Warte, werde...
Marlowe
Warum machen Sie das?
Die Frage schwebte unausgesprochen im Raum. Wie ein blass blauer Nebel war sie aus den neugierigen Augen des Mannes im Sessel vor ihr herausgeglitten, Buchstaben formend, die sich flimmernd langsam wieder auflösten.
Aber nur sie konnte sie sehen und lesen. Sie, die rätselhafte Person, die Nieschläferin, die den Mann im Sessel an die Grenzen seines Verstandes führte, weil er nicht wusste, was ihre Anwesenheit bedeutete. Der Sesselmann war ihr jetzt gleichgültig, inzwischen lästig sogar, nichts war für immer.
Wieder erschien dieses zuerst sanfte Leuchten um ihren Kopf. In den glänzenden Augen vor ihr spiegelte es sich wie ein Fremdkörper. Diesmal jedoch wurde es intensiver. Das Sofa auf dem sie saß strahlte rötlich und dem Mann fiel der Satz ein „und ich sah eine Frau sitzen auf einem scharlachroten Tier“.
Er schluckte ängstlich, aus Kapitel siebzehn der Offenbarung stammte dieser Satz, fiel ihm plötzlich ein. Etwas Unerhörtes passierte hier gerade. Zum ersten Mal, seit sie so plötzlich bei ihm aufgetaucht war überkam ihm eine unheilvolle Ahnung.
Plötzlich war sie auf seiner Terrasse gestanden. Wie aus dem Nichts. Sie war schön, ja vollkommen sogar, fand er und dabei so rätselhaft. Wie ein Wesen aus einer anderen Dimension und doch so real, wie sie da vor ihm stand. Er erinnerte sich, wie er den Stift fallen ließ, die Rede vor dem Ausschuss war plötzlich unwichtig. Alles andere war genauso unwichtig. Dieses danach war aber nur noch ein verschwommener Traum.
Wie lange war das her? Er grübelte. Zwei Wochen? Konnte das sein? Ja, doch, seit vierzehn Tagen saß sie auf seinem Sofa. Die Augen immer offen, sie aß nichts, sie trank nichts, sie sprach nicht. Trotzdem konnte er sie hören und sie kannte seine Fragen schon bevor er sie aussprach. Es war, sie war magisch. Er erinnerte sich nicht daran, wann er geschlafen oder etwas gegessen oder getrunken hatte, aber er sah die Kanne und die Tasse neben sich. Er hörte sie denken, dass alles jetzt gut werde. Jetzt?
Ja jetzt, in diesem Augenblick. Sie stand auf, nahm seine Hand und ging mit ihm in den Garten. Der Himmel war dunkelblau, ein gespenstisches Wetterleuchten ließ ihn immer wieder die Umrisse der Umgebung erkennen. Dann sah er sie.
Weiß, rot, schwarz, fahl, die Pferde der Reiter schnaubten und stürmten über das Firmament. Der Boden bebte und er hörte die Frau denken. Warte, werde, wache auf!
Wache auf? Jemand in der Nähe schrie etwas. Aufwachen, aufwachen, Professor, Professor! Verwirrt fuhr er hoch aus seinem Sessel, hörte das Hämmern an der Tür und die Stimme seines Assistenten. Er lachte laut auf. Der arme Kerl kam aus Deutschland, Erdbeben waren für ihn die Apokalypse schlechthin.