Ja, die Studie muss ich auch endlich mal ganz lesen (stecke aber noch in Amor gegen Goliath, das zwar sprachlich sehr schön ist, aber bisher auch etwas träge vorankommt).
Hier mal ein paar Zitate aus der Studie, die unsere Diskussion hier berühren (Studie 2024, die aktuellen Ereignisse sind also noch nicht berücksichtigt):
- S.90:
In der gegenwärtigen Debatte versuchen CDU/CSU und SPD sowie die FDP, auf die Wahlergebnisse der extrem-rechten AfD in Thüringen und Sachsen mit einem Paradigmenwechsel in der Bundespolitik zu reagieren. Die Migrationspolitik soll restriktiver werden, wobei zur Begründung zentrale Motive rechtsextremer Rhetorik, wie Sozialstaatsmissbrauch und Überfremdung, übernommen werden. Dabei findet sich nur unter den AfD-Wählern mit 61 % Zustimmung zu allen drei Aussagen in dieser Dimension eine Mehrheit mit ausländerfeindlichem Weltbild. Die Zustimmung in der Dimension Ausländerfeindlichkeit liegt unter Wählern von CDU/CSU, SPD, FDP sowie BSW bei gerade mal um die 20 %. Grünen-Wähler können in der Breite diesen Aussagen nichts abgewinnen (rund 3 %) und unter den Wählern der Linkspartei sind es 12 %. Interessant ist auch der Anteil derjenigen, die nicht wissen, welche Partei sie wählen wollen. Diese Unentschiedenen haben durchgängig ähnlich niedrige Werte wie die Wähler der Grünen und der Linkspartei. Es zeichnet sich hier ab, dass die liberalen Teile in der Wählerschaft von CDU/CSU, SPD und FDP ihren bisherigen Parteien den Rücken kehren könnten. Die AfD hat unter den Unentschiedenen keine Reserven mehr. Vielmehr zeigen sich gegenwärtig eher Menschen, die ausländerfeindlichen Ressentiments ablehnend gegenüberstehen, von den demokratischen Parteien enttäuscht. Dies verstärkt den Eindruck einer Orientierungslosigkeit bei gleichzeitig intensiver Krisenwahrnehmung und wird die Volatilität bei der Parteiwahl weiter erhöhen sowie zu wechselnden Mehrheiten und Parteikoalitionen in den Parlamenten führen.
- S.94:
Die Politik läuft Gefahr, die Flucht ins Autoritäre nicht nur zu legimitieren, sondern auch selbst zu beschreiten Die Herausforderungen der Gegenwart werden von vielen Menschen als einschneidend erlebt. Zu den massiven Veränderungen aufgrund von Krieg und Klimawandel gesellen sich die marode Infrastruktur von Schulen und öffentlichem Personenverkehr sowie eine schwächelnde Gesundheitsversorgung und ein bröckelndes Sozialsystem. Die Antwort der extremen Rechten liegt in der autoritären Restitution, sie braucht hierfür »Andere« als Sündenböcke. Die vorschnelle Reaktion der bundesdeutschen Politik ist aber nicht nur ein Versuch, das Thema der Rechten zu einem Thema der Mitte zu machen. Darin zeigt sich auch der Versuch, die autoritäre Flucht selbst anzutreten. Vor dem Hintergrund der Verantwortung für die Herausforderung verspricht die Übernahme der extrem-rechten Themen eine Krisenbearbeitung, die eine Bestandsaufnahme der Politik über die letzten Jahrzehnte unnötig macht. Damit gleichen sich die demokratischen Parteien an die Krisenbewältigung der autoritären Agitatoren an und bestätigen nolens volens eine Diagnose, die der Sozialwissenschaftler Stuart Hall Anfang der 1980er Jahre angesichts der Reaktionen auf die neoliberale Wirtschaftspolitik der Regierung Thatcher in Großbritannien fand: Autoritärer Populismus ist eine Krisenbearbeitung des Neoliberalismus (Hall, 1982). Mit demokratischen Aushandlungsprozessen hat er nichts zu tun.
- S. 95: Unter den Bürgern beider deutschen Landesteile finden sich gleichzeitig eine hohe Akzeptanz für das demokratische System sowie eine latente Aufstandsbereitschaft gegen diese Herrschaftsform. Dabei wird die Aufstandsbereitschaft immer häufiger wahlentscheidend. Dies führt nicht nur zu einem Anstieg der Wahlerfolge extrem-rechter und neonazistischer Parteien, sondern außerdem zu einer hohen Wechselbereitschaft. Daraus folgt, dass sich die Bundesbürger auch an dieser Stelle auf unsichere Verhältnisse einstellen müssen. Inwieweit dies zur weiteren Suche nach autoritärer Sicherheit und Ambiguitätsreduktion führt – und damit zu einem erstarken antidemokratischer Kräfte –, hängt nicht zuletzt von der politischen Performanz und der Resilienz der Bürger ab. Beides kann nur abgesichert werden, wenn sowohl die Parlamente als auch die Bundesbürger in den Stand gesetzt werden, in Aushandlungsprozesse zu treten. Die Limitierung der psychischen und sozialen Verhandlungsräume durch behauptete fiskalische und politische »Alternativlosigkeit« führt auf jeder Ebene zur Schwächung der Demokratie. Die Politik einer Stärkung der parlamentarischen Vermittlungsorte und der Bürger wird die grundlegenden Widersprüche der Gesellschaft und die aus diesen erwachsenen Probleme nicht lösen. Aber sie kann ihre Folgen lindern helfen.
Ich bleibe dabei:
Leider machen die demokratischen Parteien gerade alles falsch, was man in dieser Hinsicht falsch machen kann, insbesondere die CDU.