Beiträge von flashfrog

    Ich habe auch mitgemacht. allerdings bezweifele ich stark, dass man auf diese Weise zu statistisch verwertbaren Ergebnissen über "ein belletristisches Buch im Allgemeinen" kommen kann.
    Ob einem ein spetzielles Buch gefällt oder nicht, hat doch meist sehr persönliche Gründe. Genausogut könnte man allgemein fragen: Essen Sie gern Lebensmittel oder tragen Sie gern Kleidung?


    Mir persönlich sagt einfach das Thema des Buches (lüsterner Greis und 20jährige Frau) und der Autor (lüsterner Greis) nicht zu, da können noch so schöne Aufkleber draufpappen, ich würde das Ding nicht mit der Kneifzange anfassen.


    Und hätte ich nicht Zusatzinformationen (TV, Zeitungen, Internet, Klappentext), könnte ich das Buch ja überhaupt nicht beurteilen. Don't judge a book by its cover!


    Eine Möglichkeit der Begründung dieser Art fehlt aber bei dem Ankreuz-Fragebogen.

    Der Highlander
    Nicht sehr neu, der Plot mit dem Traum.
    Die Darstellung von Erotik gehört wohl zu dem Schwierigsten in der Literatur. Allzu leicht gerät sie peinlich. Mir persönlich ist sie in diesem Fall zu explizit und plakativ dargestellt. Zu nackt. Zu klischeemäßig. Außerdem ist James McCullen nicht mein Typ und der würde wohl auch kaum in eine ganz normale Nachbarschaft ziehen.. ;-)


    Nur noch bergauf
    Auch Georgs Charakter und Lebensgeschichte scheint mir wenig individuell, mehr Klischeevorstellungen entsprechend gebaut. Schade.


    Zukunft
    Nette Beziehungsgeschichte, nicht schlecht geschrieben.


    Drachenfeuer
    Ich mag diese Geschichte sehr. Aus ganz persönlichen Gründen. Ich habe letztes Jahr einen Menschen verloren, der mir viel bedeutet hat. Ein im chinesischen Jahr des Drachens Geborener, ein sanfter weiser Drache mit starken beschützenden Flügeln. Es gibt immer noch Momente, in denen ich ihn wahnsinnig vermisse. Deshalb hat mich diese Geschichte sehr berührt.


    Leer
    Das Thema ist ein wichtiges, die Perspektive interessant, phantasievoll angegangen. Aber die Psychologie des Hais ist mir dann doch ein bisschen zu vermenschlicht dargestellt, irgendwie nicht Fisch, nicht Fleisch. Hm.
    Das Wort "kataklysmisch" gefällt mir.
    Das Ende ist schön: Wo die Nahrung knapp wird, bringt es die Lebewesen gegen einander auf, führt zu Kannibalismus – auch im übertragenen Sinne!


    Bernie
    Schön geschrieben.
    Warum sich Bernie allerdings vor dem Erschießen ausziehen muss, bleibt mir schleierhaft. Wenn die beiden Profikiller sind, warum haben die es nötig, ihm die Klamotten zu klauen? Das sind doch nur verräterische Spuren...


    Lebensfaden
    Ein geheimnisvoller, schön geschriebener Text! Sprachlich wunderbar! Gänsehaut! Hat mir sehr gefallen.


    Geheime Pläne
    Schöne Pointengeschichte! Die politische Aussage gefällt mir.


    Die Überraschung
    Wie gesagt, Erotik ist schwierig. Diese ist nichts für mich. Spätestens Wörter wie "strammer Max", " Klittie" und " In Nullkommanichts" haben mich total rausgekickt. "Tief dringst du in mich ein, füllst mich vollkommen aus. Die Vorstellung, dass jederzeit noch jemand reinkommen könnte, macht mich rattenscharf." ist immerhin eine hübsche Stilblüte. :grin


    Bamako
    Wow! Gutes Thema. Schön geschrieben. Eine runde Shortstory mit allem, was dazugehört! Machmal wundert man sich wie viel manch ein Schreiber in 500 Wörtern unterzubringen vermag!
    "Joshua verachtete Menschen, die alles wussten und nie etwas erlebt hatten." Tolle Sätze!
    Für mich die beste Geschichte diesen Monat.


    Rote Gardinen
    Hm. Ich habs erst beim 2. Lesen verstanden. Eine Psychose also. Einiges ist sprachlich ein bisschen schief. Und was für ein weißes Pulver soll das sein?


    Die Angst des Bassisten vor der ersten Reihe
    Sprachlich nicht besonders. Thematisch nicht mein Fall.


    Betrachtungen
    Ein Gedicht, ein Gedicht! :freude
    Die Ästhetik des Hässlichen ist sprachlich schön zubereitet. Herrlich frech! Nackte und knallharte Aussagen. In jedem anderen Monat wahrscheinlich ein sicherer Punktekandidat...


    Kurz vor der Sportschau im Folterkeller der Inquisition
    Das Spiel mit dem Titel ist gelungen! Ich bin drauf reingefallen. Hübscher Trick.
    Ein paar sprachliche und orthografische Unsauberkeiten, solche Flüchtigkeitsfehler sind unnötig.


    Das Fotoshooting
    Wieder ein Erotik-Versuch. Auch dieser klappt für mich nicht. Zu viel Klischee, zu viel Banalität. Und dann "Schnittchen"! Meine Güte. Gibt es etwas Unerotischeres als das Wort "Schnittchen"?
    Sprachlich und orthografisch ist der Text eher ein Fall für die Anfängerecke als für den Schreibwettbewerb.


    Die nackte Wahrheit
    Noch einmal die Ästhetik des Hässlichen. Leider wirkt der Text etwas skizzenhaft und unfertig. Was mir gefällt ist der Schwenk am Ende von Schadenfreude zu eigener Gewissensschau. Ja, ich hab mich ertappt gefühlt...


    Keine Panik auf der NichtTitanic
    Geschichten, die mit "Liebes Tagebuch" anfangen, lese ich normalerweise gar nicht erst. Der Titel ist abtörnend. auch diese Geschichte wäre in der Anfängerecke vielleicht besser aufgehoben.


    5 Minuten
    Ich mag Schafe. Wirklich. Aber mit diesem hier habe ich dasselbe Problem wie mit dem Hai. Die Erzählung ist weder aus Tierperspektive glaubhaft noch ausreichend menschlich. Und im Gegensatz zu der Hai-Geschichte, die ja noch thematisch und philosophisch wertvoll ist, ist diese ein bisschen egal.


    Der Springbrunnen
    Auch schön geschrieben! Sprachlich wird hier eine Atmosphäre erzeugt, die mir gefällt. Leider waren es in diesem Monat einfach zu viele gute Texte, um jeden zu bepunkten, der es verdient hätte.

    Zitat

    Original von Leserättin


    Ja, leider. Ich fand gerade dieses Mitfiebern, wer nun wie viele Punkte hat, so spannend. :grin


    Ich auch. :rolleyes
    Und neun Tage warten! Fällt das laut internationaler Menschenrechtskonvention nicht unter psychische Folter? :grin


    Aber genial gemacht ist die Lösung mit dem Fragebogen schon: So kann geheim abgestimmt werden, ohne dass man in Versuchung kommt zu schummeln, und trotzdem ist am Ende transparent und nachvollziehbar, wer für wen gepunktet hat. Kompliment an die Euligkeit, die sich das ausgedacht hat! :anbet

    SiCollier : Ich fürchte, eine einfache Antwort wirst du in dem Buch auch nicht finden. Aber viele interessante Aspekte und Anregungen zum Weiterdenken...
    PS: Danke für das Lob. :knuddel1



    Joan : Wie gesagt, mit der Sache beim SF weißt du anscheinend mehr als ich. Ich weiß nur, dass er die Opernwerkstatt in Zürich macht.
    Vielleicht interessiert dich ja die Geschichte darüber, warum aus Herrn Casparis kein berühmter Sänger geworden ist, und warum er gar nicht mal böse drum ist? :-)


    Hallo liebe Joan,
    schön, dich zu lesen! Ja im Moment hab ich leider wenig Zeit zum eulen, was auch in gewisser Weise mit der Schweiz zu tun hat. :-)


    Aber wenn du deinen Kommentar zu Iso Camartin in meinem Rezi-Thread postest, dann kommt der flugs wieder an die Oberfläche. ;-)

    Ich liebe Geschichten. Ein Mann, der Geschichten erzählen kann, hat bei mir schon fast gewonnen. Iso Camartin ist einer, der dabei noch spielerisch ein gutes halbes Dutzend Sprachen jongliert und sich in der europäischen Literatur, Kunst und Philosophie der letzten zweieinhalbtausend Jahre ebenso auskennt wie in der klassischen Musik. Solche Männer werden heute ja gar nicht mehr hergestellt.


    Herrn Casparis, den Protagonisten von Camartins neuem Buch, könnte man allerdings glatt für seinen Zwillingsbruder halten.
    Herr Casparis denkt nach. Darüber, was "Heimat" bedeutet - ein in Zeiten von Globalisierung, grosser und kleiner Migration und hipper Schwenglischer Swissness etwas aus der Mode gekommener Begriff. Heimat ist eine Standortbestimmung der eigenen Identität: Wer bin ich? Wozu gehöre ich? Manch einer muss übers Wasser und bis nach Amerika, um sich selbst als Rätoromane und Europäer neu zu definieren. Peter von Matt hat diese Grundbewegung des Auszugs in die Fremde und der Heimkehr einmal als Leitmotiv der Schweizer Literatur beschrieben.


    Camartin stellt nun gegen die Heimat der Herkunft eine zweite, eine Heimat der "Hinkunft", die man sich durch seine Lebensentscheidungen erst erarbeiten müsse.
    Wenn die erste Heimat das Vertraute ist, das Eigene, das, was uns geprägt hat, kulturell, sozial und auf vielfältige Weise, dann ist diese zweite Heimat das Fremde, das wir uns erst zu Eigen machen müssen, um dadurch selbst zu anderen zu werden.


    Wir entdecken dabei neue Möglichkeiten unserer selbst.
    Das kann durch eine Reise geschehen, wenn wir uns in fremder Umgebung neu wahrnehmen, oder durch ein Buch, das uns in eine andere Welt entführt. Durch eine Musik, die unsere Seele berührt, Kunst, die uns neu sehen lehrt, die Natur, die uns zum Staunen bringt, und natürlich durch die Liebe. - "Die Geschichten des Herrn Casparis" lassen sich lesen als Meditationen über die Dinge, die uns über uns hinaus und in eine neue utopische "Heimat" hinein wachsen lassen: "Es zählt, was uns verwandelt." 17 Aufforderungen, Grenzen zu überschreiten und nicht im Gewohnten stecken zu bleiben, sich nicht einzurichten in geistiger Enge und sich nicht abzufinden mit Banalität und Hässlichkeit, weil "man sich nicht ausliefern darf an die Welt, wie sie nun einmal ist, sondern sich fest auf eine Welt einzurichten hat, wie sie sein sollte und zu sein hätte."


    Geschrieben ist das so elegant, eloquent und scharfzüngig, träumerisch und verspielt, nachdenklich und liebevoll wie man es von dem Essayisten und Rhetoriker Camartin gewohnt ist.


    Was macht Kultur relevant? Was unterscheidet Kunst von Wanddekoration und Kultur von blossem Event? Vielleicht ist es gerade dies: Dass relevante Kultur das Potential hat, uns zu verwandeln, uns die Welt neu und anders, tiefer, differenzierter und umfassender wahrnehmen und begreifen lernen zu lassen.


    "Die Geschichten des Herrn Casparis" sind ein Lehrbuch in Sachen Verwandlungskunst. Verwandlungsziel wäre es, ein freierer Geist zu werden durch das Glück, das uns von Zeit zu Zeit zufällt, wenn wir nur mutig genug sind, es aufzufangen.
    .

    Zum Autor: Hier muss ich ein bisschen persönlich werden. Der Autor ist schließlich eine Eule, :-) wenn auch eine der eher stilleren Sorte. "Entdeckt" habe ich Richard K. Breuer übers Netz. Er gab mir seinen Roman-Erstling "Rotkäppchen 2069" zu lesen. Imponiert haben mir dabei die zauberhafte Leichtigkeit, die galoppierende Phantasie und die Sprachverspieltheit des Autors. sein Talent für Dialoge und sein präziser Blick für Details. Hier ist jemand, der schreiben kann!
    Deshalb sagte ich gerne zu, als der Autor mich fragte, ob ich mir als Testleserin "Die Liebesnacht des Dichters Tiret" einmal anschauen würde. (Ich hatte an der damaligen ersten Version des Manuskripts dann offenbar so viel "anzumäkeln", dass ich vom Wiener Dichter umgehend von der Testleserin zur Lektorin upgradet wurde. :grin)
    Im "Tiret" beweist Breuer, dass er nicht nur ein phantasievoller literarischer Seifenblasenpuster ist, sondern auch ein ernsthaftes Thema mit seiner dialogstarken Sprache, in der jedes Detail, jedes Requisit seine Bedeutung hat, meistert.


    Bemerkenswert ist außerdem, dass er sich nicht dem Diktat eines Verlagsprogramms unterwerfen mag, sondern als Autor der digitalen Generation versucht, neue Wege zu gehen, jenseits des üblichen Buchvermarktes.
    Auf seiner Website
    http://www.1668.cc/tiret.htm
    gibt es denn auch Multimediales, z.B. einen sehr hörenswerten MP3-Live-Mitschnitt der Buchpräsentation im Wiener Museums-Quartier, für die er eigens richtige Schauspieler als professionell geschulte Sprecher engagierte. Außerdem Hör- und Leseproben, Leserfeedback, Interviews, Bilder und weiteres Bonus-Material.



    Zum Buch: Wir sind im Jahr 1788, kurz vor Beginn der Französischen Revolution.
    Aleksander Mickiewicz ist ein junger Gelehrter, der in Sachen Liebe eher ein "Theoretiker" ist und dessen Leben durch eine leidenschaftliche Liebesnacht mit einer polnischen Aristokratentochter durcheinander gerät. Und dann erfährt er auch noch ein Geheimnis aus seiner Vergangenheit, dass seine Identität vollkommen in Frage stellt und ihn zwingt, aus seiner Heimat zu fliehen. In Begleitung eines französischen Marquis, eines etwas zwielichtigen und zynischen Freidenkers, begibt sich Mickiewicz, und der Leser mit ihm, per Kutsche auf eine Reise quer durch Europa bis nach Frankreich. Dabei begegnet er den großen Vordenkern der Revolution Mirabeau und Barnave, der Philosophie eines Rousseau und Voltaire, den Gedankenwelten eines Diderot, Kant und de Sade. Was manchem Leser aus dem Geschichtsunterricht vielleicht noch als langweilige Zahlen und Namen im Kopf herumspukt, wird in diesem Buch zur ebenso phantasievoll und liebevoll-ironisch erfundenen wie mit historisch-genau recherchierten Zitaten gespickten persönlichen Begegnung.


    Das Buch ist aber nicht einfach ein handelsüblicher historischer Roman. Es wird allerorten disputiert über Fragen, die uns auch heute angehen. Die Französische Revolution war ja nicht nur ein Kampf um Brot, sondern auch ein erbitterter Kampf um die geistige Richtung, in die Europa sich in den nächsten 200 Jahren bewegen sollte. Heute stehen wir offenbar wieder an so einer Entscheidungsstelle. Wir müssen uns global entscheiden, in welcher Art von Welt wir zukünftig leben wollen. Ob unsere humanistischen und aufgeklärten Ideale, ob unsere Demokratie und unsere Menschenrechte Bestand behalten können, welche Werte und Umgehensweisen mit einander wir von anderen Kulturen und Religionen lernen können in einer globalisierten Welt.
    Die Beschäftigung mit den Entscheidungen der Vergangenheit kann uns helfen, den Blick zu schärfen für unsere gegenwärtigen Herausforderungen.


    Und das ist ja erst Band 1, das Schwungrad der Geschichte kommt gerade erst in Fahrt...


    Zu bestellen ist das Buch direkt über die Homepage des Autors:
    http://www.1668.cc/tiret.htm
    oder über amazon.

    S. 206: Drei Wochen zu früh geboren und voll entwickelt? Spätestens da hätte Tim doch nachrfragen müssen. Oder war es da eh schon zu spät und er wollte es gar nicht mehr so genau wissen?


    Wahrscheinlich bin ich die einzige hier, die gern ein bisschen mehr über die 17 übersprungenen Jahre erfahren hätte. Auch wenn Gisela ihm Roland entfremdet hat (auf Empfehlung des Lektors? :grin), finde ich es seltsam, dass Tim so gar keine Beziehung zu dem Kind aufgebaut hat. Dazu muss man ja nicht der leibliche Vater sein. Um Roland ein guter Vater zu sein, hat er Gisela schließlich geheiratet! Dann hätte er ja schon viel eher gehen können, wenn das alles so schrecklich war, wie es ihm im Rückblick erscheint. Mir tut Roland leid, er kann ja schließlich nichts dafür. Wie wird er reagieren, wenn er erfährt, dass er aus einer Inzest-Beziehung stammt?
    Und Tim hatte über 16 jahre keinerlei Kontakt zu seinen Freunden und seinem Bruder? War nie in Berlin, nach dem Mauerfall z.B.? Hatte nie das Bedürfnis, auszubrechen?


    S. 222: "In die richtige Richtung. Wie ich hoffe." - Och nee, den Satz finde ich ein bisschen zaunpfählig, das hätte nicht sein müssen.


    S. 224: Nieder-Sachsen: "Ich will nicht mehr an einem Ort leben, dessen Name ein so destruktives Präfix hat." - :lache


    S. 225 "Nur Rückfahrt." - Das ist klasse!


    S. 243: Billy Idol war eine meiner ersten selbstgekauften Platten. (Bin ja ein bisschen jünger als Tim und Tom. :-))


    S. 273: "Das Leben kommt immer von vorn" - hier muss ich tatsächlich die Tränen wegdrücken.
    Die Szene mit der lebenden Leiche erinnert mich ein bisschen an Harry aus dem "Idiotentest", auch, wenn es da natürlich viel schlimmer ist.


    S. 276 Dann sind Kuhle und Sabrina also doch noch zusammengekommen. Hach, ist das schön! Aber ein bisschen schneller sollte Tim schon kapieren, wofür das S. im Telefonbuch steht, so blöd ist er ja nun auch nicht!


    S. 293 Das Ehepaar Kuhlmann ist ja gruselig mit ihrer Harmoniesucht! :yikes
    Für mich ist hier ein bisschen zu dick aufgetragen für eine ernsthafte Schilderung. Tom, du neigst leider gelegentlich dazu, eher Typen und Karikaturen zu zeichnen (Jani-nööö) als runde Charaktere. Bei "Geisterfahrer" habe ich in dieser Hinsicht schon deutlich weniger zu meckern als beim "Idiotentest". Ja, es ist nachvollziehbar, dass Kuhle endlich "normal" sein will, dazugehören, und deshalb so überangepasst wird. Aber bei Familie Kuhlmann scheint es fast so steril zuzugehen wie bei Jens und Ute früher, nur auf einem anderen sozialen und Bildungs-Level. Auch dieses Familienglück scheint mir nur aufgesetzte Fassade. Das Schicksal der Eltern von Sabrina scheint diese beiden Mustermenschen auch nicht weiter zu interessieren. :rolleyes Kein Wunder, dass der "Egel" so einen Hass auf sie hat. (Dass allerdings der Bruder die eigene Schwester vergewaltigen wollte (schon wieder Bruder-Schwester-Inzest :rolleyes) scheint mir ziemlich unglaubwürdig. Als Testleserin hätte ich dir wohl empfohlen, dass der Egel nur feige aus einem Versteck heraus beobachtet, wie ein Typ ihr an die Wäsche will und wie Kuhle ihr hilft, und ihn dann hinterhältig als Täter ausgibt und verpetzt.)


    Das Happy End: Hm. Ich habe mich schon ein bisschen gefragt, was Tim mit Melanie eigentlich verbindet, außer der Vergangenheit. :gruebel
    Aber gut, vielleicht sind sie beide auf der Suche nach einem Rettungsring ...
    Wahrscheinlich bin ich auch einfach nicht so der Happy-End-Typ. ;-)
    Das einzige, was ich wirklich übertrieben fand und was mich gestört hat, war die platte Wiederholung der Geisterfahrer-Unfall-Geschichte mit der Carrera-Bahn. Das hätte nicht sein müssen...


    Insgesamt ein Buch, dass ich gerne gelesen habe, das zum Nachdenken anregt, über das eigene Leben, die Chancen und verpassten Möglichkeiten, wo man sich in fremde Lebensentwürfe hat hineindrängen lassen, etc. Und das sicher noch eine Weile nachwirken wird.

    Sodale.
    Psychologisch finde ich das alles sehr schlüssig konstruiert (wenn auch ein klein wenig konstruiert eben): Tim flüchtet nach seiner Enttäuschung, weil er glaubt, wieder (wie in seiner Kindheit) von den Menschen, die ihm am meisten bedeuten, verraten und verlassen worden zu sein, vor allen menschlichen Beziehungen.
    Gleichzeitig scheint er sich aber doch nach der Geborgenheit einer Familie zu sehnen, vielleicht kommen da frühkindliche Erinnerungen an seine ersten 6 Jahre in der niedersächsischen Provinz hoch, vieliecht fühlt er sich deshalb dort ein bisschen "zu Hause", vielleicht sucht er in Gisela einen Melanie-Ersatz.
    Tims Flucht aus Berlin und auch seine Entscheidung, das Kind nicht ohne Vater aufwachsen zu lassen, sind für mich psychologisch sehr gut nachvollziehbar dargestellt.


    S. 125 Vierzig Biere und eine Nudelsuppe? An was erinnert mich das jetzt bloß? :chen


    S. 134: "Hinter mir hörte ich jemanden rennen, also tat ich es auch." :lache Toller Satz.


    S. 181: "in die große Stadt zu ziehen - womit sie vermutlich Uelzen meinte." :lache


    S 182-3 - das ist eine meiner Lieblingspassagen im Buch, sehr gut und witzig geschrieben!


    S 188: Ich finde es auch recht unglaubwürdig, wie Gisela nach 2 Wochen feststellen konnte, dass sie schwanger ist Zumal zur damaligen Zeit und auf dem Lande. Turbo-Schwangerschaftstests zum Selbsttesten gab es da sicher noch nicht.


    Tims Antwort auf die MItteilung der Schwangerschaft, wie auf alles andere, was ihn nicht interssiert "Verstehe." ist echt witzig. Genial! :anbet

    So, jetzt komme ich auch endlich zum Schreiben: :-)


    Mir hat auch der schöne lakonische Stil gefallen, den Tom so gut beherrscht. Und von der Plot-Struktur her hat es mich sehr an den Idiotentest erinnert - lieblose Kindheit - emotionaler Knacks - Alkohol - Weglaufen. Auch einige der Figuren und Motive tauchen wieder auf, teilweise in etwas veränderter Form.


    Den Soundtrack zum Buch finde ich klasse, ich habe die Titel nach einer Weile am Anfang des jeweiligen Kapitels gelesen, eben als Soundtrack zum Kapitel. Das versetzt einen als Leser noch besser in die beschriebene Zeit hinein.


    Tom scheint wirklich gut recherchiert zu haben über die 80er Jahre in Hannover (bin ja selber da aufgewachsen). :grin


    S. 30: Ja, die Mark-Jens-Verwechslung beim Transit ist mir auch ins Auge gesprungen. (Die blond-schwarzen Haare und die Offenkartoffeln auch - Tom, falls du fürs nächste Buch noch eine Testleserin gebrauchen kannst, man sagt mir dafür ein gewisses Talent nach... :grin)


    S. 32: Bei der ersten Beschreibung von Kuhle hatte ich sofort ein Bild im Kopf: blonde Igelfrisur, Pausbacken mit roten Flecken drauf, geringeltes Poloshirt, schlechtsitzende Jeans, ausgelatschte Adidas-Turnschuhe. Tom, ich weiß nicht, wie du das machst, dass mit den wenigen Worten, mit denen du deine Figuren charakterisierst, so ein plastisches Bild entsteht. :anbet


    S. 40: Wichsen - glaubwürdig aus der jeweiligen (Alters-)Perspektive des Jungen erzählt, ohne peinlich zu sein, schön!


    S 42 "Referenzniete" :lache Tom, ist das deine Wortschöpfung?


    S. 52: "Schließlich gehörte ich nicht zur Familie." - Puh, was für ein harter, trockener Satz. Großartig!


    S 54: Das Thema die dicke Familie Kuhlmann und ihr Fleischkonsum scheint mir ein bisschen zu klischeehaft lustig sein zu wollen. Für mich nicht die stärkste Stelle im Buch.


    S. 58: Was ist mit Ute los? Und was mit Mark? - Hier wird gut Spannung erzeugt. Ich wollte eigentlich an dieser Stelle aufhören für heute. Ging aber nicht. Tom, du bist gemein! :-)


    S 63: Ja, die Tapes. Kenne ich auch noch: Die Knöpfe am Kassettenradio immer vorsorglich auf "Aufnahme" und "Pause" gestellt, damit man ohne hörbaren Übergang aufnehmen konnte, wenn einer der Titel kaam, die man unbedingt mitschneiden wollte. Und dann musste man natürlich Covers basteln und den Tapes pseudo-englisch klingende Namen geben. Hach ja. :lache


    S 69/70:"schleppten die große Holzbox ... als würden wie uns selbst zu Grabe tragen" - :grin Ein klasse Satz!