Beiträge von SchreibwettbewerbOrg

    Wer Familie hat, braucht keine Feinde mehr

    von Inkslinger


    Endlich habe ich alles so hergerichtet, wie ich es haben wollte.

    Das Mittagessen steht auf dem gedeckten Küchentisch. Ich habe lange dafür gebraucht, die Esswerkzeuge perfekt auszurichten, aber die Mühe hat sich gelohnt. So gut habe ich das schon ewig nicht mehr hinbekommen.

    Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich heute extrem entspannt bin.

    Die Musik rieselt sanft im Hintergrund. Heute ist Samstag, also läuft Bach. Was anderes hätte auch wirklich nicht gepasst, doch ich bin immer wieder überrascht, wie gut alles fusioniert. Selbst die Schatten in den Zimmerecken umranden das makellose Bild meisterhaft.


    Das schrille Klingeln des Telefons lässt mich zusammenfahren.

    Alles Perfekte zerfließt vor meinen Augen und weicht roten Schmerzblitzen.

    Diese verdammten Kopfschmerzen!

    Ich hebe den Hörer ab und massiere mir die Schläfen. "Hallo?"

    "Hi, Mäuschen, hier ist deine Mama! Was machst du so?"

    Ich stöhne in mich hinein. Meine Mutter – das wandelnde schlechte Timing.

    "Ich wollte gerade zu Mittag essen. Was möchtest du denn?"

    "Ach, nichts. Nur mal quatschen."

    "Mutti, es passt mir grad gar nicht. Können wir nicht morgen reden, wenn ich zum Kaffee komme?"

    "Natürlich", sagt sie gekränkt. "Wenn ich bis dahin noch lebe."

    "Fehlt dir denn was?"

    "Ja, mein Sohn fehlt mir."

    "Wir sehen uns doch morgen."

    "Okay, wenn du nicht mal fünf Minuten für deine arme, alte Mutter hast …"

    Ohne eine Antwort abzuwarten, legt sie auf.


    Mit zitternden Händen stehe ich mitten im Zimmer.

    Diese Frau macht mich rasend!

    Immer wieder zerstört sie meinen inneren Frieden, den ich sowieso nur schwerlich aufrechterhalten kann. Emotionale Erpressung und Drama anstatt Zuneigung und Gespräche auf Augenhöhe. Und das seit über 50 Jahren.

    Ich schließe die Augen, atme tief ein und aus. Versetze mich an meinen Ruheort, wie mein Therapeut es mir beigebracht hat. Bevor er sich vom Acker gemacht hat, wie alle anderen Menschen in meinem Leben. Nutzlose Fleischsäcke ohne Rückgrat. Demütigendende Imitate mitfühlender Lebewesen. Armselige –


    Hinter mir klirrt es. Ich fahre herum.

    Die Frau, die ich heute Morgen an der Landstraße aufgegabelt habe, ist beim Verlassen meines Schlafzimmers anscheinend gegen den Beistelltisch neben der Couch gestoßen. Die Vase, die vor wenigen Augenblicken noch darauf stand – das einzige Erbstück meines Vaters – liegt zerbrochen auf dem Boden.

    Ängstlich starrt die blöde Tussi mich an. Irgendwie hat sie es geschafft, die Fesseln an ihren Füßen abzustreifen. Die Handschellen und der Knebel sind noch an Ort und Stelle. Sie gibt keinen Mucks von sich. Sie starrt einfach nur. Als hätte sie mit alldem überhaupt nichts zu schaffen.

    Bevor ich reagieren kann, löst sie sich aus ihrer Starre und stürzt an mir vorbei, direkt aus der Haustür.


    Ich lasse den Hörer fallen und renne hinterher. Raus, quer über den geschotterten Hof, zum Feldweg.

    Je schneller ich laufe, desto mehr Blitze zucken vor meinen Augen. Ich stolpere und falle der Länge nach hin. Die Frau verschwindet im Wald.

    Verdammt!

    Mühsam rappel ich mich auf und wische mir das Blut von der Nase. Ob es vom Sturz oder den Kopfschmerzen kommt, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur eins: Sobald die Schmerzen vorüber sind, werde ich meine Mutter ein letztes Mal besuchen.

    Mörderischer Stundenplan

    von Breumel


    Ein gut gezielter Schuss, und der Drecksack war erledigt. Und noch einer! Heute hatte es ihm sowas von gereicht, und jetzt war seine Geduld am Ende. Er schoss zurück.


    Schon am Morgen hatte es angefangen. Fast hätte er den Wecker überhört und war spät dran, und dann ein unangekündigter Test in Französisch. Mit der Sprache stand er sowieso auf Kriegsfuß, und Frau Ulbricht hatte so eine arrogante Art, wenn sie ihn mal wieder korrigierte. Er hatte natürlich versagt, schon mit Ankündigung und vorherigem Lernen hielt er sich gerade so auf einer vier.

    Dann Physik bei Herrn Maasmann. Die Parallelklasse hatte Herrn Schmidt, der baute vor der Stunde immer einen Versuch auf, den sie dann ablaufen ließen. Das war echt cool! Aber Herr Maasmann war das zu aufwändig. Da hätte er ja unbezahlt arbeiten müssen. Nein, seine Physikstunden waren erweiterte Mathestunden – Formeln sammeln, Werte eintragen und Unbekannte bestimmen. Ätzend langweilig.


    In der Pause hatte er Hunger gehabt, da er ohne zu frühstücken aus dem Haus gerannt war. Also hatte er sich am Kiosk angestellt. Als er endlich an der Reihe war, waren die ganzen guten Brötchen schon weg gewesen, und er hatte nur noch einen Muffin kaufen können. Und weil Softdrinks ja verboten waren und Schüler auch keinen Kaffee kaufen durften, hatte er die Wahl zwischen Milch und Wasser gehabt. Echt jetzt?!?


    In Deutsch hatten sie die neue Klassenlektüre besprochen. Wobei „neu“ das falsche Wort war. Das Buch war von 1968 und umfasste fast 600 Seiten. Wer suchte so etwas aus? Sein Kumpel Michael hatte ins Hörbuch reingehört, aber das war hier auch keine Alternative – zum Einschlafen langsam und emotionslos gelesen. Es ging um „die Freuden der Pflicht“ – wie wäre es als Alternative denn mit der Freude am Lesen?


    Wenigstens die Englischstunde war gut gewesen. Sie hatten über alternative Energien diskutiert. Dazu hatte fast jeder eine Meinung, so dass der Unterricht zu einer lebhaften Diskussion ausgeartet war, welche Frau Rast auch nicht unterbunden hatte. Bei ihr durften sie reden, und er beteiligte sich freiwillig am Unterricht.


    Dafür war Mathe eine reine Arbeitsblätter-Stunde gewesen. Er hatte die Aufgabe nicht verstanden und Frau Eichhorn um Hilfe gebeten, aber diese konnte einfach nicht gut erklären. Zudem hatte sie zu wenig Zeit für die ganzen Schüler gehabt, welche Fragen hatten. Selbststudium war nicht hilfreich, wenn man sowieso schon Schwierigkeiten mit dem Stoff hatte! Nele hatte neben ihm gesessen und versucht, es ihm zu erklären, aber das hatte ihnen nur eine Ermahnung eingebracht, da sie während der Lernzeit nicht reden durften.


    Auf die sechste Stunde – Sport – hatte er sich eigentlich gefreut, aber Herr Ludwig hatte nur gefragt, ob sie Fußball oder Basketball spielen wollten. Und natürlich waren wieder mehr Schüler für Fußball. Sie könnten echt mal wieder Badminton spielen, oder wenigstens Volleyball! Aber dazu müsste man ja Netze aufbauen.


    Nach Sport hatte er sich noch etwas zu trinken am Automaten geholt. Die Halle wurde auch von Vereinen genutzt, deshalb gab es hier einen richtigen Getränkeautomaten mit Apfelschorle und Iso-Limonaden. Leider kam er dadurch später zum Bus und die Haltestelle war schon knallvoll. Der Bus war überfüllt und er musste auf den nächsten warten. Bis er zuhause ankam, hatte es bereits zu regnen angefangen, und er war völlig durchweicht angekommen.


    Es reichte! Nach diesem Sch…tag wollte er dringend jemanden umbringen. Wieder nahm er einen gegnerischen Soldaten ins Visier und drückte ab. Volltreffer! Er grinste. Bis es Zeit fürs Training im Schützenverein war, sollte sich seine Wut halbwegs gelegt haben. Seine Playstation hatte schon viele virtuelle Leben gekostet, aber keinen wirklichen Schaden angerichtet. Nicht die Ballerspiele machten aggressiv. Dafür war das echte Leben verantwortlich …

    Lieber Nachbar

    von Hanse


    Gerade als ich genüsslich die Augen schließen und mich meinen Träumen hingeben wollte, fing der Nachbar an zu Brüllen. Der Ton war rau und etwas melodramatisch. Etwas genervt, aber auch neugierig stieg ich aus dem Bett und lauschte. Offenbar fand ein Streit auf dem Balkon über mir statt. Die lieben Meiers. Ich hätte sie auf der Straße kaum erkannt, denn sie waren nicht nur mit Dutzendnamen gestraft, sondern auch mit ebensolchen Gesichtern. Ihre Stimmen kannte ich dafür umso mehr. Denn wenn sie nicht stritten, übte die Frau erfolglos zu singen, während mir der werte Gatte als Busfahrer die Haltestellen ansagte.


    Ich öffnete möglichst leise meine eigene Balkontür und glitt hinaus.

    „Gib es zu! Zwischen dir und dem Pfeifer läuft was!“, brüllte Herr Meier gerade und hieb derart auf die Balkonbrüstung, dass die Blumenkästen über meinem Kopf wackelten.

    „Lüge. Ich war nur dort, um mir Eier für den Kuchen zu leihen.“, behauptete Frau Meier entschieden.

    Ich lächelte verschlagen. Herr Pfeifer wohnte direkt neben mir. Er neigte dazu, mich bei der Hausverwaltung anzukacken, wenn ich meinen Müll nicht trennte. Also zweimal wöchentlich.


    Kurzentschlossen schlich ich zum Ende meines Balkons. Dort grenzte dieser an den von Pfeifer. Bei dem war alles dunkel. Er schlief wohl mit Ohropax.

    „Aber Klara!“, rief ich mit verstellter Stimme. Pfeifers japsende Entrüstung kam voll zur Geltung. „Wie kannst du mich verleugnen?“

    Nach einem Moment der Stille stöhnte Herr Meier auf. „Also doch.“

    „Aber...“, Frau Meier hörte sich sehr verzweifelt an.

    „Ich weiß noch genau, wie du erwähntest, was für ein Löwe ich im Bett bin.“, fuhr ich fort. „Ganz im Gegensatz zu dem Schmusekätzchen daheim.“

    „Schnauze, sie Hampelmann!“, schrie Herr Meier und beugte sich vor. Ich wich erschrocken zurück, auch wenn ich mir sicher war, dass er aus dem Winkel nichts sehen konnte.


    „Pah.“, machte ich schließlich. „Kommen sie doch runter, dann können wir das wie Männer regeln. Oder trauen sie sich nicht?“

    Jetzt war Meier sprachlos. Herr Pfeifer war immerhin einen halben Meter kleiner als er und hatte die Figur einer Salzstange. Nur mit weniger Muskeln.

    „Ich mach dich alle, du Hänfling!“, brüllte Herr Meier. Dann waren eilige Schritte zu vernehmen. Kichernd schlich ich zurück in die Wohnung, ehe ich zum Türspion spurtete. Gerade noch rechtzeitig, denn Herr Meier kam gerade aus dem Treppenhaus gestürmt. Sein Gesicht war Rot vor Wut, die Fäuste geballt. Und er wurde immer größer.


    Moment. Größer?

    Erschrocken stellte ich fest, dass es meine Tür war, auf die er zuhielt. Und ehe ich reagieren konnte, hatte er diese auch schon mit einem Karatekick malträtiert, der sie glatt aufbrach. Ich schrie, als die Tür auf mich stürzte.

    Stöhnend arbeitete ich mich unter den Trümmern hervor, während Herr Meier erschrocken vor mir stand. „Oh, verzeihen sie. Ich habe mich in der Tür geirrt.“

    In diesem Moment streckte Pfeifer seinen Kopf auf den Flur. „Dürfte ich um Ruhe bitten? Es ist 22 Uhr. Die Nachtruhe gebietet es...“

    „Da ist er ja!“ schrie Meier und wirbelte herum.


    Man sagt, dass der liebe Gott kleine Sünden sofort bestraft. Dieser Spruch meiner Mutter wirbelte durch meine Gedanken, während ich meine Tür mit Panzertape zu reparieren versuchte. Gleichzeitig wurde Pfeifer vom Meier tierisch durch die Mangel genommen. Die Wände wackelten regelrecht. An Schlaf war nicht zu denken.

    Einer gegen das Kapital

    von R. Bote


    „Ich fürchte, wir haben ein Problem“, verkündete Baudezernent Schrader in der Stadtratssitzung. Stadtrat Helmer wusste, warum der Verwaltungsbeamte dabei ihn ansah. „Auf dem Gelände wurde irgendeine bedrohte Vogelart gefunden. Fragen Sie mich nicht nach dem Namen!“ „Die haben bestimmt wieder irgendwelche Umweltschützer da hingeschleppt!“, warf Schroff von der Stadtpartei ein. Ihn als „wirtschaftsnah“ zu bezeichnen, war fast noch untertrieben. „Nein“, widersprach Helmer ruhig. „Die brüten augenscheinlich schon lange da.“ „Quatsch!“, behauptete Schroff. „Da gibt‘s nichts außer verlotterten Bäumen und wilden Müllkippen. Wird Zeit, dass die Drecksecke endlich verschwindet.“ „Keiner hindert Sie daran, loszuziehen und den Müll einzusammeln“, versetzte Helmer. „Das würde Mensch und Tier helfen.“


    Bürgermeister Bäcker seufzte. „Na toll! Dann brauchen wir einen Gutachter, der bescheinigt, dass wir das als Bauland ausweisen können. Was das wieder an Zeit frisst!“ „Kein Gutachter wird Ihnen die Fläche freibescheinigen“, prophezeite Helmer. „Auf jeden Fall keiner, der sein Fach versteht und schreibt, was richtig ist, und nicht, was ihm der Auftraggeber in die Feder diktiert.“ „Wollen Sie das Projekt mit aller Gewalt zum Scheitern bringen?“, fuhr der Bürgermeister ihn an. „Mann, überlegen Sie mal, was das für die Stadt bedeutet! Arbeitsplätze, Gewerbesteuer ...“ „Das ist mir schon klar.“ Innerlich kochte Helmer ob der Wirtschaftshörigkeit des Bürgermeisters und der Mehrheit der Abgeordneten. „Und Sie kennen meine Position dazu.“ „Nicht schon wieder die Leier!“, beschied ihn der Bürgermeister. „Das haben wir doch schon oft genug durchgekaut.“ „Offensichtlich nicht oft genug, dass alle es verstanden haben“, meinte Helmer. „Wir haben genug alte Industrieflächen, die sich perfekt dafür eignen würden. Erschlossen, Verkehrsanbindung ist da.“ „Die aber teuer wieder aufbereitet werden müssten“, wandte Schrader ein. Er war natürlich instruiert worden, welche Position die Verwaltung zu vertreten hatte. „Und die HGDT AG hat sich entschieden, sie will die Fläche am Schmiedewäldchen.“ „Sie will die Fläche, die den niedrigsten Quadratmeterpreis hat“, stellte Helmer klar. „Aber wir können der Wirtschaft nicht ständig erlauben, uns vor sich herzutreiben. Wir haben eine Verantwortung für die ganze Stadt, auch für zukünftige Generationen.“


    Der Bürgermeister schlug mit der Hand auf den Tisch. „Das sind doch unnötige Debatten!“, behauptete er. „Wir werden den Deal durchziehen, das werden auch ein paar Vögel nicht verhindern.“ „Sie irren!“, bremste Helmer ihn. „Sie glauben doch nicht, dass ich mich nicht vergewissert habe, wie die Lage ist? Eine streng geschützte Art, das hat mir die Naturschutzvereinigung bereits bestätigt. Ihre Fabrik kriegen Sie nur ans Schmiedewäldchen, wenn Sie für eine artgerechte Umsiedlung sorgen. Das würde viel Geld kosten, das Sie Ihren Freunden von der HGDT AG ja unbedingt sparen wollen, und es ist auch gar nicht machbar. Es gibt rundrum nichts mit vergleichbaren Bedingungen, das hat die Naturschutzvereinigung auch schon festgestellt.“


    Der Bürgermeister schnaubte. „Das habe Sie sauber eingefädelt“, knurrte er. Helmer dachte bei sich, dass er das durchaus als Kompliment sehen durfte, auch wenn Bäcker es anders meinte. „Was hab ich verbrochen, dass ich mit einem Abgeordneten gestraft werde, der jeden vernünftigen Beschluss torpediert?“ Da wären Helmer einige Schandtaten eingefallen, denn der Bürgermeister hatte sich im Lauf seiner Amtsjahre gut vernetzen lassen von denen, die ein Interesse daran hatten, die Lokalpolitik in ihrem Sinne zu beeinflussen.


    „Eins sage ich Ihnen:“, drohte Bäcker. Man merkte, dass er kurz davor war, die Beherrschung endgültig zu verlieren. „Bei den nächsten Wahlen bekommen Sie kein Mandat mehr!“ „Das entscheiden immer noch die Wähler!“, erinnerte Helmer ihn. „Und kein Bürgermeister, der seine Politik danach macht, dass er weiter ein gern gesehener Gast auf den Partys der Wirtschaftsbosse bleibt. Fakt ist, die Fabrik am Schmiedewäldchen wird nicht kommen, und das ist gut so, auch wenn mir einige hier jetzt am liebsten den Hals umdrehen würden.“