Beiträge von Watermelon

    Joan Weng ist mit „Feine Leute“ ein außergewöhnlicher Kriminalroman gelungen. Außergewöhnlich deshalb, weil er zunächst einmal nicht der Machart üblicher zeitgenössischer Krimis folgt. Das kann man gut oder schlecht finden, Geschmacksache eben. Mir als weitgehender Krimiverweigerer gefällt der Sprung ins Milieu der 1920er Jahre, die Kokserei, die Kriegsversehrten, die Krise der jungen Republik, die sich im Hintergrund bereits ankündigt und in Deutschland noch katastrophale Folgen haben wird. All dies ist glaubhaft dargestellt und bestimmt das Verhalten der durchweg scharf konturierten und sehr menschlich agierenden Figuren. Es gibt hier erfrischenderweise keinen Haudegen-Kommissar, der mit vorgehaltener Waffe Türen eintritt, Zeugen einschüchtert und für den jeder Fall der wichtigste seiner Karriere zu sein scheint. Es ist Joan Weng hoch anzurechnen, ebendiesen Mut gefunden zu haben und sich nicht um gängige deutsche Krimikonventionen zu scheren. Dieses Debüt(!) braucht Zeit und Aufmerksamkeit. Wer beides mitbringt, wird mit einem schönen, exzellent ausgedachten Puzzle samt grandiosem Finale belohnt, indem es um menschliches, allzu menschliches geht. Liebe, Eifersucht, Intrigen, Geld, Macht, Ansehen, all das eben, was Romane spannend macht. Und ich vermute mal, Joan Weng hat da noch das eine oder andere in petto.


    Watermelon

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    Original von ginger ale
    Dazu wird jede Menge Personal aufgefahren, allerdings so, dass ich beim Lesen nei wusste, ob das jetzt ein Name ist, den ich mir merken muss oder nur eine unwichtige Randfigur, die zu irgendeinem Zwecke nur einmal kurz auftritt.


    Ich weiß, was du meinst. So habe ich das auch empfunden. Und das betrifft in meinen Augen sogar die gesamte Erzählweise, die "Machart" des Romans. Bei mir hat sich erst ab dann ein anderes Gefühl eingestellt, als ich mich bewusst auf die eher langsame und "ausführliche" Erzählweise eingelassen habe, dem Text seine Chance gegeben habe, gewissermaßen. Für einen Krimi ist das Tempo ungewöhnlich. Finde ich zumindest. Man erwartet eher Vollgas und spannende Ermittlungen. Andererseits, inzwischen mag ich den Ton, die Redundanzen, das nervige Palaver der Schwester bspw., die Figur ist sehr plastisch.
    Die meisten Krimis, die ich kenne, sind viel klarer und stringenter geschrieben und nicht so verwoben. Ich gebe aber zu, ich bin gespannt, wie sich das weiterentwickelt. Bin sowieso ein eher langsamer Leser, hier passt das endlich mal. ;-)

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    Original von Saiya
    Gerade die Dialoge, die Rückblicke, die sehr gute und feine Beobachtungsgabe mit der Joan die Personen und die jeweiligen Situationen beschrbeibt. Das ist nicht nur sprachlich großartig und absolut mein Fall.


    Ja, das finde ich auch. Sprachlich richtig gut, der Ton passt, die Sätze sind schön durchkomponiert, auch und vor allem die längeren, mit Einschüben, die die Beiläufigkeit gesprochener Sprache haben. Auch die Rückblenden sind ganz wunderbar, da ruckelt nichts, ganz toll gemacht.
    Gewöhnungsbedürftig war am Anfang das Erzähltempo für mich, ich fand es zu langsam. Das ist es aber nicht, man muss sich einfach nur auf den Text einlassen, dann kommt die Stimmung rüber.