Beiträge von KarinS

    Warum sollte sie hier plötzlich Skrupel haben, wo der Ehebund doch in dieser Hinsicht wenig Wert für sie hat?

    Warum wohl hat sie Piero geschrieben, er solle sich nicht mehr bei ihr melden und den Kontakt abgebrochen? Weil sie Peter schätzt und respektiert und ihm treu bleiben will. Wenn sie so wäre, wie du sie hier darstellst, hätte sie wohl den Kontakt mit ihm gesucht.


    Und was den Ehebund angeht: In dem Dokument , das ich hier geteilt habe, wird deutlich, das sehr viele in Uri im Konkubinat gelebt haben, weil es den Leuten schwer bis unmöglich gemacht wurde, zu heiraten. Auch in Göschenen gab es zur Zeit des Tunnelbaus viele "wilde" Ehen weil die brürokratischen Hürden oft unüberwindlich waren. Dann haben die Paare einfach so zusammengelebt.


    Zitat

    Es ist anzunehmen, dass die Übergänge zwischen gemeinsamem Wohnen in den Privatunterkünften und einem Konkubinat vielfach fliessend waren. Und selbst dann, wenn sich ein Paar entschlossen hatte, zu heiraten, konnte dieses Vorhaben an der fremden Bürokratie scheitern. Eine Schwierigkeit bestand für viele darin, sich die nötigen Papiere für die Eheerlaubnis zu beschaffen, die der Regierungsrat erteilte. Die italienischen Paare hatten oftmals weder die Kenntnisse noch die Möglichkeiten, sich innert der dafür festgesetzten Frist um diese Papiere zu kümmern. Dadurch fielen auch sie unter die Kategorie der Konkubinatspaare.


    Quelle: Alexandra Binnenkade - Sprengstoff



    Zitat

    Ausgelesen. Dieser letzte Abschnitt hat mir insofern mit am besten gefallen, weil es hier mehr oder weniger gerade auf das Ende zu geht. Nicht wegen des Buchendes, sondern wegen des direkten Handlungsverlaufs.

    Ich freue mich, dass dir das Ende gefallen hat, und dass die Geschichte dich trotz der Dramatik gefesselt hat.


    Wenn du ein gutes, wenn auch sehr eigenwilliges fast Sachbuch über diesen Tunnelbau lesen möchtest, empfehle ich Felix Möschlin "Wir durchbohren den Gotthard". Es ist von 1947 und man bekommt es nur noch gebraucht.

    Ein besonderes Buch. Ich musste mich an den Stil erst gewöhnen, aber dann hat es mir sehr gut gefallen. Er schreibt unterhaltsam und wenn er "wir" meint, schreibt er auch im "wir". "Wir", das sind mal die Bankiers um Alfred Escher, mal die Mineure oder auch die Aktionäre. Er schreibt aus ihrer Sicht oder adressiert sie auch mal an. Er ist für die seine Zeit (er lebte von 1880 - 1969) sehr kritisch gegenüber Favre und der Gotthardbahnsgesellschaft.

    Ich muss noch was zum Titel "Bergleuchten" loswerden: Für mich gäbe es keinen perfekteren Titel. Einerseits wurde das "Bergleuchten", das ich selbst sehr liebe (und auch noch so vielen Jahren immer wieder vermisse) wunderschön beschrieben. Es erzählt aber auch vom Leuchten in den Herzen der Bergler. Diese kommen zwar mit ihren furchtbaren Gesetzen und Regeln nicht immer gut weg. Aber die meisten von ihnen sind trotz der rauen Schale Menschen mit dem Herzen am rechten Fleck.

    Das hast du toll ausgedrückt.


    Das "Bergleuchten" haben wir einmal erlebt. 2003 sind wir am 31.7. abends aus der Toskana losgefahren und nicht durch den Tunnel, sondern über den Pass. Da waren wir dann kurz vor 24:00. Schon auf der Passhöhe haben wie die ersten Feuer gesehen, und auf der Fahrt nach Göschenen hinunter brannten überall Feuer. Das war sehr beeindruckend. Dass der 1.8. der Schweizer Nationalfeiertag ist, haben wir dann hinterher erfahren.

    Peter mochte ich von Anfang an. Und jetzt bestätigt sich, was für ein hochanständiger Mensch er ist. Seine Liebe für Helene könnte nicht tiefer, nicht ehrlicher sein. Ich kann Helene gut verstehen, dass sie sich in ihrer Situation für Peter entschieden hat - auch zum Wohle ihres Kindes.

    Ich denke, bzw. für mich war es schon so, dass diese Ehe glücklich war. Vielleicht nicht dieses himmelsstürmende Glück, dass man als frisch Verliebte empfindet, aber die beiden verbindet ein tiefes Gefühl, auch von Helenes Seite aus. Liebe ist mehr als Verliebtheit - und darüber macht sie sich ja auch schon Gedanken:

    Zitat

    Zusammen leben, gemeinsam alt werden, hatte er gesagt. In ihrer Verliebtheit hatte sie nie darüber nachgedacht, was das bedeutete. Sie hatte einfach nur bei Piero sein wollen.

    Oft genug ist man ja desillusioniert, wenn die erste Verliebtheit vorbei ist und die Unterschiede deutlich werden und sich zeigt, dass der Partner auch Eigenschaften hat, die man weniger schön findet.


    Und ja, ich finde Peter auch klasse und manchmal auch sehr süß, z.b bei der Hochzeit und danach. Und zwischendurch habe ich auch überlegt, wie ich ihn da rauskommen und mit einer anderen Frau glücklich werden lassen kann. Aber Scheidung war damals unmöglich. Es ist schon das dritte Mal, dass mir sowas beim Schreiben passiert. Also dass ich für eine Figur das Schicksal so geplant hatte, und die mir dann so ans Herz gewachsen ist ...

    Das Buch begeistert mich immer mehr. Das Kopfkino läuft auf Hochtouren und ich befinde mich mitten drin in einem spannenden, schönen und auch informativen Plot. Genau SO etwas macht das Lesen zum schönsten Hobby überhaupt! :-]

    :love:



    Zitat

    Johannas Schicksal hat mich auch sehr erschüttert. Ich hatte von dieser Vorgehensweise noch nicht gehört und ich muss mich Mal erkundigen, ob das so bei uns auch so gehandhabt wurde. Da die Kantone von den Denkweisen und Mentalitäten her sehr unterschiedlich sind, denke ich eher, dass das nicht überall im Land so war. Ich hoffe es jedenfalls sehr...

    Wenn ich die Quellen richtig lese, gab es das auch in Uri gegen Ende der 1870er nicht mehr. Da gab es irgendeine Reformation der Gesetze.

    Es kommt also zum Streik. Ich habe mich etwas gewundert, daß die paar Männlein der Bürgerwehr so schnell gegen die wohl über tausend Arbeiter gesiegt haben. Sicher hatten die Gewehre, aber bei der Überzahl hätte ich doch gedacht, daß die Bürgerwehr überrannt wird.

    Gemäß der Analyse von Alexandra Binnenkade hatte die Italiener die Bürgerwehr zunächst gar nicht ernst genommen. Sie haben wohl nicht damit gerechnet, dass wirklich geschossen wird und waren auch nicht darauf vorbereitet. Und es waren auch Frauen und Kinder auf der Straße.


    Zitat

    Die italienischen Arbeiter standen am zweiten Streiktag mehrheitlich auf der Gotthardstraße und nicht beim Tunnelzugang. Viele trugen ihre Festtagskleider, und es waren auch Frauen und Kinder dabei. In Gruppen standen sie zusammen und diskutierten, einige sangen oder spielten Boccia, andere schauten aus den Fenstern ihrer Unterkünfte zu, was sich auf der Strasse abspielte. Ein paar holten sich ein Fässchen Bier und etwas zum Essen und gingen ein Stück weg vom Dorf.
    Als die Mannschaft aus Altdorf eintraf, liefen einige hundert hinter ihr her, lachten und foppten sie. Luigi Dissune machte der Mannschaft durch die Menschenmenge eine Gasse frei, eine Form von Spass, welche die Mitglieder der Bürgerwehr als Spott verstanden. Als sich kurze Zeit später ein Teil der Bürgerwehr beim Wendemanöver in die falsche Richtung drehte, lachten erneut viele Italiener, die ganz allgemein in ausgelassener Stimmung waren.
    Salvatore Villa war einer der ersten, der von einem Schuss getroffen wurde. Er war auf der Anhöhe gestanden und hatte dort, gut sichtbar, in Richtung der Bürgerwehr die Hosen heruntergelassen und die Göschener mit seinem nackten Hintern verspottet.

    Quelle: Alexandra Binndenkade - Sprengstoff

    Der Streik der italienischen Gotthardtunnelarbeiter – Alltag und Konflikte im Eisenbahnerdorf Göschenen 1875




    Selbst als die Bürgerwehr geschossen hat, waren die Streikenden zunächst der Meinung, das wären nur Platzpatronen, denn die Urner haben zunächste über die Köpfe der Italiniener gezielt. Und als dann klar war, die schießen scharf, ist Panik ausgebrochen.

    Was dann deshalb auch kein Anlass war, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Wenn einer krank wurde oder starb, oder nicht mehr wollte und konnte, standen vermutlich 10 neue da um zu übernehmen.

    Genau so.


    Beim Tunnelbau kommt es, wie es eines Tages wohl kommen mußte: die Arbeiter streiken. Erstaunlich, daß das so lange bis dahin gedauert hat.

    Das lag sicher auch daran, dass die Fluktuation ziemlich hoch war. Wenn es den Leuten zu viel wurde, sind sie gegangen. Es kamen immer genügend Arbeiter nach. Man schätzt, dass ca. 5000 - 6000 Arbeiter insgesamt am Tunnelbau beteiligt waren.

    Ist mir nach Deinen Kommentaren hier in der Leserunde schon klar. In Sachbüchern ist meine "Mitleidensfähigkeit" ziemlich hoch, da vertrage ich einiges. In Romanen komme ich da schon eher an meine persönliche Grenze der "Leidensfähigkeit".

    Was ich jetzt tatsächlich als Kompliment nehme, weil die Geschichte dich "mitnimmt" ( im wahren Sinne des Wortes) und das ist ja eigentlich das, was ich als Autorin möchte. :-) Also nicht, dass es dir schlecht geht, aber dass die Situation der Menschen fühlbar wird. Manche berührt das stärker als andere. Sachbücher vemitteln Wissen, und sollten mMn nicht die emtionale Ebene ansprechen, bei Romanen ist das anders.

    Ich merke übrigens auch, dass ich mit zunehmendem Alter empfindlicher werde und manche Dinge nicht mehr lesen kann und will.

    MIr ist die Dramatik in diesem Buch hier eigentlich zu hoch. So gut sind meine Nerven nicht mehr. :alter Das Elend der Arbeiter hätte mir gereicht, da hätte ich nicht diese (bisher) unglückliche Liebesgeschichte gebraucht, die das Bild weiter verdüstert. Ganz ehrlich: hätte ich mir das Buch selbst gekauft, würde ich nicht zu Ende lesen; ich hätte vermutlich spätestens bei der Geschichte mit Johanna abgebrochen. Es ist mir einfach zu viel des Negativen. Drum brauche ich auch so lange: ich muß nach ein paar Seiten etwas Erfreulicheres dazwischen schieben.

    Dabei habe ich die Verhältnisse noch nicht mal so drastisch geschildert, wie sie in Wirklichkeit waren, weil mir das auch zu viel war.

    Schließlich expolodiert die Wärmehütte. Sicherheitsvorschriften gab es wohl nicht allzuviele, und wenn, wurden die locker gesehen. Unmöglich die Reaktion des Akkordanten.

    Die Sicherheitsvorschriften waren ein ständiges Thema während des Baus. Die Göschener haben zig eingaben gemacht, um zu erreichen, dass die Sprengstofflager ( es wurde ja auch noch mit Schwarzpulver gesprengt) und die Wärmehütten weiter weg errichtet werden. Das Göschener Tal ist sehr eng, die Umgebung sehr steil, es gab kaum Platz für die Installationsgebäude und es gab ( gibt) nur eine Straße hinaus, über die Häderlisbrücke, und auch da war nicht wirklich Platz. Die Urner Regierung hat beschlossen, dass das Dynamit außerhalb von Göschenen gelagert werden muss, Favre hat ständig irgendwelche Schlupflöcher gefunden - das zog sich über Jahre.

    Ich kann mir nicht vorstellen, dass Helene es bereut, dazu ist sie viel zu erfüllt von ihrer Liebe zu Piero. Dieser weiß ja nichts von dem Baby und liebt Helene ja immer noch, wartet nur auf eine Möglichkeit, sie heiraten zu können. Also hat auch er keinen Grund zur Reue.

    So sehe ich das auch.

    :)

    Ich hätte nicht gedacht, dass ich Tunnelbau mal so spannend finde ;)!

    Meine erste "Begegnung" mit dem Tunnelbau war bei uns in Eppstein, da wurde von 2011 bis 2013 ein neuer Eisenbahntunnel gebaut, weil der alte marode war. Ich bin mehrmals in der Woche an der Baustelle vorbei gefahren. Das was schon spannend. Die Bauarbeiter waren in Containern untergebracht und der Tunnel wurde, wie der Gotthardtunnel damals, mittels Sprengvortrieb gebaut. Die Explosionen hörte man und oberhalb des Tunnels im Wald lagerte der Sprengstoff (in einbruchsicheren Containern). Kurz vor Fertigstellung war dann "Tag der offenen Tür", es gab Führungen durch den Tunnel. Fand ich schon damals sehr interessant. Auch dass die Tunnelarbeiter immer noch sehr abergläubisch sind. Natürlich hing die heilige Barbara am Portal. Ich habe ja damals die "Albatrosse" geschriebne und schon Parallenen zu den Seeleuten gesehen.

    In dem Abschnitt passiert ja so Einiges.


    Irgendwas muß in der Vergangenheit mit einer Magd gewesen sein, wenn ich die Reaktion von Helenes Mutter (S. 206) richtig deute.


    Ein Gleiches gilt später, wie mit Johanna und ihrem Kind umgesprungen wird. Deren Eltern haben nicht mal den Begriff „Rabeneltern“ verdient, denn ich meine mich entsinnen gelesen zu haben, daß Raben sehr gute Eltern seien. Und die "Sitte", die werdende Mutter bei der Geburt nach dem Vater zu fragen - welcher verworrene und kranke Geist kommt auf so eine abstruse Idee?

    Du deutest richtig.


    Auf den Umgang mit werdenden Müttern von unehelichen Kindern bin ich erst während des Schreibens gestossen. In einer Quelle stand, dass in Uri (!) , ich weiß nicht, wie es in der restlichen Schweiz war, uneheliche Geburten hart sanktioniert wurden. Dann habe ich das Dokument gefunden, dass ich weiter oben verlinkt habe und habe nur noch den Kopf geschüttelt.

    Gab es dort damals keinen Kuppeleiparagrafen wie in Deutschland? Da hätte Teresia und ihr Mann schon viel eher Schwierigkeiten mit dem Gesetz kriegen können.

    Wenn es den gab, hat sich keiner drum geschert. Es gab ja auch Prostitution in den Tunneldörfern, was eigentlich auch verboten war. Wurde aber lange geduldet. Erst 1879 und 1880 kam es in Göschenenzum Rundumschlag gegen die «unsittlichen» Wirtshäuser. Dabei fiel der Bordellverdacht ebenso auf die Wirtschaft des Francesco Ceresa, in welcher der Italiener Antonio Peduzzi wirtete, wie auf das Café dell' Unione, das von Frau Büchel geführt wurde. Wegen Verdachts auf Prostitution in diesen beiden Häusern wurden sechs Frauen zwischen 14 und 28 Jahren vernommen. Diese Frauen stammten mit Ausnahme Klara Furgers aus Altdorf alle aus benachbarten Kantonen

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    Zitat

    Während wir in den Verhörprotokollen und Berichten einiges über «Machenschaften» und Anstellungsverhältnisse der Kellnerinnen erfahren, sind darin die Männer, die mit den Frauen «fleischlichen Umgang» gehabt haben sollen, nur beiläufig erwähnt. Sie wurden selber nicht verhört und sind in den Dokumenten lediglich durch die Fragen und in den protokollierten Aussagen der Frauen gegenwärtig, als «Beischläfer» oder als «Bekannter». Auch wurde die Wirtin Büchel, deren Mann ein Ortsansässiger war, in den Verhören umsichtiger behandelt als der Italiener Antonio Peduzzi.

    Quelle: Binnenkade - "Sprengstoff"