Jenny Milchman hat mit „Night Falls (Du kannst dich nicht verstecken) – im US-amerikanischen Original „As Night falls“ – einen Thriller abgeliefert, den ich immerhin so spannend fand, dass er für mich als Pageturner wirkte. Das liegt zum einen an dem über lange Strecken ab dem Beginn als „Kammerspiel“ angelegten Szenario, in dem der Roman bis auf die Rückblenden im einsam gelegenen Wohnhaus der Familie Tremont spielt, die aus den Eltern Sandy und Ben und der fünfzehnjährigen Teenager-Tochter Ivy besteht. Zum anderen liegt die Wirkung an einem Motiv, das meiner Erfahrung nach besonders US-amerikanische Bücher und Filme gerne und häufig aufgreifen: es geht im Buch um die direkte Bedrohung einer Familie durch Verbrecher, in diesem Falle durch die beiden entflohenen Strafgefangenen Nick und Harlan.
Wenn ich hier von einem Motiv spreche, dann, weil es genretypisch bei entsprechenden Werken gerne fast jede Art von Gewalt für die Gegenwehr rechtfertigt bis hin zur Selbstjustiz – und auch, wenn an dieser Stelle natürlich auch deutsches Recht die Option zu Notwehr gibt, selbst zur sogannten erweiterten (also um zum Beispiel Familienmitglieder zu schützen), wirken diese Darstellungen auf die meisten von uns im deutschsprachigen Raum doch gerne recht überzogen. Milchman spart hier nicht an Brutalität – die Eindringlinge sind knallhart bestrebt, ihre Macht mit allen Mitteln durchzusetzen (Entwarnung: KEINE sexuellen Übergriffe) – aber ihre Protagonisten sind für mich dadurch glaubwürdig, dass sie eben keine Selbstjustiz-Bestrebungen aufweisen, sondern schlicht ums nackte Überleben kämpfen und man ihre Abwägungen mitbekommt, welche ihrer Maßnahmen zu welchen Gegenmaßnahmen auf Seiten der Verbrecher führen könnten, so dass vieles nachvollziehbar verworfen wird, um zu keiner weiteren Gefährdung beizutragen.
Der Spannungsbogen wird durchgängig gehalten ab Beginn, da man bereits nach wenigen Seiten schon mitlesen kann, wie der Ausbruch aus dem Gefängnis vorbereitet und dann auch durchgeführt wird, als vier Gefangene zu einem Außen-Arbeitseinsatz gebracht werden. Darüber hinaus gibt es Rückblenden in die Vergangenheit, zu einer Familie, bei der die Mutter einen, sagen wir sehr speziellen, Fokus auf den kleinen Sohn legt. Der Zusammenhang erschließt sich bald, aber die weiteren Hintergründe werden erst allmählich offenbar.
Was ich gut finde: Verbrecher Nick wird nicht als an sich gestörte Persönlichkeit dargestellt – die Autorin beschreibt hingegen, inwieweit durch das Fehlen von gezogenen Grenzen in seiner Vergangenheit sein Charakter geformt wurde (keine Entschuldigung durch „traurige Kindheit“ oder „Veranlagung“), das ist einmal etwas angenehm anderes.
Wermutstropfen
Das Buch hätte bei mir besser abschneiden können, wenn ich nicht einige Schwächen gesehen hätte.
Gerade zu Beginn verwendet die Autorin einige Bilder, die wohl sprachlich anspruchsvoller sein sollen, aber auf mich eher befremdlich wirken, z.B. „Harlans Gesicht passte zum Rest seines Körpers. Seine Nase erinnerte an die eines Nagetiers, war grob geformt und einfach mitten in sein Gesicht gedrückt. Seine Augen waren ebenso wenig fein geschnitten, sondern rund wie Münzen und ziemlich ausdruckslos. Sein Mund erinnerte an die weit geschwungene Biegung eines Flusses.“ Der Text wirkt gerade zu Beginn durch ähnliche Stellen auf mich etwas zu sperrig.
Achtung, Spoiler-Alarm: der Klappentext enthält den Hinweis, dass Sandy einen der Männer kenne – so bitte nicht. Da das meist vom Verlag kommt, kann die Autorin natürlich nichts dafür, also habe ich mich bemüht, das nicht mit zu bewerten. Und: ich sehe nicht, wie etwas möglich gewesen sein soll zum Thema „dritter Mann“.
Spannung von Beginn an und Kammerspiel-Szenario bei nachvollziehbaren Überlegungen der Familie führen damit bei mir zu 3,5 von 5 Punkten – trotz der genannten Schwächen.