentor liegt nach einem Schlaganfall im Sterben, Sarah lässt ihn eine neue Lebendigkeit spüren und steht zugleich für Möglichkeiten, die ihm auch Angst machen - hadert nicht mit seinem Leben, aber es spürt eine Nachdenklichkeit, die auch die Sprache des Buches prägt. Wenn ein Buch introvertiert sein kann, dann ist "Aus der Mitte des Sees" dies. Damit hat, meine ich, der Autor eine sehr angemessene Sprache für seinen Klosterroman gefunden, denn Kontemplation gehört schließlich auch zu Leben in der Klausur.

    Zugleich gibt Heger, der sich regelmäßig eine Auszeit im Kloster gönnt, Einblicke in eine Lebenswirklichkeit, die sich seit vielen Jahrhunderten nur wenig verändert hat. Das Schwimmen im See verbildlicht auch das Getragen-werden durch den Glauben der Mönche, die Schwärze des Wassers in der Nacht die Ängste und Zweifel. Dieses Buch ist wie eine Pause im hektischen Alltag und spricht gerade durch seine ruhige Art um so deutlicher.

    Ruhig und entschleunigt


    Von den Getreidefeldern und Milchfarmen des Mittleren Westens in die grandiose Bergwelt Montanas führt der Weg des Farmersohns August in Callan Winks Roman "Big Sky Country". Es handelt sich um eine entschleunigte, ruhig geschilderte Coming of Age-Geschichte aus dem Herzland der USA, einer Welt, die sehr weit entfernt ist vom Tempo der Metropolen an Ost- und Westküste. Das Leben, in das August hineingeboren wurde, ist einfach und geprägt von der Stille zwischen seinen Eltern.

    Der Vater, ein einfacher, ruhiger Mann, dem es schwer fällt, über Gefühle zu sprechen, der eine unsentimentale bis harte Einstellung zum Leben hat - Augusts erster Job besteht darin, die in der Scheune lebenden Katzen zu töten, mit den auf ein Brett genagelten Schwänzen als Beweismaterial für die "Gehaltsrechnung". Die Mutter, die aus einer wohlhabenderen Farmersfamilie stammt und von Bildung träumt, ihr Studium wieder aufnehmen will und im alten Wohnhaus ihrer Familie ein getrenntes Leben führt - bis sie eine Stelle als Bibliothekarin im Montana annimmt und mit August Richtung Westen zieht.

    High School, Football, Schüchternheit und eine verbotene Beziehung - August wächst im Westen zu einem ruhigen jungen Mann zusammen, der wenig redet, ein wenig ein Einzelgänger ist, keinen Ärger will und den Wert harter Arbeit schätzt - da ist er seinem Vater sehr ähnlich. Der Kontakt zwischen Vater und Sohn beschränkt sich zunehmend auf Telefongespräche, so sehr der Vater auch hofft, dass sein Sohn eines Tages die Farm übernimmt.

    Doch August, insofern ist "Big Sky Country" auch ein wenig ein moderner Western, ist schon der Schönheit und der Weite des Westens erlegen. Die Rinder der umöiegenden Ranches, die frei auf der Weide leben, scheinen ihm mehr Persönlichkeit zu haben als das Milchvieh seines Vaters. August wächst auf um die Jahrtausendwende, die Anschläge vom 11. September sind eine Zäsur seiner Highschoolzeit. Werber von Militär und Nationalgarde versuchen, die Jugendlichen der Schlussjahrgänge zu rekrutieren, an ihr patriotisches Gewissen zu appellieren - und einer von Augusts Mitschülern, der diesem Ruf folgt, kommt bei einer Sprengstoffexplosion ums Leben. Die Totenfeier, die außer Kontrolle gerät, ist für August auch der Anlass, seinen eigenen Weg zu finden, als Cowboy auf einer Ranch. Zu den Zugeständnissen an die Moderne gehört, dass er dort nicht hoch zu Ross, sondern auf einem Quad unterwegs ist.

    "Big Sky Country" ist unspektakulär und lebt von den Schilderungen von Weite und Einsamkeit, die sowohl innerlich wie auch äußerlich ist. Der Weg Augusts ins Erwachsenenleben ist gerade in seiner Alltäglichkeit nachvollziehbar. Was hängenbleibt, sind vor allem die Schilderungen eines Landes unter weitem Hommel, mit den Bergen als dramatischer Kulisse und teils exzentrischen Bewohnern, deren Eigenschaften in der Einsamkeit des Berglandes wohl noch zusätzlich ausgeprägt wurden,

    Koks am Strand


    Es geht schon dramatisch los in der "Baskischen Tragödie" von Alexander Oetker: Ein kleiner Junge findet am Strand ein Paket, lutscht etwas von dem daraus rieselnden Pulver, das er für Zucker hält und bricht vor den Augen seiner Mutter zusammen - bei dem Pulver handelt es sich um Kokain von hohem Reinheitsgrad. Luc Verlain von der Polizei in Bordeaux, der in dem Fall ermittelt, lässt die Strände sperren und kann so ähnliche Tragödien verhindern, denn es werden weitere Pakete an verschiedenen Strandabschnitten angeschwemmt. Zu diesem Zeitpunkt ahnt er noch nicht, dass er noch ganz unmittelbar mit dem Drogenschmuggel zu tun haben wird.

    Privat könnte es zu diesem Zeitpunkt kaum besser für Luc laufen: Amouk, seine Freundin und Kollegin, ist schwanger. Er ist überzeugt, sie ist die Liebe seines Lebens. Just in dieser Situation findet er einen anonymen Brief, in dem ihm mitgeteilt ist, dass er bereits Vater einer Tochter ist, Ergebnis einer kurzen Affäre, die schon Jahre zurückliegt. Mehr noch: Als Luc eine ins Baskenland führende Spur zu dem Drogenschmuggel verfolgen will, wird er festgenommen. Der Vorwurf: Er soll einen Drogenhändler entführt und ermordet haben, als Racheakt für einen Angriff auf Amouk.

    Rache, so erkennt Luc schnell, spielt überhaupt eine große Rolle - er wird bedroht, zum Kriminellen gestempelt, zu Dingen gezwungen, die er strikt ablehnen würde. Er ahnt, der Schlüssel ist in einem Mordfall in der Vergangenheit zu suchen. Mit einem psychopatischen Täter liefert sich Luc ein Katz-und-Maus-Spiel, das jederzeit tödlich enden kann. Schauplatz ist San Sebastian, die Hauptstadt des Baskenlands.

    Dort wo Oetker die Küstenlandschaften, die malerischen Gassen und die lokalen Spezialitäten schildert, ist "Baskische Tragödie" bildhaft und lebendig, macht neugierig auf Gerüche und Bilder der Region, Flüssig, aber eher reißerisch geschrieben, überzeugt der Roman nicht unbedingt mit Logik und Realitätsnähe. In der High Noon-Atmosphäre (auch wenn sich die Dramatik eher zu mitternächtlicher Stunde zuspitzt) hat Luc zwar eine Handvoll Verbündeter, muss aber als einsamer Wolf die letzte große Konfrontation suchen. Wer es mit nachvollziehbarer Handlung nicht so eng nimmt, dürfte sich dennoch mit viel Dramatik auf den Buchseiten gut unterhalten fühlen.

    Zwei Frauen und ihre Träume


    Manchmal kann eine Krise einen Befreiungsschlag auslösen. So jedenfalls in Rachel Joyce´s Frauenroma "Miss Bensons Reise". Denn Margery Benson, die Protagonistin dieses liebenswerten Romans über die Freundschaft zweier sehr ungleicher Frauen, ist in ihrem Lebenregelrecht eingefroren wie ein Käfer oder Schmetterling hinter Glas: Die Endvierzigerin unterrichtet seit 20 Jahren Hauswirtschaft an einer Mädchenschule. Es ist das Jahr 1950 und eine unverheiratete Frau in diesem Alter wird als "alte Jungfer" eher verspottet oder bedauert - von selbstbewusstem Single-Leben war damals noch nicht die Rede. Als Benson eine wenig schmeichelhafte Karikatur von sich findet, die im Klassenraum herumgereicht wird, ist sie so verstört, dass sie nicht nur aprupt aus der Schule flieht, sondern auch noch das Steifelpaar einer Kollegin mitgehen lässt. Den Job kann sie nun vergessen, nicht, dass er sie jemals ausgefüllt hat.

    Ausgerechnet an diesem Tiefpunkt erinnert sich Margery Benson an ihren Lebenstraum - den goldenen Käfer von Neukaledonien zu finden, den ihr Vater ihr in einem Buch gezeigt hat - vor seinem Selbstmord, der das kleine Mädchen und seine Mutter schwer traumatisierte. Margery Benson hatte eine einsame Kindheit, erfuhr weder Freundschaft und Liebe und wuchs in einem Wertesystem der britischen oberen Mittelklasse auf, in dem Emotion mit Schwäche gleichgesetzt wurden.

    Doch zu dem Zeitpunkt, als sie nichts mehr zu verlieren hat, erinnert sich Margery an den goldenen Käfer, an viele Jahre, die sie im Britischen Museum in der Abteilung für Entomologie verbracht hatte. Nun will sie sich endlich aufmachen ans andere Ende der Welt - weder tropenerfahren noch outdoortauglich, eine übergewichtige Frau mittleren Alters, die bislang nicht einmal von ihren Schülerinnen ernst genommen worden war. Da es auf einer Forschungsexpedition einiges zu schleppen gibt, will sie einen Assistenten oder eine Assistentin anheuern, doch als die auserwählte Kandidatin abspringt, muss sie kurzerhand eine bereits aussortierte Bewerberin anheuern, die es wegen ihrer abenteuerlichen Rechtschreibung nicht einmal zum Bewerbungsgespräch geschafft hat - tatsächlich findet die erste Begegnung der beiden Frauen unmittelbar vor der Abreise auf dem Bahnsteig statt.

    Sie könnten nicht unterschiedlicher sein: Die hausbackene, wenig lebenserfahrene Margery Benson und die kleine, aber um so auffälligere Enid Pretty, ein Marilyn Monroe-Verschnitt, die sich zwar als Männermagnet in unaufhörlicher Plapperlaune entpuppt, von Käfern und Forschungsexpeditionen aber keinerlei Ahnung hat. Doch auch sie hat, wie der Leser früher als Margery erfahren soll, gute Gründe, alle Brücken hinter sich abzubrechen.

    Es dauert, bis die beiden Frauen miteinander warm werden, doch nach Seekrankheit und Visaproblemen, buchstäblich am Ende der Welt im Dschungel, wächst zwischen den beiden Frauen eine Freundschaft. So sehr die jeweils andere nerven kann - sie brauchen einander, geben sich gegenseitig Stärke und Mut, überwinden gemeinsam Widerstände und Gefahren. Gerade die Szenen der Reise im Dschungel, immer auf der Suche nach dem goldenen Käfer und einmal buchstäblich im Auge des Zyklons, sind voller Naturschilderungen, die Farben, Gerüche und Geräusche des Dschungels vor dem inneren Auge entstehen lassen.

    Mitunter erinnert Miss Bensons Reise an Wohlfühl-Lebenshilfe-Romane, in denen es darum geht, dass jeder sich neu erfinden kann und schon alles gut wird, über den Wert von Freundschaft dass man niemanden nach dem Äußeren oder ersten Eindruck beurteilen sollte. Zugleich ist Miss Bensons Reise ein Abenteuerroman mit mitunter fantastisch anmutenden Elementen - dass jemand ohne Pass und Visum eine transatlantische Reise antreten und erst in Australien, dann in einer französischen Kolonie einreisen kann, entspricht jedenfalls eher Wunschdenken als Wirklichkeit. Und auch dramatische Wendungen sind inbegriffen. Das Ende dieser Reise ist unerwartet und macht nicht wirklich froh. Dennoch kommt auf den fast 500 Seiten keine Langeweile auf - Käferkunde inbegriffen.

    Vergessene Verschwörung


    Der kanadische Krimiautor Martin Michaud stürzt sein Ermittlerduo ebenso wie seine Leser in ein vielschichtiges Puzzle mit dem Roman "Aus dem Schatten des Vergessens". Spannend ist der mit 640 Seiten nicht gerade schmal geratene Band durchaus. Allerdings wäre an mancher Stelle weniger mehr gewesen, denn während Verschwörungstheoretiker ihre helle Freunde haben dürften, wirkt für alle anderen manches sehr weit hergeholt. Dass ausgerechnet der Mord an John F. Kennedy mit Verbindungen in die frankokanadische Provinz Quebec den Schlüssel zur Lösung einer Mordserie bieten soll - na ja.

    Und wenn wir schon mal beim Thema Plausibilität sind - Michaud gehört offensichtlich zu den leicht sadistisch veranlagten Autoren, die ihren Hauptfiguren ein geballtes Maß an Schicksal, Gewalt und Seelenleid aufbürden, vermutlich um sie um so interessanter zu gestalten. Victor Lessard, Mordermittler aus Montreal, ist auch so einer, wenn auch der größte Teil seiner dramatischen Vorgeschichte in vorangegangenen Romanen spielte und er hier nur mit diversen körperlichen und seelischen Blessuren davon komnt. Dafür ist Victor aber offenbar trotz fortgeschrittenen Alters ein Magnet für supersexy schöne und meist deutlich jüngere Frauen ist. Tja. Ist der Autor da noch spätpubertär oder schon midlifekrisengeschüttelt? Das ist mal wieder alles wie aus dem richtigen Leben. Und wie um den Kontrast noch größer ausfallen zu lassen, ist Victors Partnerin Jacinthe eine ständig futternde, übergewichtige, cholerisch veranlagte lesbische Frau, die als Mensch allerdings eher blass bleibt.

    Allerdings geht Michaud nicht nur mit der Holzhammermethode vor, zum Glück. Sowohl der Titel als auch das Leitmotiv - die Suche nach verlorenen Erinnerungen, die Frage manipulierter oder gelöschter Erinnerungen - dürften auch ein Stück weit an das "je me souviens" (ich erinnere mich) anspielen, dass als Motto der Provinz auf allen Autoschildern Quebecs steht, an die historischen Konflikte mit der anglokanadischen Mehrheit. Auf manches wird im Text sogar angespielt, aber ich fürchte, wie wohl viele deutsche Leser weiß ich einfach zu wenig über (franko-)kanadische Innenpolitik.

    Für das Lesen von "Aus dem Schatten des Vergessens" ist das auch gar nicht einmal nötig, denn für die Montrealer Ermittler geht es zunächst darum, was die Morde an einer renommierten Psychologin und dem Seniorpartner einer ebenso renommierten Anwaltspraxis mit dem Selbstmord eines bipolaren Obdachlosen zu tun haben, bei dem die Brieftaschen der Toten gefunden wurden. Dass die Lösung des Falls in der Vergangenheit liegt, macht eine weitere, in der Vergangenheit spielende Erzählebene klar, wobei erst sehr spät Licht ins Dunkel kommt.

    Viele Themen, in denen es etwa um Einfluss und Verflechtungen von Geheimdiensten, Politik und Wirtschaft geht, um die Manipulation von Wahrnehmung, um moralischen Kompass und ethische Konflikte, sind spannend und aktuell. Wer schon einmal in Montreal war, kann sich über viel Lokalkolorit und Ortsdetails freuen. Etwas kompakter und etwas weniger verschwörerisch hätte dem Roman allerdings gut getan.

    Agenten an der Spree


    Mit "Die Republik" hat Maxim Voland eine buchstäblich explosive und temporeiche Dystopie geschrieben, in der die Geschichte von Bundesrepublik und DDR völlig anders verlaufen ist als in unserer Realität. In dieser nicht allzu fernen Zukunft endete das Wendejahr 1989 nicht mit der deutschen Einigung. Statt dessen ist die DDR ein wirtschaftlich höchst erfolgreicher Staat, der seine Westgrenze zu Frankreich, Belgien usw hermetisch absichert und seine Bürger mit einer Vielzahl von Maßnahmen und Spitzeln überwacht. Von der Bundesrepublik hingegen ist nur "Deutschland-Berlin" geblieben, ein Ort der internationalen Spione, heruntergekommen und lediglich in der Mitte mit florierendem Nachtleben und einigem Wohlstand.

    Einen der Protagonisten, der desillusionierte Stasi-Oberst Gustav, hat jahrelang geholfen, diese Sicherheits- und Überwachungsmaschinerie in Gang zu halten. Offenbar mit stalinistischen Methoden, wie wiederholt angedeutet wird. Das Leben der Funktionäre in Wandlitz (das gibt es auch in der alternativen Roman-DDR!) stößt ihn allerdings ab. Angesichts dieses Ausverkaufs sozialistischer Werte denkt er an Republikflucht und einen Neuanfang mit seiner jungen Geliebten.

    Währenddessen bereitet sich in Paris der französische Dolmetscher Christopher auf eine kurze Reise ins Saarland vor - nicht für einen dienstlichen Einsatz, sondern um nach dem Tod des Urgroßvaters die unbekannte DDR-Verwandtschaft kennenzulernen. Seine Eltern sind einst in den Westen gegangen, Christopher selber sieht sich als Franzose und ist neugierig auf die unbekannte Verwandtschaft.

    In Berlin-Deutschland ist die MI6-Agentin Harper unterdessen eine Art weiblicher James Bond, amoureusen Abenteuern und Nebenjobs nicht abgeneigt und zur milden Verzweiflung ihres noch aus den Zeiten des Kalten Kriegen stammenden Vorgesetzten zu unorthodoxen Alleingängen neigend.

    Die Wege dieser drei Menschen kreuzen sich im Verlauf der Handlung auf dramatische Weise und zwingen sie trotz aller Gegensätze zur Zusammenarbeit. Eine Giftgasexplosion in Berlin bedeutet für Gustav nicht nur eine persönliche Tragödie, sondern zugleich die Beförderung zum Sonderermittler: Handelte es sich um einen Unglücksfall mit militärischen Altlasten oder um einen Terrorakt? Und gibt es noch weiteres Giftgas, das die Bevölkerung gefährden könnte? Von den einstigen sowjetischen Veteranen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs lebt kaum noch jemand, doch irgendwo soll es noch eine alte Karte geben...

    Schmutzige Geheimdienst-Intrigen, Kompetenzgerangel zwischen NVA und Stasi, russische Mafia und reichlich Gewalt prägen diesen Agenten-Thriller, bei dem man leicht den Überblick über die vielen Toten verliert. Der Autor drückt bei der Handlung stets aufs Tempo, und langweilig wird es dabei nie. Volkswitze, die wohl noch aus der "echten" DDR stammen, sind vielen der Kapitel vorangestellt und lassen ebenso schmunzeln wie die vielen Verweise auf einstmals real existierende DDR-Produkte und -Gewohnheiten, angefangen vom Goldbroiler bis hin zu den Rotkäppchen-Erzeugnissen, die mittlerweile eine echte Champagner-Konkurrenz sind. Für alle, die sich nicht mehr so genau an Interhotel und Konsum,Subbotnik oder Mitropa erinnern, gibt es im Anhang eine Erläuterung der DDR-Ausdrücke. Eine spannende Lektüre, die "was wäre, wenn...?"-Gedanken konsequent weiterentwickelt.

    Auf der Spur von Mädchenhändlern


    ls die 17-jährige Leila nach einem Streit mit ihrem Vater nicht nach Hause kommt, reagiert die Polizei gelassen auf die zunehmend panischen Eltern: Teenager und die Konflikte mit den Eltern könnten schon mal eskalieren. Bestimmt sei Leila bei einer Freundin und werde bald wieder auftauchen. Zumal sich herausstellt, dass Leila unglücklich über den Umzug der Eltern von Frankfurt auf ein Provinzkaff ist. Sie wurde aus ihrem Freundeskreis gerissen, findet die neue Umgebung blöd und spießig. Die Polizei sieht keinen Vermisstenfall - bis ein junges Mädchen in der Nacht auf die Autobahn läuft und überfahren wird. Auf der nahen Raststätte wird Leilas Ausweis gefunden...

    Die Privatdetektive Jan und Rica Kantzius werden Zeugen des tödlichen Unfalls. Jan hält die Hand des sterbenden Mädchens, dessen letzte Worte "Die Grube" sind. In ihrer Hand hat sie einen Zettel, der wie eine Bauskizze aussieht. Jan, ein Ex-Polizist und seine Frau, die als Studentin in die Hände von Menschenhändlern geriet und Zwangsprostituierte war, arbeiten für eine NGO, die Vermisstenfälle aufklärt. Das tote Mädchen weckt sowohl professionelle Neugier als auch Mitgefühl, Jan will den Eltern die letzten Worte ihrer Tochter mitteilen. Doch dann erwartet den Vater, der die Leiche identifizieren muss, die nächste Überraschung: Das tote Mädchen ist nicht Leila, auch wenn sie ihr vom Alter und Erscheinungstyp ähnelt.

    Die beiden Privatdetektive beschließen, zur weiterhin verschwundenen Leila zu ermitteln - zum Missfallen des leitenden Ermittlers, der Jan von früher kennt. Der Fall wird immer merkwürdiger, denn auf der Raststätte wird in einem ausgebrannten Wohnwagen die Leiche eines erschossenen Mannes zu tun. Halter des Fahrzeugs, der vor Leilas Verschwinden im Ort gesehen wurde, ist ein Mann, dessen Schwester vor einiger Zeit spurlos verschwunden ist. Währenddessen chattet, in einer anderen Stadt, die 17-jährige Maja mit ihrem Online-Freund, dem einzigen, der sie zu verstehen scheint, seit ihre Mutter mit ihr in eine neue Stadt gezogen ist....

    Zahlreiche Zeit- und Ortssprünge verdeutlichen, was der Leser schon längst ahnt: Die Umzüge und das Verschwinden der Mädchen hängen zusammen. Immer ist es ein bestimmter Typ, der verschwindet - hübsch, zierlich, langhaarig. Und auch, wenn Autor Frank Kodiak in "Amissa" explizit Gewalt schildert, wird der Missbrauch nur angedeutet - die Situation lässt ohnehin nur eine Schlussfolgerung zu.

    Mit Rica und Jan hat Autor Kodiak ein Ermittlerduo geschaffen, bei dem vor allem Jan wie ein "hard boiled detective" alter Schule auftritt. Mit seinen alles andere als zimperlichen Methoden liefert er zwar Resultate, fragwürdig bleibt so ein Held für mich aber dennoch. Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel. Rica wiederum ist studierte Informatikerin und talentierte Hackerin, stammt aus Haiti und zieht gerne mal die Rassismus-Karte, um sich gegen Leute durchzusetzen, die nicht gleich so spuren, wie sie will.

    Da der Thriller Start einer dreiteiligen Serie sein soll, bleibt am Ende noch einiges offen, dazwischen liegt durchaus eine Menge Spannung, was das Schicksal der verschwundenen Mädchen angeht. Allerdings bleibt das Ermittlerduo angesichts so viel Superpower irgendwie unrealistisch. Die Selbstjustiz-Attitüden von Jan sind schon ziemlich dick aufgetragen, und wie es Rica schafft, trotz Zwischenetappe Zwangsprostitution ihr Informatikstudium abgeschlossen zu haben, ist ebenfalls unglaubwürdig, wenn man bedenkt, wie lange die Traumata bei Opfern von Menschenhandel in der Regel anhalten. Na ja, ist eben Fiktion und keine Wirklichkeit. Herausgekommen ist ein solider Thriller, dessen (bisheriges) Ende mich allerdings nicht überrascht hat.