Beiträge von Jutta Mülich

    Danke, Voltaire,


    für die Rezi, aber auch für den Hinweis auf Roskis Buch überhaupt, von dem ich bislang nicht wusste, dass es existiert.
    "Ja, und des Schleusenwärters blindes Töchterlein, das sah ihm traurig nach, wie er ertrunk. Warf eine Hand voll Sand noch hinterdrein und sprach: Fahrt wohl, ihr wart ja noch so jung!"
    Lange her und gewiss nicht von großer politischer Dimension, aber ich erwische mich heute noch manchmal dabei, diesen Refrain zu singen.


    Nochmals herzlichen Dank!
    Jutta Mülich

    Das ist bei mir ganz unterschiedlich. Es gibt "Reißer", die ich innerhalb einer Nacht konsumiere, aber auch Werke, die Monate liegen und die ich nur häppchenweise zu mir nehme. Dabei lese immer einige Bücher parallel, um meine Lektüre der jeweiligen Lesesituation anpassen zu können. :lesend

    Was haben diese Nächte zu bieten, dass Luisa so obsessiv daran fest hält, obwohl Paul sich in der Liebe wie offenbar in all seinen zwischenmenschlichen Beziehungen politisch ziemlich unkorrekt verhält? Eine müßige Frage, wie sich bald zeigt, denn Paul dient der Autorin allenfalls als Reflektionsfläche für Luisas traumatisiertes Verhalten, das einer feministisch geprägten Leserin schon anhaltend den Adrenalinspiegel in die Höhe zu jagen vermag. Wie kann sie nur? – Corinna Luedtke behandelt mit Luisas masochistisch anmutender Bereitschaft zur Demütigung eine auch nach jahrzehntelangem Befreiungskampf der Frauen leider immer noch hochaktuelle Frage. So unverständlich die freiwillige Rückkehr einer geprügelten Ehefrau aus dem Frauenhaus zu ihrem Misshandler ist, so schwer lässt sich nachvollziehen, warum Luisa trotz mannigfaltiger Erniedrigungen zunächst an Paul klebt, woraus auch die Frage resultiert, warum wir Corinna Luedtkes Geschichte in so atemloser Spannung folgen, das sie vordergründig wahrlich nicht die Geschichte einer Sympathieträgerin ist. Romanfiguren nehmen uns normalerweise dann für sich ein, wenn sie durch solche Attribute für sich werben, die LeserInnen auch gern für sich beanspruchen würden. Niemand mag gern ein solches Schaf sein wie Luisa, aber die Autorin schafft es mit ihrem außerordentlichem Sinn fürs Detail, fürs genaue Hinsehen und mit sprachlicher Präzision eine Geschichte zu weben, in deren Gespinst aus Erinnerung und Gefühlen die LeserInnen in einen analytischen Prozess hineingezogen werden. Dieser lässt bald erkennen, dass aus Luisas Irrungen und Wirrungen die Sehnsucht nach einem anderen Leben erwächst. Diese spiegelt sich gleichsam in der Auseinandersetzung mit dem Leben anderer, insbesondere mit dem Else Lasker-Schülers und deren Werk. – Eine von Kunst und Liebe und Liebe zur Kunst geprägten Gegenwelt, in die Luisa sich aufmacht. Was sonst könnte uns Corinna Luedtke mit dem letzten Satz ihrer Ich-Erzählerin sagen wollen:
    „In wenigen Stunden bricht ein neuer Tag an.“


    Herzlichen Glückwunsch, liebe Corinna Luedtke, zu diesem großartigen Debüt!


    Jutta Mülich

    Beim Lesefest in Laatzen, das Corinna Luedtke in kürzester Zeit mit bewundernswerter Umsicht organisierte, stimmte alles: das zauberhafte Abiente des "Parks der Sinne", der Rahmen des "Künstlerpicknicks mit den vielfältigen Kunstobjekten, nicht zuletzt das Wetter, das Corinnas Regenfotos zufolge am Vortag noch erschreckend eigenwillig und unsommerlich in Erscheinung trat. Vor allem aber erfreute die perfekte Organisation, die u.a. auch für den regen Zuschauerzustrom verantwortlich war.
    Corinnas Moderation ließ von ihren oben geschilderten Aufgeregtheiten nichts erkennen. Sie hat die Begabung, sich einerseits zurücknehmen zu können und "ihre" AutorInnen jeweils in den Vordergrund zu stellen (was in unserer Branche ja nicht immer der Fall ist), andererseits aber ist sie in der Lage, zur rechten Zeit Anstöße zu geben und die Zuhörerschaft bei der Stange zu halten. Gratulation zu diesem Debüt, von dem man wirklich nicht glaubt, dass es eines war.


    Es war mir ein Vergnügen, dabei zu sein und den interessanten KollegInnen zuhören zu dürfen. Daher bedanke ich mich auch bei Silke Porath, die mir den Anstoß zur Teilnahme gab.


    Herzlichst
    Jutta

    Wenn jetzt die Eindrücke anders wären, wenn wir uns zufrieden zurücklehnen könnten nach der Lektüre des Romans und sagen: Alles ist befriedet, Ende gut - alles gut, würde nicht gerade das bedeuten, Monika Detering habe ihr Thema gründlich verfehlt? Weil die Thematik von so ungeheurer Brisanz ist, haben wir viel mehr am Inhalt als an der Form diskutiert. Lasst uns aber doch noch einmal auf das Verhältnis von Inhalt und Form eingehen. Lethabo kennzeichnet zu Recht die "Sprünge" als irritierend. Ich nehme allerdings an, nichts anderes wollte die Autorin damit bewirken als unsere Irritation. Gedanken werden uns, wie Trixi sehr richtig beschreibt, nicht vollendet abgeliefert. Und selbstverständlich ist das unbefriedigend. Nicht anders als unbefriedigt wollte uns aber vermutlich die Autorin nach dem "Herzfresser" in die reale Welt entlassen, in der kleine Maries so sehr zerstört werden, dass sie sogar ihren Namen, also das, was eigentlich doch untrennbar zu uns gehört, ablegen wollen!
    Es ist streckenweise schwierig, sich mit der Hauptperson zu identifizieren, das sehen wir an unserer kontroversen Diskussion. Darin aber liegt Monika Deterings Kunst. Sie zeigt uns Risse, ohne uns den Kitt dafür zu liefern. Den müssen wir selbst finden!

    Gisa, die oft erst späten Bekenntnisse missbrauchter Mädchen, auch die Spätfolgen von Missbrauch sind nicht nur in der psychologischen Fachliteratur hinlänglich beschrieben. Lies mal nach, da klären sich Deine Fragen vermutlich ganz schnell. Sehr verkürzt: Das traumatisierende Missbrauchserlebnis führt ja gerade dazu, dass ein Mädchen eben nicht in der Lage ist, sich Hilfe zu holen. Aber in manchen Fällen holt, wie Monika Detering es ja in ihrem Roman deutlich beschreibt, der Körper durch eine physische Erkrankung Hilfe. "Herzfresser" - insbesondere auch in diesem Zusammenhang - ein großartiger Titel für das Buch.

    Gisa, Deine Frage nach der Reaktion anderer kann ich Dir von Frauen aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis aus recht unterschiedlichen Altersgruppen beantworten. Da sind sowohl jüngere als auch ältere zutiefst betroffen, und ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es anders sein könnte, denn die Phantasie, sich selbst in der Opferrolle dieses Kindes zu sehen, bringen die meisten Frauen durchaus auf. Mit dem Begriff "duldendes Opfer" habe ich große Schwierigkeiten. Ein zehnjähriges Kind, das von seinem Vater missbraucht wird, ist Opfer. Punkt! Der Begriff der "Duldung" implilziert für mich so etwas wie Einverständnis. Marie ist hilflos, aber nicht einverstanden. Frauen, die von ihren Männern geschlagen, vergewaltigt oder in anderer Weise gedemütigt werden und dennoch bei ihnen bleiben, sind ebenfalls nicht einverstanden, sondern hilflos. Und diese Hilflosigkeit kommt in Maries Handeln wunderbar zum Ausdruck. Auch in dieser von lethabo angeführten Geborgenheit auf Zeit, z.B. in der einen "geschützten" Woche ihrer Krankheit.

    Ja, warum wure Marie zur Rebellin?
    Mit dieser Frage schubst die Autorin uns in ihren Text. - In einen Text wohlgemerkt, der aus der Sicht Maries konstruiert wird. Und diese Marie erlebt den Missbrauch als ihre klägliche Normalität. Sie redet nicht darüber, weil sie sich schämt und weil es sich, wie sie mehrfach betont, doch um ihren Vater handelt, der ihr "das alles", das sie kaum wirklich benennen kann oder mag, zufügt. Monika Detering verweist gerade mit dem Auslassen spektakulärer Schilderungen oder Anklagen des Kindes auf die Schwierigkeit, Missbrauch überhaupt zu thematisieren und nachzuweisen - damals wie heute! Marie ZEIGT, dass etwas nicht in Ordnung ist. Sie irrt orientierungslos herum, ist renitent, beschimpft einen Lehrer, schlägt eine Lehrerin. Es ist vielleicht unbefriedigend, von dem Mädchen kaum Antworten auf die Frage nach dem "Warum" zu bekommen, aber die Autorin trifft mit diesem Verweigern von Antworten sehr gekonnt den Kern:
    Missbrauch ist meistens ein vom Täter wie vom Opfer verschwiegenes Verbrechen!

    Atemlos habe ich den ersten Teil nun durchgelesen. Monika Detering knüpft das Missbrauchsthema in wunderbar subtiler Weise an den 50er-Jahre-Mief, an die Unaufgeklärtheit, die Kleinbürgerlichkeit, die Nachkriegsentbehrungen, die damals noch gänzlich unangetastete Rolle des Familienvaters, der Instanz bleibt, selbst wenn er die Familie verlässt, für das Kind Marie auch dann noch, wenn er es missbraucht!
    Ein entsetzlicher Mann, der mit Vorsatz sein Kind schändet. Das Gegenbild, die liebevoll-behütende alleinerziehende Mutter. Nein, sie ist gewiss nicht kaltherzig, wenn sie zuschlägt, sondern versucht verzweifelt ihrer Rolle in einer Zeit gerecht zu werden, als Frauen noch nicht einmal ohne Einwilligung ihres Ehemannes einen Beruf ergreifen durften. Und natürlich befindet sich der Gedanke an sexuelle Übergriffe durch den Vater vollkommen außerhalb ihrer Vorstellungswelt. Offenbar streng katholisch erzogen, gibt sie die Schreckensvisionen von Hölle und Fegefeuer an ihre Tochter weiter, was dem Vater prächtig zupass kommt, kann er doch damit rechnen, das Mädchen mit entsprechenden Androhungen gefügig zu halten.


    Dass sich auch noch Großvater und Onkel an dem Mädchen vergreifen, mag auf den ersten Blick unglaublich erscheinen, doch geht man von der "Psychologie des Opfers" aus, wird auch dies erklärlich.
    Ein aufwühlendes Buch, das uns zwingen muss, genau hinzusehen, was auch heute noch Mädchen angetan wird. Ein Roman, den ich oft verschenken werde!
    Meinen herzlichen Dank an Monika Detering!

    Cassandra und Bibihexe, ich sehe es wie Ihr! Monika Detering räumt schon gleich zu Beginn ihres Romans mit der Vorstellung auf, Kinder seien der Erwachsenenwelt nur staunend ausgeliefert. - Ausgeliefert ist auch Marie allemal, aber sie interpretiert, reagiert, handelt in einer Weise, die heute gar nicht mehr besonders auffallen würde. Ein Kind, das seinen Lehrer als doof bezeichnet, lässt im dritten Jahrtausend kaum noch jemanden zusammenzucken. Anfang der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts aber war so etwas kaum vorstellbar. Geschickt führt uns die Autorin in jene Zeit zurück, und ohne je selbst in den zweifelhaften Genuss selbstgestrickter Kniestrümpfe gekommen zu sein, spüre ich beim Lesen, wie sie mich kratzen. Mit wenigen prägnanten Bildern wird einigen von uns die Nachkriegszeit in Erinnerung gerufen, anderen, denen durch die "Gnade der späten Geburt" der Anblick Kriegsversehrter und auch der zerbombter Häuser nicht aus eigener Ansicht vertraut ist, eindringlich geschildert. - So eindringlich, dass mich die Geschichte schon ganz gefangen hat!


    Ihr entschuldigt mich - ich will weiterlesen!!!

    ... Und bei mir liegt es auf dem Geschenkestapel für Weihnachten, wo sich immer all jene Bücher versammeln, die mich im Laufe des Jahres besonders beeindruckt haben. Monika Deterings "Herzfresser" gehört unbedingt dazu, und ich freue mich auf die erneute Lektüre zur Leserunde!

    Euch allen herzlichen Dank!


    Sicher wird es eine ganze Weile dauern, bis ich Euch alle einigermaßen zuordnen kann, aber Wolke, du siehst das ganz richtig, Silke machte mich freundlicherweise auf Euch aufmerksam.
    Froh, jetzt bei Euch zu sein,


    Jutta

    Danke Euch herzlich für die freundliche Begrüßung!


    :wave


    Hihi, Silke, da bin ich aber mal ges-pannt, ob man Dir ein Wellnesswochenende in Bottrop oder eine Weinprobe in der Lüneburger Heide s-pendiert.


    Fritzi, neben den ganz normalen Alltagsgeschäften, die Familie, Haus, Garten und Freundeskreis einem abverlangen, singe, schwimme, diskutiere, koche und esse ich gern, vornehmlich in lieber Gesellschaft.


    Und jetzt werde ich mal bei Dir und den anderen schauen.


    LG
    Jutta

    Guten Morgen!


    Wenn ich mit KollegInnen sprach, war mehrfach von den Büchereulen die Rede. Nun sehe ich, dass liebe Bekannte schon lange vor mir zu Euch gefunden haben, wodurch ich mich doch gleich heimisch fühle!


    Ich schreibe so gern wie ich lese, habe ein Opernlibretto geschrieben, zwei Romane, "Mein Mittwochsmann", "Pauls versammelte Bräute" und mehrere Kurzgeschichten bei Knaur veröffentlicht, mein dritter Roman,"Alice oder die Sintflut - Ein Dorfroman", erscheint im Oktober beim Donat Verlag in Bremen.


    Und jetzt freue ich mich darauf, Euch kennen zu lernen!


    Herzliche Grüße
    Jutta Mülich