Ein Herz macht Pause
von Inkslinger
Dieses Piepsen macht mich wahnsinnig. Entnervt schaue ich zu dem Gerät rüber, das meine Vitalfunktionen überwacht. Eine schnelle Folge von Tönen kündigt die nächste Blutdruckmessung an. Der Blutkreislauf wird kurz durch die Manschette an meinem Oberarm abgeschnürt.
Eigentlich soll man sich doch auf der Intensivstation erholen, oder? Diese Geräte stressen mich einfach nur. Und Stress ist ja das, was mich hierher gebracht hat – sagen die Ärzte.
Oh Mann, das kann man auch niemandem erzählen.
„Och, Bine, was ist dir denn passiert?“
„Ich hatte Sonntag einen Schwächeanfall beim Eierbraten. Aber keine Sorge, den Eiern ist nix geschehen, die sind weich auf meinem Arm gelandet.“
Einfach nur peinlich!
Der Verband an meinem linken Arm juckt schrecklich. Mit spitzen Fingern ziepe ich ein bisschen daran rum. Der Mull scheuert über die Brandblasen, die seit meinem Küchenunfall die Stelle zwischen meiner Armbeuge und dem Handgelenk zieren, und gibt mir wenigstens für den Moment Erleichterung.
Was soll ich nur tun? Ich fühle mich so nutzlos und fehl am Platz. Ich wäre lieber zu Hause. Oh nein, daheim ist bestimmt die Hölle los! Ich sollte da sein und meine Mutter unterstützen. Die zwei Kleinen können echte Monster sein. Besonders, wenn sie sonntags kein Spiegeleifrühstück bekommen.
Siedend heiß fällt mir dabei ein, dass Max morgen auf Geschäftsreise fährt. Ich habe seine Tasche noch nicht gepackt. Zwar habe ich ihm seine Klamotten für heute Abend rausgelegt, da er jeden Tag um 19 Uhr duscht, aber diese vermaledeite Tasche dabei voll vergessen.
Ich habe noch so viel zu tun, ich kann einfach nicht hierbleiben!
Nervös knibbel ich an den Kabeln, die mich an diese Maschinen ketten. Irgendwo geht ein Alarm los und kurze Zeit später kommt eine Schwester ins Zimmer gerannt.
„Frau Berg, alles okay bei Ihnen? Was machen Sie denn da?“
„Meine Familie braucht mich, ich muss hier raus!“
Schwungvoll rupfe ich alle Stecker raus, die ich in die Finger kriege. Ein aufdringliches Pieporchester hüllt mich von allen Seiten ein.
„Frau Berg, das geht doch nicht, lassen Sie das!“
Energisch reißt sie mir die grauen Schlangen aus den Händen und drückt den Rufknopf.
Ein Pfleger gesellt sich zu uns. In der Hand eine Spritze, die er in meinen Tropf schießt. Sofort überkommt mich ein angenehmer Dusel.
Die Schwester lullt mich ein. „Wir müssen rauskriegen, was der Auslöser für Ihren Anfall war. Ein verstopftes Gefäß im Gehirn oder ein Aussetzen ihres Herzschlags können wir nicht ausschließen. Erst erholen Sie sich, dann sehen wir weiter.“
Der Blutkreislauf ist ein seltsames Ding. Täglich laufen zig Liter Blut durch den Körper, ohne dass wir viel davon merken. Bis er nicht mehr funktioniert.
Ich bin der Kreislauf meiner Familie. Das Herz. Nicht das romantische, sondern das medizinische. Ich schufte und schufte und keiner bemerkt mich. Außer, wenn ich einen Ausfall habe, so wie jetzt. Ein altes, verschrumpeltes Stück Muskelgewebe.
Doch was ist ein Herz ohne einen Körper?