Beiträge von SchreibwettbewerbOrg

    Ursprünge

    von Inkslinger


    »Kannst du das fassen?!«

    Lela schaut vom Abwasch auf und ihre Tochter an. »Ich verstehe, dass dich das aufregt, mein Schatz. Aber ich kann da nichts machen.«

    »Sag der dummen Kuh, dass sie das nicht tun darf!«

    »Madame Belinda darf in ihrer Tanzschule leider machen, was sie möchte. Und wenn du andere dumm nennst, bist du es selber.«

    Virginia verdreht die Augen. »Dann ist sie halt eine gemeine Kuh.«

    Sie lehnt sich an die Küchentheke und seufzt theatralisch. »Aber was wird denn jetzt aus meiner Karriere? Wenn ich nicht mit meinen Freundinnen tanzen kann, ist es aus und vorbei.«

    »Das findest du schon raus, Liebling. Du bist jung und hast alle Zeit der Welt.«

    »Nein, Mutter, du irrst. Es ist immer später, als man denkt. Kannst du nicht nochmal mit Madame Belinda reden? Vielleicht stimmst du sie noch um und vermagst den Abstieg deiner einzigen Tochter aufzuhalten. Bittebittebitte!«

    Lela hebt die Hände. »Okay, okay. Ich rede mit ihr. Aber heb dir den sterbenden Schwan bitte für die Bühne auf.«


    Am nächsten Tag betreten Lela und Virginia das ›Lil Ophelias‹ Tanzstudio.

    Virginia winkt traurig ihren Freundinnen zu, die sich an der Ballettstange aufwärmen.

    Madame Belinda kommt direkt auf sie zu. »Wir haben das besprochen, Virginia. Wieso quälst du dich?«

    »Bitte, Madame Belinda! Ich will doch nur mit den anderen tanzen!«

    »Entschuldige, das geht nicht.«

    Lela ergreift das Wort. »Hi, Belinda. Ich respektiere deine Hausregeln, aber versteh, dass meine Tochter untröstlich ist. Sie hat hier drei Jahre mit Leidenschaft und Talent getanzt.«

    »Das weiß ich doch. Es tut mir auch in der Seele weh. Aber ich musste diese neue Richtlinie einführen.«

    Sie zeigt auf das Poster, das neben ihnen an der Studiowand hängt.

    Nur für Schüler:innen bis 1000 Kilogramm!

    »Die Renovierung des Parketts hat mich ein Vermögen gekostet. Das kann ich nicht riskieren. Virginia ist nicht die Einzige, die ausgeschlossen wurde. Auch Nellie, das Elefantenmädchen, musste gehen.«

    Virginia schnalzt empört. »Ich bitte Sie! Uns kann man ja wohl nicht vergleichen! Sie wiegt glatt das Doppelte!«

    »Wie dem auch sei, ich bleibe dabei. Entweder du nimmst 200 Kilo ab oder du bist raus.«

    Virginia stürzt aus dem Studio und rennt die Straße entlang. Erst bei der alten Tischlerei hält sie an. Nach Luft schnappend lehnt sie sich an einen Stapel Holz.

    Plötzlich hört sie hinter sich jemanden fragen: »Alles okay, kleine Hippolady?«

    Virginia wirbelt herum und greift sich an die Brust. »Heilige Scheiße, erschreck mich doch nicht so! Du –«

    Der Rest des Fluchs bleibt ihr im Hals stecken.

    Der Typ mit dem schlechtesten Ruf der ganzen Stadt steht ihr gegenüber. Sie weiß seinen Namen nicht, aber wie er überall genannt wird: Der Problembär.

    Er grinst. »Sorry. Muss noch lernen, mich nich so anzuschleichen.«

    Virginia starrt auf das scharfkantige Stück Blech in seiner Hand.

    Was hat er damit bloß vor? Waffen bauen?

    »Also, wat is los?«

    Sie schnieft. »Nix.«

    Er zieht eine Augenbraue hoch. »Musst es mir nich erzählen, aber lüg nich.«

    Ehe sie es sich versieht, sprudelt es aus ihr heraus. Der Problembär hört geduldig zu.

    Als sie fertig ist, lehnt er sich zu ihr vor. »Und? Wat willste jetzt machen?«

    Virginia reißt verzweifelt die Arme hoch. »Keine Ahnung!«

    Er überlegt kurz und zeigt dann auf ihre schwarzen Stiefel. »Leih mir die mal. Wenn ich mit denen fertig bin, kannst du dieser Kuh und deiner Giraffen-Büffel-Nashorn-Verräter-Gang ordentlich in den Arsch treten!«


    Drei Wochen später ist es so weit.

    Der erste Auftritt des zukünftig legendären Steppduos ›Ginger Dockers und Fred der Bär‹ reißt alle vom Hocker.

    Manchmal braucht man nur jemanden, der mit einem aus der Reihe tanzt, um seinen Weg zu finden.

    Paartanz

    von R. Bote


    Die große Weihnachtsaufführung war einer der Höhepunkte jedes Schuljahres am Internat Tannenberg am Rand der Alpen: ein dreistündiges, kunterbuntes Programm, zu dem alle Jahrgänge etwas beitrugen. Es gab Musik, Tanz, Schauspiel, Kabarett, eine Clowns-Nummer, Artistik … Alle weit über 200 Jungen und Mädchen, die die Schule besuchten, waren daran beteiligt, vor und hinter den Kulissen. Kaum jemand war darunter, der nicht mindestens einen Auftritt auf der Bühne hatte, selbst die Schüchternen trauten sich, weil sie wussten, dass sie nicht allein waren.

    Fast alle Eltern kamen, um sich die Show anzusehen, ihre Kinder zu treffen und in einigen Fällen auch ein paar Worte mit den Lehrern zu wechseln. Manchen der Kinder und Jugendlichen war das peinlich, doch weil genug andere das gleiche Problem hatten, hob sich das irgendwie auf.

    Den letzten Auftritt vor der Pause bestritten sechs Mädchen und zwei Jungen aus der 9. Klasse mit einem Stepptanz. Seit einem Vierteljahr hatten sie trainiert, hatten am Anfang sogar mehrere Musikstücke ausprobiert, bis sie eines gefunden hatten, das ihnen lag.

    Während sie sich hinter der Bühne fertigmachten, hörten sie, wie das Stück, das ein Streichquartett aus der Unterstufe darbot, endete und mit Beifall bedacht wurde. Jetzt würden die vier Mädchen sich vor dem Publikum verbeugen, der Direktor würde den nächsten Act ankündigen, und dann … „Es geht los!“, flüsterte Loni, die die erfahrenste Stepptänzerin der Gruppe war.

    Die Jugendlichen klatschen einander ab, lautlos natürlich, damit sie die Moderation nicht störten. Am Rand der Bühne, verborgen von den seitlichen Kulissen, stellten sie sich in einer Reihe auf und warteten auf das Signal. Frau Michel, die Deutsch, Musik und Kunst unterrichtete und hinter der Bühne den Ablauf überwachte, schaute, wann der Zeitpunkt gekommen war, und nickte dann Niklas zu, der in der Reihe vorne stand.

    Die Jugendlichen liefen auf die Bühne und stellten sich auf: ganz außen die beiden Jungen, Niklas und Benjamin, neben Niklas Selma und Valentina, auf der anderen Seite neben Benjamin Frieda, die Jüngste, die eigentlich noch in der 8. gewesen wäre, aber vorzeitig eingeschult worden war, und Ariane. Das Zentrum bildete Loni zusammen mit Sina, die erst zu Beginn des Schuljahres ans Internat gekommen und schnell eine von Lonis besten Freundinnen geworden war.

    Die Musik setzte ein, und die Jugendlichen legten los. Loni spürte den Rhythmus, hörte das harte Klackern, das ihn begleitete. Neben sich spürte sie Sina, sie standen dicht zusammen, dicht genug, um immer leichten Kontakt zu haben.

    Es lief hervorragend, das lange Üben hatte sich wirklich gelohnt. Nach vier Minuten war Loni durchgeschwitzt, aber glücklich. Den Kameraden ging es nicht anders, und nachdem sie mit Applaus verabschiedet worden waren, umarmten sie einander noch auf der Bühne, ehe sie in den Kulissen verschwanden.

    In der Pause schaute Loni kurz bei ihren Eltern vorbei. Die lobten ihren Auftritt und fanden, dass auch die anderen ihre Sache gut gemacht hatten. „Nur die neben dir wirkte etwas merkwürdig“, schränkte ihre Mutter ein. Sie hatte früher selbst im Verein getanzt, nicht auf höchstem Niveau, aber immerhin regional erfolgreich. Den kritischen Blick auf die Performance hatte sie immer noch. „Sie war immer viel zu dicht bei dir, du hättest noch mehr Ausdruck zeigen können, wenn sie dir nicht den Platz weggenommen hätte.“

    Lonis Gesicht vereiste. „Du hast keine Ahnung!“, zischte sie. „Wenn du sie kennen würdest, würdest du nicht so rumkritteln.“ „Was denn?“, wunderte ihre Mutter sich, überrascht von Lonis plötzlichem Ausbruch. „Ich sag doch nur …“ „Genau“, unterbrach Loni sie, „und du hast keine Ahnung, was sie geleistet hat. Nur damit du’s weißt – Sina ist blind.

    Die Liebenden von Tap Town

    von Hanse


    James öffnete die Haustür und überwand die drei Stufen zur Straße. Als er landete, entsprang seinen Steppschuhen ein lauter Ton. Gut gelaunt umklammerte er die Riemen seiner Schultasche und tänzelte die Straße hinab. Munterer Swing untermalte seinen Schulweg. Doch das war in Tap Town, der Musicalstadt, nichts ungewöhnliches. Verborgen vor den Augen unserer Welt war die Unsichtbare Band so allgegenwärtig wie die Luft zum Atmen. Stets fand sie den richtigen Ton in allen Lebenslagen.

    Hier ein Step, dort ein Flap. Shuffle, Hop und Tap-Toe. Alle Figuren waren am Start, während er durch die Häuserschluchten der Stadt tänzelte. Es war Freitag. Das bedeutete, dass in der zweiten Stunde Walzer drankam. Er musste nur den Matheunterricht in der Ersten überstehen. Dann konnte er Carla zum Tanz auffordern.

    Als er den Astaire-Square erreichte, vernahm er ein Klackern zu seiner Linken. James lächelte. Wie üblich wartete Carla hier auf ihn. Bisher waren sie nur Freunde gewesen. Aber heute wollte er mehr draus machen. Und so fing er an zu singen.


    „Einen wunderschönen Morgen wünsche ich dir so wie immer

    Dein Tanz ist elegant im Morgenschimmer

    Hör die Musik, sie spielt beschwingt und munter

    Wenn ich dich seh, so wird die Welt ein Stückchen bunter.“


    Carla wurde Rot und hielt sich eine Hand vor den Mund, um ihr Kichern zu verbergen. Die unsichtbare Band stimmte unterdessen eine romantische Melodie an.


    „Schon in der Zweiten Stunde steht der schöne Walzer an

    Wie du weißt, kommt man dort nur als Paar voran.

    Nun sehe ich dich und denke, erfüllt von Leidenschaft,

    Ein Tanz von uns entfesselt gewiss enorme Kraft.“


    Claire wiegte sich im Takt der Melodie und steppte zunächst verhalten, dann immer eifriger, seine Taktfolge mit. Die Musik schwoll unterdessen an und zelebrierte den Jazz. Doch dann ertönte mit einem Mal eine von Streichern bestimmte Melodie, welche Unheil verhieß.

    James erstarrte und wirbelte herum. Natürlich Johnny. Ein Mitglied der Dunklen. Diese Gentleman-Diebe hausten im Untergrund der Stadt und erzogen die Ausreißer, die ihnen zuliefen, zu Ganoven. Leider fand Johnny reichlich Zuspruch bei den Mädchen der Schule. Und das, obwohl er sie nicht einmal besuchte.


    „Oh liebe Carla, sei so lieb und höre mich an

    An diesem Stepptänzer ist doch gar nichts dran.

    Nimm meine Hand, ich bringe die den Tango näher

    Vom Grundschritt bis zum heißen Dreher.“


    Die Musik wechselte in einen Zweivierteltakt. Ehe sich James versah, hatte Johnny Carla an sich gerissen und wirbelte mit ihr über den Astaire-Square. Sie gerieten auf die Fahrbahn und mehrere Autos mussten bremsen. Doch statt zu hupen, streckten die Fahrer ihre Köpfe aus dem Fenster und feuerten das Paar an.

    James lief eilig hinterher. Flap um Flap näherte er sich den Tanzenden. Die unsichtbare Band ging nun zu einer dramatischen Melodie über. Johnny ließ von Carla ab. Lauernd umkreisten sie sich. James war gewarnt. De Dunklen wussten den rauen Pogo zu tanzen.

    Plötzlich sah er eine Lücke in Johnnys Deckung. Ein schneller Step landete direkt auf dem Zeh des Dunklen. Der Junge jaulte auf und sprang zurück. Sie tauschten einen letzten Blick, ehe Jonny flüchtete. James ergriff Carlas Hand und Fanfaren ertönten. Carla umarmte ihn und ließ nun ebenfalls ihre Stimme erklingen.


    „Deine Einladung ehrt mich, ich nehme sie gerne an.

    In der Schule ist heute der Paartanz dran.

    Gemeinsam zeigen wir, was flinke Füße sind

    Denn unser Rhythmus verbindet sich geschwind.


    Unter dem Jubel der Umstehenden steppten sie zurück auf den Bürgersteig. Menschen winkten ihnen zu. Sie lächelten und tanzten Hand in Hand bis zum Schultor.

    Da steppt der Bär

    von Breumel


    Schniefend saß Karl Kaninchen in einer Kuhle. Seine seidigen Ohren hingen traurig herab, und die zuckende Nase zeigte gen Boden. Plötzlich bebte neben ihm die Erde. Erschrocken machte er einen Satz zur Seite, aber es war nur Mario Maulwurf.

    Dieser schnupperte in der Luft und fragte dann „Karl, bist du das? Du klingst ja gar nicht so munter wie sonst immer?“

    „Mama hat mich und die Wurfgeschwister aus dem Bau geworfen. Es wird zu eng mit den neuen Babys, und wir sollen uns selbst einen Bau buddeln. Aber ich habe keine Ahnung davon!“

    „Wir Maulwürfe sind ganz großartige Buddler. Vielleicht kann ich es dir beibringen?“

    „Das wäre toll!“ Karl begann, auf und abzuhüpfen.

    „Nicht hüpfen! Deine großen Füße bringen meinen Gang zum Einsturz!“

    Betreten setze sich Karl wieder. Es stimme, er hatte die größten Füße der ganzen Sippe.

    „Also, zuerst musst du deine Hände zusammenlegen und die Erde wegdrücken. Und dann schiebst du sie mit deinen Füßen weiter.“ Mario machte es vor und steckte schnell wieder im Erdreich.

    Karl versuchte es, aber seine weichen Pfoten rutschen auf dem Gras und seine Krallen rissen nur ein paar Grasbüschel aus.

    „Ich glaube das wird nichts …“

    Mario kam wieder hoch. „Deine Füße sind einfach zu groß … Gibt es denn etwas, was du gut kannst? Mit dem du woanders unterkommen könntest?“

    Karl schniefte wieder. „Keine Ahnung.“

    Plötzlich hüpfte Elsie Eichhörnchen zu ihnen. „Gute Nusssammler sind bei uns hoch angesehen!“

    Karl begann wieder aufgeregt zu hoppeln. „Und was muss man da machen?“

    „Hauptsächlich auf Bäume klettern, Nüsse sammeln und in Astlöchern verstecken.“

    Schon sank Karl wieder in sich zusammen.

    „Wie soll denn Karl mit den Füßen auf Bäume klettern? Mach es wie ich und such im Gras, unter Büschen und Laubhaufen!“ Ilja Igel gesellte sich zu der Gruppe.

    „Unter den Büschen bleibe ich immer hängen und stolpere. Was soll ich da auch finden?“

    „Regenwürmer, Maden, Schnecken …“

    „Lecker!“ Ronja Rotkehlchen wippte auf einem Ast knapp über ihnen.

    „Jetzt habe ich Hunger.“

    Iljas Augen blitzten auf. „Wir könnten was trinken gehen. Es gibt eine neue Kneipe. Da steppt der Bär!“

    „Ist der Kleine denn schon alt genug dafür?“ Elsie sah Karl skeptisch an.

    „Na klar! Wer allein wohnen kann, kann auch in Gesellschaft trinken!“


    Alle hüpften, krochen, hoppelten und flogen Ilja hinterher. Als er die Tür öffnete, drang laute Musik nach außen.

    „Willkommen! Was kann ich euch bringen?“ Die hübsche Otterdame hinter der Theke lächelte breit.

    Eingeschüchtert bestellte Karl ein Wasser.

    „So wird das aber nichts mit dem lockeren Hüftschwung!“

    Karl wurde rot. Er sah sich um und stellte fest, dass es eine Tanzfläche gab, auf der eine Reihe von Gästen ihre Extremitäten im Rhythmus der Musik schüttelten.

    Plötzlich wurde in der Mitte der Tanzfläche Platz gemacht.

    „Was ist denn jetzt los?“, flüsterte Karl Ilja – mit Abstand – ins Ohr.

    „Ich sagte doch, hier steppt der Bär!“

    Ungläubig sah Karl, wie eine Gruppe Braunbären die Tanzfläche betrat. Dann wechselte die Musik, und die Bären begannen zu steppen. Und wie! Ihre Tatzen tippten, klopften und stampften nur so auf die Tanzfläche, während sie mit eleganten Bewegungen umeinanderkreisten.

    Karl konnte sich nicht mehr halten. Seine langen Füße trommelten in rasendem Takt auf den Boden, und er sprang in wilden Drehungen freudestrahlend durch den Raum.

    Nach einem besonders hohen Sprung pflückte ihn eine Bärin aus der Luft. Karl hielt den Atem an, als ihr Gesicht dicht vor seinem hing.

    „Hallo Kleiner! Gefällt dir Stepptanz? Du scheinst echtes Talent zu haben, und wir suchen noch ein Maskottchen. Wenn du Zeit und Lust hast, könntest du bei uns einsteigen!“

    Und so fand Karl seine Berufung und ein neues Heim.