Pieter Webeling: "Das Lachen und der Tod"
Als ich in der Stadtbibliothek vor dem Ausleihtresen stand, fiel mein Blick auf die Auslage mit den Neuanschaffungen und dabei fiel mir sofort das Cover dieses Buches auf. Ein Mann, von dem man nur den Rücken sieht, mit einer Melone, einem Jackett und schwarzen Schuhen auf einem weißen Hintergrund. Die Anspielung auf Charlie Chaplin ist unverkennbar. Aber statt eines Spazierstockes hält er einen Ast und statt einer Anzugshose trägt der Mann eine gestreifte „Pyjamahose“. Selten hat mich ein Cover so sehr beeindruckt wie dieses. Eigentlich ist es recht schlicht und gleichzeitig ist es doch so gehaltvoll.
Ernst Hoffmann ist ein erfolgreicher niederländischer Komiker, der nicht nur in Amsterdam vor vollem Haus auftritt. Unglücklicherweise fällt er in die Kategorie der sogenannten „Halbjuden“, was dazu führt, dass er im Februar 1944 nach Auschwitz deportiert wird. Auf der Fahrt dorthin in einem Viehwagon lernt er Helena Weiss kennen und verliebt sich in diese. Nach der Ankunft im Konzentrationslager werden sie im Zuge einer ersten Selektion getrennt. Der Gedanke an sie schafft es aber, dass Ernst einen letzten Rest von Mut und Durchhaltewillen behält. Schließlich gelingt es ihm sogar, mit Hilfe des Blockältesten Schlomo Kontakt mit Helena aufzunehmen. Dieser kümmert sich ein wenig um Ernst und überredet ihn dazu, jeden Abend in der Baracke eine kleine Veranstaltung zu organisieren, damit die anderen Häftlinge nicht komplett die Hoffnung verlieren. Trotz der Strapazen, die er durchlebt, versucht Ernst dies zu realisieren. „Jeden Tag ein Lacher“, dass ist das Motto. Dabei begreift er es aber nicht als reine Selbstdarstellung, sondern bezieht seine Mithäftlinge ein, die er anregt ebenfalls Witze oder andere Anekdoten zu erzählen. Die Abende sind ein solcher Erfolg, dass diese weit über die Baracke hinaus bekannt werden und schließlich auch dem Lagerkommandanten zu Ohren kommen, der Ernst dazu bringen möchte, zur Unterhaltung der SS-Mannschaften aufzutreten.
Pieter Webeling beschreibt in einer brutal schonungslosen Offenheit „das Leben“ in Auschwitz. Um eine möglichst authentische Geschichte zu schreiben, hat er sich mit Zeitzeugen unterhalten und entsprechende Biografien gelesen. Dass sich der Autor intensiv mit der Thematik beschäftigt hat, ist dem Buch anzumerken.
Mich hat das Buch sehr betroffen gemacht und ich muss zugeben, dass es mir manchmal ob der unvorstellbaren Grausamkeit schwer fiel, es in die Hand zu nehmen. Dabei besteht der Schrecken auf zwei Ebenen: zum einen die vielen Details aus dem Lageralltag, die in dem Buch beschrieben werden. Zum anderen die Gewissheit, dass es keine Fiktion ist.
Schaut man sich Bewertungen bei Amazon an, so fällt diese ausnahmslos positiv aus. Es wurde dort bislang nur die volle Sternenzahl vergeben. Dem würde ich mich so nicht anschließen.
Ich empfinde das Buch irgendwie etwas überfrachtet. Webeling scheint auf knapp 300 Seiten ein zu komplexes Bild von Auschwitz vermitteln zu wollen: die Baracken, die Arbeitskommandos, die Krankenbaracke, der Unterschied zwischen den „normalen“ Häftlingen und den Herausgehobenen, also den Kapos und Blockältesten. Er lässt sich über die Sonderkommandos, die Krematorien und den Verbrennungsgraben aus, das Lagerorchester, das Effektenlager und die Villa des Lagerkommandanten.
Zum anderen kann ich ein paar Details manchmal nicht recht nachvollziehen, was besonders den Lagerkommandanten betrifft, dessen abschließende Charakterisierung ich auch wenig überzeugend finde.
Das Grundthema, wie man an einen der schwärzesten Orte mit Humor verbinden könne, hat der Autor solide umsetzen können. Wobei er thematisch kein Neuland betritt. Mit am bekanntesten hierzu dürfte der Film „Das Leben ist schön“ von Roberto Benigni sein.
Ich möchte die Rezension mit einem Witz aus dem Buch beschließen, welchen ich frei wiedergebe. Dies erscheint mir recht passend, denn "Humor ist nichts weiter als die strikte Weigerung, der Tragödie das letzte Wort zu überlassen." (S. 105):
Um Kontakt mit der gemeinen deutschen Bevölkerung aufzunehmen, fährt Hitler mit seinem Chauffeur übers Land. Damit er nicht erkannt wird, rasiert er sich das Bärtchen ab und setzt eine Perücke auf. In einem Dorf rennt ein Hahn vor das Auto und der Chauffeur schafft es nicht mehr, diesem auszuweichen. Hitler hebt das tote Tier auf und geht damit zum Bauern, um diesen über den Unfall zu informieren. Kurz darauf kehrt er mit einer blutigen Nase zurück. Der Chauffeur fragt ganz entsetzt, was denn passiert sei. Woraufhin Hitler erwidert, der Bauer sei nicht begeistert, denn es wäre sein einziger Hahn gewesen.
Im nächsten Dorf passiert das nächste Unglück. Ein Schwein rennt vor das Auto. Der Chauffeur erklärt sich bereit, dieses Mal selbst dem Bauern die Nachricht zu überbringen. Nach etwa einer halben Stunde kehrt dieser zum Auto zurück, überhäuft mit Blumen und sichtlich angetrunken. Hitler fragt ihn, was er denn den Leuten erzählt habe. Darauf antwortet der Chauffeur: „Heil Hitler, dass Schwein ist tot.“