Bestimmungsorte
von Inkslinger
Wieder ein stinklangweiliger Tag am Arsch der Welt.
Seit Stunden sitze ich hier und warte auf einen Einsatz. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, dass ich das letzte Mal was zu tun hatte.
Es gab einmal eine Zeit, wo uns die Leute die Bude eingerannt haben. Opi erzählt gerne von den glanzvollen Tagen. Vor den ganzen – wie er es nennt – »Scheiß-Kack-Modernisierungen«, die mein Vater vor Jahren einführte, nachdem er das Familienunternehmen übernommen hatte.
Papa meint, es liegt nicht an den Neuerungen, sondern an den Menschen.
»Nur noch geizige und gottlose Kreaturen heutzutage. Wir verlangen lediglich Pennys, und das ist denen schon zu viel. Ich mach das nicht mehr mit!«
Tja, so bin ich an den Job gekommen. Verdammt in alle Ewigkeit. Oder bis mein kleiner Bruder alt genug ist, dass ich es auf ihn abwälzen kann. Vater hat nicht mal die Hälfte von Opis Dienstjahren auf dem Buckel und ich werde das noch unterbieten. Hoffentlich...
Mitten in meiner Träumerei vernehme ich ein Räuspern.
Ertappt schrecke ich hoch und fahre herum, was mein Boot mächtig zum Schwanken bringt. Der Mann hinter mir kann mich gerade noch so an meinem Slipknot-Shirt packen, bevor ich ins Wasser falle.
Peinlich berührt starre ich ihn an. »Ähm, sorry, ne? So war das nicht gedacht. Normalerweise empfange ich die Leute am Eingang.«
Er lacht und hilft mir, mich aufzurichten. »Ist ja nochmal gut gegangen.«
Ich wische die Hände an meiner Jeans ab und bin nach zwei kräftigen Atemzügen wieder die Professionalität in Person.
»Wie ist der Name?«
»Alexander Dimas.«
Ich gehe zum Bug und zeige auf den Platz hinter mir. »Setzen. Es geht gleich los.«
Er gehorcht und lässt sich auf dem Passagiersitz nieder. »Darf ich mal ehrlich sein?«
»Wenn’s sein muss.«
»Ich habe was vollkommen anderes erwartet. In den Geschichten, die man so hört, ist alles viel schrecklicher. Von Schönheit ist nichts überliefert.«
Ich schaue mich um. Ja, wenn man nicht wie ich hier festsitzt und perspektivlos vor sich hin schimmelt, könnte man die Umgebung als einladend bezeichnen. Das Wasser des Flusses hat eine angenehm dunkle Farbe, die Bäume am gegenüberliegenden Ufer sind satt und groß.
»Hmm, kann sein.«
Er mustert mich mit einem komischen Blick.
»Was?«
»Ich meinte nicht die Landschaft... Ich habe einen gruseligen Greis in dunkler Kutte erwartet, der abkassiert und mich meinem Schicksal überlässt.«
»Das war mein Großvater. Seitdem hat sich einiges verändert.«
Er lächelt. »Das sehe ich.«
Ich wende mich von ihm ab und starte den Motor, damit er nicht sieht, wie ich rot anlaufe. Sowas passiert mir immer wieder. Ich bin so ein Stockfisch.
Den Rest der Fahrt erzählt Alexander mir von seinem Leben. Auf eine unnervige Art. Er ist einer der erquicklichen Kunden, die ich gerne überführe.
Am Ziel angekommen, steigt er aus und guckt sich um. »Wow. Ich habe Höllenfeuer und Geschrei erwartet, kein Paradies.«
Ich lächle. »Das sagen alle. Sie sehen es als Strafe, hier zu landen, aber es ist einfach nur ein neuer Abschnitt ihrer Existenz. Und wieso sollte das nicht schön sein?«
»Stimmt.« Er verbeugt sich. »Danke. Ich werde mich bemühen, darauf zu achten.«
Ich nicke und drehe den Zündschlüssel. »Viel Erfolg.«
Als ich ablegen will, ruft er mich zurück. »Hey, Charon! Warte!«
Lachend wende ich mich ihm zu. »Charon ist mein Großvater. Ich bin Chloe.«
»Okay, Chloe. Ich hab vergessen, dir das zu geben.«
Er reicht mir eine Münze, doch ich schüttle den Kopf. »Lass mal, die Runde geht auf mich.«
Er nickt und geht. Ich schaue ihm noch lange hinterher, wie er im Seelenlager verschwindet, das bis zu seiner nächsten Station sein Zuhause sein wird.