Beiträge von SchreibwettbewerbOrg

    Weil es notwendig war

    von Marlowe


    Er wartete auf eine Eingebung. Dann, vor fünf Minuten, hatte er zur Zigarettenschachtel und in ihr ins Leere gegriffen.


    Die zusammengeknüllte Schachtel warf er Richtung Türe, sie flog bis in den Flur. Seufzend war er aufgestanden, es war zwar spät und seine Frau lag im Bett, aber eine zusammengeknüllte Zigarettenschachtel im Flur war irgendwie ein störendes Wissen für eine gedachte Welt, die in Ordnung war.


    Also war er aufgestanden um die Schachtel aufzuheben und sein Blick auf die Handtasche seiner Eva gefallen. Die Tasche lag am Couchende und verlockend hatte er die Schachtel Zigaretten darin gesehen. Erleichtert griff er die Schachtel und riss aus Versehen die Tasche mit. Sie fiel sich weit öffnend auf den Boden. Der ganze Inhalt lag auf dem Boden. Sorgfältig räumte er alles wieder ein.


    Dabei war auch ein lose zusammengefalteter Briefbogen, der nun offen war und ihn angebettelt hatte, ihn zu lesen. Und er hatte ihn gelesen.


    Es war die reinste Pornografie, der Schreiberling schien sich mit Sexpraktiken mehr als gut auszukennen und beschrieb sie auch sehr schön, die, welche sie schon gemacht hatten und welche er bei den nächsten Treffen noch mit ihr machen würde.


    Doch, stellte er fest, die Wahrheit tut schon irgendwie weh. Er sammelte kurz seine Gedanken und versuchsweise auch seine Gefühle, holte tief Luft und dann seine Frau. Er war höflich und bat sie, dringend zu ihm ins Arbeitszimmer zu kommen, es wäre wirklich wichtig.


    Sie saß verschlafen im Stuhl vor seinem Schreibtisch und fragte: „Was ist denn um diese Uhrzeit so wichtig?“


    Er legte den gefunden Brief vor sie hin und meinte dann nur: „Lüge mich jetzt nicht an, sag einfach die Wahrheit. Wie lange geht das schon?“ Jetzt wusste sie, was so wichtig war und die Blässe in ihrem Gesicht verriet es. Eine kurze Pause. „Fünf oder sechs Monate,“ flüsterte sie dann.


    Irgendwie konnte ihn das nicht mehr schockieren, er wunderte sich selbst über seine fast gelassene Haltung. Er gab sich einen Ruck, griff nach dem Festnetztelefon und stellte es vor sie. „Ruf ihn an,“ forderte er sie auf.


    Sie sah ihn erschrocken an. „Was? Warum denn?“


    „Du kannst mit ihm bumsen, dann kannst Du auch bei ihm schlafen. In dreißig Minuten bist draußen. Genau so, wie wir es bei unserer Hochzeit vereinbart haben. Wer den anderen betrügt muss gehen und zwar innerhalb einer halben Stunde. Und jetzt ruf ihn an!“


    Sie wählte eine Nummer und sagte nur: „Er weiß es, hol mich bitte sofort ab. Nein, er hat mich nicht geschlagen. Aber er verlangt ich muss sofort gehen. Bis gleich.“


    „Er kommt in zwanzig Minuten,“ sagte sie dann und schaute auf ihn mit einer Art von Hoffnung in den Augen, als würde er einen Rückzieher machen.


    „Gut,“ antwortete er, “dann pack eine Reisetasche damit Du für ein paar Tage klar kommst, in den nächsten Tagen möchte ich Dich wirklich sehen. Ich rufe Dich an, wenn Du den Rest holen kannst. Und den Hausschlüssel hätte ich auch gern jetzt sofort. Beeil dich, die Zeit läuft.“


    Sie schüttelte ungläubig den Kopf, ging aber ins Schlafzimmer, zog sich rasch an und packte die Reisetasche. Er wartete im Flur bis sie mit der Tasche herauskam. Sie lehnte sich an die Wand und es schien, als würde sie gleich ohnmächtig. Draußen fuhr ein Wagen vor.


    Er öffnete die Tür. „Raus,“ sagte er. Er sah ihr nicht hinterher, schloss sofort die Tür und setzte sich an seinen Schreibtisch. Er überdachte sein Handeln. Es war richtig und so fühlte es sich auch an. Zumindest hatte er sein Achtung noch


    Er schluckte schwer, konnte aber nicht weinen. Vielleicht kam das ja noch.

    Warten auf den elften Oktober

    von Inkslinger


    Noch 113 Tage.

    So lange muss ich den Kopf unten halten und mich auf das »Danach« vorbereiten. Ich lese online mal mehr, mal weniger erbauliche Erfahrungsberichte und spiele alle möglichen Szenarien durch. Das macht mich zwar noch nervöser, aber ich weiß nicht, was ich sonst tun soll.

    Ich hoffe, dass die meisten es so sehen wie »Die Ärzte« und es so normal wie Kaugummi kauen finden. Klar, wahrscheinlich sollte es sich nur reimen, aber ich finde den Vergleich echt passend: Die, die es machen, finden es toll. Die, die es nicht machen, sehen den Kauenden entweder angewidert, gleichgültig oder zustimmend zu.


    Die Klingel reißt mich aus meinen Gedanken. Ich muss mich ranhalten, sonst komme ich zu spät zum Rettungsprojekt.

    Die hohen Tiere meinen, unsere Schule ist zu verfallen und wollen sie deswegen nächstes Jahr schließen. Um das zu verhindern, hat der Rektor beschlossen, seine Schüler bis zu den Sommerferien als Aufräum- und Sanierungstrupp einzusetzen. Alle wurden in Arbeitsgruppen eingeteilt und haben schicke Schildchen mit neuem Namen zugelost bekommen, als kleinen Scherz am Rande. Voll gaga.


    Ich stapfe die Treppe zum Dachgeschoss hoch und bleibe am Absatz stehen, um auf meine Gruppe zu warten. Da sie aus jeweils einer Person pro Jahrgangsstufe bestehen, war klar, dass ich die Älteste sein würde. Doch dass die Jüngeren so winzig sind, habe ich nicht erwartet. Die vier sehen aus wie Zehnjährige. Da muss ich ja aufpassen, dass die nicht von Wollmäusen entführt werden.

    »Da fehlt doch noch jemand«, murmle ich.

    Prompt wird die Aulatür aufgestoßen und sie kommt auf mich zu. Lange, rote Locken, Sommersprossen bis zum Scheitel und ein verzauberndes Gitterlächeln. »Hi, bist du auch römisch fünf?«

    Ich muss ein paarmal schlucken, bis ich ihr antworten kann. »Mmh.«

    Sie lacht und mustert mein Namensschild. »Alles klar, Daisy, dann lass uns loslegen.«

    Peach steht auf ihrem, aber ich kenne ihren richtigen Namen. Sie ist mir schon vor zwei Jahren aufgefallen, als sie auf unsere Schule gewechselt ist. Sie anzusprechen habe ich mich nie getraut. Jetzt verbringen wir zwei Wochen auf engstem Raum – mit vier anderen, aber die zählen nicht. Nur sie.



    Noch nie ist die Zeit vor den Sommerferien so schnell verflogen. Wir verstehen uns super. Mit ihr macht sogar Aufräumen Spaß. Ich wünschte, unsere Schule wäre in einem schlimmeren Zustand, damit wir mehr zu tun haben. Doch uns bleiben nur drei Tage.


    Als wir am Mittwoch unseren Kram zusammenpacken, guckt sie mich lange an.

    Mir wird ganz heiß, aber ich spiele die Coole. »Was’n?«

    »Kennst du meinen richtigen Namen? Du sagst immer nur Peach zu mir.«

    Bevor ich entscheiden kann, ob ich ihr die erbärmliche Wahrheit oder eine souveräne Halblüge auftische, kommt unser Aufsichtslehrer in die Abstellkammer.

    »Hey, Peach, deine Eltern sind da. Lass sie nicht warten.«

    Hilflos muss ich mit ansehen, wie sie ihren Rucksack nimmt und sich über die Schulter wirft. »Na, ist ja auch egal. Ich dachte nur, wir könnten mehr als Aufräumgefährtinnen sein. Ich wünsche dir schöne Sommerferien.«

    Sie umarmt mich lange, und dann ist sie weg.

    Völlig überrumpelt stehe ich im Staub. Als mein Gehirn wieder einsetzt, renne ich hinterher. Ich will ihren Namen sagen und mehr für sie sein.

    Schnaufend komme ich auf dem Parkplatz an, wo sie gerade in einen Wagen einsteigt.

    Ich schreie los. »Kira Plauenberg! Ich steh' auf dich!«

    Sie schaut auf und grinst mich an, bevor sie im Heck verschwindet.

    Hinter mir höre ich Gegröle und Gelächter. Ich drehe mich um. Am Fenster vom Kunstraum hat sich eine Meute versammelt und beobachtet mich amüsiert.

    Tja, soviel zu meinen Plänen, bis zum Coming-Out-Tag zu warten...

    Sweet Dreams

    von Breumel


    "Es muss Schicksal sein dass wir uns heute hier begegnet sind!" Sein Anmachspruch war in Punkto Originalität nicht gerade in den Top Ten.

    "Ich glaube nicht an Schicksal."

    "Nein? Woran glaubst du denn?"

    "An Zufälle."

    "Dann muss es ein glücklicher Zufall gewesen sein."

    "So?"

    "Klar! Du hier, ich hier, keiner von uns hat jemanden mitgebracht und wir beide trinken Gin Tonic. Wir sind füreinander bestimmt!"

    Sie lachte. "Deine Ansprüche an das Schicksal sind ja nicht gerade hoch!"

    "Nun, ich würde aber auch nicht behaupten dass ich anspruchslos bin!" Seine Augen wanderten deutlich erfreut über ihren Körper.

    "Schwerenöter."

    "Kenner!"

    "Kommst du öfter her?"

    "Ja, ich mag die Atmosphäre. Nicht zu dunkel, nicht zu laut, gute Musik und anständige Preise. Und die Cocktails sollen auch gut sein."

    "Noch nicht probiert?"

    Er schüttelte den Kopf. "Ich bin mehr für Gin Tonic oder Whiskey pur."

    "Na denn Prost!" Sie hob ihr Glas und sah ihm in die Augen.

    Die Musik wechselte zum nächsten Lied.

    "Lust zu tanzen?"

    Ihr herausforderndes Grinsen ließ ihm keine Wahl. "Na klar doch!"

    Sie zog ihn an der Hand auf die Tanzfläche, auf der sich leichtbekleidete Körper zu der dunklen Stimme von Annie Lennox im Takt bewegten und von süßen Träumen sangen.

    "Some of them want to use you." Sie tanzte näher an ihn heran.

    "Some of them want to be used by you." Er ging auf sie ein und rieb seinen Körper herausfordernd an ihrem, woraufhin sie die Arme um seinen Hals legte. Engumschlungen tanzen sie zur Musik. Ihre Nase an seiner Halsbeuge sog sie die Luft ein.

    "Du riechst gut."

    "Danke. Egoiste von Chanel."

    Sie lachte leise. "Passt."

    Das nächste Lied war weniger ihr Fall. "Ganz schön warm hier. Hast du Lust kurz raus zu gehen?"

    "Warum nicht?"

    Vor der Tür nahm sie ihn an der Hand und zog ihn in eine kleine Seitengasse.

    Er feixte. "Keine Angst, so allein im Dunkeln?"

    "Warum sollte ich?"

    Sie drückte ihn gegen eine Häuserwand und ihre Gesichter näherten sich einander.

    "Wer weiß was …" Weiter kam er nicht. Ihre spitzen Zähne hatten sich in seinen Hals gebohrt, genau in die Halsschlagader. Gierig begann sie zu trinken. Der Schock hatte ihn gelähmt und er verlor das Bewusstsein.

    Als sie satt war, versiegelte sie die Wunden mit ihrer Zunge und ließ ihn sanft zu Boden gleiten. Morgen würde er einen ziemlichen Kater haben.

    'Zufall – von wegen', dachte sie bei sich. Seit gut einer Woche hatte sie ihn gestalkt. Genauer gesagt, seit sie den unwiderstehlichen Duft von AB negativ bei der Blutspendeaktion am Freitag Abend gerochen hatte.

    Leise vor sich hin summend ging sie in die Nacht. "Some of them want to abuse you…"