Der Strand
Sinela
Mit kräftigen Flossenschlägen schwamm die Meeresschildkröte durch das Wasser. Ihr Instinkt ließ ihr keine Wahl, als genau an dem Strand an Land zu gehen, an dem sie vor vielen Jahren geboren worden war. Im Licht des Vollmondes verließ sie das nasse Element, das ihre eigentliche Heimat war, und lief über den Strand um eine geeignete Stelle für ihr Vorhaben zu finden. Dort begann sie ein Loch zu graben und als es tief genug war, begann sie mit der Eiablage. Nach getaner Arbeit begann sie den vorher weg geschaufelten Sand wieder in die Grube zu werfen. Immer höher wurde der Berg, bis die Schildkröte zufrieden war und sie sich wieder auf den Weg zurück zum Meer machte.
„Wahnsinn“, flüsterte Sarah, die zusammen mit ihrem Begleiter am Waldrand zwischen einigen Bäumen lag. „Das ist jetzt schon die vierte Schildkröte heute Nacht, die ihre Eier hier abgelegt hat, und es ist erst 23 Uhr.“
„Es ist wirklich faszinierend, was die Natur hier geschaffen hat. Die Sonne brütet die Eier aus; während bei Temperaturen über 29,9 C° nur Männchen schlüpfen, schlüpfen bei höheren Temperaturen ausschließlich Weibchen.“flüsterte Nick zurück. „Und das wundert mich nicht, wo Frauen doch so schnell frieren.“
Sarah versetzte dem jungen Mann einen Stoß mit dem Ellenbogen, musste dann aber doch grinsen.
„Oh, schau mal, da kommen gleich mehrere Schildkröten auf einmal an Land. Sie sind einfach nur wunderschön.“
Als keine Antwort kam, sah sie ihren Begleiter an und bei dem Blick, den er ihr zuwarf, begann sie schneller zu atmen.
„Du bist wunderschön, Sarah. Ich möchte dich gerne küssen, darf ich?“
Diese Frage kam nicht völlig überraschend für die junge Frau, denn schon die ganze Zeit, in denen sie mit Nick Wache am Strand schob, war da diese Spannung zwischen ihnen gewesen. Deshalb nickte sie nur und der junge Mann eroberte mit einem tiefen Seufzen ihre Lippen. Der Kuss ging in einen weiteren über, wurde leidenschaftlicher.
„Komm, lass uns ein Stück in den Wald hineingehen, damit uns niemand sieht. Ich möchte dich dort so sehen wie Mutter Natur dich schuf.“
Sarah erzitterte vor Verlangen, ihr Herz raste, aber ihr Verstand ließ sie nicht so einfach gehen.
„Aber wir können hier doch nicht weg. Was, wenn ausgerechnet dann jemand kommt, um die Schildkröteneier zu stehlen, wenn wir nicht hier sind?“
„Ach komm, es ist jetzt die ganzen Nächte ruhig geblieben, die Eiablagezeit ist bald vorüber, da wird nicht ausgerechnet jetzt etwas passieren.“
„Na gut“, antwortete Sarah zögernd. Nachdem sie sich ein letztes Mal umgesehen hatte, folgte sie Nick in den Wald hinein.
Es dämmerte bereits, als die Beiden zurück zum Stand gingen. Immer wieder blieben sie dabei stehen, um sich zu küssen. Als sie aus dem Wald traten, blieben sie wie erstarrt stehen.
„Nein, das kann nicht! Nein! Nein! Nein!“
Sarah riss sich von Nicks Hand los und rannte über den Sand. Über den gesamten Strand verteilt waren Löcher gegraben worden, kein einziges der in dieser Nacht gelegten Eier befand sich mehr darin. Sarah drehte sich zu Nick um, der ihr gefolgt war.
„Wir hätten nie hier weg gehen dürfen! Wir hatten doch die Verantwortung für all diese kleinen Schildkröten, die jetzt nie geboren werden! Wir sind schuld, dass die Eier für immer verloren sind!“
Sarah schlug in ihrer Verzweiflung auf Nick ein, während die Tränen unaufhaltsam über ihre Wangen rannen.
„Es tut mir leid, ich hätte nie gedacht ...“
„Hör auf!“, schrie Sarah ihn an. „Hör einfach auf!“
Sie drehte sich um und rannte über den Strand, der nun wegen ihnen doch keine Kinderstube für Meeresschildkröten werden würde.