Hallo Bodo,
selbstverständlich beantworte ich gern jede Frage, die hier gestellt wird. Schließlich geht es in dieser Leserunde ja nicht allein um den betreffenden Roman, sondern um die neue Reihe "Karl Mays magischer Orient", die mit diesem Roman beginnt.
Zugrunde liegt eben die Idee, Karl May wieder dem Publikum in Erinnerung zu bringen - und zwar als Autor von Romanen, nicht (nur) als Vorlagenlieferant für Filme und Festspiele.
Es gibt seit Jahren Fortsetzer und Fortschreiber der klassischen Werke, jedoch ohne neue Leser hervorzubringen, weswegen sich der Karl-May-Verlag entschloss, nach dem Konzept der Phantastischen Bibliothek Wetzlar, mit der Zugabe von Phantastik neue Orient-Abenteuer im Stile Karl Mays herauszugeben, um neue und jüngere Leser zu interessieren.
Diese Idee entstammte nicht allein der Feststellung, dass Fantasyliteratur heute so beliebt und erfolgreich ist (und man sie schlicht auf Karl Mays Werk aufpropfen könnte) , sondern dass die Reiseromane des 19. Jahrhunderts sehr oft auch phantastische Elemente enthalten: Haggard und Burroughs sind sehr gute Beispiele, mit den Elementen von Zauberei, verlorenen Völkern und dergleichen. Wichtig ist auch Jules Verne, der ja "phantastische Fahrten" beschrieb, mit U-Boot, Luftschiff, Rakete und vieles mehr, wodurch er zum Stammvater der Science Fiction wurde, so wie sich die Fantasy sich aus den (Reise)Abenteurromanen entwickelte.
Auch war der Ansatz zur Reihe ein Spiel mit dem Möglichen: könnte man mutmaßen, dass der unfehlbare Henrystutzen vielleicht ein Zaubergewehr oder ein utopische Waffe wäre? (Beides ist sie allerdings auch in den neuen Romanen nicht. Es ging darum, sich phantastischen Deutungen anzunähern, um die Phantastik an Karl May anzunähern.)
Was ist mit den wundersamen Begegnungen, welche die Haupthelden haben: in der fernsten Wildnis trifft man alte Bekannte! Ist das nicht geradezu märchenhaft?
Zudem wurden Karl Mays späte Romane immer mythischer - warum dies nicht schon in die früheren Abenteuer einbringen?
Die Überlegung war auch: wenn Karl May heute lebte - würde er Reiseromane schreiben (können) - wo doch, im Gegensatz zum 19. Jahrhundert, ein jeder Leser die Welt bereisen kann, ob tatsächlich oder virtuell im Internet? Nein, Karl May würde seine Phantasie für die Fantasy nutzen, um spannende Geschichten zu erzählen.
Dies, zusammen mit dem Orient als Spielort, der dank der Erzählungen aus 1001 Nacht ein symbolischer Ort für Magie und Wunder und Fabelwesen ist, führte zu dem Konzept der neuen Reihe: Es bleiben historische Abenteuer, wie bei Karl May, erweitert um Elementen der Phantastik. Neben jenen aus den orientalische Märchen auch Motive der Schauerromantik (dergleichen verwendete Karl May ja ebenfalls: Höhlen, Gänge, Verliese ...) und eben in späteren Bänden auch Utopisches im Sinne Vernes. Haggard und Burroughs werden auch zitiert werden. Es bleibt also im 19. Jahrhundert: es werden keine Elfen oder Orks auftreten ... mit "Vampyren" hatte Kara Ben Nemsi allerdings schon bei Karl May zu tun ...
(Es sei angemerkt, dass im ersten Roman und in der Reihe selbst die phantastischen Elemente langsam eingeführt werden, und der Held erst allmählich die magische Welt um ihn herum erkennt. Und er allem sehr skeptisch und zweifelnd gegenüber steht. Es ist immer noch im Sinne Karl Mays und der klassischen Leser: es sind orientalische Reiseabenteuer, in denen Kara Ben Nemsi gegen Schurken kämpft - keine reine Fantasy, die in einer fremden Welt spielt (oder einem Burroughs-Mars), und auch wird der Held kein Monsterjäger werden. Das Genre ist wohl die Hard Fantasy: also phantastische Elemente in einer realen (historischen) Welt, oder eben doch jene, die Karl May schilderte.
Was die Sprache oder den Stil betrifft, so habe ich mich bei der Vorbereitung auf das Projekt auf die Originaltexte Karl Mays gestützt (Karl Mays Werke in der Digitalen Bibliothek) und dementsprechend geschrieben - nicht nachahmend, sondern anlehnend und interpretierend. Der Karl-May-Verlag hat dann im Lektorat soweit nötig auf die heutigen Fassungen abgeglichen (Schreibweisen, o.ä.).
Grundsätzlich war die Herangehensweise jene, den Erzählerton Karl Mays beizubehalten, jedoch ohne allzu sehr zu historisieren: diese neuen Abenteuer Kara Ben Nemsis sollten auch modernen Lesern zugänglich sein, die Karl May nicht kennen.
Weiterhin wurde ein modernes Erzählen angestrebt: Verweise, Anspielungen, Anachronismen, Zitate - all das, was heutige Leser aus der Unterhaltungsliteratur, auch der Phantastik, kennen, schätzen, sogar erwarten. Dass dann ebenfalls eine gewisse Ironie hineinspielt, gehört dazu: doch wird niemals die Grenze etwa zur Parodie überschritten, ebenso wie es kein reines Nachahmen Karl Mays sein sollte.
Die Betrübnis, das Karl May nur noch wenig gelesen wird, teilen Kenner und Verleger. Ähnlich ist es mit den oben genannten Autoren, und etwa Dumas und viele andere (wobei es stets kürzende Bearbeitungen gibt, die eher gelesen werden) - es sind deren Figuren und Titel und Handlungen bekannt, aber eher durch die vielen Verfilmungen.
Karl May, wie oben erwähnt, wieder als Autor bekannter zu machen, ist der Hintergrund der neuen Reihe - auch wenn dies ein kleiner Umweg ist, mit der Phantastik als Wegweiser.
Es mag helfen, dass die Handlungen der neuen Romane von Inhalt und Personen sehr mit dem klassischen Orientzyklus Karl Mays verknüpft sind: wer die neuen Romane mag, könnte sich durchaus für deren - sozusagen - Vorgeschichte interessieren und zu diesen sechs Romanen des Kanon greifen, welche auch bei Orten und Ereignissen die Grundlage der neuen Reihe darstellen.
Vielleicht wandelt sich die Skepsis in Verständnis und dann Hoffnung: nicht anders ergeht es Kara Ben Nemsi im magischen Orient ...