Gern geschehen
Beiträge von Ben
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Stimmt, das wird später noch klarer, dass er da im Wesentlichen Scherze macht; im nächsten Abschnitt, wo diese Geschichte weitergeht, scheint aber vielleicht auch eine wirkliche entsprechende Zuneigung gegenüber Mlle Bourienne dazuzukommen:
"da war ihm im ersten Augenblick wie eine Art von Witz der Gedanke gekommen, wenn Andrei heirate, so könne auch er selbst Mademoiselle Bourienne zu seiner Frau machen; aber dieser Gedanke gefiel ihm offenbar mit der Zeit immer besser, und in der letzten Zeit legte er mit einer gewissen Hartnäckigkeit (...) eine ganz besondere Freundlichkeit gegen Mademoiselle Bourienne an den Tag (...)"
Mit Berg und Wjera geht es humorvoll weiter; gleichzeitig auch mit satirischen Seitenhieben auf die Soireen:
"die beiden Gatten [fühlten] mit Vergnügen, dass, trotzdem nur erst ein Gast da war, die 'Soiree' einen sehr guten Anfang genommen hatte und jeder Soiree mit Gesprächen, Tee und brennenden Lichtern glich wie ein Ei dem andern. (...) und es war kein Zweifel mehr, dass diese Abendgesellschaft allen andern Abendgesellschaften vollkommen ähnlich wurde. (...) - alles war in jeder Hinsicht ebenso wie bei andern Leuten."
Schön, wie Pierre von Andrei lobend beschrieben wird:
"Wenn Sie irgendein Kummer befällt (...), ich bitte Sie, und auch Sie, Fräulein Sonja, was auch immer vorfallen mag, wenden Sie sich an ihn, nur an ihn, um Rat und Hilfe. Er ist ein sehr zerstreuter, komischer Mensch, aber er hat ein wahrhaft goldenes Herz."
Ja, Pierre hat sicherlich das nötige Wohlwollen und Anliegen für Andrei und Natascha, dass er in ihrem Sinne hier und da einen guten Ratschlag geben kann, auch wenn er, der Theoretiker, eigentlich sein eigenes Leben kaum auf die Reihe bekommt.
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In meiner Ausgabe steht eine Übersetzung in den Anmerkungen, falls Du diese Liedzeilen meinst:
"Dann tut's dir leid, Colin,
Dann tut's dir leid,
Denn nimmst du eine Frau, Colin,
Dann tut's dir leid."
:--)
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Hm, ob er nochmal heiraten wird, ist nicht sicher, und viel darüber steht auch nicht da; vielleicht ist diese Stelle in Band 2,3,26 bei dir weggekürzt:
"Zu den früheren beiden Themen, die der Fürst für seine Spötteleien benutzte, trat nun noch ein neues: Äußerungen, dass er seinen Kindern eine Stiefmutter geben wolle. Und zu diesen Äußerungen stimmten seine Liebenswürdigkeiten gegen Mademoiselle Bourienne. (...) Und zu ihrer staunenden Verwunderung nahm Prinzessin Marja seit dieser Zeit wahr, dass ihr Vater wirklich anfing, die Französin mehr und mehr zu sich heranzuziehen."
Der arme Andrei dagegen fährt in Band 1,1,8 fort:
"Ja, ja, ja! (...) Wenn du gehofft hattest, in der Zukunft etwas zu sein und zu leisten, so wirst du als Ehemann auf Schritt und Tritt spüren, dass für dich alles zu Ende ist, dass dir jede Arena verschlossen ist, außer dem Salon, wo du dann mit einem lakeienhaften Höfling und einem Idioten auf einer Linie stehen wirst... Ein schöner Genuss! (...)
Aber binde dich an eine Frau, und du verlierst wie ein in Ketten geschmiedeter Sträfling jede Freiheit. Und alles, was an Hoffnungen und Kräften in dir steckt, das alles lastet lediglich mit schwerem Druck auf dir und quält dich mit steter Reue. Salons, Klatschgeschichten, Bälle, Eitelkeit, nichtiges Treiben, das ist der verhexte Kreis, aus dem ich nicht herauskommen kann."
Noch eine Stelle zum spaßigen Ausprobieren (ich konnte dabei zumindest nicht ernst bleiben; vielleicht ist Bizki ja mit dem Soldaten aus Band 2,2 verwandt):
" 'Der Kaiser hat gesagt, der Reichsrat und der Senat seien staatliche Körperschaften; er hat gesagt, die Regierung dürfe nicht nach Willkür verfahren, sondern müsse ihrem Handeln feste Prinzipien zugrunde legen. Der Kaiser hat gesagt, das Finanzwesen müsse reorganisiert werden, und es solle ein Rechenschaftsbericht publiziert werden', berichtete Bizki, wobei er einzelne Worte stark betonte und in bedeutsamer Weise die Augen weit öffnete."
Vielleicht hat er ja dabei auch gelächelt und sogar leise geschrien...
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Alles Gute fürs neue Lebensjahr!
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Ja, absolut.
Abgesehen davon, fand ich es in diesem Abschnitt bisher sehr schön, wie das innere Gefühlserlebnis von Natascha und Andrej so beschrieben wurde.
Das finde ich auch sehr gut beschrieben, z.B. hier:
"Die ganze Welt ist jetzt für mich in zwei Hälften geteilt: die eine Hälfte ist sie, und dort ist alles eitel Glück und Hoffnung und Licht; die andre Hälfte, das ist alles, wo sie nicht ist, und da ist alles Mutlosigkeit und Finsternis."
"Nur selten sprachen die beiden von der künftigen Gestaltung ihres Lebens. Fürst Andrei hatte eine Scheu, darüber zu reden. Natascha teilte diese Empfindung, wie alle seine Empfindungen, die sie stets erriet."
Andreis Ausführungen in Band 1 gehen noch weiter, und zwar sehr krass (in der Röhl-Übersetzung noch etwas sprachlich eleganter formuliert, aber die hab ich gerade nicht bei mir):
"Mein Vater hat recht: Egoismus, Selbstverliebtheit, Hohlheit, Beschränktheit in allem, das sind die Frauen, wenn sie sich zeigen, wie sie sind. Wenn man sie in der Welt sieht, könnte man glauben, es sei etwas anderes in ihnen. Aber nein, es ist nichts, nichts! Ja, mein Freund, ich sage dir, heirate nicht!" (sein Vater sollte sich auch mal an die eigene Nase fassen)
Warum dann aber der alte Graf Bolkonski jetzt plötzlich die Mademoiselle Bourienne heiraten möchte?? Oder ist sie die rühmliche Ausnahme von der Regel?
" 'Warum sollte ich sie nicht heiraten?', sagte er zu seiner Tochter. 'Sie wird eine famose Fürstin abgeben.' "
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Abschnitt-Nr:
6: "Mr. Preston war mittlerweile in sein neues Amt in Hollingford eingeführt, nachdem Mr. Sheepshanks in den verdienten Ruhestand getreten und zu seiner verheirateten Tochter in die Grafshauptstadt gezogen war."
7: "Cynthia war immer gleich zu Molly, freundlich, gutmütig und hilfsbereit; sie beteuerte ihr, wie gern sie sie habe, und empfand für sie wahrscheinlich so viel, wie sie überhaupt zu empfinden in der Lage war."
8: " 'Liebe Molly, warum bist du nicht gekommen und hast mit uns zu Mittag gegessen?' "
9: "Robinson öffnete Molly den Wagenschlag, noch ehe die Kutsche vor Hamley Hall zum Stehen gekommen war, und berichtete, der Squire habe sehnsüchtig auf ihre Rückkehr gewartet und ihn mehr als einmal an ein Fenster im oberen Stockwerk geschickt, von wo aus man einen Ausblick auf die Hügelstraße zwischen Hollingford und Hamley hatte, um zu erfahren, ob die Kutsche noch nicht in Sicht sei."
:--)
Mit dem 2. Abschnitt bin ich fertig, habe aber gerade wenig Zeit zum Schreiben.
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Bevor Andrej in den Krieg ging, meinte er ja auch zu Pierre, dass er die Ehe eigentlich (noch) nicht wollte. Oder so was in der Art.
Genau, damals hat sich das noch anders angehört, als er zu Pierre sagt:
"Heirate niemals, mein Freund, niemals. Oder ich will meinen Rat so formulieren: heirate nicht eher, als bis du alles geleistet hast, wozu deine Kräfte dich befähigen, und nicht eher, als bis du die Frau, die du dir ausgewählt hast, aufgehört hast zu lieben, nicht eher, als bis du ein völlig klares Urteil über sie hast; andernfalls begehst du einen Fehler, der sich grausam rächt und sich nicht wiedergutmachen lässt. Heirate, wenn du ein Greis bist, der zu nichts mehr taugt. Sonst wird alles, was in dir Gutes und Hohes wohnt, zugrunde gehen. Alles wird für nichtigen Kram verausgabt werden."
Mit Berg und Wjera geht es kurios weiter:
"Pierre wurde in dem neuen Salon empfangen, in dem man sich nirgends hinsetzen konnte, ohne die Symmetrie, Sauberkeit und Ordnung zu stören, und daher war es sehr begreiflich und keineswegs sonderbar, dass Berg sich zwar in großmütiger Weise bereit erklärte, die Symmetrie der Lehnstühle oder des Sofas um des teuren Gastes willen zu verderben, aber doch, da er selbst in dieser Hinsicht sich augenscheinlich in einer peinlichen Unentschlossenheit befand, die Entscheidung dieser Frage dem Belieben des Gastes anheimstellte. So zerstörte denn Pierre die Symmetrie, indem er sich einen Stuhl heranzog, und nun ließen Berg und Wjera sofort ihre Abendgesellschaft beginnen: sie unterhielten den Gast und unterbrachen einander abwechselnd."
Fragt sich nur, welche Methode wir jetzt wählen sollen, um darüber zu lachen:
"Speranski hörte zu und lachte schon im Voraus über das, was Magnizki sagen wollte. In dem Augenblick, als Fürst Andrei ins Zimmer trat, wurden gerade wieder Magnizkis Worte durch Gelächter übertönt. Stolypin, der an einem Stück Brot mit Käse kaute, lachte laut und in tiefen Tönen, Gervais leise und zischend und Speranski hell und deutlich."
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Stimmt eigentlich. Graf Rostows Finanzsituation ist zwar sehr bedenklich, aber heute fällt es uns natürlich auch nicht einfacher als damals, Abstriche beim Unterhaltungsprogramm zu machen, um Geld zu sparen.
Die Gäste kommen natürlich gerne, wenn es Kost und Logis frei gibt...
Schön, dass er so gastfreundlich ist, auch wenn er es anscheinend übertreibt.
Bei Speranskij musste ich kurz an ein Vampier denken. Ich bin gespannt, inwieweit er noch in der Geschichte vorkommen wird. Er scheint ein Guter zu sein.
Speranski wird schon ungewöhnlich beschrieben:
"An (…) alledem merkte [Andrei], dass jetzt, im Jahre 1809, hier in Petersburg gewissermaßen eine gewaltige soziale Schlacht vorbereitet wurde, deren Oberkommandierender eine ihm unbekannte, geheimnisvolle, aber genial erscheinende Persönlichkeit war: Speranski."
"Bei niemandem in den Gesellschaftskreisen, in denen Fürst Andrei lebte, hatte er so ruhige, selbstbewusste und dabei doch unbeholfene, anmutlose Bewegungen gesehen; bei niemandem einen so festen und zugleich weichen Blick der halbgeschlossenen und etwas feuchten Augen, ein so konsequent festgehaltenes, bedeutungsloses Lächeln, eine so feine, gleichmäßige, leise Stimme, und vor allem bei niemandem eine so zarte, weiße Farbe des Gesichts und namentlich auch der etwas breiten, ungewöhnlich fleischigen, zarten Hände. (…)
Speranski ließ seine Augen nicht von einem zum andern laufen, wie man das beim Eintritt in eine große Gesellschaft oft unwillkürlich tut, und beeilte sich nicht, zu reden. Er sprach leise, offenbar in der sicheren Überzeugung, dass man ihm zuhören werde, und blickte nur denjenigen an, mit dem er sprach. (…)
Als Kotschubei ihm den Fürsten Andrei vorstellte, ließ Speranski langsam seine Augen zu diesem hinübergleiten und betrachtete ihn schweigend mit demselben Lächeln."
Bei Wikipedia heißt es dazu:
"Leo Tolstoi gibt eine offenbar authentische Beschreibung der Person Speranskis"
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Wenn ich etwas Zeit habe, versuche ich hier auch ein bisschen mitzumachen, auch wenn ich erst im 6. Kapitel bin.
Wie schon erwähnt, die oft ironischen Beschreibungen der Charaktere und einige Dialoge gefallen mir sehr gut; die Beschreibung von Inneneinrichtungen von Gebäuden (und hier in diesem Buch auch die von Landschaften) finde ich ziemlich zäh.
"Ich würde mich jedesmal verirren, wenn ich meine Haube holen müsste, oder schon lange vor einem Spaziergang von den langen Fluren und großen Treppenhäusern müde werden."
Vielleicht ist Gaskell dasselbe während dem Schreiben (literarisch gesehen) auch manchmal passiert?
Ein paar Parallelen zu "Krieg und Frieden" habe ich auch gefunden: Lord Cumnor erinnert mich mit seiner Freundlichkeit und Zerstreutheit ein wenig an Graf Ilja Rostow; Lord Hollingford ("der große, ernste, wenig gewandte Erbe ihrer Lehenstreue"; "In Wirklichkeit war er nur befangen und tat sich schwer, banale Gespräche zu führen") ein wenig an Graf Pierre Besuchow.
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Ja, immer wieder findet man wirklich sehr humorvolle Stellen, wie auch hier:
"An jenem ersten Abend (...) erzählte Speranski, als von der Kommission für Gesetzgebung die Rede war, (...) diese Kommission bestehe schon hundertfünfzig Jahrelang, habe bereits Millionen gekostet und nichts geleistet, als dass Rosenkampf alle Kapitel einer vergleichenden Zusammenstellung von Gesetzen mit Etiketten beklebt habe. 'Das ist die ganze Leistung, für die das Reich Millionen gezahlt hat! (...) Deshalb ist es für Männer wie Sie, Fürst, jetzt geradezu eine Sünde, sich vom Staatsdienst fernzuhalten.'
Fürst Andrei erwiderte, dass hierzu eine juristische Bildung erforderlich sei, die er nicht besitze.
[Speranski:] 'Aber die besitzt ja niemand; also haben Sie keinen Grund.' "
Später im Buch wird sich herausstellen, dass Graf Ilja Rostow sich hier mit seiner Gastfreundschaft etwas sehr Gutes getan hat:
"Rostows lebten in Petersburg ebenso gastfrei wie in Moskau (...). Von den männlichen Gästen wurden einige im Rostowschen Haus in Petersburg sehr bald Hausfreunde; erstens Boris, ferner Pierre, den der alte Graf zuerst auf der Straße getroffen und mit sich nach Hause geschleppt hatte, und drittens Berg, der ganze Tage bei Rostows zubrachte"
Überhaupt wundert mich auch in Abschnitt 4 seine Gastfreundschaft:
"aber doch waren das gewaltige Haus und die Nebengebäude noch immer ebenso voll mit allerlei Leuten, und am Tisch saßen auch jetzt noch mehr als zwanzig Personen. Es waren dies teils Leute, die zum Haus gehörten (...), teils solche, bei denen es wenigstens dem Graf und der Gräfin absolut notwendig schien, sie im Haus wohnen zu lassen. Dazu gehörten der Musiker Dümmler mit seiner Frau, der Tanzlehrer Vogel mit seiner Familie, ein altes Fräulein Bjelowa, und noch viele andere: die Lehrer Petjas, zwei ehemalige Gouvernanten der Töchter, und manche Leute, die es einfach für angenehmer oder für vorteilhafter hielten, bei dem Grafen zu leben als in einer eigenen Wohnung."
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Stimmt, Andrei hat sich bisher schon mindestens zweimal verändert. Pierre bewertet seine eigene bisherige Veränderung in seiner Naivität viel zu hoch, aber auch er ist nicht mehr derselbe wie am Anfang.
Und dass der Krieg das Beste oder das Schlechteste im Menschen hervorbringen kann, da würde ich auch zustimmen.
Eine schöne Idee, wie Andrej mit der Eiche verglichen wird. Ich hoffe, Andrej hat jetzt seine Trauer überwunden und lebt wieder.
Ja, das Zitat finde ich auch schön:
"Die alte Eiche, ganz verwandelt, breitete sich jetzt mit ihrem saftigen, dunkelgrünen Laub wie ein Zelt aus und schwelgte, kaum ein Blatt rührend, in den Strahlen der Abendsonne. Weder krumm gewachsene Finger, noch Narben, noch altes Misstrauen und Leid, nichts derartiges war mehr zu sehen."
Bei Speranskij musste ich kurz an ein Vampier denken. Ich bin gespannt, inwieweit er noch in der Geschichte vorkommen wird. Er scheint ein Guter zu sein.
Speranski kommt mir auch recht positiv vor. Recht humorvoll, wenn auch sehr überheblich, ist dieses Einverständnis zwischen ihm und Andrei:
"Speranski (…) brachte dem Fürsten Andrei gegenüber jene feine Art der Schmeichelei zur Anwendung, die mit Selbstbewusstsein verbunden ist und darin besteht, stillschweigend anzuerkennen, dass der andere, neben einem selbst, der einzige Mensch sei, der die Fähigkeit besitze, die ganze Dummheit aller übrigen Menschen und die Verständigkeit und Tiefe der Gedanken, die man selbst ausspricht, zu begreifen." lol!
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Drei Monate? Die haben bestimmt geschummelt und großflächig gelesen.
Hier das Beweisvideo: nur 8 Sekunden für 2 Seiten.
Ich bin dann mit dem fortlaufenden Lesen einen Abschnitt weiter als du. Ich hatte vor ein paar Monaten auch schonmal ausgewählte Kapitel im Voraus gelesen, bis an den Anfang von Band 4.
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Natascha ist hier wahrscheinlich einfach ein bisschen übermütig und drückt ihren Drang nach Freiheit und Natur aus. Sie scheint überaus poetisch veranlagt zu sein.
Ja, bei Andrei und Pierre muss man wohl bis zum Ende warten. Das Zitat zur Mitarbeit am Staatswesen ist interessant, aber Tolstoi zeigt in diesem Abschnitt ja auch Andreis Desillusionierung in Bezug auf Speranski und seinen Zirkel und dass Andrei ihnen nicht mehr zutraut, etwas wirklich Positives zu bewirken.
Pierre kommt mir eigentlich schon ziemlich sympathisch vor, aber es ist ja oft so, dass man mit Protagonisten Sympathie empfindet, auch wenn man sie im wirklichen Leben nicht so sehr mögen würde. Tolstoi schrieb einmal zu seinen Sewastopoler Erzählungen:
"Der Held meiner Erzählung aber, den ich mit der ganzen Kraft meiner Seele liebe, [...] ist - die Wahrheit."
Ich denke, er möchte verschiedene Menschentypen darstellen und die Menschen mit ihren Stärken und Schwächen, ohne Beschönigung oder Übertreibung, so wie er sie an den Menschen in seiner Umgebung beobachtet hat.
Interessant finde ich im nächsten Abschnitt, dass nebenbei erwähnt wird, dass Andrei (so wie ich es verstehe) anscheinend auch mal Freimaurer war oder es sogar offiziell noch ist, aber offensichtlich nicht mehr aktiv:
" 'Ich muss mit dir [Pierre] sprechen, notwendig sprechen', sagte Fürst Andrei. Du kennst unsere Frauenhandschuhe.' (Er meinte die Handschuhe, die bei den Freimaurern dem neu aufgenommenen Bruder übergeben wurden, damit er sie der ihm geliebten Frau einhändige.)"
(als es um Andreis Heiratsüberlegungen geht)
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Hallo zusammen, ich überlege mir auch, an der Leserunde teilzunehmen, wenn das für euch OK ist. Ich bin mir noch nicht sicher, aber ich hab die ersten 4 Kapitel gelesen und fand Kap. 3 und 4 sehr humorvoll, mit interessanten Charakterbeschreibungen der Personen.
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Ja, Joseph Alexejewitsch wird in Kapitel 2/2/II eingeführt (am Kapitelende wird sein Name erwähnt); er ist der, der Pierre zur Freimaurerei bringt.
Stimmt, Andrei ist besser für Natascha; Boris denkt ja bisher nur an seine Karriere.
Ob Wjera tatsächlich zu wenig Mitgift bekommen hat mit den 20.000 Rubeln (+ dem unsicheren Wechsel über 80.000) weiß ich nicht; ich hatte es eher so verstanden, dass Berg es verstanden hat, den alten Grafen zu einer hohen Mitgift zu bringen. Die beiden scheinen dann auch nicht gerade in Armut zu leben.
Immer wieder witzig - teilweise Slapstick-mäßig - finde ich, wie Tolstoi Berg und Wjera als Paar beschreibt, z.B. hier:
"Berg lächelte im Bewusstsein seiner Überlegenheit über so ein beschränktes weibliches Wesen und schwieg dann, weil er sich sagte, dass seine liebe Frau doch eben nur ein beschränktes Weib sei, das kein rechtes Verständnis dafür habe, worin der Wert eines Mannes bestehe.
Gleichzeitig lächelte auch Wjera in dem Bewusstsein ihrer Überlegenheit über ihren Mann, der ja ein rechtschaffener, guter Mensch war, aber doch, wie alle Männer nach Wjeras Begriffen, das Leben falsch auffasste. Berg, nach seiner Frau urteilend, hielt alle Frauen für beschränkt und dumm. Wjera, die nur nach ihrem Mann urteilte und diese Beobachtung verallgemeinerte, war der Ansicht, alle Männer hielten sich allein für klug, verständen aber dabei doch gar nichts und seien hochmütig und egoistisch. (…)
In diesem Augenblick wurde Graf Besuchow gemeldet. Die beiden Ehegatten wechselten miteinander einen selbstzufriedenen Blick, indem ein jeder es sich zurechnete, dass ihnen die Ehre dieses Besuches zuteil wurde."
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Ja, schon erstaunlich, dass sogar die Möglichkeit einer Heirat von Napoleon mit einer Schwester Alexanders da ist. Aber so ist Politik nun mal, was man ja auch manchmal z.B. bei Koalitionsverhandlungen sieht. Erst Krieg, dann Frieden (usw.).
Das Problem der Kriege ist wirklich schwierig. Ich denke, der Mensch ist nunmal egoistisch, und solange das so ist, was ja auch ständig "Mini-Kriege" im Kleinen verursacht, wird es auch im großen Maßstab immer Kriege geben. Wenn eine Regierung sich gedrängt fühlt, etwas zu tun, und es ohne Gewalt nicht zu gehen scheint, sagt man sich eben: 'Keine Gewalt ist auch keine Lösung'. Aber sorry, ich möchte nicht noch mehr schlechte Laune verbreiten.
"In dem Salon der Gräfin Besuchowa empfangen zu werden galt als eine Art von urkundlichem Beleg dafür, dass man ein Mann von Geist sei."
Steht dieser Salon noch? Ich glaube, ich muss auch mal versuchen, dort empfangen zu werden, auch wenn meine Chancen da schlecht stehen. Ebenfalls eher nicht dort empfangen wird wohl die Natascha Münchhausowa:
" 'Nun, siehst du wohl? So möchte ich niederkauern, siehst du wohl, so, und die Hände unter den Knien zusammenlegen, fest, so fest wie möglich, ganz eng und straff, und dann möchte ich losfliegen. Sieh mal: so!'
'Hör auf! Du wirst noch fallen!' " :--)
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Hm, das Buch ist bei mir angekommen, und es kommt mir doch recht reißerisch vor. Aber ihr könnt euch gerne darüber austauschen, und ich würde dann schauen, ob ich evtl. doch mitmache.
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Genau, die Erklärung ist sehr gut, deshalb hatte ich sie auch als ungewöhnlich im Sinne von ungewöhnlich gut (mit viel psychologischer Einsicht) beschrieben. Nicht ganz so gut, aber auch bemerkenswert finde ich Andreis Denken über das Denken:
"Aber meiner Ansicht nach ist die körperliche Arbeit für [diesen Bauern hier] ebenso eine Notwendigkeit, ebenso eine Existenzbedingung wie für mich und dich die geistige Arbeit. Du [Pierre] und ich, wir können nicht leben, ohne zu denken. Wenn ich mich um zwei oder drei Uhr schlafen lege, so kommen mir allerlei Gedanken, und ich kann nicht einschlafen, ich wälze mich umher und liege wach bis zum Morgen, eben weil ich denke und das Denken nicht lassen kann, gerade wie er nicht das Pflügen und Mähen; sonst geht er in die Schenke oder wird krank. Wie ich seine starke körperliche Arbeit nicht aushalten kann (ich wäre in einer Woche tot davon), so er nicht meine körperliche Untätigkeit."
Bei Rostow finde ich erstaunlich, dass er sein Leben aufs Spiel setzt, um Denisow im Lazarett zu besuchen, obwohl der Arzt ihm sagt: "Wer hereinkommt, stirbt". Denisow ist auch generell beliebt bei seiner Eskadron:
"Bei Denisow, der eine luxuriöse Wohnung hatte, da ihn die Soldaten seiner Eskadron gut leiden konnten, war an der Giebelseite des Daches noch ein Brett abgebracht, und in dieses Brett war eine zerbrochene, aber wieder zusammengeklebte Fensterscheibe eingesetzt."
Hat mich daran erinnert, wie du mal geschrieben hast:"Mir gefällt, wie Tolstoi hin und wieder Anzeichen von Wohlstand mit in das Geschehene miteinbringt."