Ach, unterstehe dich, "weniger zu schwafeln", deine Assoziationen sind echt bereichernd für mein eigenes Gedankenkarussell.
Ich finde es ist eine Gratwanderung. Ich selbst habe - wie vermutlich fast jeder - ein paar Jahrzehnte gebraucht, bis ich das "Deutschinterpretation"-Trauma überwunden hatte (was ja auch hier im Buch mit Dr. Theuert angesprochen wird). Eine Interpretation bestand bei mir aus Einleitung, Schluss und ein paar strukturellen Aspekten. Mit einer halben Spalte kam ich für eine Gedichtsinterpretation hin, das reichte dann meist für eine 4.
Aus meiner heutigen Sicht ist das, was damals bei uns im Deutschunterricht gemacht wurde, ungefähr so sinnvoll, wie einem Erstklässler die Aufgabenstellung zu geben, eine möglichst realistische Beschreibung eines Orgasmus zu verfassen.
Nach der jahrzehntelangen Überwindung des "Deutschinterpretation"-Traumas brauchte ich noch etliche weitere Jahre um überhaupt eine Ahnung davon zu bekommen, was Kunst wohl sein könnte.
Eine Leserunde wie diese ist bei einem Buch wie "Die Wahrheit über Metting" aus meiner Sicht deswegen eine Gratwanderung, weil man durch diese verquere Art des Kunstbegriffs, wie er z.B. aus dem Deutschunterricht kommt, ständig droht in einen Schlaumeier-Wettbewerb zu verfallen.
Wie kommt man auf die absurde Idee Kunst z.B. im Sinne einer Deutschinterpretation zu einem benoteten Leistungswettbewerb von Kindern zu machen? Es ist abgründig, widersinnig!
Tom hat uns ein Buch voller schillernder Fische gegeben und ich möchte gerne auf viele dieser Fische zeigen, weil sie so schön sind. Aber sie sind schnell wieder verschwunden, weil man sie nur sehen kann, wenn der Blickwinkel gerade der richtige ist und der ist bei jedem anders. Es ist ein gemeinsames Erlebnis, ein Teilen. Hat man den ersten Fisch erst mal gesehen und weiß, wie er aussieht, sieht man die anderen plötzlich leichter.
Es ist ähnlich wie bei diesen 3D-Bildern, die nur dann 3D sind, wenn man ein bisschen schielt und einen Punkt hinter oder vor dem Bild fokussiert. Man kann nicht erklären, wie man drauf schauen soll, man kann nur sagen, was man sieht und schon fokussiert man falsch und es ist wieder verschwunden. Es ist auch ähnlich wie das Erklären eines Witzes, was einfach ziemlich sinnlos ist.
Kunst zu erleben hat überhaupt nichts mit einer intellektuellen Leistung zu tun, sondern mit eigenen Erfahrungen, mit dem eigenen aktuellen Gemütszustand, mit einer Offenheit, dem richtigen Zeitpunkt.
Durch den Deutschunterricht und das Bildungsbürgertum ist daraus ein höchst unsinniger Wettbewerb geworden und es ist schwer von Kunst zu reden, ohne zu einem Wettbewerbsteilnehmer zu werden. (Sorry, ich schreibe mich gerade in Rage...)
Es ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis schöne Dinge zu teilen. Wenn ich schillernde Fische sehe, möchte ich gerne darauf zeigen und sagen, schau da dieser wunderbare Fisch. Aber ich weiß, dass womöglich nur ich ihn in diesem Moment gerade sehen kann und er auch für mich dann schon wieder weg sein kann. Und gleichzeitig gibt es eben noch das Problem, dass es seine Magie verliert, wenn man zu sehr darauf zeigt. Ich weiß nicht, ob ich dafür das richtige Gespür habe.
Nichts ist so nah an Magie wie Kunst, es lässt einen tiefe Wahrheiten in einem selbst erkennen.
Und es hat einfach rein gar nichts mit dem formelhaften Kram aus meinem Deutschunterricht zu tun.
Ich liebe diesen Moment, wo aus der Fassade von ein paar Worten, einer Metapher plötzlich eine dreidimensionale Welt wird, man hinter die Kulisse treten kann und sieht, wie es wirklich ist.