Beiträge von evaczyk

    Alte Freunde und eine Leiche

    Die grüne Insel Irland ist in Triona Walshs Kriminalroman "Schneesturm" alles andere als grün - soviel verrät bereits der Titel. Inselpolizistin Cara lebt auf Innishmore, einer der Aran Islands, von der ihr Vater stammt und auf der auch ihr Ehemann Cillian aufwuchs. Doch Cillian ertrank in der Silvesternacht vor zehn Jahren, als er mit seinem Bruder Seamus auf Fischfang gehen wollte. Nun wollen Cara, Seamus und vier weitere Kindheitsfreunde zum ersten Mal seit der Beerdigung wieder zusammenkomem. um gemeinsam des Toten zu gedenken. Doch das Wiedersehen verläuft anders als gedacht: Eine Leiche und ein Schneesturm, der Fähr- und Flugverkehr zum Erliegen bringt, sorgen für eine zunehmend paranoide Stimmung.

    Cara ist sicher: Der Mörder ist noch immer auf der 900 Einwohner-Insel - und er ist auf der Suche nach einem Päckchen, mit dem die Tote zuletzt gesehen wird. Kennt sie ihre alten Freunde immer noch? Mancher von ihnen scheint sich nicht zum Guten verändert zu haben. Die Atmosphäre ist gereizt, ja aggressiv - und es kommen Ängste auf, dass der unbekannte Mörder die Freundesgruppe im Visier haben könnte.

    Cara, die keine Kriminalbeamtin, sondern einfache Garda-Polizistin ist, will nicht warten, bis die Spuren buchstäblich kalt geworden sind, wenn die Ermittler-Profis vom Festland am Ende des Schneesturms auf Innishmore eintreffen. Doch bei ihren Ermittlungen gerät immer mehr zum Nachteil, dass sie trotz verwandtschaftlicher Bindungen an die Insel als Außenseiterin gilt, die kein Gälisch spricht und deshalb nicht wirklich dazugehört.

    Als große Irland-Freundin hat mich das Setting des Romans gereizt, allerdings erschien mir manches irgendwie schwer nachzuvollziehen - da lebt Cara seit zehn Jahren auf der Insel im Haus ihrer Großmutter, ihre beiden Kinder sprechen selbstverständlich Irisch, und sie selbst verständigt sich ausschließlich auf Englisch mit den Insulanern? Auch wenn Cara nicht im Gaeltacht-Gebiet aufgewachsen ist - Gälisch ist Pflichtfach an irischen Schulen und wenn sie von Kindheit an drei Monate auf der Heimatinsel ihres Vaters verbracht hat, ist es einfach unglaubwürdig, dass sie die Sprache nicht beim Spielen mit ihren dortigen Freunden aufgeschnappt hat. Insofern ist ein wichtiger Teil des Plots für mich einfach nicht stimmig und nachvollziehbar.

    Die düstere Atmosphäre im Schneesturm bei Kälte und Dunkelheit - auch der Strom ist ausgefallen - ist hingegen gut gelungen, ebenso die emotionale Achterbahnfahrt, zu der das Wiedersehen mit den alten Freunden wird. Dass auf einer so kleinen Insel Geheimnisse lange gewahrt werden können, kann ich mir dagegen nicht so gut vorstellen. Nicht alle Entscheidungen Caras fand ich nachvollziehbar - trotzdem solide-spannende Kost.

    Mordsstimmung beim Familientreffen

    "Die mörderischen Cunninghams" von Benjamin Stevenson mag in Australien spielen, aber dieser Familienkrimi trieft vor britischem Humor und angelsächsischem Understatement. Mit seinen leicht exzentrischen Protagonisten erinnert es mich an die detektivische Altenheim Gang von Richard Osmans Donnerstags-Mordklub. Allerdings stehen die Cunninghams, so verrät Ich-Erzähler Ernest Cunningham gleich im ersten Kapitel, mehr auf dem Grundsatz: Irgendwen haben wir doch alle auf dem Gewissen. Inwieweit das zutrifft, wird dann mit Augenzwinkern und nicht ganz ohne Dramatik auf einem mordsmäßigen Familientreffen in einem eingeschneiten Skihotel ausgeführt.

    Ernest, mäßig erfolgreicher Autor eines Lehrbuchs zum Verfassen von Detektivromanen, ist so etwas wie das schwarze Schaf der Cunninghams, jahrelang zeigte ihm die Familie die kalte Schulter. Schließlich hat Ernest getan, was keinem Cunningham einfallen sollte: Er hat seinen großen Bruder bei der Polizei verraten und dafür gesorgt, dass dieser jahrelang im Gefängnis saß wegen des Tod eines Mannes, den er erst überfuhr und dann obendrein erwürgte, nachdem er Ernest überredet hatte, die angebliche Leiche zu entsorgen. Wie gut, dass Stiefpapa Carlos, ein mit allen Wassern gewaschener Anwalt, die Mordanklage gerade noch abschmettern konnte!

    Dennoch, die Familie hat Ernie nicht verziehen. Zur Homecoming Party seines Bruders darf er dann aber doch erscheinen. Zur Stunde der Abrechnung? Doch noch ehe der sich dem Familientreffen anschließt, wird eine Leiche im Schnee gefunden. Ernest fragt sich: Hat jemand aus der Sippschaft damit zu tun? und wird nicht jeder Ermittler, der sich durch den Schnee kämpft, genau dies annehmen, weil die Cunninghams eben die Cunninghams sind?

    Es wird nicht die einzige Leiche bleiben und Ernest muss immer wieder die goldenen Regeln des klassischen britischen Kriminalromans zitieren, während er als allwissender Erzähler die Ereignisse sowohl beschreibt wie kommentiert. Komplizierte Beziehungen innerhalb des Familienverbands, Eifersüchteleien, jede Menge Geheimnisse - Stevenson hat offensichtlich Spaß daran, seinen Lesern so manchen "red herring" vorzuwerfen und Hinweise zu streuen, die wichtig sein können oder eben einmal mehr in die Irre führen.

    Klassische Zutaten wie bei Hitchcock oder Agatha Christie - das isolierte Hotel, das plötzlich von der Außenwelt abgeschnitten ist - werden hier mit Humor und einem Hauch Exzentrik gewürzt. Insgesamt ein sehr unterhaltsamer Kriminalroman mit einer mörderisch komplizierten Familie.

    Mörderische Zugfahrt
    Mit dem Titel "Mord im Christmas Express" hat Alexandra Benedict gleich das Thema und die Messlatte ihres Weihnachtskrimis hoch angesetzt. Denn wer denkt da nicht gleich an die britische Krimi-Queen Agatha Christie und den "Mord im Orient-Express", der Meisterdetektiv vor solche Herausforderungen stellt? Und der obendrein in gleich zwei Verfilmungen als hochkarätig besetztes spannendes Kammerspiel beeindruckte. Da werden jedenfalls gleich Assoziationen und Erwartungen geweckt.

    Die Herausforderungen, vor denen Benedicts Protagonistin Roz steht, sind nicht nur dem Fall geschuldet. Denn eigentlich ist die Polizistin frisch pensioniert. Farewell, Metropolitan Police, hello Ruhestand mit gerade mal 59 Jahren, dafür aber voller Vorfreude auf das Enkelkind, das schon bald geboren werden soll. Ein wenig hofft Roz, dass der neue kleine Mensch auch hilft, das Verhältnis zu ihrer Tochter zu entspannen. Die kam bei der alleinerziehenden Mutter häufig zu kurz, ganz abgesehen von einer traumatischen Vergewaltigung während der Schwangerschaft, die Roz emotional lange lähmte.

    Doch nicht allein, dass die Wehen vorzeitig einsetzen und Mutter und Baby um ihr Leben kämpfen müssen. Ausgerechnet in dem Moment, wo Roz sich so dringend gebraucht fühlt, entgleist der Nachtzug nach Fort William im Schneesturm. Roz bleiben nur hektische, besorgte Telefonate mit ihrer Tochter und deren Partnerin.

    Und dann ist da natürlich noch der titelgebende Mord... zumindest aber ein verdächtiger Todesfall, als eine junge Influencerin tot in ihrem Abteil gefunden wird. Es bleibt nicht der einzige Todesfall und die Tatsache, dass in einer anderen Erzählperspektive eine Person namens "Killa" über ihre Mission nachdenkt, lässt dann noch den letzten Leser ahnen, dass es noch die eine oder andere Leiche geben wird, ehe die verschneiten Gleise freigeräumt werden.

    Allerdings: Das Bemühen der Autorin, ein möglichst diverses Ensemble in ihrem Roman unterzubringen und Misogynie und Gewalt gegen Frauen in verschiedenen Formen zu thematisieren, ging hier auf Kosten glaubwürdiger Charaktere. Die meisten Romanfiguren bleiben flach und schablonenhaft, selbst Roz bleibt merkwürdig blass. Dabei finde ich es ja eigentlich gut, dass die Autorin auf Diversität und verschiedene sexuelle Identitäten setzt. Doch wenn dabei das Gefühl aufkommt, dass hier eine Liste abgehakt werden soll? Mein Eindruck war, dass Benedict hier viel wollte, vielleicht zu viel - das ging dann auf Kosten von Stringenz und Spannung. Aber immerhin: Sapiosexuell war mir bisher kein Begriff. Wieder was gelernt.

    Bittersüße Weihnachtsgeschichte

    Mit "Kein guter Mann" hat Andreas Izquierdo einen bittersüßen Weihnachtsroman geschrieben, der Liebhaber von happy ends verstören dürfte. Gleichwohl passt die melancholische Note. Der Buchtitel geht allerdings ein wenig unfair mit Titelfigur Walther um, spiegelt er doch nur den äußeren Blick auf ihn wider.

    Tatsächlich erscheint der 60 Jahre alte Briefträger zunächst einmal wenig liebenswert: miesepetrig, überkorrekt, seine Fehden mit Kollegen, Vorgesetzten, Kunden pflegend. Ein einsamer, freud- und freundloser Mann, dem das Leben, wie sich bald zeigen wird, übel mitgespielt hat. Gleich mehrfach hat Walther die für ihn wichtigsten Menschen verloren. Nun ist seine Tochter die einzige, die noch an Kontakt mit ihm bemüht ist.

    Als Walther zum Christkindel-Postamt abgeordnet wird, ist das eigentlich eine Strafversetzung. Doch einer der Briefe rüttelt Walther auf: der zehnjährige Ben will kein neues Handy, er benötigt Lebenshilfe - und beschwert sich, als "Gott" bzw Walther eine recht beliebige Antwort schickt. Walther beginnt einen Briefwechsel mit dem einsamen Jungen, der sich nach Freunden sehnt und dessen alleinerziehende Mutter schwer depressiv ist.

    Mit seinen Versuchen, Bens Probleme zu lösen, schafft Walther noch ein paar zusätzliche Verwicklungen. Die Brieffreundschaft, die er vor seiner Vorgesetzten geheim halten muss, bricht ein wenig den Panzer auf, den Walther in den vergangenen Jahren entwickelt hat, um die Außenwelt auf Distanz zu halten. In Rückblenden wird erzählt, wie es zur großen Entfremdung von der Familie kam, welche Träume Walther eigentlich hatte und welche Schuldgefühle ihn seit Jahrzehnten begleiten.

    Ist ein Neuanfang möglich? Wie verhärtet sind die verletzten Gefühle und Vorwürfe der Vergangenheit? Bekommt Walther eine zweite Chance? Izquierdo schafft es, die Handlung nicht in Weihnachtskitsch abgleiten zu lassen. Der brummige Walther darf sich bewähren, doch Glück ist etwas Trügerisches. Und nicht jedes Weihnachtsmärchen endet mit "und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage".

    Neue Kopenhagen-Reihe macht neugierig

    Katrine Engberg war mir schon durch ihre im Diogenes Verlag veröffentlichten Kopenhagen Krimis ein Begriff. Nun gibt es wohl einen neuen Verlag - und mit "Glutspur" den ersten Band einer neuen Serie um die Privatdetektivin Liv Jensen, die nicht nur versucht, in der Branche Fuß zu fassen und in der dänischen Hauptstadt heimisch zu werden - sie arbeitet auch auf eine Rückkehr in den Polizeidienst hin.

    Bis die Leser Liv kennenlernen, dauert es allerdings eine Weile, denn gleich mehrere Erzählstränge werden eingeführt sowie Personen, die auch künftig eine Rolle spielen könnten. Da ist der Selbstmord eines Mannes, der sich als der Sohn von Livs künftigen Vermieter herausstellen wird. Der unter einer bipolaren Störung leidende Mann befand sich wegen des Mordes an seiner Ex-Frau in der forensischen Psychiatrie. Erst Monate nach dem Selbstmord wird bei der Renovierung seines Zimmers bekannt, dass er hinter einer Schrankwand Botschaften in einer ausgestorbenen Sprache hinterlassen hat. Seine Schwester, ebenfalls Psychiaterin, versucht herauszufnden, was sich in den letzten Monaten im Leben ihres Bruders ereignete.

    Dann ist da noch der Automechaniker Nima, der seine Werkstatt auf dem Grundstück betreibt, auf dem Liv leben wird. Seine Ex-Freundin wird ermordet aufgefunden, und Nima, der als Junge mit seiner Mutter und seiner Schwester aus dem Iran geflohen ist, gerät unter Mordverdacht.

    Als Liv für ihren alten Chef und Mentor Ermittlungen in einem anderen Fall anstellt, muss sie sich einerseits einem eigenen Trauma stellen, stößt aber auch auf Spuren in dem anderen Mordfall, die bisher niemand auf dem Schirm hatte.

    Und als wäre das nicht schon genug mit Erzählsträngen und Figuren, die hier zusammenfinden müssen gibt es noch einen weiteren Handlungsstrang in der Vergangenheit, zur Zeit der deutschen Besatzung Dänemarks im Zweiten Weltkrieg und verfolgten jüdischen Familien, die sich verstecken müssen, um der Deportation zu entgehen. Es geht um Fragen der Moral, um Kollaboration und Widerstand. Eine Vergangenheit, die schließlich auch Bezüge zur Gegenwart herstellen wird. Erst im Lauf des Lesens wird klar, dass "Glutspur" von der Bedeutung her auch auf den Holocaust hinweist.

    Engberg schafft es, das alles am Ende schlüssig und eingängig zusammen zu fügen. Es kommt allerdings recht geballt zusammen, was sich möglicherweise in Folgebänden dann noch weiter vertiefen wird - und da gibt es ganz unterschiedliche Entwicklungsmöglichkeiten. Möglich, dass sich die Autorin hier verschiedene Optionen offen halten wollte, aber es wird doch ziemlich zwischen den verschiedenen Figure n und Erzählsträngen gesprungen und ist zunächst noch nicht ganz klar, wer außer Liv auch künftig eine feste Größe in weiteren Bänden der Reihe sein wird.

    Davon abgesehen hat Engberg einen intelligenten und spannenden Plot mit dichter Atmosphäre und einem bildhaften, aber auch zurückgenommenen Schreibstil verbunden. Mit der jungen Privatdetektivin hat sie eine diverse Protagonistin gefunden, die tough und sensibel ist. die sich gegen Widerstände behaupten muss und gegen eigene Dämonen kämpft. Auch die Menschen in ihrem Umfeld werden als komplexe Charaktere geschildert. Noch ist hier vieles im Fluss, aber ich bin jetzt schon neugierig auf den Folgeband. Der Begriff Scandinavia Cool passt jedenfalls auch auf Katrine Engberg.

    Britischer Humor und unschlagbare Senioren

    Es gibt Bücherserien, die nach dem ersten Erfolg abflauen und in Routine erstarren. Die Donnerstagsmordclub-Serie von Richard Osman gehört erfreulicherweise nicht dazu. In ihrem dritten Fall mischen die vier Hobby-Schnüffler aus der Seniorenresidenz einen Fall von Geldwäsche auf. Und noch nie war so viel Liebe mit im Spiel. Die angejahrten Freizeitermittler, die mittlerweile stramm auf die 80 zugehen, wollen diesmal einen Mord ohne Leiche aufklären. Denn vor Jahren verschwand eine junge Journalistin, die einem brisanten Fall von Geldwäsche auf der Spur war. Ihr Auto stürzte über eine Klippe, doch die Leiche der jungen Frau blieb verschwudnen.

    Die ehemalige Krankenschwester Joyce macht sich ja zunächst ein bißchen Hoffnung auf den silberlockigen Moderator der Nachrichtensebdung des Lokalsenders, der mit der Vermissten befreundet war. Erotisch kann der Frauen allerdings so gar nichts abgewinnen - Pech für Jodyce. Dafür ist die energische Maskenbildnerin Pauline eine Frau nach dem Herzen von Ron, dem rauhbeinigen ehemaligen Gewerkschaftsführer. Hier kann er nun auch einmal seine sanfte Seite zeigen.

    Psychiater Ibrahim wiederum ist als Therapeut der inhaftierten Drogenbossin Connie gefragt. Vielleicht schafft er es ja noch, ihr die Pläne für einen Mord an seinem besten Kumpel Ron auszureden. Und Elizabeth, die ehemalige MI6-Agentin? Sie wird zusammen mit Ehemann Stephen entführt und wird zu einem Mordauftrag an einem ehemaligen KGB-Oberst erpresst. Kein Zweifel, das muntere Quartett kommt kaum zum Ermitteln bei soviel Ablenkung! Und dann ist da noch Elizabeths Sorge um den geliebten Stephen, dessen Demenz immer weiter fortschreitet.

    Für Chauffeursdienste und Muskeleinsatz erhalten die Senioren wie schon in den vorangegangenen Bänden tatkräftige Unterstützung von Bogdan, dem starken Polen mit allerlei Talenten und Kontakten, und auch Chris und Donna, die beiden Polizisten, mit denen sie schon in der Vergangenheit zusammengearbeitet haben, sind wieder mit dabei.

    Ein bewährtes Team also, mit liebenswerten Charakteren, die im Laufe der Jahrzehnte ihre kleinen Eigenarten entwickelt haben, gemeinsam aber trotz arthritischer Knie und verschlechterter Sehkraft unschlagbar sind. Manchmal geht es zwar drunter und drüber, doch die hartnäckigen Alten mit ihrem kauzigen Charme lassen sich nicht von einer einmal aufgenommenen Fährte abbringen und habe so ihre Tricks, von der Fernsehmoderatorin bis zum Polizeipräsidenten andere für ihre Vorhaben einzuspannen.

    Für Leser, die die beiden vorangegangenen Bände nicht kennen, ist das Buch vielleicht ein bißchen überfrachtet, denn so manches baut auf den Frozzeleien und Sticheleien der Vergangenheit auf. Klar, dass das Quartett auch diesmal wieder auf reichlich unorthodoxe Art ermittelt, mal scheinbare Naivität, mal die Killer-Qualitäten von Elizabeth einsetzt und gleich vierfach aus dem Erfahrungsschatz eines langen Lebens schöpfen kann.

    Turbulent, humorvoll und sehr britisch ist diese Cozy Krimi-Serie und es bleibt zu hoffen, dass Richard Osmond seinen Romanfiguren ein langes Ermittlerleben beschert.

    Toxische Paardynamik hart am Wind

    Ein Kriminalroman ist "In blaukalter Tiefe" von Kristina Hauff nicht, spannend ist das Buch über zwei Paare und einen Skipper, aus wechselnden Perspektiven erzählt, dennoch. Denn der romantische Segeltörn zum schwedischen Schärengarten wird zu einem handfesten Psychodrama. Sehr unterschiedliche Charaktere, Ambitionen und Träume prallen an Bord der Yacht mit all ihrem begrenzten Raum und fehlenden Rückzugsmöglichkeiten zusammen, der Sturm, der am Ende auch die Wetterlage eskalieren lässt, trägt das Seinige dazu bei.

    Für das Powerpaar Caroline und Andreas ist der Törn ein langgehegter Traum. Caroline, Chefredakteurin eines Lifestyle Magazins, hat schon lange von einem Urlaub in den Scherengärten geträumt. Andreas, Wirtschaftsstrafverteidiger und ein typisches Alphatier, erhofft sich bei Segelromantik auch wieder harmonischeres Fahrwasser für die Ehe, denn zwischen dem Paar ist Entfremdung gewachsen. Eigentlich keine gute Idee, unter diesen Umständen die Reise auch noch für einen weiteren Zweck zu nutzen, denn auch der junge Anwalt Daniel und seine Freundin Tanja sind zu dem Törn eingeladen.

    Daniel ist jung und ehrgeizig, die Reise ist auch ein Testlauf, ob er als Partner in die Kanzlei aufgenommen wird. Doch indem Daniel sich Andreas als Idealkandidat beweisen will, vernachlässigt er, wie unwohl sich seine Freundin Tanja fühlt. Die Altenpflegerin mit Kinderwunsch stellt sich immer häufiger die Frage, ob die Beziehung Zukunft hat, zumal Andreas derbe Flirtversuche startet.

    Caroline wiederum fühlt sich zunehmend zu dem undurchschaubaren, mürrisch-distanzierten Skipper Eric hingezogen - auch, weil der Andreas buchstäblich auflaufen lässt. Das Bordklima scheint immer toxischer - keine guten Voraussetzungen, wenn die Elemente bedrohlicher werden.

    Hauff bringt die klaustrophobische Atmosphäre gut zum Ausdruck. Die Segel- und Landschaftsbeschreibungen machen Lust auf das Abenteuer Segeln, verdeutlichen aber auch, dass der menschliche Faktor bei so einer Reise stimmen muss. Wenn alles einen doppelten Boden und unterschwellige Schwingungen hat wie bei dieser Reisegruppe, ist die toxische Gruppendynamik potentiell tödlich. Der Traum von der großen Freiheit unter den Segeln entpuppt sich als Alptraum scheiternder Beziehungen und offenbar werdenden Lebenslügen. Dass auch ein wichtiger Fall im fernen Frankfurt eskaliert, passt da zur stürmischen Dynamik dieser Reise, die für die beiden Paare nicht folgenlos bleiben wird.

    Für Freunde psychologischer Beziehungsdramen und locked room Dramen.

    Mord in der Antarktisnacht

    Eigentlich ist es schwer, von einem locked room mystery zu sprechen, wenn der Schauplatz der Handlung für unendliche Weite steht. Doch in Emma Haughtons Antarktis-Krimi "The Dark" sind die Charaktere abgeschlossen vom Rest der Welt in einer Forschungsstation im antarktischen Winter. Da kann niemand rein und niemand raus, draußen herrscht vier Monate lang völlige Dunkelheit, wenn man mal von Sternen und gelegentlichen Polarlichtern absieht. Keine Umgebung also für Menschen mit Platzangst oder Furcht vor dem Dunkeln.

    Ein denkbar schlechter Arbeitsplatz also für die englische Notärztin Kate, die sich im antarktischen Winter von den Dämonen der Vergangenheit befreien will. Nach einem schweren Verkehrsunfall fühlt sie sich wegen der Narbe im Gesicht verunstaltet, ihre Beziehung ist gescheitert und sie ist tablettenabhängig. Nicht die besten Voraussetzungen für ein Leben mit nur zwölf anderen Menschen, mit denen man irgendwie auskommen muss, ohne viele Abwechslungsmöglichkeiten und buchstäblich am Ende der Welt. Richtig stressig wird es allerdings, als Kate immer mehr Hinweise darauf erhält, dass der Unfalltod ihres Vorgängers womöglich kein Unfall war. Als es dann noch einen weiteren Toten gibt, wird immer deutlicher: Einer der Kollegen ist ein Mörder - oder eine Mörderin.

    Das Setting und der Plot des Buches haben mich überzeugt. Auch die Beschreibungen der Weite der Antarktis, des Schwindens der Sonne, der Weite der Landschaft, der Isolation und zunehmenden Paranoia sind der Autorin gut gelungen.

    Zu den Schwächen des Buches gehört für mich aber insbesondere die mangelnde Glaubwürdigkeit der Hauptfigur Kate. Angesichts der medizinischen und psychologischen Tests, die mit der Arbeit an so einem entlegenen Ort verbunden sein dürften, ist es unwahrscheinlich, dass der ständige Pharma-Cocktail in ihrem Blut und ihr seelischer Zustand unentdeckt bleiben würden. Dass die Stationsärztin sich nicht nur an den Medikamentenvorräten der Forschungsstation vergreift, sondern ihren Kolleginnen und Kollegen entgeht, dass sie ständig breit ist, ist ebenso unwahrscheinlich. Und dass sie selbst mit kaltem Entzug es fertig bringt, in der Krise den Rest des Teams zu koordinieren, ganz zu schweigen von einem komplizierten medizinischen Eingriff - nein, da konnte mich die Autorin überhaupt nicht überzeugen.

    Ein Denkfehler Kates zum Mörder auf der Station, der fast fatale Folgen gehabt hätte, war ebenfalls nicht sonderlich glaubwürdig. Insofern bin ich bei "The Dark" zwiegespalten. Die Antarktis als Schauplatz eines Whoodunit ist eine faszinierende Location, ich mag das Setting, wo die Beteiligten in Dunkelheit und Kälte ihren ganzen Überlebenswillen sammeln müssen, die Beschreibungen der Station sind faszinierend, und die kleinen und großen Macken des Personals sorgen für zusätzliche Entwicklungen der Handeln. Die Figur der Kate dagegen ist einfach viel zu dick aufgetragen und hat mich irgendwann nur noch genervt.

    Tod am alten Leuchtturm
    Ein 7000-Einwohner-Ort an der isländischen Küste - Der Schauplatz Akranes in Eva Björg Aegisdottirs Island-Krimi "Verschwiegen" klingt erst einmal idyllisch. Fast alle kennen sich, die Verbrechensrate ist niedrig und Großstadtpolizistin Elma, die nach dem Aus einer mehrjährigen Beziehung in ihren Heimatort zurückkehrt, hat zunächst überwiegend mit Trunkenheitdelikten, Verkehrsufällen und Kneipenschlägereien zu tun - bis dann eine tote Frau am Fuß des alte Leuchtturms schon halb im Meer gefunden wird.

    Wie sich herausstellt, stammte auch sie aus Akranes, doch kaum jemand will sich an das Mädchen Elisabeth erinnern. das schon als Kind immer außen vor war: Der Vater starb bei einem Unglück auf See, wenig später auch der gerade zwei Wochen alte kleine Bruder am plötzlichen Kindstod. Elisaeths Mutter lässt sich nach dem doppelten Schicksalsschlag völlig gehen, Schule und Sozialamt kümmern sich nicht um Erscheinungsbild und Auffälligkeinen von Elisabeth. Warum sie, mittlerweile Pilotin, verheiratet und Mutter zweier Kinder, nach Akranes zurückgekehrt war, ist den Ermittlern zunächst ein Rätsel.

    "Verschwiegen" hat zwei Erzählperspektiven - einmal die Ermittlungen in der Gegenwart, in Kursivtext davo abgesetzt die Erlebnisse und Erfahrungen des sechs- bis neunjährigen Mädchens Elisabeth. Die Leser ahnen daher sehr viel früher als die Ermittler, welches Geheimnis Elisabeth mit sich herumschleppte. Die scheinbar heile Welt von Akranes bekommt tiefe Risse, ähnlich wie der von Vulkanaktivität aufgerissene Boden der Stadt.

    In Aegisdottirs Roman geht es nicht nur um die Aufklärung eines Mordes, das Buch ist zugleich das Psychogramm einer Kleinstadt, in der unschöne Geheimnisse jahrzehntelang gehütet werden und Schweigen, Wegschauen und Ignorieren die Instrumente sind, mit den übertüncht wird, was nicht wahrgenommen werden soll - Mobbing, Missbrauch, häusliche Gewalt, Macht- und Einflusstrukturen scheinen sich von Generation zu Generation zu übertragen.

    Für Elma ist die Rückkehr in die scheinbar vertraute Kleinstadt vertrackt - die Bande zu alten Schulfreundinnen sind lose geworden. Wem hat sie überhaupt noch etwas zu sagen, wer verschweigt ihr möglicherweise etwas? Aegisdottir nimmt sich Zeit, das Setting zu setzen und die Personen einzuführen. Nicht nur der dunkle isländische Winter sorgt hier für düstere Stimmung, auch die Themen sorgen für dunkle Akzente. Insofern ist es in der Tat ein sehr skandinavischer Krimi, geprägt von einer ruhigen Erzählweise und eher psychologischer Spannung. Das ganz Drama des Falls entfaltet sich erst nach und nach, und auch über Elma gibt es auf den letzten Seiten noch etwas Neues zu erfahren.

    Mir hat "Verschwiegen" gut gefallen. Zwischen Gletschern und Vulkanen kann hier im nordischen Wonter einiges ans Licht gebracht werden. Das Potenzial für weitere Fälle mit Elma und ihren Kollegen ist klar vorhanden.

    Unversöhnlich

    Der Titel "Kuckuckskinder" passt zu Camilla Läckbergs neuem Roman - so viel lässt sich wohl sagen, ohne zu spoilern. Bisher hatte ich von der schwedischen Autorin nur Bücher gelesen, in denen die Protagonistin Rache an den Männern nahm, die sie kleingehalten, misshandelt oder sonstwie an einer eigenständigen Entwicklung gehindert hatten Mit der Protagonistin Erika Falk ist sie zu einer Seie zurückgekehrt, die mir bisher nicht bekannt war, ich kam aber auch ohne Vorwissen gut mit den Protagonisten klar, allen voran Schriftstellerin Erika, die mit True Crime-Romanen erfolgreich ist, und ihrem Ehemann Patrik Hedström von der Polizei im südschwedischen Fjällbacka.

    Das Ehepaar hat über eine Freundin Erikas eine Einladung zu einer goldenen Hochzeit einer prominenten und wohlhabenden örtlichen Familie erhalten: Henning ist Schriftsteller, wird als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt, seine Frau stammt aus einer altehrwürdigen Verlegerfamilie. Ausgerechnet nach einem weinseligen Abend wird der verkaterte Patrik zu einer Mordermittlung gerufen: Der Starfotograf Rolf ist tot in einer Galerie gefunden worden. Auch er war zu der Feier eingeladen, hatte aber abgesagt.

    Bilder der geplanten Ausstellung inspirieren Erika, bei einem ohnehin geplanten Reise nach Stockholm den Spuren von Lola nachzugehen, einer Transfrau, die Rolf offenbar so beeindruckt hat, dass ihr Foto im ehelichen Schlafzimmer hing. Bei ihren Recherchen stößt Erika auf eine tragische Geschicht: Lola und ihre Tochter kamen vor Jahren bei einem Brand ums Leben. Das ist der Stoff für einen neuen Roman, ist Erika überzeugt, die an die Theorie von einem Unfalltod nicht glauben will.

    Sie stellt überrascht fest, dass Lola nicht nur Rolf kannte, sondern dass die Künstler- und Intellektuellenclique um Rolf, Henning und Elisabeth damals ihre Ersatzfamilie bildete. Währenddessen kommt es in Fjällbacka zu einem regelrechten Blutbad, das auch erfahren Polizisten nicht kalt lässt. Irgendjemand scheint einen unversöhnlichen Hass gegen die Familie zu hegen.

    In einem zweiten Handlungsstrang geht es um die Zeit um 1980, die Monate vor Lolas Tod und das Leben und die Vergangenheit der Transfrau. Eniges hierzu wird von Erika im Gespräch mit Freunden und Nachbarn aufgedeckt, anderes aus der damaligen Erlebnisperspektive geschrieben.

    Mir war eigentlich früh klar, wer hinter der Mordserie stecken musste, insofern hat mich die Auflösung des Plots nicht sonderlich überrascht. Trotzdem ist "Kuckuckskinder" spannend zu lesen, denn auch wenn ich die Lösung geahnt hatte, waren da noch einige "wie"-Fragen zu klären. Gut gefiel mir die Normalität von Erika und Patrik, die eben nicht als Superhelden dargestellt werden, sondern als gestresstes Ehepaar, dass auch noch den Alltag mit drei kleinen Kindern bestehen muss und plötzlich vor einer überraschenden und schwierigen Situation steht, die völlig andere Weichen für die Zukunft stellen kann.

    Auch die übrigen Polizisten müssen neben der Arbeit private Probleme und Herausforderungen bewältigen. Dass auch Polizisten nur Menschen sind und beim Anblick mancher Tatorte traumatisiert werden, wird ebenfalls thematisiert.

    "Kuckuckskinder" ist eingängig geschrieben, fängt allerdings etwas langsam an, bis die Handlung Fahrt aufnimmt. Am Ende fand ich einiges überzogen, kann darauf aber nicht ohne Spoilern eingehen.

    Zwischen Mordermittlung und Scheidungstermin

    Es muss schon Spaß machen - oder sollte ich schreiben: Es miast scho a Gaudi sein - "Herzschuss" von Andreas Föhr zu lesen. Als Hörbuch, gesprochen von Michael Schwarzmeier mit eindeutig bajuwarischer Lautfärbung ist der Cozy Krimi aus dem bayrischen Miesbach aber noch mal ein besonderes Schmankerl und ein klarer Ohrenschmaus. Für Nordlichter eine Beruhigung: Auch wer nördlich des Weißwurstäquators aufgewachsen ist, wird hier ohne Übersetzungs-App klar kommen.

    Dass es sich bei den Kriminalromanem um den Miesbacher Kommissar Wallner um eine Serie handelt, habe ich beim Nachlesen festgestellt. Erfreulicherweise ist es aber überhaupt nicht notwendig, bereits mit den Protagon die Vnisten vertraut zu sein und ihre Lebensgeschichten und Beziehungsgeflechte zu kennen. Nach meiner ersten Begegnung mit Wallner, seinem hochbetagten und schlitzohrigem Opa Manfred und dem nichr weniger ausgebufften Polizisten Kreuthner kann ich mir aber gut vorstellen, dass Föhr eine solide Fanbasis hat, die auf Neues aus der bayrischen Provinz warten.

    Im aktuellen Fall ist es der Fund der Leiche eines Landtagsabgeordneten, der die Ermittler beschäftigt - einige sogar intensiver als ihnen lieb ist, denn Kreuther gerät unter Mordverdacht. Obendrein war er vor 30 Jahren in die Witwe des Abgeordneten, damals noch ein unangepasstes Punkgirl. verschossen. Wallner wiederum hat durch den Fall immerhin Ablenkung von den privaten Unerfreulichkeiten - der Scheidungstermin steht an. Und das auch noch kurz vor Weihnachten.

    In "Herzschuss" geht es turbulent zu, der Handlungsfaden in der Gegenwart wird abgelöst von Erinnerungen aergangenheit, denn "Jedes Verbrechen hat seine Geschichte". Ein bißchen Hochstapelei, ein bißchen alte Liebe, die nicht rostet, ein bißchen Verwicklungen von Politik und Rotlicht. Und Kreuthner kann sich vor einer Bardame als ritterlicher Held beweisen. Wallner lernt unterdessen auf dem Glühweinstand seine neue Chefin besser kennen, die zwar ausgesprochen ehrgeizig ist, aber auch mit menschlichen Eigenschaften überzeugt. Da steckt sicher noch Potenzial für die Zukunft.

    Kernig und gelegentlich verschroben sind die Protagonisten, der Glanz der Politik lässt zu wünschen übrig, aber die Strahlkraft von Adelstiteln bringt Opa Manfred in Champagnerlaune. "Herzschuss" ist eher ein Cozy-Krimi, der für gute Laune sorgt und durch den Sprecher Schwarzmeier noch einmal an Reiz gewinnt.

    Albtraum unter Freunden

    Es ist Silvester, und fast alles wie immer bei den befreundeten Ehepaaren Lollo und Max, Frederik und Nina. Wie jedes Jahr verbringen sie die letzte Nacht des Jahres zusammen, auch wenn sie sich im Grunde auseinandergelebt haben und nicht mehr viel zu sagen haben. Doch insbesondere die jahrzehntelange Freundschaft der Frauen, Lollo, Nina und Malena scheint der Kitt zu sein, der zumindest zweimal im Jahr das Grüppchen zusammenhält, Silvester eben und Mittsommernacht. Das ist der Ausgangspunkt von Malin Stehns Psychothriller "Happy New Year"

    Diesmal allerdings verlässt Nina ihr Zuhause mit gemischten Gefühlen, denn die großem Töchter feiern dort erstmal alleine eine Party, und Nina traut Lollos Tochter Jennifer nicht so recht über den Weg, die schon immer das Risiko liebte und das eigene Kind, wie sie fand, auf falsche Gedanken brachte.

    Die Silvesterparty im Haus des wohlhabenden Immobilienmaklers Max und seiner statusbewussten Frau Lollo ist für Fredrik nur mit viel Alkohol zu ertragen, das Protzgehabe der beiden geht dem Lehrer jedes Mal auf die Nerven. Der Neujahrstag beginnt nicht nur mit einem Kater, sondern auch mit vielen Fragezeichen: Denn Jennifer hatte die Party, die ziemlich schnell aus dem Ruder gelaufen ist, vor Mitternacht verlassen, um nach Hause zu fahren, ganz untypisch früh. Doch dort ist die 17-jährige nicht angekommen. Eine SMS kurz vor Mitternacht mit Neujahrsgrüßen ist das letzte Lebenszeichen.

    Ein vermisstes Kind, das ist der Alptraum für jede Familie. Bei aller Oberflächlichkeit bilden Max und Lollo da keine Ausnahme. Mit jedem Tag der Ungewissheit steigt die Spannung. In ihrem Versuch, mehr über Jennifers Kontakte herauszufinden, muss Lollo feststellen, dass sie ihre Tochter eigentlich gar nicht richtig kennt und Jennifer einige dunkle Geheimnisse hatte. Doch damit ist sie offenbar nicht die einzige.

    Malin Stehn schafft es, immer wieder Verdachtsmomente gegen ihre Protagonisten zu legen und Andeutungen zu machen, die gewissen Schlüsse nahelegen und dann doch widerlegt werden. Ihre Finten sorgen für die Leser immer wieder für Überraschungsmomente und einem immer wieder neuen Blick auf das Geschehen während die scheinbar heile Welt ebenso zerfasert wie die alte Freundschaft. Die Lösung des Rätsels ist überraschend, doch bis dahin werden Persönlickeiten seziert und Grenzsituationen ausgekostet. "Happy New Year" ist nichts besinnlich-hyggeliges zur Weihnachtszeit, sondern Spannung in dunkler Jahreszeit. Dabei lässt sich die Autorin manchmal vielleicht etwas viel Zeit, zur Sache zu kommen. Aber letztlich schadet dass der Spannung nicht.

    Ein Assassine wider Willen

    Als Tatort-Kommissar Paul Brix jagt der Schauspieler Wolfram Koch Verbrecher in Frankfurt und Umgebung. Als Sprecher in Pierre Martins Hörbuch "Monsieur Le Comte und die Kunst des Tötens" tauscht er die Rolle. Denn Lucien Comte de Charcarasse, der Protagonist dieses Cozy Krimis, ist von Kind an zum Assasinen ausgebildet worden, sprich zum Auftragsmörder, ganz wie es der glorreichen Familientradition entspricht. Durch die Jahrhunderte hinweg töteten die de Chacassanes für Könige und Päpste, auch die de Medici gehörten laut der diskret gepflegten Familienlegende zu den Auftraggebern.

    Nur Lucien ist irgendwie aus der Art geschlagen, denn er kurvt lieber auf seiner Vespa die Cote Azur entlang, betreibt ein klienes Restaurant und ist überhaupt den schönen Dingen des Lebens zugetan. Geld ist schließlich kein Problem.

    Doch dann holt die Familienpflicht auch Lucien ein: Sein Vater wird bei einem gescheiterten Arbeitseinsatz angeschossen und schwer verletzt. Auf dem Sterbebett nimmt er Lucien das Versprechen ab, die Familientradition fortzusetzen. Noblesse oblige - Lucien kann sei Wort nicht brechen. Eher unwillig lässt er sich von seinem nicht sonderlich sympathischen Onkel Edmonde in die Arbeitsteilung der Familie einweisen - Edmonde ist für die finanziell-organisatorische Abwicklung mit den Auftraggebern zuständig, Lucie für den eher praktischen Teil. Eine weitere Erkenntnis, an die sich Lucien erst gewöhnen muss, ist die Rolle der eleganten Francine, die für seinen Vater offenbar nicht nur Privatsekretärin war. Das sind ziemlich viele neuer Erkenntnisse auf einmal für den unfreiwilligen Assasinen.

    Zu Luciens großem Bedauern dauert es nicht lange, bis der erste Auftrag kommt. Und obwohl der Comte alles tut, um seinen Auftrag nicht zu erfüllen, endet es mit einem Toten. Für die Zukunft muss sich Lucien einiges einfallen lassen, um nicht schuldig am Tod anderer Menschen zu werden. Ganz nebenbei entwickelt er detektivischen Spürsinn, der nicht nur für die Aufklärung der Hintergründe seiner Aufträge von Bedeutung ist. Die Fähigekeiten, die Lucien seit seiner Kindheit erlernt hat, stellen sich dann doch noch als recht praktisch heraus. Denn als er den Tod seines Vaters aufklären will. gerät er in gefährliche Situationen.

    Die Abenteuer des Comte sind unterhaltsam geschrieben und werden von Koch mit spürbarem Vergnügen eingesprochen. Gutes Essen und savoir vivre sowie ein bißchen amour gehören auf jeden Fall auch dazu. Laut Verlagsangaben soll es weitere Abenteuer des Comte geben - das ist eine gute Nachricht. Dieser Südfrankreich-Krimi dürfte allen gefallen, die entspannende südliche atmosphäre mehr schätzen als allzu blutrünstige Schilderungen. Auch Nebenfiguren wie Haushälterin Rosalie und der nicht gänzlich korruptionsfreie Gendarm unterstreichen die heitere Note des Romans.

    Allein unter Almans

    Man kann Aylin Atmaca zugute halten: Mit ihrem Debütroman "Ein Alman feiert selten allein" hat sie migrantische Erfahrungen ohne Larmoyanz und erbitterte Ergüsse über die böse, böse Mehrheitsgesellschaft geschrieben, selbst die Kartoffel-Verunglimpfung hat sie unterlassen. Kritisch lässt sich anfügen, es gibt reichlich Klischees.Vor allem aber nimmt ihr humoristisch geprägtes Buch deutsch-türkische Culture clashs auf die Schippe.

    Für Protagonistin und Ich-Erzählerin Elif ist es Stress Pur: Sie wird das erste Weihnachtsfest mit der Familie ihres Freundes Jonas verbringen. Das heißt: Die Beziehung ist ernst! Weihnachten in Familie, das ist ja gewissermaßen das Vorspiel zu einer Verlobung, ja, kommt doch eher nach einem solchen Schritt. Es heißt aber auch: Alman-Alarm!

    Denn nicht nur Jonas´ Kernfamilie, sondern der gesamte Familienclan kommt unter dem Weihnachtsbaum zusammen. Und zwar so richtig deutsch-organisiert, mit WhatsApp-Gruppe und solchen Marotten wie dem Bügeln des Geschenkpapiert zur künftigen Wiederverwendung! (Merke: Die Autorin ist in Heidelberg aufgewachsen. Schwäbische Sitten...)

    Das Buch lebt von der Unwissenheit Elifs, die gewissermaßen ihren Initiationsritus in deutsches Brauchtum und das Fest der Feste erlebt. Wobei das irgendwie unglaubwürdig erscheint, denn auch wenn Elifs muslimische Familie kein Weihnachten gefeiert hat, ist es ja nicht so, als sei sie gerade erst aus der Türkei angekommen. Wer als türkeistämmiges Kind in Deutschland Kindergarten und Schule durchlaufen hat, Werbung und Fernsehprogramm kennt, für den oder die ist Weihnachten und deutsches Brauchtum denn nicht so wirklich ein böhmisches Dorf. Schließlich gibt es zahlreiche türkische Familien, die gerne auf den Weihnachtsmarkt gehen und sich auch ohne religiösen Bezug gerne einen Baum aufstellen, weil es so schön ist.

    Sei´s drum - Ein Alman kommt selten allein wirbt für Verständnis und Dialog, selbst der zu rassistischen Sprüchen neigende Onkel lernt irgendwann das Prinzip Toleranz und das Fest der Liebe funktioniert auch ohne zu nachhaltien Zerwürfnissen zu führen. Für Elif gibt es neue Einblicke in Jonas und seine Familie. Mal sehen, wie der sich auf dem nächsten Zuckerfest schlägt. Vielleicht gibt es ja noch einen Folgeband: Allein unter Almansis.

    Auftragsmörderin im Herbst des Lebens

    Hornclaw wird leicht übersehen - und das ist lebensgefährlich: Denn die zierliche ältere koreanische Dame und Protagonistin in Byeong-mo Gus "Frau mit Messer" ist seit 40 Jahren eine Auftragsmörderin. Wer "Die Plotter" gelesen hat, entdeckt einen verwandten Geist, freilich ist Hornclaw, die mit ihrem scharfen Messer tötet, eher eine Killerin des intelligenten Anpirschens und nicht der brachialen Gewalt. Dennoch wird ihre Lage mit zunehmendem Alter und schwindenden körperlichen Kräften allmählich prekär, zumal ein junger, aufstrebender und genussvoll brutaler "Kollege" ihr das Leben schwer macht un alles tut, um innerhalb der die Aufträge vergebenden "Agentur" ihrem Ruf zu schaden.

    Hornclaw, früh verwaist und vom Leben nicht gerade gut behandelt, ist eine Frau ohne Wurzeln und Bindungen, selbst ihrer Hündin, die ihr zugelaufen ist, begegnet sie mit Distanz - so kann ein Verlust sie nicht emotional treffen. Dass in ihrem Beruf alles, was als Schwäche ausgelegt werden kann, sehr schnell die eigene Existenz bedroht, versteht sich von selbst. Und so einfach in den Ruhestand verabschieden kann man sich als Auftragsmörderin wohl auch nicht so einfach.

    Liegt es am Alter und der Erkenntnis, dass nicht mehr allzu viele Jahre bleiben könnten? Hornclaw merkt, dass sie einerseits verunsichert auf den Spott und die Diffamierung ihres jungen Kollegen reagiert und sich andererseit für einen deutlich jüngeren Mann interessiert. Ein neuer Auftrag wird für sie zu einem unerwarteten Interessenkonflikt und die Jägerin droht zur Gejagten zu werden.

    Nachdem ich erst vor kurzem Marcel Huwylers "Frau Morgenstern und die Flucht" ebenfalls über eine angejahrte Killerin gelesen habe, hat es mich gleich gereizt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Frauen zu erkunden.

    Vom Stil sind beide Bücher sehr unterschiedlich Byeong-mu Gu beschreibt die Gangsterwelt zwar nicht ganz so brachial wie Un-Su Kim, aber blutig und düster geht es auch in "Frau mit Messer" zu. Krimi, Charakter- und Milieustudie in einem lädt das Buch zur Entdeckung der koreanischen Unterwelt mit ihrem Ehrenkodex und ihren harten Regeln ein. Es bestätigt mich in meiner Meinung, dass es in Korea viel spannende (Kriminal)literatur zu entdecken gibt, die ganz ohne Exotismen den Lesehorizont erweitert. Die lakonische, unsentimentale Schreibweise passt sehr gut zu Inhalt und Protagonstin.

    Dystopie mit Realitätsnähe

    Mit "unsere verschwundenen Herzen" hat Celeste Ng eine zugleich verstörende als auch ermutigende und hoffnungsvolle Dystopie geschaffen, die ich, nachdem ich das Buch angefangen hatte zu lesen, kaum aus der Hand nehmen konnte. Verstörend, weil die Zukunftsversion eines von antiastiatischem Rassismus geprägten amerikanischen Überwachungsstaats, der missliebigen Eltern ihre Kinder entzieht und zu Gesinnungsschnüffelei und Denunziation ermutigt, so realistische Parallelen in der nicht so weit zurückliegenden Geschichte hat.

    Seien es die Kinder von Migranten an der Südgrenze der USA die während der Präsidentschaft Trumps von ihren Eltern getrennt wurden, die indigenen Kinder in Nordamerika oder in Australien, die in Heimen und Internaten zwangsassimiliert und häufig gebrochen wurden, sei es das Schicksal der Kinder von Regimegegnern in der DDR, die zwangsadoptiert wurden oder in der stalinistischen Sowjetunion. Und auch die Schubladisierung von Menschen, hysterischer Patriotismus, der vor allem von der Schaffung von Feindbildern lebt - das klingt alles nur zu vertraut und ist noch gar nicht lange her.

    "Sie war lang, die Geschichte von Kindern, die man ihren Lieben entrissen hatte - die Vorwände unterschieden sich, aber die Gründe waren dieselben. Ein wertvolles Pfand, ein Damoklesschwert über den Köpfen der Eltern. Es war das Gegenteil dessen, was ein Anker ist: der Versuch, etwas Andersartiges, etwas Gehasstes und Gefürchtetes zu entwurzeln.Eine Fremdheit, die als invasives Kraut galt, etwas, das vernichtet werden musste."

    Im Fall des zwölfjährigen Bird, Sohn eines weißen Vaters und einnn er chinesischstämmigen Mutter, war es allerdings etwas anders: Die Mutter, eine Dichterin, hat die Familie verlassen. Seitdem wird sie regelrecht totgeschwiegen, die offizielle Lesart des Vaters ist: Wir wollen nichts mehr mit ihr zu tun haben. Dass sein Vater, vom Hochschullehrer zum Büchereigehilfen degradiert und in prekären Verhältnissen in einem Studentenwohnheim lebend, seinen Sohn damit vor allem schützen will, wird Bird erst später erkennen.

    Vorerst ist er wütend, ratlos, unsicher, warum die Mutter gegangen ist, bis seine Schulfreundin Sadie ihm erzählt, die Mutter sei im Widerstand gegen die Regierung aktiv. Als ein Brief in ihrer Handschrift auftaucht, macht sich Bird auf die Suche - und stößt ebenso wie die Ausreißerin Sadie nach und nach auf ein Netzwerk, in dem Bücher eine wichtige Rolle spielen, um das Schicksal auseinandergerissener Familien aufzuklären.

    "Das Gehirn einer Bibliothekarin war ein geräumiger Ort. Jede von ihnen hatte ihre eigenen Gründe, warum sie dieses Risiko auf sich nahm, und auch wenn die meisten diese Gründe nie mit anderen teilen und sie auch nie persönlich treffen würden, teilten sie alle dieslbe verzweifelte Hoffnung, einen Treffer zu landen und eine Notiz mit dem neuen Aufenthaltsort des Kindes zwischen den Seiten zurückschicken zu können. Eine Nachricht, die der Familie versicherte, dass ihr Kind noch existierte, wenn auch in weiter Ferne, und die dem tiefen Loch ihres Verlustes einen Boden gab."

    Und hierin liegt denn auch das Hoffnungsvolle und Optimistische bei aller Düsternis des Romans. Es gibt sie eben doch, die Anständigen, dir Gerechten, die Hinsehenden, die sich mit den Umständen nicht abfinden wollen, die ihrer eigenen Angst trotzen und versuchen, etwas zu tun, auch wenn sie in ihrem Widerstand so klein, so einsam, so gefährdet sind. Kunst, Bücher, Bibliotheken werden Orte der Erinnerung, des Bewahrens von Werten, der Ausgangsort von Handlungen und Hoffnung.

    Der Schreibstil von Ng erinnert an chinesische Tuschezeichnungen oder Kalligraphie - mit weniger Worten und Sätzen gelingt es ihr, die Stimmung und Atmosphäre zu skizzieren, den Gemütszustand von Bird, die Einsamkeit seines Vaters, die Aktionen des Widerstands. Manche Elemente sind geradezu märchenhaft, andere erinnern nur zu sehr an Realitäten

    Ein angekündigter Mord

    Es gibt Mordopfer, die sind einem trotz ihres plötzlichen und gewaltsamen Todes einfach nicht sympathisch. Nadine Just in Ursula Poznanskis Kriminalroman "Stille blutet" ist so ein Fall. Die 27-jährige hat steile Karriere bei einem privaten Fernsehsender gemacht, wobei sie ihren Erfolg klar ihrem Aussehen und der Nähe zm Senderchef und nicht etwa journalistischen Qualitäten verdankt. Unbeliebt ist sie aber vor allem wegen ihres Charakters, den Angriffen auf alle, die nicht so jung und schön wie sie sind, die Herabwürdigung ihrer Opfer in sozialen Medien. Und dann ist da die Nachrichtensendung, in denen sie live vom Teleprompter abliest, es werde in Kürze zum Tod einer bekannten Fernsehmoderatorin kommen. Ein Verbrechen könne nicht ausgeschlossen werden. Der Name des Opfers sei - Nadine Just.

    Der Werber Tibor Glaser hat sich zwar vor ein paar Monaten von Nadine getrennt, ist aber dennoch erschrocken, als er die Sendung sieht. Als er Nadine telefonisch nicht erreichen kann, fährt er zum Sender und findet sie schließlich tot in ihrer Garderobe. Da die Polizei ebenfalls die Statistik kennt, dass bei Morden der Täter in der Regel im persönlichen Umfeld zu suchen ist, gerät natürlich auch Glaser ins Blickfeld - Trennung hin oder her.

    Zu den Ermittlern gehört Serafina (Fina) Plank, bei geringer Körpergröße eher kompakt gebaut, was bei ihr zu gehörigen Komplexen und Unsicherheiten im Umgang mit ihrem Äußeren führt. Das wird nicht gerade leichter durch ihren Chauvie-Kollegen Oliver beim Wiener LKA, der keinen Hehl daraus macht, dass er die Mordkommission lieber wieder als frauenfreie Zone hätte und kräftig mobbt.

    Dann kündigt ein freie Fotograf in seinem Blog seinen Tod an - und als er in der Tat tot aufgefunden wird, trendet in den sozialen Medien der hashtag inkürzetot. Pech für Björn Glaser, dass es auch in dem zweiten Fall eine Verbindung zu ihm zu finden scheint. Je mehr er versucht, seinen Ruf zu retten, desto mehr verstrickt er sich in ein Netz, das er nur ahnen kann. Sein Partner will ihn aus der Werbeagentur haben, da der Verdacht gegen den Werber geschäftsschädigend ist, in den sozialen Medien wird er an den virtuellen Pranger gestellt und die Polizei hat sich auf ihn als Hauptverdächtigen eingeschossen. Wenn Fina Plank andere Optionen untersuchen will, muss sie sich gegen den Vorwurf verteidigen, eine Schwäche für den gutaussehenden Werber zu haben und daher voreingenommen zu sein. Während Glaser immer neue und erschreckende Dinge über Nadine erfährt, lässt sich erahnen, dass er nur eine Figur im Spiel eines Unbekannten ist.

    Die Charaktere des Romans sind womöglich ein bißchen holzschnittartig und lassen wenig Tiefe erkennen. Spannend ist der Fall allemal und erinnert an so manchen Hitchcock. Die Auflösung samt Cliffhanger-Ende lässt einige Fragen offen. Dennoch habe ich mich gut und spannend unterhalten gefühlt.

    In der Hörbuch Version gefällt mir Julia Nachtmann als Sprecherin einmal mehr sehr gut. Sie hat eine warme, angenehm zu hörende Stimme und spricht auf eine zurückgenommene, nicht übermäßig dramatisierende Art, die für mich gut passte.

    Brandheißer Schwedensommer

    Wenn das mal nicht brandaktuell ist nach einem heißen Sommer, in dem in Europa einmal wieder vielerorts die Wälder brannten. Die Klimakrise spielt in Pernilla Ericsons Kriminalroman "Im Feuer" im Hintergrund immer wieder eine Rolle. Da es ein Krimi ist, ist allerdings auch so mancher Brand und damit zusammenhängende Todesfall auf menschliches Zündeln zurückzuführen. Dennoch werden Erderwärmung, Klimaveränderunge und das Dauerschwitzen selbst im schwedischen Sommer immer wieder thematisiert.

    Die Polizistin Lilly Hed hatte in Stockholm schon große Fälle bearbeitet. Im beschaulichen Nynäshamn ist die Verwunderung bei den Kollegen an der Schärenküste groß, dass sich die Ermittlerin ausgerechnet in die vergleichsweise unspektakuläre ländliche Idylle versetzen ließ, wo Schwerkriminalität normalerweise ein Fremdwort ist. Zumal Lilly sich über ihre Gründe und ihr Privatleben ausschweigt. Auch die Leser wissen zunächst nur, dass es einen Vorfall gegeben haben muss, der die Polizistin ausgebrannt oder traumatisiert zurückgelassen hat - ein Hinweis sind die Schlaftabletten, die sie immer braucht.

    Als ein Mann in seinem Haus bei einem Brand ums Leben kommt, wird zunächst ein Suizid nicht ausgeschlossen - es gab Eheprobleme, wie auch bei einem zweiten Vorfall. Doch dann häufen sich die Anzeichen für Fremdverschulden. Daneben gibt es aber auch genügend "natürliche" Brände, die Menschen und Grundstücke gefährden und die Polizisten wie auch die Feuerwehr auf Trab halten. Hat ein psychische kranker Mann, der vor Jahren in der Gegend Brände gelegt hat, die Hand im Spiel?` Gibt es ein verbindendes Element zwischen den Toten? Je mehr Lilli in der Vergangenheit wühlt, desto mehr Rauch von neuen Feuern scheint ihre Sicht zu trüben. Als zunächst eher irritierende Ablenkung entpuppt sich auch der sympathische Feuerwehrmann Jesper, der Lillys Furcht vor Nähe gewaltig auf die Probe stellt.

    Hinzu kommt eine zweite Erzählebene, das Schicksal eines Menschen, der von einer Gruppe Jungen als Monster verhöhnt, geqüält und misshandelt wird, der schließlich seine Wohnung in einem Feuer verliert. Übt er etwa Rache? Ist er körperlich dazu überhaupt imstande? Je mehr Lilly herausfindet, desto größer wird auch ihr Risiko, denn wer immer die Brände gelegt hat, will das Geheimnis unbedingt wahren....

    Ebenso wie Lilly müssen die Leser lange in der Asche stochern. Der Plot sorgt für Überraschungen und ist spannend aufgebaut, wobei ich schon so eine leise Ahnung hatte, wer hinter all dem steckem könnte. In der Auflösung kommt dann alles passend zusammen. Spannend geschrieben und mit dramatischen Brandszenen, die dafür sorgen, dass einem beim Lesen ordentlich eingeheizt wird. Die Protagonisten sind sympathisch und glaubwürdig. Demnächst mehr?

    Schmuggel, Clans und ein toter Ex

    er one night stand der noch ziemlich verkaterten Frankfurter Anwältin Carla Winter kommt zu einem jähen Abschluss, als ihre Sekretärin sie aus dem Schlaf reißt: Sie soll sofort zur Kanzlei kommen. Ein Herr vom türkischen Generalkonsulat wolle sie dringend sprechen. Immerhin: Der Mannn sähe aus wie Doktor Schiwago. Doch alle Ähnichkeit mit Omar Sharif verblasst angesichts der unschönen Nachricht, Winters Ex-Mann sei bei einem Autounfall in der Türkei ums Leben gekommen. Ob Winter sich mangels anderer Angehöriger um Überführung und Begräbnis kümmern würde. Und da hatte die Anwältin schon gedacht, es ginge um einen ihrer Klienten aus dem Ruhrgebiet, Oberhaupt eines kriminellen Clans!

    Kaum hat Carla Winter in Lukas Erlers Kriminalroman "Das letzte Grab" den ersten Schock überwunden, wartet zu Hause der nächste. Denn ihr Haus wurde gründlich auf den Kopf gestellt und der Lover der vergangnen Nacht, den sie zunächst des Vandalismus verdächtigt hatte, ist tot im Kleiderschrank. Der Genickbruch und die Auffindesituation schließen eine natürliche Todesursache aus. Und Clara Winter kann sich nicht einmal an den Namen des Mannes erinnern!

    Die volle Tragweite der Vorfälle und die Verbindung zu ihrem Ex Felix erschließt sich erst nach und nach. Abgesehen von Narzissmus und Bindungsunfähigkeit hatte der Mann noch einen Geschäftszweig beim Schmuggel und Verkauf von Raubkunst, den er ihr tunlichst verschwiegen hatte. Der Mann, der Carla Winter darüber aufklärte, ist kurz darauf ebenfalls tot und schon bald ahnt sie, dass auch sie ziemlich weit oben auf der Liste der Menschen ist, die nicht vor Mord zurückschrecken, um in den Besitz einer geschmuggelten Statuette zu kommen. Dummerweise hat die Anwältin keine Ahnung, wo das Kunstwerk sein könnte.

    Hilfe in der Not sind die kriminellen Mandanten aus Duisburg mit ihrem verzweigten Netzwerk im türkisch-syrischen Grenzgebiet und ein grummeliger alter Professor. Der Titel des Romans ist ein ziemlicher Spoiler: Es ist wenig überraschend, dass die einsame Beerdigung nicht das letzte ist, was Winter von ihrem Ex zu sehen bekommt.

    Enttäuschte Liebe und Loyalität, Druck und Gegendruck, Psycho-Spielchen und brutale Gewalt spielen gleichermaßen eine Rolle. Die Anwältin geht ein hohes persönliches Risiko ein, um die Hintergründe und Hintermänner ihres wohl persönlichsten Falls zu ergründen. Hier ist kein Aktenstudium gefragt, sondern Entschlossenheit. Auch wenn manche Entwicklung nicht völlig überraschend kommt für routinierte Krimileser, bietet "Das leere Grab" spannende Unterhaltung zwischen Orient und Okzident.

    Roadtrip der Hoffnungen

    Es gibt Bücher, die möchte man eigentlich gar nicht zu Ende lesen, weil sie einfach so gut sind und der Blick auf den immer dünner werdenden Teil bis zur letzten Seite den Abschnitt vom Buch bedeutet. "Lincoln Highway" von Amor Towles war für mich so ein Buch. Ein Leseerlebnis wie ein Road Trip durch die amerikanische Weite, wenn auch ein wenig anders als ursprüngich erwartet. Zugleich ist es eine Coming of Age-Geschichte und das sensibel gezeichnete Porträt von vier Jungen bzw jungen Männern, die bei all ihren Unterschieden eines eint: Sie sind Söhne ohne Väter, versuchen auf unterschiedliche Weise mit dieser Leerstelle in ihrem Leben umzugehen, während sie ihre Träume verfolgen.

    Das Buch startet im Mittleren Westen in Nebraska, als der 18-jährige Emmett nach Verbüßung seiner Zeit in einer Jugendstrafanstalt wegen Totschlags zurück auf die Farm der Familie zurückkehrt. Ein unglücklicher Sturz bei einer Schlägerei hat einen Kontrahenten das Leben gekostet - für Emmett ein Anlass, sich mit seinem Jähzorn auseinanderzusetzen. Wer ihn nun erlebt, traut ihm die Gewalt gar nicht zu, so besonnen, überlegt, reif weit über sein Alter hinaus wirkt er. Denn auch viel Verantwortung lastet auf dem jungen Mann: Für seinen achtjährigen kleinen Bruder Billy,einen aufgeweckten, lebhaften und sehr intelligenten Jungen, muss er nun Vater und Mutter sein. Die Mutter hat die Familie verlassen, als Billy ein Baby war, der Vater ist nach langer Krankheit gestorben und die Farm, so erfahrt Emmett gleich bei seiner Ankunft, gehört der Bank. Alles was den Brüdern geblieben ist, ist Emmetts Studebaker.

    Doch bei Emmett läuft nichts ohne Plan: Er will nach Texas, ein baufälliges Haus kaufen, renovieren, wieder verkaufern und in zwei weitere Häuser investieren - und immer so weiter, bis er irgendwann andere für sich arbeiten lassen kann. Doch er hat die Rechnung ohne Billy gemacht, der ihm erklärt, sie müssten nach Kalifornien. Denn in den Unterlagen des Vaters hat der Kleine Postkarten der Mutter getroffen, die offenbar den Lincoln Highway entlang nach Kalifornien gezogen ist - die letzte Postkarte kam aus San Francisco.

    Und noch andere Störmanöver gibt es mit dem Auftauchen von Duchess und Woolie, zwei Freunden Emmetts aus der Strafanstalt. Duchess, streetwise und mit allen Wassern gewaschen, Sohn eines fahrenden Schauspielers und Kleinkriminellen, und der ein bißchen langsame Woolie, der aus bester Ostküstenfamilie stammt, gewissermaßen Ostküstenadel, aber psychisch krank ist. Während Duchess als Kind von seinem Vater im Waisenhaus abgegeben wurde, weil er einer Romanze im Weg war, hat Woolie nie den Tod seines Vaters als Offizier im Zweiten Weltkrieg verwunden.

    Die Handlung von "Lincoln Highway" spielt in den frühen 60-er Jahrem, es ist ein langsameres, leiseres, monochromeres Amerika, die Trennung der Menschen in Schwarz und Weiß wird noch akzeptiert, das Frauenbild ist sehr traditionell, aber eigentlich wabert dieses gesellschaftliche Umfeld am Rand des Blickfelds, denn Duchess und Woolie torpedieren die Reise in den Westen, weil sie Woolies Erbe aus dem Safe seines Urgroßvaters aus dem Ferienanwesen in Neu England holen wollen. Zu welchen Komplikationen das führt, soll hier gar nicht erörtert werden.

    Towles lässt seine Leser den Abenteuern der vier Jungen folgen, immer wieder werden dabei die Perspektiven gewechselt, Wege trennen sich und führen wieder zusammen. Und wenn Emmett und Billy wie die Hobos in Güterzügen unterwegs sind, treffen sie auf Menschen wie Ulysses, in dem Billy mit seiner Begeisterung für Helden und Entdecker einen wiedergeborenen Odysseus zu erkennen bleibt. Lincoln Highway hat seine großen und kleinen Tragödien, steckt voller Träume und Hoffnungen. Die ruhige, bildhafte Erzählweise trägt zum Lesegenuss bei und viel zu schnell endet die Lesereise auch trotz der 575 Buchseiten. Mit Emmett, Billy und ihren Freunden unterwegs zu sein, macht Spaß und nachdenklich gleichermaßen.