Beiträge von Nadezhda

    Ich bin auch reichlich verwirrt. :konfus


    Auch die Schlusskapitel sind voll von Anspielungen auf biblische Geschehnisse, aber alles ist total verdreht. Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass Bulgakow das einfach aus Jux und Tollerei so gemacht hat, aber sicher bin ich mir da nicht. :lache Was wollte er den LeserInnen sagen? :help


    Besonders beeindruckt haben mich einige Szenen wie dieses doppelte Weltuntergangsgewitter bei der Kreuzigung von Jeschua und dann nochmal über Moskau. Und Jeschua schickt ausgerechnet Levi Matthäus als Boten zu Voland mit der Nachricht, dass er den Meister und seine Margarita gar nicht bei sich "im Licht" haben wolle, sondern Satan ihnen "Ruhe verschaffen" solle. Auf die beiden wartet also nicht der Himmel? Womit ich dann gar nicht gerechnet hätte, ist dieser nette, gemütliche Lebensabend, der ihnen da versprochen wird (habt ihr das auch so verstanden? ich fand die Idee ein wenig blass im Vergleich zu den sonstigen dramatischen Enden, die viele Figuren genommen haben), jedoch eben nicht die Hölle (warum auch?). Gibt es also die Hölle gar nicht? Oder gebietet Voland über mehrere Reiche? :gruebel


    Und dann diese Wiedervereinigung des kranken Pilatus mit seinem Sehnsuchtsgesprächspartner Jeschua. Pilatus könnte jetzt um Vergebung bitten, und Jeschua würde sie ihm sicher gewähren. Aber nein, der Täter Pilatus blickt seiner Untat nicht ins Auge, sondern nötigt das Opfer Jeschua zu der Bestätigung, dass die Untat doch gar nicht stattgefunden habe. Das hat so viele historische Parallelen und findet auch im kleinen zwischenmenschlichen Alltag so oft statt, dass ich glatt in den Tisch beißen möchte. Bulgakow hat so eine feine Art, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten...


    Dazu gehört für mich auch besonders die Szene in diesem "Ausländerladen". Auch ich musste an die Intershops in der DDR denken. Einen davon hatte ich als Kind mal betreten und ich erinnere mich bis heute an das Gefühl des Erschlagenseins angesichts all der dort verkäuflichen Herrlichkeiten, die man als "normale" DDR-Bürgerin nicht zu Gesicht bekam, geschweige denn besitzen durfte. Gleichzeitig wussten alle, die ich kenne, über die Heuchelei dahinter Bescheid, denn wer dort regelmäßig einkaufen konnte, musste etwas haben, das man eigentlich in der DDR nicht haben durfte, nämlich großzügige Westverwandtschaft, musste aber gleichzeitig politisch so abgesichert sein, dass der Besuch in diesem Geschäft einem nicht die Stasi auf den Hals hetzte. Man musste also selbst hundertfünfzigprozentig zum System gehören, um Dinge tun zu dürfen, die eigentlich in diesem System offiziell verpönt waren. Und doch haben diese Intershops existiert. Das hätte ich als Kind nicht formulieren können und es musste auch tunlichst darüber geschwiegen werden, aber unterschwellig war das immer da, dass die Menschen eben "gleich" und "gleicher" sind. Die Szene in dem Ausländerladen hat es wieder aufgewühlt, v.a. weil der "Ausländer", der sich dort den fetten Lachs leistete, eben doch ein Sowjetbürger war und man sich zu Recht wie das zornige alte Männlein fragen konnte, wie und wieso der an Devisen gekommen ist, während die normale arbeitende Bevölkerung sich mit mangelhafter Ware zufriedengeben muss. Wenn Bulgakow im Wortlaut den alten Mann kritisiert, kritisiert er vom Sinn her vielmehr die herrschenden Zustände und diese Heuchelei um den Laden für die "gleicheren" BürgerInnen. Es wundert mich also kein bisschen, dass der Roman zunächst nicht gedruckt wurde, und diese Szene gehörte bestimmt zu denen, die in der Sowjet-Version herausgestrichen waren, zumindest kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass so etwas veröffentlicht werden durfte.


    Ich bin auch sehr froh, den Roman nach so langer Zeit noch einmal gelesen zu haben. Damit, dass etliche Fragen offen bleiben, kann ich momentan gut leben, denke aber, da wird noch einiges nachhallen. Wenn auch nicht bis Ostern. ^^

    Mittlerweile habe ich es doch nachgeschlagen. In meiner russischen Version steht mal ein Äquivalent zu "Neger", mal eins zu "Schwarzer". Reschke hat das entsprechend übernommen. Zu seiner Zeit war es ja auch noch kein Schimpfwort bzw. die Wahrnehmung fing erst an, sich entsprechend zu wandeln. Da es aber heute nunmal so ist, dass "Neger" abwertend wahrgenommen wird, wundere ich mich darüber, dass auch Nitzberg es noch so übersetzt, denn Bulgakow hat es sicher nicht abwertend gemeint und eine Übersetzung, die ja so modern sein will und den Geist des Gesagten transportieren möchte, auch wenn dann Dinge mal völlig anders übersetzt werden, sollte das doch ausmerzen? :gruebel


    Ich habe ja an anderer Stelle schon einige kritische Anmerkungen zur Übersetzung des Herrn Nitzberg gemacht; dies kommt nun also noch dazu. Wer sich so frei fühlt, Namen von Nebenfiguren einfach zu ändern, damit ein bestimmtes Flair, ein besonderer Sprachduktus oder vom Autor gewollte Assoziationen erhalten bleiben, hätte m.E. im Sinne des Autors auch ruhig den "Neger" streichen können. Ich glaube nicht, dass Bulgakow deswegen so einen Bohei gemacht hätte wie z.B. Astrid Lindgren.

    Die Kommunisten haben GOTT versucht zu vertreiben, mit allen Mitteln, in der Sowjetunion viel extremer als in den anderen soz. Staaten. Ich verstehe jetzt auch, was du meinst. Vielleicht wollte Bulgakow das wirklich ausdrücken.


    So habe ich das auch verstanden. Bei Bulgakow ist Gott nicht nur abwesend, weil der Roman sonst nie hätte erscheinen dürfen, sondern weil Gott als Metapher für das Gute in dieser Gesellschaft nicht anwesend ist, Satan als Metapher für das Böse aber sehr wohl. Zumindest deute ich das für mich so.


    Indirekte Verweise auf Gott und die Frage von Erbarmen und / oder Vergebung kann man übrigens erkennen, wenn man sich klarmacht, dass diese Szene um die Erlösung von Frieda im Prinzip eine Umarbeitung der letzten Szene von Faust I ist, nur mit komplett anders verteilten Rollen. Bei Goethe sitzt ja die Kindsmörderin Margarete im Kerker, der dort auch mehrfach mit einer Hölle verglichen wird. Margarete verzweifelt an der Schuld, die sie auf sich geladen hat, und möchte ihrem ehemaligen Liebhaber Faust, der sie aus dem Kerker retten will, nicht in eine Pseudofreiheit folgen, in der sie das Geschehene doch nie hinter sich lassen könnte. Beim Anblick Mephistos fängt sie an zu schreien, dass er verschwinden soll, und übergibt sich dem Gericht Gottes. Mephisto daraufhin: "Sie ist gerichtet." - Stimme von oben: "Ist gerettet."

    Margarita, die im Faust Erbarmen sucht, ist jetzt diejenige, die es spendet.


    Mit dieser Szene im Hinterkopf frage ich mich natürlich, welche Funktion es für Bulgakow nun hat, dass ausgerechnet Margarita Frieda "rettet" und dem Satan das so einerlei zu sein scheint. Zum einen denke ich, dass Bulgakow damit vielleicht sagen will, dass das Böse nicht in letzter Konsequenz personalisiert werden kann und sich auch nicht Menschen für ein böses Schicksal bewusst aussucht (auch hier im direkten Kontrast zum Faust I und nun gar auch dem Alten Testament, nämlich dem Prolog im Himmel sowie dem Buch Hiob), sondern eben einfach existiert und man ihm nur mit Menschlichkeit und Milde begegnen kann, personifiziert in dieser Szene durch Margarita und im Pilatus-Strang durch den harmlosen, menschenfreundlichen Jeschua. (Womit auch gleich noch Teile von dessen Lehren aus der Bergpredigt umgesetzt wurden, ohne dass dies explizit so benannt werden musste. :grin )


    Vielleicht werde ich irgendwann mal die Aufzeichnungen von Bulgakows Frau sowie entsprechende Fachliteratur zu Bulgakow lesen, weil mich - jenseits meiner eigenen Interpretationen - wirklich sehr interessiert, was er sich nun tatsächlich bei dem Ganzen gedacht hat oder ob es gar für ihn nichts als ein großer Klamauk mit vielen wild gestreuten Anspielungen war.

    Die neue Übersetzung ist auch nicht politisch korrekt.

    Beide Übersetzer schreiben mal "Neger", mal "Schwarzer". Ich persönlich hätte es heutzutage einfach bei letzterem belassen.

    Keine Ahnung, was in der russischen Version steht. Ich schlage das jetzt nicht nach, sondern lese lieber ein bisschen weiter. :lesend

    Es war nicht böse gemeint, sondern der Situation geschuldet. :-)


    Allerdings bringt es mich darauf, dass ich dich schon immer mal fragen wollte, was dein Nick eigentlich bedeutet. Da sind wir ja hier genau im richtigen Thread. :grin

    Ich finde die Übersetzung von Thomas Reschke sprachlich viel schöner. EDIT: Mal abgesehen von den "Negern" - aber seine Übersetzung war vor der entsprechenden Rassismus-Debatte.


    Aber es war nur halb ernst gemeint - vom "Meister"-Werk Bulgakows kann man doch ruhig zwei Ausgaben im Regal stehen haben. :teufel

    Mich persönlich irritiert die Schreibweise mit "*" oder andere Varianten nicht und stört auch meinen Lesefluss nicht.

    Mich stört es auch nicht. Fehlende oder überflüssige Kommas finde ich viel schlimmer. :grin


    Das wird aber noch ein langer Weg.

    Wenn ich hier sehe, wie schwer man sich noch nach über 20 Jahren mit der Rechtschreibreform tut, dauert es noch länger.

    Hier sehe ich einen Unterschied: Die Rechtschreibreformen (!) wurden den Menschen ohne tatsächliche Not von außen aufgezwungen, wieder umgeschmissen, nochmal geändert... Das kann man ja kaum noch ernst nehmen. :pille Also, ich kann es nicht mehr. Selbst, wenn ich mir die größte Mühe gebe, muss ich ständig Wörter nachschlagen, weil ich mir nicht sicher bin, ob jetzt aktuell (wieder?) beide Varianten richtig sind oder (wieder?) nur eine, nach welcher Logik jetzt was getrennt und was zusammen geschrieben wird (im Zweifelsfall getrennt, dann unterstreicht das Rechtschreibprogramm es wenigstens nicht :grin ), ob ein Komma wieder ein Muss-Komma ist oder ein Kann-Komma... :konfus Beruflich versuche ich nach bestem Wissen und Gewissen, da so wenig wie möglich zu versemmeln, privat schreibe ich so, wie ich es persönlich für sinnvoll halte. Das haben die Rechtschreibreformen bei mir erreicht. :lache


    Beim Gendern geht es um Phänomene des gesellschaftlichen Wandels, die man versucht, adäquat sprachlich umzusetzen. Das ist mit vielen Hürden verbunden, und dass es (noch) nicht alle einsehen wollen, ist nur eine davon. Ich glaube, das wird noch weit länger als 20 Jahre brauchen. Bis dahin ist dann vielleicht auch die Goethe-Fraktion in einem Alter, wo man alles toleranter sieht... :lache