Ella Minnow Pea
Mark Dunn, 2001
Meine Rezension bezieht sich auf die Augabe:
Anchor, ISBN: 0-385-722435
Es existiert eine dt. Übersetzung des Buches unter dem Titel "Nollops Vermächtnis", die bei marebuch und Piper vorliegt.
Mark Dunns Briefroman "Ella Minnow Pea" ist ein Buch, das auf sprachlicher Ebene ungemein faszinierend ist.
Wir befinden uns auf einer nahezu totalitär regierten Insel Nollop vor der Küste South Carolinas, die ihren Namensgeber Nevin Nollop glühend verehrt - aufgrund des Pangramms "The quick brown fox jumps over the lazy dog", das für die Inselbewohner ein Grund gewesen wäre, ihm den Nobelpreis zu verleihen. Da die Außenwelt dies allerdings anders sah, kapselte sich das kleine Eiland immer mehr ab Es verabsolutierte Sprache, verteufelte die moderne Technik und setzte Nollop ein riesiges Denkmal, an dem das Pangramm in all seinen Lettern prangte.
Prangte. Denn nach und nach verlieren die Buchstaben ihren Halt und purzeln hinab. Anstatt sie jedoch wieder zu befestigen, wird ihr Abfallen vom Inselrat als Wink des göttlichen Nollop gesehen, die Bequemlichkeit der Sprache zu überwinden und sie nicht mehr zu benutzen. Ihr Benutzen wird bestraft, beim dritten Verfehlen wird der straftätige Nollopianer von der Insel verbannt. Und so verschwinden sie, Nollopianer wie Buchstaben. Aus der Sprache, aus dem Roman.
Was als belächelte Idee anfängt, verkommt zu einer Buchstabendiktatur. Nollopianer werden ausgewiesen, Briefe überwacht, die Ratsmitglieder scheinen den Verstand zu verlieren oder sich an der Situation zu bereichern - die Bevölkerung, die einst so elaboriert die Sprache pflegte, traut sich teilweise nicht mehr, den Mund zu öffnen.Doch es regt sich langsam Widerstand ...
So versucht das Buch gleichermaßen Sprachspielerei und Parabel auf totalitäre Systeme zu sein, was es auf seinen 200 großbedruckten (und bereits durch viele Zwischenseiten mit dem aktuellen Stand des Pangramms gestreckten) Seiten auch durchaus hinbekommt. Leider bleiben dabei nur die Personen auf der Strecke. Ich habe bisher nicht einmal die titelgebende Hauptperson, Miss Ella Minnow Pea erwähnen müssen.
Die Einzelpersonen nehmen nämlich leider kaum Gestalt an, ich habe regelmäßig die Namen der Briefeschreiberinnen durcheinandergeworfen, die Idee steht im Vordergrund. Die Personen werden nur irgendwie gebraucht, damit man jemanden hat, der die Briefe schreibt.
Nun ja, diese Funktion und die Rolle, die ihnen zugedacht wurde, ob sie sich fügen oder Widerständler werden, füllen sie aus. Sie sind geistreich, sie können Gefühle auslösen, aber richtig tief gehen diese nie. Auf diese Weise kann man den Bezug zur Handlung verloren - die Hingabe des Autors an die Technik (die Sprache) ist zu spüren, die an die Handlung und Personen nur bedingt. Und so bleibt man distanzierter Beobachter, der den Kopf schüttelt, der ein etwas flaues Gefühl bei der Diktatur bekommt, der sich an den Sprachspielereien erfreut
Denn die sind wirklich herausragend gelungen, englische Redewendungen wie "to mind our p's and q's" kriegen einen neuen Nebensinn, neue Wörter (sun-to-sun) werden kreiert, extravagante Wörter ausgebuddelt, es ist ein Schmaus - und auf Englisch nich unbedingt als Einstiegslektüre zu empfehlen, da es am Ende nach Einlenken des Inselrates auch lautmalerisch zugeht und ein wenig Entzifferungsarbeit für den Nicht-Muttersprachler gefragt sein könnte (wenn auch nicht in schwierigem Rahmen). Und man merkt, dass die Bürger Nollops, die die Buchstaben vermeiden müssen, sehr viel mehr leisten als ihr verehrter Nevin Nollop, der einen Satz hinschleuderte, den man durch das bloße ersetzen eines der "the"s durch ein "a" gleich um zwei Buchstaben kürzen könnte ... Eine bewundernswerte Leistung des Autors - und in der deutschen Übersetzung wohl auch des Übersetzers!
Von diesem Standpunkt würde ich dem Buch gerne die 10 Punkte geben, die Idee der Buchstabendiktatur und die Ausführung hätten es verdient. Wären da nicht die blassen Figuren und das wenig emotionale Dahinplätschern der Handlung. So reicht es immerhin noch für
8/10 Pkt.
bartimaeus
PS: Danke fürs Wandernlassen, Sunlight