Beiträge von evaczyk

    Betrug, bunt wie Bollywood

    Bunt und wirbelig wie ein Bollywood-Film, absurd-komisch, liebenswürdig und mit zahlreichen verrückten Wendungen kommen die "Bekenntnisse eines Betrügers" vo Rahul Raina daher. In seinem Debütroman zeichnet er ein aberwitziges, pralles Porträt seiner Heimatstadt Neu Delhi, auch wenn er wie so viele der von ihm beschriebenen ehrgeizigen Mittelschichtsinder längst kosmopolitisch zwischen dem Subkontinent und westlichen Ländern unterwegs sind, in Rainas Fall Großbritannien.

    Ich-Erzähler Ramesh kommt aus einem Teil Delhi, in dem dieser Traum unerfüllbar scheint. Die Mutter starb bei der Geburt, aufgezogen wird er von seinem prügelnden, lieblosen Vater, kann als Kind kaum zur Schule gehen, da er für den Teestand des Vaters Gewürze mahlen muss. Dass er zum Betrüger, Entführungsopfer und Möchtegern-Kidnapper wurde, hat er letzlich dem Traum vom Bildungsaufstieg zu verdankem und einer Nonne, die ihm den Schulbesuch ermöglichte.

    Ein gerader Weg zum Erfolg wird Ramesh allerdings nicht zuteil - statt dessen schlägt er sich zu Beginn des Romans als "Prüfungsberater" durch - sprich, er absolviert gehen entsprechende Entlohnung die Abschlussprüfung für reiche, aber faule oder unbegabte Söhne der indischen Mittelschicht und ebnet ihne so den Weg an amerikanische, englische oder australische Universitäten. Die größte Angst wann wird er zu alt sein, um als Abiturient durchzugehen?

    Die große Wende kommt, als Ramesh so erfolgreich wie nie zuvor ist: Rudraksh (oder Rudi), der pummelige, unglückliche und emotional vernachlässigte Sohn eines Mittelschichtpaares, wird Zweiplatzierter bei den All-Indian Exams. Das der Beste aller Schüler einen muslimischen Namen hat, konzentriert sich die gesamte mediale Aufmerksamkeit auf Rudi, der zum Social-Media und Fernsehstar mit eigener Rateshow wird. Plötzlich führt der 17-jährige das Leben eines Rock-Stars, Sex und Drugs inbegriffen und Ramesh ist als sein Manager Fixer, Berater, Diener und Kindermädchen in einer Person.

    Als Rudi der Erfolg zu Kopf steigt und er in der Show einen Teenager grausam demütigt, hat das ungeahnte Folgen. Plötzlich müssen Ramesh und Rudi um Gefahr für Leib und Leben fürchten. Korruption, Materialismus, Social Media-Ruhm, kriminelle Energie und ein bißchen Liebe werden in die turbulente Handlung eingebracht. Ein Highlight sind die sarkastischen Reflektionen Rameshs über das moderne Indien, über die Gegensätze zwischen Arm und Reich, zwischen Ost und West, über die Härten des Lebens und die verbleibenen Träume. Dabei wird auch der Yoga- und Ayurveda-verklärte Blick westlicher Wohlstandsmenschen auf den Subkontinent auf die Schippe genommen. Die "Bekenntnisse eines Betrügers" sind unterhaltsam, spannend, lebendig und farbenfroh erzählt.Ein gelungenes Debüt!

    Eine Leidenschaft für Bücher

    Es hat lange gedauert, bis ich mit Irene Vallejos Buch "Papyros" fertig war - nicht weil es mir nicht gefallen hätte - ganz im Gegenteil! - sondern weil hier so viel drinsteckt, dass es am besten in kleinen Portionen genossen wird, ähnlich wie Schokolade mit ultrahohem Kakaoanteil. Da ist weniger mehr für den Genuss. Ein Buch über die Geschichte von Büchern und die Geschichte des Lesens und der Schriftstellerei - das war sofort etwas, was mein Interesse erregte. Und obwohl sich Vallejo auf die Welt der Antike konzentrierte, von Alexander dem Großen bis ins alte Rom, so ist "Papyrus" doch gleichzeit ein Galopp durch die Jahrtausende, mit aktuellen Bezügen, mit Streifzügen und Überlegungen.

    Für manche mag das ein wenig konfus sein - sind die persönlichen Erinnerungen und Gedankensprünge der Autorin, die sich vom ursprümglichen Thema fortbewegen, wirklich wichtig? Ich denke schon, denn auf diese Weise habe ich das Gefühl, auch Vallejo besser zu kennen, so wie eine neue Bekanntschaft oder vielleicht auch Freundin. Ja, sie schreibt viel über ihre eigenen Erfahrungen, aber sie macht das auf eine reflektierte Art und Weise, nicht so wie manche Autoren, die vor allem Seelenstriptease betreiben und selbstbezogene Nabelschau halten.

    "Papyrus" zu lesen, hat mich an die richtig guten Gespräche erinnert, für die man leider viel zu oft nicht die passenden Gesprächspartner hat - es fängt an einem Punkt an ünd springt munter in immer neuen Ideen und Gedanken - was mit antiken Feldzügen beginnt, führt über die Geschichte der Lyrik zu Philosophie, Feminismus oder Gedanken über verschiedene Gesellschaftsordnungen. Es gibt viel zu entdecken in diesem Buch, daher sollte man sich auch die Zeit dafür nehmen und häufig habe ich das Buch auch erst mal beiseite gelegt, um zu einem Thema etwas nachzulesen und zu recherchieren, um mich mit Vallejos Gedankengängen zu beschäftigen.

    Stellenweise hatte ich das Gefühl, hier redet beziehungsweise schreibt jemand über Situationen, die ich selber kenne, hat jemand Bücher ähnlich als verändernd, bereichernd und voll Leidenschaft fürs Lesen kennengelernt. Ich kann sie so gut vor mir sehen, die gemobbte junge Irene, die sich dank der Schulbibliothek aus dem unschönen Alltag fortträumen konnte auf Robnisons Insel, mit Hannibal die Alpen überquerte, in Büchern Freunde, Trost, Lehrer fand.

    In "Papyrus" gibt sie diese Erfahrungen weiter, gespickt mit historischen Anekdoten, Einblicken in die Welt der Griechen und Römer, aufräumend mit manchem Mythos über die Welt der Klassik. Apropos Klassiker - wenn sie die Werke klassicher Literatur vom staubigen Sockel holt und statt dessen mit alternden Rockstars vergleicht, die immer noch die Stadien füllen, kommt Lust auf, es doch mal wieder mit den alten Größen zu versuchen.

    Papyrus ist klug, ein Sachbuch, das nicht langweilt, sondern viele Anregungen gibt, Wissen auf durchaus unterhaltsame Art teilt und Neugier weckt, den Gedankengängen der Autorin zu folgen. Dass der Literaturanhang am Ende ausgesprochen umfangreich geraten ist, ist nicht verwunderlich. Dieses Buch hat seine Vorschusslorbeeren zu Recht erhalten.

    Auf Freundshaft und Tod

    "Todesfall" - der Titel des norwegischen Kriminalromans von Randi Fuglehaug ist wörtlich zu nehmen. Denn es geht nicht nur um einen Todesfall (wenig überraschend in einem Krimi) - eine Frau kommr buchstäblich durch Fall zu Tode, nämlich bei einem Fallschirmsürung. Vier verschworene Freundinnen, die nicht nur das gemeinsame Hobby verbindet, wollten sich mit ihrem Sprung in Trachtenkostüm an dem Extresportfestival in ihrem westnorwegischen Heimatort Voss beteiligen. Doch nur drei von ihnen kommen heil am Boden an. Die Journalistin Agnes Tveit, erst vot kurzem aus der Hauptstadt nach Voss zur dortigen Zeitung zurückgekehrt, gehört zu den Augenzeugnnen und berichtet über den Vorfall.

    Was zunächst noch wie ein tragischer Unfall aussah, entpuppt sich als Mord: Sämtliche Schnüre an dem Fallschirm wie auch am Reserveschirm waren durchtrennt worden. Die Springerin hatte nie eine Chance gehabt. Wer hatte ein Interesse an dem Tod der jungen Mutter? Agnes Tveit klemmt sich hartnäckig hinter die Ermittlungen, mehr, als ihrem Chefredakteur lieb ist. Hat der Tod der Frau mit einer 20 Jahre zurückliegenden Vergewalitgung zu tun? Und wieso wurde damals die Anzeige wieder eingestellt?

    An Tatverdächtigen und Hinweisen auf die Probleme der Vergangenheit herrscht kein Mangel. Agnes hat endlich mal wieder eine große Geschichte, nicht nur die Lokalthemen, die wenig prickelnd sind. Doch der Umzug nach Westnorwegen diente ohnehin nicht der Karriere, sondern dem Privatleben. Agnes und ihr Freund haben die Familienplanungsphase begonnen. doch es will einfach nicht klappen mit einer Schwangerschaft. Immerhin, in Voss wohnen Agnes´Eltern, die auch bei der Kinderbetreuung einspringen könnten.

    "Todesfall" streift auch die Kontraste zwischen Stadt und Land, zwischen dem Hauptstadtleben und dem ganz anderen Menschenschlag im Westen - das war mir bisher so gar nicht bewusst, also wieder was gelernt. Auch die Veränderungen der Medienlandschaft werden thematisiert, das Sterben der Printausgaben, die Hoffnung auf den Profit durch digitale Angebote, die Angst, plötzlich zu den "Alten" zu gehören, die als nicht mehr anpassungsfähig für die neue Zeit verallgemeinert werden und in die berufliche Sackgasse zu geraten drohen. Insofern steckt eine ordentliche Portion Realität in dem Buch.

    Mit der Figur der Agnes tat ich mir vor allem am Anfang schwer - zum einen verstößt sie gleich mehrfach gegen journalistische ethische Standards, wenn es ihr nur zum Vorteil dient, zum anderen erscheint sie mir gleichermaßen ichbezogen und selbstmitleidig. Während der Plot allerdings zunehmend dichter und komplexer wird, lässt sich das allerdings leichter ignorieren. Der Fall erfährt eine Wendung, die plötzlich alles in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt, Da führt die Autorin die verschiedenen Hinweise und Fäden gekonnt zusammen. Strahlefiguren gibt es hier nicht, wohl aber eineb interessanten Aufbau, der keine Langeweile aufkommen lässt und auch der spektakulären Landschaft norwegischer Berge und Wasserfälle ihren Raum gibt.

    Tod eines Arztes

    Sie ist 37 Jahre alt und hört die biologische Uhr ticken. Nach einer kürzlich gescheiterten Beziehung - der Ex teilte ihren Kinderwunsch nicht - sieht sich die Züricher Seepolizistin Rosa Zambrano ein wenig am Scheideweg. In ihrem Beruf, an dem sie sehr hängt, sind Schwangerschaft und Dienst unvereinbar, schon wegen der regelmäßigen Tauchgänge. Babybauch, Neoprenanzug und Unterwasserdruck - das passt nicht. Gleichzeitig wird die Sehnsucht nach Nachwuchs immer größer. Eingefrorene Eizellen sollen Zeit für eine Entscheidung schenken. Doch ausgerechnet der Arzt der Kinderwunschpraxis, bei dem Rosa in Behandlung war, wird tot aus dem See gezogen, mit Drogen im Blut. Ein Unfall im Rausch oder ein Verbrechen?

    Mit ihrem Kriminalroman "Tiefes, dunkles Blau" setzt die Schweizer Autorin Seraina Kobler schon mit dem Titel den Akkord, denn die Faszination des Wassers ist wie ein roter (oder vielmehr blauer?) Faden, der sich durch das Buch zieht. Immer wieder gibt es bildhafte Bechreibungen, die die Oberfläche des Zürichsee in der Vorstellung in der Sonne funkeln lassen. Überhaupt scheint dieses Buch mit allen Sinnen geschrieben, denn Rosa ist eine begeistere Hobbygärtnerin und -köchin, eine Feinschmeckerin und beim Lesen glaubt man zu riechen, zu schmecken, zu fühlen und zu hören. Neidisch frage ich mich, wie Rosa es schafft, einen vollen Arbeitstag mit soviel übrig bleibender Zeit für Garten und Küche zu erübrigen, doch die Vorstellungskraft wird beim Lesen angeregt.

    Der umfangreiche Familien- Freundes- und Kollegenkreis,den die Autorin präsentiert, verrät schon: Dieser Band um die Seepolizistin soll nicht der letzte sein und so manche Frage zum Privatleben der Ermittlerin bleibt ungelöst. Mit Themen wie open science, Gentechnik und der Verantwortung der Wissenschaft stellt Kobler Ethik- und Sinnfragen in den Mittelpunkt des Geschehens. Ihre Figuren sind erfreulich mehrdimensional und mitunter schillernde Charaktere, wie etwa die Chefin eines Escort-Service, die ihre Arbeit feministisch auslegt. Und auch im Fall des toten Arztes ist nicht alles so eindeutig wie es zunächst wirkte: Trennung von der Ehefrau, zahlreiche Beziehungen zu deutlich jüngeren Frauen beziehungsweise den Damen des Escort-Service, Drogen-Experimente - alles ein Fall von klassischer Midlife-Crisis in der Welt der Besserverdienenden?

    Einen Hinweis, wer hinter dem Tod des Arztes steckt, gibt Kobler schon früh. Der Spannung schadet das nicht, denn Motive, Methoden und Verbindungen lösen sich erst nach und nach auf. Für mich überzeugt bei "Tiefes, dunkles Blau" vor allem die bildhafte Sprache und die lebendige Schilderung, die das Kopfkino in Gang setzt und eine Vorstellung von Zürich mit seinen Licht- und Schattenseiten, von mittelalterlichen Altstadtgassen, Seeufer und Gebirgslandschaften heraufbeschwört. Ja, davon möchte ich in der Tat gerne einen Folgeband lesen,

    Schrill, queer und unterhaltsam
    Transfrau Vicki Victoria steht nicht nur fest im Leben, sie bewältigt es auch auf Stiletto-Absätzen - egal ob sie als V-Frau der Münchner Polizei unterwegs ist oder als Unterhaltungskünstlerin. Doch nun droht Ungemach in der Münchner Dachgeschosswohnung, wo Vicki sich nach einer eher freudlosen Jugend in der niederbayrischen Provinz neu erfinden konnte. Denn Toni Besenwiesler, der sie in der Schule, damals noch äußerlich ein Junge, grausam drangsalierte, ist aus dem Gefängnis ausgebrochen - und er schwört Vicki Rache. Sie, so glaubt er, hat dafür gesorgt, dass er einen Mord verurteilt wurde, den er nicht begangen hat.

    Ich-Erzählerin Vicki, die Protagonistin in Gloria Grays schräg-ironischem Cozy Krimi "Zurück nach Übertreibling" weiß: Mit dem Besenwiesler Toni kann man nicht diskutieren. Bleibt also nur die Flucht, doch schon das Treffen mit Clan-Chef Ahmet, mit dem der Geflohene ebenfalls eine Rechnung offen hat, endet exklusiv. Und dann wird auch noch die befreundete Nachbarstochter und Social Media-Influencerin Kathi entführt. Um das geplante Rache-Feuer zu löschen, bleibt Vicki nur eines übrig: Zurück nach Übertreibling, in das Heimatkaff, in dem alles begann.

    Der Ortsname Übertreibling ist hier Programm: Krimi-Realisten mögen sich die Haare raufen, Logik und Stringenz vermissen. Hier übertreibt die Autorin nach Herzenslust, eine Figur ist schräger und exzentrischer als die nächste, kein Klischee, das nicht genüsslich ausgereizt und auf die Spitze getrieben wird.

    Nicht genug, dass zum Personeninventar außer derb-rustikalen Niederbayern die Mitglieder einer tierliebenden Motorradgang, einer türkischen Clanfamilie mit ausgerechnet griechischem Nachnamen, teils faule, teils korrupte Polizisten und eine alternde Diva gehören. Vicki Victoria kommentiert alle Geschehnisse gewissermaßen in Dauerschleife, schweift dabei gerne mal ab zu philosophiert nebenbei über Gendersternchen und die Absonderlichkeiten der social media-Kultur. Meinungsstark ist sie allemal und niemals auf den Mund gefallen, selbst wenn das Fehlen einer Perücke eine mittlere Daseinskrise auslösen kann.

    Eigentlich klar, dass bei Vickis Hobby-Ermittlungen jede Menge Verwicklungen auftauchen und nichts ohne viel Drama geschehen kann, sozusagen mit Glitzereffekt und high heels Staccato. Je nach Gemütszustand des Lesers kann so eine Plaudertasche wie Vicki anstrengend sein oder erheiternd. Mit einem offensichtlichen Augenzwinkern geschrieben, sollte es auch so gelesen werden. Bei aller Exaltiertheit hat sich Vicki eine bajuwarische Offenheit bewahrt und das Herz stets auf dem rechten Fleck.Ich habe mich köstlich amüsiert und hoffe auf ein Wiedersehen mit Vicki Victoria. Immerhin: Im Oktober soll ein Folgeband erscheinen.

    Solider Nordseekrimi

    Mit "Nordwestnacht"hat Svea Jensen bereits den dritten Küstenkrimi um die bayrische Kripo-Beamtin Anna Wagner und ihren norddeutschen Kollegen Hendrik Norberg geschrieben. Ich erinnere mich, dass ich vom Serienauftakt mäßig angetan war, da der Fokus einfach zu stark auf dem Privatleben der gerade eingeführten Serienfiguren lag. Im dritten Fall des Teams in Sankt Peter-Ording ist die Balance ausgeglichener, auch wenn das Private weiterhin eine große Rolle spielt.

    Eine größere Role spielt diesmal der junge Polizist Nils Scheffler, der im Team ein bißchen die Rolle des begeisterungsfähigen Welpen hat. Sein Enthusiasmus ist noch größer, da er diesmal als Kontaktbeamter und Mann vom Fach zu den Dreharbeiten einer Filmserie abgestellt wurde und sich ziemlich in die neue Co-Hauptdarstellerin Julia verguckt hat. Das 22 Jahre alte bisherige Seriensternchen soll die Serie verjüngen und neue Zuschauerschichten anziehen, allen Streaming Trends zum Trotz. Die bisherige weibliche Haupdarstellerin, Mitte 50, fürchtet, sie solle ausgebootet werden. Und plötzlich ist Julia verschwunden.

    Nils glaubt an einen Stalker, doch von dem hat keiner von Julias Kollegen gehört. Als ein Produktionsasssistent, der ebenfalls neu im Filmteam ist, ermordet aufgefunden wird, steigt die Nervosität: Hat es jemand auf die Filmleute abgesehen? Gibt es Verbindungen zwischen dem Toten und der verschwundenen Schauspielerin? Was ließ vor Jahren eine Jugendclique zerbrechen, der auch Julia angehört hatte?

    Jugendwahn und Jahrmarkt der Eitelkeiten, ein tragischer Vorfall aus der Vergangenheit und aufgestaute Gefühle spielen in "Nordwestnacht" eie Rolle. Zwischen Ermittlungen und privaten Verwicklungen könnte der Spannungsbogen etwas straffer gespannt werden, Die Beschreibungen vin Sankt Peter Ordings Stränden und Umland hingegen lassen Urlaubsshensucht aufkommen. Alles in allem ein solider Küstenkrimi insbesondere für Nordseefans.

    social media-Auswüchse

    Auf den ersten Blick ist Delphine de Vigans Roman "Die Kinder sind Könige" ein Kriminalroman. Schließlich ist ein Kind, ein kleines Mädchen, verschwunden - vermutlich entführt. Die Pariser Polizei ermittelt und insbesondere die Polizeibeamtin Clara befasst sich mit mutmaßlichen Hintergründen und untersucht die Familiensituation. Und dabei wandelt sich der in der Gegenwart spielende Roman sehr schnell zu einem Gesellschaftsporträt und de Jahrmarkt der Eitelkeiten im 21. Jahrhundert.

    Denn Kimmy, das verschwundene Mädchen, ist ein social media Star, bereits im Vorschulalter wie ihr wenige Jahre älterer Bruder Influencerin. Beide Eltern haben ihren jeweiligen Beruf aufgegeben, um sich ganz der Karriere ihrer Kinder zu widmen. Mutter Melanie, die als schüchterner Teenager vergeblich vom Ruhm in Reality-Formaten träumte, ist über die Kanäle ihrer Kinder nun selbst zu einer Berühmtheit mit Fangemeinde geworden. Ihre Anhänger im virtuellen Raum sind für sie wichtiger als die meisten Menschen im realen Leben.

    Für Clara, eine eher introvertierte Frau, die sehr auf ihrer Privatsphäre bedacht ist, ist es ein Blick in eine komplette Gegenwelt, die sie bestürzt. Über ihre Fragen und Untersuchungen bringt die Autorin auch die ethische und rechtliche Problematik des social media-Hypes um Kinderein: Werden Rechte von Kindern verletzt, wenn sie derart daueröffentlich sind? Handelt es sich um Kinderarbeit? Ziehen die Kinderkanäle auch Pädophile an - und hat womöglich ein solcher Täter Kimmy in seiner Gewalt? Ist es ein Konkurrent oder radikaler Kritiker der sozialen Medien? Ist es womöglich auch eine Form des Kindesmissbrauchs, die eigenen Kinder derart ins Rampenlicht zu stellen, und was macht der Dauerhype mit einem Kind?

    Melanie ist die zeitgenössische Antwort auf Tennisväter und Ballettmütter, auf Eltern, die ihren Kindern den eigenen Lebenstraum aufdrücken. Welche Auswirkungen das haben kann, ist Teil des letzten Abschnitt des Buches, der zehn Jahre nach dem Verschwinden von Kimmy spielt. Präzise, genau beobachtend und empathisch beschreibt de Vigan zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und zwei Kinder, die ebenfalls auf ganz unterschiedliche Art mit einem Leben umgehen, das sie nicht wählen konnten. Die Schattenseiten des frühen Ruhmsund der gefilterten Internetpersönlichkeiten werden glaubwürdig und einfühlsam dargestellt.

    Es ist zu hoffen, dass dieses Buch viele Leser bekommt, ganz besonders auch viele junge Leser, die den kritischen Umgang mit sozialen Medien und Inluencertum (noch) nicht gelernt haben.

    Wilde Wendezeit in Dresden

    s ist Herbst 1989 und es gärt in der DDR, selbst im "Tal der Ahnungslosen". Der junge Volkspolizist Tobias Falck träumt von einer Karriere bei der Kriminalpolizei, als ein "ganz strammer" Genosse dürfte dem wenig entgegenstehen. Doch zunächst einmal hat er ganz andere Sorgen, als er mit seinen Kollegen nach Leipzig geschickt wird, wo die Montagsdemonstrationen immer mehr Menschen anziehen. Wie lange wird die Staatsmacht zuschauen? Wird es eine "chinesische Lösung" geben wie wenige Monate zuvor auf dem Platz des Himmlischen Friedens? Die Angst vor einem Schießbefehl - und der eigenen Reaktion - sitzt tief bei den jungen Polizisten.

    Mehr als ein Drittel von Frank Goldammers Historischem Kriminalroma "Schatten der Wende" spielt in den letzten Wochen der DDR, bis es dann eher unprätentiös so weit ist mit der titelgebenden Wende. Wenige Monate später trittt Tobias Falck seine erste Kripo-Stelle beim Kriminaldauerdienst in Dresden an. Er hofft auf eine DDR mit einem menschlichen Sozialismus, ist befremdet angesichts des plötzlichen Konsumrauschs, findet es selbst ein wenig peinlich, dass auch er sich seine 100 DM Begrüßungsgeld abgeholt hat.

    Sein teils abgeklärter, teils ruppiger Chef Eddie Schmitt ist leicht genervt von dem Neuen, die Kollegin Bach ist da schon lockerer im Umgang. Als eine westdeutsche Kollegin aus Frankfurt beim Kriminaldauedienst auftaucht und die Ost-Kollegen um Unterstützung bei der Suche nach einem Auftragskiller in Diensten des Rotlichtmilieus sucht, bringt dies die Dynamik in der Amtsstube ziemlich durcheinander. Der Obstkorb als Enführungssgeschenk kommt nicht so gut an und auch sonst sind die kulturellen Unterschiede zwischen Ost und West beträchtlich. Davon, dass zusammenwachsen soll, was zusammengehört, kann keine Rede sein. Die West-Frau ist erschüttert angesichts der schlechten Straßen und heruntergekommenen Häuser, die Ost-Polizisten fühlen sich angesichts des nassforschen Auftretens der Kollegin in ihrem Stolz gekränkt.

    Der Reiz an "Schatten der Wende" liegt vor allem darin, dass hier noch einmal die Ungewissheiten, aber auch die noch offenen Möglichkeiten zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung aufgezeigt werden. Für jüngere Leser ein Blick in eine Zeit, die ihnen vermutlich ziemlich schräg vorkommt, für die Älteren dürfte es Erinnerungen wecken an die Fragen, die sich wohl nicht nur Ostdeutsche wie Tobias Falck stellten: "Was kam jetzt auf sie zu? Was sollte aus ihnen werden, aus ihnen allen? Plötzlich war die Zunkunft offen, aber auch ungewiss. Plötzlich schien nichts mehr sicher."

    Das wird an anderer Stelle noch expliziter ausgedrückt: "Es kam ihm vor, als hätte er alles verloren. Sein Land, seine Ordnung, seine Orientierung, sein gesamtes Leben, wie er es bisher gekannt hatte. Auf einmal bestand alles nur noch aus Unsicherheit. Seine Gefühle, seine Gedanken waren ein einziges Chaor, von seinem Beruf ganz zu schweigen."

    Für einen, der so "stramm" war wie Tobias Falck, muss diese Erfahrung besonders einschneidend gewesen sein. Mir ist dieser Charakter dennoch eher fremd geblieben. So wenig hat er in Frage gestellt, so wenig angezweifelt, auch dort, wo er Möglichkeiten hatte, etwa im Rahmen seiner Ermittlungen auch andere Lebenswelten kennenzulernen. Und selbst die eigene Mutter "beichtet" ihm erst im Jahr 1990, dass sie mitunter Westfernsehen geschaut habe. Ist er damit eine Karrikatur, steht er real für viele DDR-Bürger seiner Generation? da fehlt mir einfach die Ost-Kompetenz. Als Blick in eine fast vergessene Zeit des Übergangs und neuer Perspektiven fand ich "Schatten der Wende" sehr spannend, auch wenn manches bei dem Fall, zu dem hier ermittelt wird, ein bißchen dick aufgetragen scheint.

    Ein Zimmermädchen in Nöten

    Sympathische Hauptfigur mit kleinen Marotten, ein paar herzerwärmende und ein paar schurkische Charaktere, ein toter Tycoon im Nobelhotel sowie Drogenhandel und Erpressung - all das bringt Nita Prose in höchst gelungener Weise in ihrem Debütroman "The Maid" unter ein (Hotel-)Dach. Molly Gray, 25 Jahre alt und Zimmermädchen im Regency, klingt eher wie eine 75-Jährige mit ihrer manchmal betulich-gewählten Ausdrucksweise. Was kein Wunder sein dürfte, denn die junge Frau ist bei ihrer Großmutter aufgewachsen, hat ihre Eltern nie kennengelernt unf führt eim höchst zurückgezogenes Leben.

    Enge Freunde hat sie nicht, hatte sie nie, was vielleicht auch an ihrer hundertprozentigen Ehrlichkeit und ihrer Probleme, Zwischentöne, Ironie oder Sarkasmus zu erkennen oder die Mienen ihrer Mitmenschen zu deuten. Molly, die vermutlich an einer Form von Autismus leidet, aber nicht erklärt, was sie "anders" macht als ihre Mitmenschen, Seit dem Tod der geliebten Großmutter ist Molly noch einsamer als ohnehin, auch wenn Mr Preston, der Hotelportier, ein väterliches Auge auf sie hält. Heimlich schwärmt sie für den Barkeeper Rodney, doch der übersieht sie meist ebenso wie die meisten anderen Menschen - wobei es für ihren Job als Zimmermädchen eigentlich schon fast ideal ist, gewissermaßen mit den Tapeten der von ihre sauber gehaltenen Zimmer zu berschmelzen. Und sauber sind die Räume, wenn Molly mit ihnen fertig - zurückgebracht in den Zustand höchster Perfektion, wie sie selbst sagt.

    Ein Hotel wie das Grand Regency hat viele Stammgäste, und dazu gehört auch das Ehepaar Black - er ist ein Immobilientycoon, Giselle seine zweite und 35 Jahre jüngere Ehefrau, die Anteil an Mollys Leben nimmt und für sie nicht nur wie eime Freundin ist, sondern dank üppiger Trinkgelder eine große Hilfe für das schlecht bezahlte Zimmermädchen, das nur mit großen Mühen das Geld für die Miete aufbringen kann. Ausgerechnet Mr Black liegt eines Tages tot in der Suite, die Tür zum Safe steht offen und ein Kissen fehlt.

    Für die Polizei ist Molly im Nu die Hauptverdächtige. Nach dem Motto: Der Mörder ist vielleicht nicht immer der Gärtner, sondern auch mal das Zimmermädchen. In dieser schweren Krise muss Molly erst einmal erkennen, wer ihre wahren Freunde sind, während sie notgedrungen selbst ermittelt, um ihre Unschuld zu beweisen.

    Dieser Cozy Krimi mag manchmal etwas märchenhaft daher kommen, wozu auch Mollys Art passt, die einfach nicht ganz von dieser Welt ist. Doch wo ihr Abgeklärtheit und Härte im täglichen Überlebenskampf abgeht, geht sie mit den Werten ihrer geliebten Gran, der beruflich perfektionierten Gabe, Schmutz aufzustöbern und zu beseitigen, und mit einer kleinen Gruppe von Helfern auf die Suche nach der Wahrheit.

    Ein liebenswertes Stück spannender Unterhaltung für alle, die Wert auf ein happy end legen und ein Herz für Misfits haben.

    Sufragetten und Serienmörder

    Sufragetten und Serienmörder - das ist der Rahmen in dem sich Henrike Engels historischer Roman "Die Hafenärztin" bewegt. Angesiedelt im Hamburg des Jahres 1910, also in die Zeit noch vor dem Wahlrecht für Frauen. scheint der Roman de Auftakt einer Serie zu sein. Denn es bleibt einiges offen zu der Hauptfigur, der Ärztin und Frauenrechtlerin Anne Firzpatrick, die trotz des angelsächsischen Namens eine Hamburger Reedertochter ist, heimlich und unter falschem Namen in ihre Geburtsstadt zurückgeommen ist, und sich nun als Ärztin im Hafen um diejenigen kümmert, die besonders schwer von prekären Lebensverhältnissen betroffen sind - die Arbeiterinnen, Prostituierten und ihre Kinder.

    Auch Pastorentochter Helene, die in großbürgerlichen Verhältnissen privilegiert aufwächst, will etwas tun, um die Verhältnise zu ändern, vor allem aber möchte sie als Frau selbstbestimmt leben. Da sie noch nicht volljährig ist, muss sie in ihrem konservativen Elternhaus allerdings um Kompromisse kämpfen. Als sie zur Eröffnung von Fitzpatricks "grünem Haus" heimlich in den Hamburger Hafen fährt, entdeckt sie die Leiche einer Frau. Es bleibt nicht die einzige Tote, und die Art, wie die Morde begangen wurden, weist auf einen Serientäter hin.

    Fitzpatrick ist alarmiert, denn auch das "grüne Haus", in dessen Nähe die Toten gefunden wurden und sie selbst scheinen die Aufmerksamkeit des Täters zu erregen - und das, nachdem die Ärztin bereits in England die Verbrechen des noch immer nicht gefassten Jack the Ripper erlebt hatte. Ob dessen Verbrechen in irgendeiner Weise mit ihrer heimlichen Flucht aus England zu tun hatten und worum es in der Fehde zwischen ihrem Vater und seinem einstigen Nachbarn ging - das bleibt in diesem Buch offen. Angesichts der vielen Andeutungen gehe ich davon aus, dass die eine oder andere Lösung dieser Rätsel in einem Folgeband gefunden werden soll.

    Der Polizist Bertold Rheydt wiederum, der ein privates Trauma mit reichlich Alkohol und körperlicher Verausgabung beim Fußball bekämpft, ist misstrauisch, was Fitzpatrick verschweigt. In welcher Verbindung sie zu dem Täter stecken könnte, bestimmt schon bald seine Untersuchungen. Doch der Fall enntwickelt sich bald zum Politikum, dient Gegnern der Frauenbewegung dazu, das Engagement der Frauen in den Armenvierteln der Hansestadt zu verunglimpfen. Auch auf die Ermittler wird Druck ausgeübt, sie sollen sich auf einen Verdächtigen aus dem Milieu konzentrieren. Rheydt hingegen ist überzeugt: Der Täter gehört den sogenannten besseren Gesellschaftsschichten an. Um ihn zu finden, ist heimliche Ermittlungsarbeit notwendig - in einem Wettlauf gegen die Zeit.

    Auch wenn das Buchcover erst einmal einen historischen Frauenroman nach Herz-Schmerz-Schema vermuten lässt: Hier steckt ordentlich Spannung mit einer Portion Sozialkritik. Gut und Böse sind zwar recht plakativ gezeichnet, doch langweilig wird es bei der Lektüre nicht. Ähnlich wie in den Romanen um die Berliner Hebamme Hulda Gold stehen Anne Fitzpatrick und Helene für Frauen, die sich mit den herrschenden Verhältnissen nicht abfinden wollen und auch die traditionelle Rolle als Ehefrau und Mutter nicht akzeptieren wollen. Ein bißchen Queerness ist auch noch dabei, um den Bruch mit herkömmlichen Lebens- und Verhaltensmustern zu verstärken. Manches ist ein bißchen dick aufgetragen, etwa die Dämonen, die de Polizisten Rheydt plagen. Trotz kleiner Schwächen aber ein Auftakt, der neugierig auf die Folgebände macht.

    Ein bisserl was fürs Herz

    Titel und Cover von Beate Malys historischem Ronan "Die Frauen von Schönbrunn" versprechen bereits: Hier gibt´s a bisserl was fürs Herz. Und so ist dieser in der Zeit des ersten Weltkriegs angesiedelte Roman etwas für Leserinnen (ich kann mir nicht vorstellen, dass sich besonders viele Männer angesprochen fühlen), die eintauchen wollen in eine Liebesgeschichte mit eher absehbarer Entwicklung und, klar, einem happy end.

    Wobei die Autorin nicht nur mit österreichischen Begriffen für Lokalkolorit sorgt, sondern auch durchaus moderne Aspekte einfügt: Die Hauptfigur Emma träumt nicht von ihrem Traumprinzen. sondern von einem Studium der Veterinärmedizin. Der männliche Protagonist, der dann klischeehaft blond und blauäugig sein muss, hat ein Kriegstrauma und ist für damalige Verhältnisse erfreulich tolerant: Er gibt Emma nicht nur Rückendeckung bei ihren Ideen, er geht auch ganz souverän und selbstverständlich damit um, dass sein Bruder schwul ist. Ein bißchen Sozialkritik angesichts des Leids der Bevölkerung und der Soldaten am Krieg ist auch noch dabei, wobei dies eher auf der emotionalen Ebene vermittelt wird.

    Ein bißchen schwülstig ist aus meiner Sicht ja der Untertitel: "Ein Leben für das Wohl der Tiere" - zumal Emma als Tierpflegerin in der Kaiserlichen Menagerie mit ihren 20 Jahren ja noch ganz am Anfang steht und eher bescheidene Möglichkeiten hat, sich für das Wohl ihrer Schützlinge einzusetzen. Immerhin, am Beispiel ihres Engagements für die Orang-Utan-Dame "Fanny" und in der Konfrontation mit dem Zoologen und Fiesling des Buches geht es um Fragen, die auch heute noch für Zoos und Tiergärten gelten: Wie können Tiere möglichst artgerecht gehalten werden? Wie sollten Gehege gestaltet sein, damit die Tiere nicht verkümmern? Und wie bringt man den Besuchern die Tierwelt nahe? Wird Emma noch belächelt wegen ihrer Überzeugung, auch Tiere hätten Gefühle und eine Persönlichkeit, gibt es heutzutage wissenschaftlich Forschungsarbeit zu diesem Thema.

    Zugegeben, der Plot ist so absehbar wie die Dramaturgie einer "Traumschiff"-Episode, aber die Autorin bemüht sich immerhin, ihren Figuren eine gewisse Tiefe zu geben und auch aktuelle Themen einzubeziehen. Für einen Unterhaltungsroman mit Liebe und Schmerz ist das nicht das Schlechteste.

    Kanada, das Partnerland der Buchmesse 2021, ist eine Einwanderungsgesellschaft - auch wenn man nur das Parlament in Ottawa sehen mus, um zu erkennen, wie sehr die angelsächsische Tradition das Land historisch geprägt hat. Dass de nördliche Nachbar der USA keine Monokultur ist, dafür stehen Autoren wie Anar Ali, die mit ihrem Buch "Nacht der Bestimmung" die Umbrüche und Lebenskrisen einer indo-afrikanischen Familie beschreibt.

    Ali ist Drehbuchautorin - das merkt man diesem Buch an mit seinen schnellen Szenen- und Zeitenwechseln. Das ist einerseits interessant zu lesen, sorgt aber andererseit für Wirbel und Stockungen im Erzählfuss. Manches, von dem ich gerne mehr gelesen hätte, bleibt so nur angerissen, die Skizze überwiegt vor mancher tiefgehender Schilderung.

    Mansoor Visram lebt seit 25 Jahren in Calgary in der kanadischen Prärieprovinz Albera - dem Teil des Landes, wo der American Way of Life, die Philosophie von Selfmademännern besonders stark ausgeprägt sind, anders als in jenen Provinzen etwa im Osten, wo man sich vom Nachbarn im Süden gerne absetzt. Mansoor liegt diese Denkensart nahe, sein Vater war ein erfolgreicher Geschäftsmann und auch für Mansoor ist Selbständigkeit dass große Ziel, als er nach der Vertreibung der indischstämmigen Bevölkerung unter Idi Amin aus Uganda fliehen muss.

    Ehefrau Layla hingegen findet ihren Kokon in der Community der Ismaeliten, einer muslimischen Glaubensgemeinschaft. Das kanadische Umfeld, so scheint es, ist ihr immer ein bißchen fremd geblieben, während Sohn Ashif sich ganz selbstverständlich als Kanadier fühlt - auch wenn ihm struktureller Rassismus nicht fremd ist.

    Das zunächst gezeichnete Bild einer harmonischen Familie und eines als Unternehmer erfolgreichen Einwanderers gerät ins Wanken, je mehr Einblicke und Perspektiven Ali zeigt. Nach und nach erschließt sich der Ursprung des gespannten Verhältnisses zwischen Ashif und seinem Vater, werden Lebenslügen und Verdrängtes offenbar. Mansches davon hätte auch ohne die Einwandererbiographie in einer seit vielen Generationen in Kanada lebenden Familie geschehen können, anderes beruht sicher auch auf dem Erwartungsdruck der neu Angekommenen, es in der neuen Heimat "schaffen" zu müssen. Wie Verletzungen über Generationen weitergegeben werden und wie Liebe auch schwere Enttäuschungen aushalten kann, das gehört für mich zu den Höhepunkten dieses Romans.

    Familien und Ideologien

    Familie kann man sich nicht aussuchen. Und dennoch heißt es: Blut ist dicker als Wasser. In Bernhard Schlinks ruhig und eindringlich erzählten Roman geht es um Familienbande und Verbindungen vor dem Hintergrund deutscher Teilung und Zeitgeschichte, um Loyalitäten und Liebe.

    Aus Liebe zu Kaspar, dem Studenten aus dem Westen, hat Birgit einst die DDR verlassen, auf abenteuerlichem Weg. Die Ost-West-Romanze endete glücklich und auch wieder nicht. Denn Kaspar, der für Birgit sein Studium aufgab und Buchhändler wurde und die Studentin aus der DDR heirateten zwar, liebten einander, doch für Birgit reichte das wohl nicht aus. Immer wieder bricht sie aus dem Alltag aus - ein anderes Studium, eine neue Ausbildung, eine zweite, eine Auszeit im Ashram. Sie kommt immer wieder zurück, aber sie trinkt viel, zu viel. Als Kaspar sie, beide sind mittlerweile in ihren 70-ern, eines Tages tot in der Badewanne findet, kommt zur Trauer die unbeantwortete Frage: War es ein Unfall oder ein Suizid?

    Als sich dann auch noch ein Verleger bei ihm meldet, erfährt er ganz Neues über seine Frau: Gedichte habe sie geschrieben, an einem Romanmanuskript gearbeitet, der Verleger würde die Arbeiten gerne veröffentlichen, lobt das besondere Talent Birgits. Für Kaspar, den Mann mit der Liebe zu Büchern, muss es sein, als ob er seine Frau noch einmal verliert: Birgit hat mit einem Fremden über ihre Arbeit an einem Buch gesprochen, aber nicht mit ihm. Auf der Suche nach Antworten durchsucht Kaspar, der Birgits Privatsphäre immer gewahrt hat, ihr Arbeitszimmer und stößt in der Tat auf ein Manuskript, dass ihm ein Geheimnis entschlüsselt, dass Birgit nie geteilt hat.

    Um in Birgits Interesse zu handeln und den Abschluss zu finden, den sie nicht geschafft hat, folgt Kaspar ihren Spuren vor der Flucht, findet die Freundin aus Jugendtagen, die Birgit zur Seite gestanden hatte, als diese noch vor der Flucht von einem anderen Mann schwanger war. Kaspar ist sicher, Birgit hätte ihre Tochte gesucht und auf eine Annäherung und Aussöhnung gehofft. Seine Suche führt den Mann, der Gedichte liebt, ausgerechnet in ein Siedlungsdorf von Rechtsextremisten und in die Familie der 14-jährigen Enkelin Birgits.

    Zwischen dem Mädchen und dem alten Mann ist fast von Anfang an eine Verbindung da, auch wenn die völkischen Parolen ihn schockieren. Kann er einen Weg finden, dem Mädchen einen Zugang zu einem anderen Denken zu zeigen, ohne dass die Verbindung sofort wieder abbricht? Kaspar entwickelt einen Plan, der das junge Mädchen zumindest zweitweise dem Einfluss ihrer Familie und Gemeinschaft entzieht.

    Haben junge Menschen, die in eine extremistische Gemeinschaft hineingeboren wurden und von frühester Kindheit an von deren Werten beeinflusst wurden, überhaupt eine Chance, ein eigenständiges Wertesystem zu entwickeln, oder wird das als Loyalitätsbruch gegenüber der Familie empfunden? Das ist eine der Fragen, die Schlink in diesem Roman umtreiben. Wie schon beim "Vorleser" geht es auch hier um Entscheidungen des Einzelnen und Verantwortung, um Werte, die je nach Perspektive ganz unterschiedlich beurteilt werden. Ein nachdenklich stimmendes und stimmiges Buch.

    Der Preis der billigen Pflegekräfte

    Die EU-Osterweiterung brachte für viele Menschen Hoffnungen auf mehr Wohlstand, Geld für eine bessere Zukunft, für Bildungschancen für ihre Kinder, für Träume von einem Morgen, die die Opfer von heute erträglich machten. Doch vor allem im Fall der Elternpaare und Frauen, die ihre Kinder bei Verwandten zurückließen, hatte die Erfüllung dieses Traums einen hohen Preis. Von "Euro-Waisen" war die Rede. In seinem Buch "Wenn ich wiederkomme", beschreibt der italienische Autor Marco Balzano eine rumänische Familie und die Härten, die die Arbeit der Mutter als Pflegekraft in Italien für alle bedeutet.

    Daniela geht heimlich nach Mailand. Ihr Mann, der wenig Unterstützung leistete, bleibt ebenso zurück wie die beiden Kinder, die 16-jährige Tochter, fleißig und zuverlässig, die unversehens in die Rolle der Ersatzmutter geschubst wird, und den zehnjährigen Sohn, der die Mutter für den als Verrat empfundenen Aufbruch mit Liebesentzug und immer größer werdenden materiellen Forderungen straft. Stabilisierender Faktor sind die Großeltern, die sich um die Kinder zu kümmern versuchen, aber aus Alters- und Gesundheisgründen nur begrenzt dazu in der Lage sind.

    In dei Abschnitten erzählt Balzano aus der Perspektive von Sohn, Tochter und Mutter und gibt Einblick in die Herausforderungen der Situation für jeden von ihnen,: Der Sohn, der in der Dorfschule Bestnoten hatte, fällt im städtischen Privatgymnasium rapide ab, kapselt sich ein. Als die ältere Schwester ein Studium beginnt und die strenge Aufsicht zu Hause wegfällt, fängt er an zu trinken und zu kiffen. Dann stirbt auch noch der Großvater, die männliche Identifikationsfigur und das Vorbild des Jungen, der am liebsten Bauer werden und das aufgrund der Emigration sterbende Dorf retten will. Die Schwester dagegen will raus aus dem Dorf, hofft auf ein bißchen Freiheit, fühlt sich überfordert mit der Verantwortung, die ihr in jungen Jahren aufgeschultert wird.

    Die Mutter wiederum macht als Fremde demütigende Erfahungen, muss sich durchbeißen, kämpft mit Einsamkeit und Heimweh. Die Videogespräche mit der Familie werden zum Symbol der Entfremdung und auch die Heimatbesuche können die wachsende Distanz schwer überbrücken. Als der Sohn nach einem Motorradunfall im Koma liegt. zwingt die neue Krise zu Entscheidungen und Neuorientierungen.

    Im Nachwort schreibt Balzano, er habe vor dem Schreiben ausführlich zur Situation der Migrantinnen recherchiert, Experten zu den Problemen der zurückbleibenden Familien, gerade auch der Kinder und Jugendlichen befragt. Durch die verschiedenen Perspektiven gelingt es ihm, die jeweiligen Probleme und Sichtweisen auszuleuchten. Die Menschen, die sonst unter dem Begriff "ausländische Pflegekraft" gesichtslos und anonym bleiben, werden so greifbar, wobei Balzano auf Sozialkitsch verzichtet. Mit Sympathie, aber respektvollem Abstand gibt er gar nicht vor, alles über seine Protagonisten zu wissen. Eher am Rande skizziert sind diejenigen, die von den billigen Arbeiterinnen aus Ost- und Südosteuropa profitieren.

    Balzano schreibt mit Empathie und offenem Blick von Träumen, Aufbruch und Scheitern. Es wäre schön, wenn sein Buch auch bei solchen Lesern landet. die sich gerne über Wirtschaftsflüchtlinge ereifern. Und es zeigt, was Migration nicht nur für die bedeutet, die aufbrechen, sondern auch für diejenigen, die zurückbleiben.

    Tragikomische Rentnergeschichte
    Das Leben des Rentners Walter Schmidt läuft seit Jahrzehnten in eingespielten Bahnen. Die Rollenverteilung zwischen ihm und Ehefrau Barbara war stets klar - Er ging arbeiten, sie versorgte Haushalt und Kinder. Seit er in Rente ist, mäht er vielleicht den Rasen, macht kleinere Reparaturen und geht mit dem Hund - ist es ein Wunder, dass es sich um einen deutschen Schäferhund handelt? - Gassi, während Barbara putzt, kocht und für den Haushalt zuständig ist. Bis zu jenem Morgen, als er Barbara im Bad vorfindet, mit einer blutenden Wunde und merkwürdig schlaffen Gesichtszügen.

    Normal wäre es vermutlich, nun einen Schlaganfall zu vermuten und den Notarzt zu rufen. Nicht so in Alina Bronskys tragikomischen Roman "Barbara stirbt nicht". Walter verdrängt die Krise - später wird sich herausstellen, dass er noch ganz andere Dinge verdrängt hat, , fühlt sich nur als Opfer, weil kein Kaffee gekocht ist. Er weiß nämlich nicht, wie das geht. Und wenn er mal ein Brötchen schmieren muss, lässt das Ergebnis auch zu wünschen übrig. Barbara legt sich ins Bett, und Walter tut erst einmal so, als sei dies nur eine kleine Störung der täglichen Routine.

    Doch während Walter über die Preise von Kaffee in der Bäckerei wütet und versucht, den Alltag fortzusetzen, bessert sich Barbaras Zustand nicht. Walter tut vor den Nachbarn, als sei alles okay, seine erwachsenen Kinder finden eher zufällig heraus, dass die Mutter krank ist, schwer krank, und zum Pflegefall wird.

    Im Arbeitszimmer findet Walter den Computer, den er stets gemieden hat, auf dem Barbara aber noch auf ihrer Facebook-Seite eingeloggt ist. Dort ist sie unter anderem in der Fan-Gruppe eines Fernsehkochs, auf den Haushaltsignorant Walter mittlerweile auch aufmerksam geworden ist. Obwohl er von sozialen Medien keine Ahnung hat, wird er mit seinen hilflosen Fragen nach Rezepten, Zubereitungsarten und den Tücken des Alltags als unfreiwilliger Hausmann zu einer kleinen Internet-Berühmtheit, ohne dass ihm dies überhaupt bewusst wird.

    Es ist ein Lernprozess für einen alten weißen Mann, der ebenso verärgern wie Mitleid erregen kann. Denn die Ansichten Walters sind schon starker Tobak. Wenn er andere verletzt, den eigenen Sohn eingeschlossen, merkt er es meist entweder gar nicht oder viel zu spät. Walter platzt in so ziemlich jedes Fettnäpfchen der Gender-, Identitäts- und Rassismusdebatten, und er findet auch nicht, dass er sich für irgendetwas entschuldigen muss.

    Und doch - während es Barbara immer schlechter geht und Walter vehement ablehnt, sie in ein Pflegeheim zu geben, während er nach und nach lernt, Barbaras Arbeit zu schätzen und über seinen Schatten zu springen, verändert die Krise auch Walter und das Verhältnis zu seinen Kindern.

    Alina Bronsky lässt ihr Buch zum Glück nicht auf ein zuckersüßes Friede-Freude-Eierkuchen Finale zusteuern. Walter bleibt ein herber Typ. Doch auf seine Weise versucht er, Fehler der Vergangenheit wieder gut zu machen. Walter ist nicht der Knuddel-Opa aus der Fernsehwerbung, aber auf seine Weise ein aufrichtiger Charakter, dessen Kanten nicht immer gefallen mögen und dessen Sprache alles andere als politisch korrekt ist. Aber er steht auch für den Glauben daran, dass jeder sich ändern kann, zumindest ein bißchen, und eine Chance verdient. Bronsky lässt den Roman ergebnisoffen, aber mit einer versöhnlichen Note ausklingen. Eine Krise kann auch ein neue Anfang sein.

    Blick zurück auf eine Jugendfreundschaft

    Eine norddeutsche Kleinstadt in den 1970-er Jahren, wo der Höhepunkt der Rebellion ist, im autonomen Jugendzentrum abzuhängen und zu kiffen. Für die (fast) 16 jährigen Freundinnen Kat und Easy ist das schon die kleine Revolte, die so manches Mal mit Hausarrest endet. Denn im Jugendzentrum gibt es nicht nur den netten aber nervigen Lothar, der immer freigiebig mit seinem Gras ist, da ist auch Fripp, der mit seinen 20 Jahren eigentlich schon ein alter Mann ist, aber den alle cool finden. Kat jedenfalls ist schwer verliebt und fällt aus allen Wolken, als ausgerechnet Fripp und Easy ein Paar werden. Unerwiderte Liebe tut immer weh, aber wenn ausgerechnet die beste Freundin die Auserwählte des Mannes ist, den ein Mädchen will, ist das natürlich noch mal so schlimm.

    Die Jungmädchenträume in der Kleinstadt, das Träumen von Aufbruch und neuen Erfahrungen hat Susann Pasztor in "Die Geschichte von Kat und Easy" glaubwürdig und sensibel eingefangen. Beim Lesen läuft quasi ein Soundtrack der 70-er Jahre Oldies, mit Räucherstäbchen, Patchouli und Outfit aus dem Indienladen.

    Auf einer weiteren Erzählebene führt der Roman in die Gegenwart. Auch Rebellen bekommen graue Haare und, im Fall von Kat, Arthritis in den Knien. Trotz ihren unter den digitalen Machern fortgeschrittenen Alters ist sie erfolgreich mit einem Lebenshilfe-Blog, gewissermaßen Sorgen- und Briefkastentante. Dann kommt ein Brief, der macht ihr klar: Hier kennt jemand die Kat hinter dem Pseudonym Mockingbird. Es geht nicht um die Sorgen und Nöte von Fremden, sondern es ist etwas Persönliches. Und das ausgerechnet zu einer Zeit, als Kat nach vielen Jahren wieder Easy trifft, in deren Ferienhaus auf Kreta.

    Sie haben sich einander entfremdet, obwohl sie sich einmal so nah waren. Zwischen ihnen steht immer noch Unausgesprochenes und die gemeinsame Urlaubwoche muss zeigen, ob Nähe und Vertrautheit wieder hergestellt werden können. Denn die Briefe and"Mockingbird" gehen weiter und verlangen nach Antworten - nicht nur im Blog, sondern auch auf Kreta.

    Mit leichter Hand und eher entspannt erzählt, geht es um die Versöhnung mit der eigenen Vergangenheit, mit der Frage, was eigentlich mal die Freundschaft ausgemacht hat und ob man sich immer noch was zu sagen hat. Ob manche Dinge vielleicht endlich mal ausgesprochen werden. Um Schuld und Vergebung. Auch wenn es um große Fragen geht, ist die Geschichte von Kat und Easy nicht allzu tiefschürfend, eher heiter mit einem Hauch von Melancholie. Auch wenn ich mir teilweise mehr erwartet habe, ein Buch wie eine Spätsommerbrise, in der schon der Herbst zu spüren ist.

    Seniorenquartett auf Mörderjagd

    Die Haare mögen schütter geworden sein, die Gelenke knarren und das Gehör hat auch schon mal besser funktioniert. Kein Grund, Senioren zu unterschätzen, und keinesfalls das betagte aber putzmuntere Quartett in Richard Osmans "Donnerstagmordklub" Die vier Bewohner einer exklusiven Seniorenwohnanlage im ländlichen Kent haben sich zusammengefunden, um unaufgeklärte Mordfälle zu lösen. Fälle, die einst Gründungsmitglied Penny, ehemalige Detective Inspector, mit in den Ruhestand nahm.

    Mittlerweile liegt Penny nach mehreren Schlaganfällen auf der Pflegestation. Ihre Freundin Elizabeth, die auf eine mysteriöse Geheimdienstvergangenheit zurückblicken kann, hat daher die ehemalige Krankenschwester Joyce zum Club dazugeholt - mit ihren medizinischen Fachkenntnissen und ihrer scheinbaren Arglosigkeit eine ideale Ergänzung. Dem Club gehören außerdem noch der einstige Psychiater Ibrahim an, der sich mit Schwimmen und Pilates fit hält und auch technisch auf dem neuesten Stand ist sowie Ron, der als "roter Ron" auf sämtlichen Barrikaden, Streiks und Arbeitskämpfen seit der Thatcher-Ära die Ärmel hochkrempelte und auch heute keinem Streit für eine gute Sache aus dem Weg geht.

    Die eher theoretische Aufklärung von "cold cases" aus Pennys Akten wird plötzlich zum heißen Fall, als ein Bauunternehmer tot aufgefunden wird. Zumal es sich nicht um irgendeinen Unternehmer handelt, sondern um den Mann, der mit dem Immobiliendeveloper Ian vor den Augen der Senioren einen Streit hatte. Und Ian will die Seniorenanlage auf dem Gelände eines ehemaligen Klosters erweitern. Für Kontroversen sorgt dabei, dass auch der "Garten der Ewigkeit", prosaischer der Friedhof des Klosters, plattgemacht werden soll. ...

    Skurril, exzentrisch und very british sind die Figuren dieses unterhaltsamen Kriminalromans, der bei allem Humor auch ernste Töne anschlagen kann, ohne jemals ins Kitschige oder Sentimentale abzugleiten. Da ist die Einsamkeit nach dem Tod des Partners und vieler Freunde, die Angst vor einer Demenz, der Kampf um Würde und Autonomie. Altsein ist nichts für Weichlinge, so viel ist klar.

    Ob Elizabeth als Meisterin der Manipulation die örtliche Polizeimacht für ihre Zwecke einspannt, Joyce Annäherung an einen einsamen Witwer sucht oder Ron sich um seinen Sohn, einen ehemaligen Profiboxer mit schillernder Vergangenheit sorgen muss - es ist schwer, die Senioren auf Mörderjagd nicht ins Leserherz zu schließen.

    Richard Osman hält die Handlung nicht nur mit seinem unerschrockenen Quartett und eingeschobenen Tagebuchabschnitten von Joyce am Laufen. Ob ein leitender Ermittler mit Gewichtsproblemen, gleich mehrere falsche Identitäten und alte Kriminalfälle warten auf Aufklärung. Wenn nach zahlreichen Verwicklungen das letzte Kapitel dem Ende zugeht, packt mich großes Bedauern. Die Mitglieder des Donnerstagsmordclub und ihr Umfeld sind verdammt liebenswert - da kann doch nicht schon Schluss sein? Ein Trost bleibt: Laut Verlagsseite handelt es sich um den 1. Band einer Serie. Das ist doch ein gutes Versprechen!

    Ein bißchen Magie steckt in vielen Werken lateinamerikanischer Autoren, und Sofia Segovias "Das Flüstern der Bienen" macht da keine Ausnahme. Episch und farbenfroh ist die Geschichte einer mexikanischen Großbesitzerfamilie aus der Zeit der Revolution und ihres Findelkindes Simonopio. Die Amme des Haziendero, die schon dessen Vater aufgezogen hatte und mit den Jahren immer mehr an eine in sich ruhende, steinerne Figur erinnert, hat sich zum ersten Mal seit langem aus ihrem Schaukelstuhl erhoben und unter einer Brücke ein offenbar ausgesetztes Neugeborenes gefunden, das ganz von einem Schwarm Bienen bedeckt wurde. Der Anblick des Jungen, dessen Mund durch einen gespaltenen Oberkiefer entstellt ist, entsetzt abergläubische Landarbeiter - der Patron Francisco aber zieht Simonopio als sein Patenkind auf. Für den kleinen Francisco, den Jahre später geborenen Sohn des Landbesitzers, wird er ein enger Freund und großer Bruder werden.

    Simonopio kann aufgrund der Kiefer-Fehlbildung nicht sprechen - jedenfalls nicht so wie andere. Doch er hat Fähigkeiten, die übersinnlich erscheinen - nicht nur in der Kommunikation mit den Bienen, er scheint auch zu spüren, wenn den Menschen, die er liebt, Gefahr droht.

    Segovia beschreibt ein Mexiko des Wandels. Im Norden, in Texas, werden schon Traktoren auf den Feldern eingesetzt und auch der Haziendero liebäugelt mit moderner Technik. Zugleich herrscht Bürgerkrieg, die Sorge um Frauen und Töchter vor einer Soldateska prägen das Leben von Besitzenden wie Besitzlosen. Und es gärt in der Gesellschaft, landlose Landarbeiter wollen sich das Land nehmen. Es ist ein Konflikt, der am Ende auch Franciscos Ländereien erreichen wird.

    Mit der Schilderung der Spanischen Grippe und ihrer Auswirkungen ist der Autorin ein besonders eindringlicher Abschnitt in ihrem Buch gelungen, der angesichts der Coronapandemie besonders beklemmend ist. Denn in einer Zeit, als sowohl Gesundheitswesen als auch Infektionsschutz schwach entwickelt waren, war das große Sterben dramatisch. Die Hazienda entgeht dem Schicksal vieler Nachbarn, dank Simonopios geheimnisvoller Ahnungen. Doch die Welt nach der Epidemie ist für alle eine andere.

    "Das Flüstern der Bienen" ist ein Buch, bei dem man beim Lesen Honig schmeckt, Orangen riecht und das Summen der Bienen zu hören glaubt - voll menschlicher Wärme, Opulenz und einer generationsüberspannenden Familiengeschichte voller Liebe, Tragik und Umbrüche.

    Die Oma unter Kleingärtnern

    Online-Oma Renate Bergmann ist zurück und in einem Berlin, in dem von Corona keine Rede ist, geht sie unter die Kleingärtner. Zwar ist die 82-Jährige gut damit beschäftigt, ihre vier Ehemänner oder vielmehr ihre Gräber zu gießen - aber was tut man nicht alles für gute Freundinnen, in diesem Fall Gertrud. Deren Lebensgefährte muss sich nämlich einer Bandscheibenoperation unterziehen. Doch wer kümmert sich in der Zwischenzeit um die Kleingartenparzelle?

    Klar, dass Renate Bergmann da nicht untätig bleiben kann und in gewohnt launigem Ton in "Fertig ist die Laube" die Welt der Kleingärtner kommentiert. Dass ihr Einsatz nötig ist, stellen die beiden Frauen schnell fest, denn in einer Laubenpieperkolonie herrschen strenge Regeln und so manchem ist die mit jeder Menge Metallschrott überlagerte Parzelle des Bandscheibenpatienten schon länger ein Dorn im Auge. Ganz besonders dem Verwalter der Kleingärtnergemeinschaft, den Renate noch als Platzwart von ihrem Campingabenteuer kennt....

    Die beiden rüstigen Damen aquirieren Helfer, zücken den Korn-Flachmann und krempeln die Ärmel hoch. Gewissermaßen nach dem Motto: Einmal Trümmerfrau, immer Trümmerfrau. Das Aufräumen der Parzelle kriegen sie jedenfalls hin, dann ist der gärtnerische Ehrgeiz geweckt. Zwischen dem Spießertum strenger Kleingartenregeln, in denen selbst die Höhe der Hecke normiert ist, und ökologischen Freigeistern, die am bei Neumond Unkraut jäten (oder war es Vollmond?) lernt auch die erfahrene Gräberpflegerin Renate einiges dazu. Nur was mit all den vielen Zucchini zu machen ist, die von Kleingärtner zu Kleingärtner "verschenkt" werden, bleibt nicht nur ihr ein Rätsel.

    Launig geschrieben in gewohnter Manier ist auch dieser Monolog der "Online-Oma" unterhaltsam zu lesen. Für ein paar Schmökerstunden in der Laube oder auf dem Balkon auch für Nicht-Gärtner geeignet.

    Detroit Noir

    Mit seinem Buch "Der gekaufte Tod" hat Stephen Mack Jones für mich einen Krimi mit Wow-Effekt geschrieben: Tough und hart, doch zugleich mit Wärme und Menschlichkeit, mit einem interessanten Protagonisten und einem Plot, in dem es um Korruption, Machtmissbrauch und den drohenden Untergang einer Stadt geht, ohne zu beschönigen oder zu resignieren. Geschrieben in einem lakonischen Stil, der manchmal von düsterer Poesie durchsetzt ist, ein Krimi Noir, der Schablonen vermeidet und atmosphärisch dicht ist, dazu spannend bis zum Schluss.

    In einer Stadt, aus der die wohlhabenden Weißen fliehen und in der sich die Latinos und die Afroamerikaner nicht gegenseitig über den Weg trauen, ist August Octavio Snow ungewöhnlich: Die Mutter stammte aus Mexiko, der Vater ein schwarzer Cop, der aus dem tiefsten Süden stammte und sich den Respekt der Nachbarn in Mexicantown erwarb.

    Auch August wurde nach seinem Dienst bei den Marines in Afghanistan Polizist, doch das ist Vergangenheit. Nach seiner Klage gegen seine Entlassung - er ermittelte gegen korrupte Kollegen bei der Polizei und in der Politik - ist er zwölf Millionen Dollar reicher und kehrt nach einem Jahr auf Reisen zurück in seine Geburtsstadt und nach Mexicantown in das Haus, in dem er aufgewachsen ist. Inzwischen hat er hier nur noch die Gräber seiner Eltern.

    Kurz darauf bittet ihn die Großunternehmerin Eleanor Padget, Vorkommnisse in ihrer Bank zu untersuchen. Das lehnt Snow up. Wenige Tage später ist die Frau tot, angeblich Selbstmord. Snow allerdings will nicht daran glauben. Ohne Auftrag oder Polizeimarke ermittelt er auf eigene Faust, versucht, über einen Hacker herauszufinden, ob etwas an der Bank verdächtig ist. Schnell stellt er fest, dass sowohl der CEO der Bank als auch FBI und Polizei nicht glücklich sind über seine Schnüffelei. Snow wird bald klar, dass er in mehr als ein Wespennest gestochen hat - und nicht nur sein Leben ist bald in Gefahr.

    Mit einem alten Freund und einem Ex-Soldaten, der noch seine Rolle im zivilen Leben sucht, muss sich Snow gegen Widersacher wehren und das Leben von Eleanore Padgets Tochter schützen. Gewissermaßen als Schwert in Gottes linker Hand, wie es an einer Stelle heißt. Wobei Snow auch im Rechtschaffenheit bemüht ist, das Viertel seiner Kindheit nicht aufgeben und Gangs und Drogen überlassen will. Ein jugendlicher Kleinkrimineller wird zu einem Projekt für ein anderes Leben und auch die mexikanische Familie mit problematischem Aufenthaltstatus beschäftigt den Ex-Polizisten.

    Es passt irgendwie, dass der große Showdown diese Detroit noir-Krimis ausgerechnet zwischen den katholischen Feiertagen Allerheiligen und Allerseelen stattfindet. Die Noche de los muertes, in der die Mexikaner ihrer Toten gedenken, an den Gräbern das Leben feiern, ist hier eine Nacht, in der vieles enden kann.

    Stephen Mack Jones nimmt seine Leser mit auf eine tour de force durch Detroit, mit immer wieder neuen Wendungen, mit reichlich Gewalt aber auch einer Perspektive einer gewissen Hoffnung. Und ich hoffe definitiv, mehr von diesem Autor zu lesen.