Was die "Schäfchen" betrifft, Caterina ist inzwischen eine Person des öffentlichen Lebens, und das wird wohl auch von ihr erwartet.
Was den weiteren Verlauf der Handlung betrifft, die Liebesgeschichte zwischen Monica und Stefano entwickelt sich (mein Eindruck) sehr schön, selbst einige Klischées
Die Figur des alten, zittrigen Papstes hat mir gut gefallen, vorstellbar, dass der Mann wirklich so war. Die Rede, dieer halten darf, deutet aber an, dass an ihm vermutlich doch mehr dran ist und dass er in jüngeren Jahren eine ganz eindrucksvolle Persönlichkeit gewesen sein dürfte. Sehr positiv finde ich, dass er als Figur ernst genommen wird.
In diesem Punkt unterscheidet sich "Mit der Kraft von Purpur" sogar außergewöhnlich vorteilhaft von vielen anderen Büchern des 21. Jahrhunderts, die ich gelesen habe und wo ich mir oft genug die Frage gestellt habe. Wenn XY wirklich ein solcher Idiot, Schuft etc. war, wie das Buch behauptet, warum kann er in diesem Kardinal, deutscher König, Papst oder Ähnliches werden und sich in dieser Position bis zu seinem Tod oder wenigstens einige Zeit halten.
Auch wenn das nun einmal historische Fakten sind, dass jemand eine bestimmte Position hatte und sich in dieser halten konnte (bzw. vielleicht nicht wirklich gefährdet war, auch in einem Buch erwarte ich, dass das einleuchtet und nicht, dass es nur deshalb so ist, weil das halt historischer Fakt ist.
Die Charakteristik des Papstes wiederum lässt es im Buch auch glaubwürdig wirken, dass er zum Papst gewählt wurde und dass Caterina (und andere) sich vorstellen, dass seine endgültige Übersiedlung zurück nach Rom tatsächlich den Beginn der notwendigen Reformen bedeutet und dem Papstum seine ursprüngliche Bedeutung zurückgibt, die durch die Übersiedlung nach Avignon doch sehr starke Beeinträchtigungen erfahren hatte. Dass dann sein sehr baldiger Tod den Beginn des Schismas zur Folge hat, ist eine andere Sache, die hier immerhin noch angesprochen wird.
Wurde der Papst übrigens, wie im Buch jedenfalls von den Figuren behauptet, tatsächlich ermordet? Historisch ist das nicht bewiesen. Es handelt sich also um eine Änderung von historischen Fakten ebenso wie sein Tod auch zeitlich vorverlegt wurde. Inwieweit ist das zulässig?
Ich selbst habe da keine Regeln für mich, ob (belegte) Fakten in einem historischen Roman geändert werden dürfen oder nicht, sondern beurteilte das immer anhand des konkreten Falles.
Grundsätzlich ist bei mir ausschlaggebend, mit welchem Anspruch Autor/in antritt. Jemand, der strikt vorgibt, dass alles, was er / sie erzählt, so wahr und nicht anders oder der mit der Historizität des Buches wirbt, muss für Abweichungen von eindeutig belegten oder recht zuverlässigen Fakten sehr gute Gründe haben, dass ich das nicht negativ sehe. Autor/in, die für sich höhere (oder bestimmte) Ansprüche behauptet, wird strenger beurteilt, als jemand, der / die dagegen nur gut unterhalten will.
Weiter ist für mich auch wichtig, was mit der Änderungen von Fakten bezweckt wird? Es sollte gute Gründe für Änderungen geben, wie z. B. dass es für die Dramaturgie etwas bringt, dass es die Verständlichkeit der Handlung erleichtert oder dass so bestimmte Themen stärker herausgestellt werden können.
Bedenklich wird es für mich dort, wo diese Änderungen vollkommen unnötig sind, von Autor/in als die einzig richtige Geschichte verkauft werden, ideologisch bedenklich sind oder gar einer wirklichen Verfälschung von geschichtlichen Figuren, Geschehnissen und deren Bedeutung führen. Inakzeptabel sind sie dort, wo es nur darum geht, Figuren und Geschehnisse zu verunglimpfen oder schlecht zu machen.
In "Mit der Kraft von Purpur" tritt Sayyida / Christine Neumeyer jedenfalls nicht mit dem Anspruch auf, dass alles so war, wie sie es schildert, sie hat selbst betont, dass ihr Roman nur von Fakten aus dem Leben der Heiligen Caterina von Siena inspiriert ist, einer interessanten Frau aus dem Spätmittelalter, die sie einer heutigen Leserschaft nahezubringen versucht.
Was die zeitlichen Veränderungen in ihrem Roman betrifft, machen diese für die Dramaturgie der Geschichte und die Zielsetzung des Romans Sinn. Der Roman ist ein Unterhaltungsroman und kein Erbauungsroman. In einem Erbauungsroman wäre es natürlich schlüssiger gewesen, Caterinas Weg vom "Eintritt" ins Kloster zur Predigerin zu beschreiben. Für einen Unterhaltungsroman ist es aber dramaturgisch sinnvoller, diesen Abschnitt auf einige Monate zu verkürzen, also zu straffen, zudem für die fiktive Monica-Handlung eine Ausdehnung auf über zehn Jahre nur eine gefährliche Durststrecke bedeutet hätte. Die Handlung um Monica wiederum wird genutzt, um der Leserschaft einen Zugang zu Caterina und ihrer Welt zu schaffen.
Womit wir zu einem weiteren Pluspunkt kommen!
Eine vergangenen Zeit wird hier nicht einfach von allem "gereinigt", was heutigen Lesern/innen missfallen könnte oder für diese eben schwer verständlich ist und die dargestellte Zeit wird halt für ein heutiges Publikum passend gemacht, sondern es wird stattdessen versucht, einiges aus dieser Zeit über dem Umweg einer fiktiven Figur zu zeigen und so zumindest einen "wertfreien" Zugang zu ermöglichen.
Wenden wir uns nun einer weiteren Abweichung zu: der Mord am Papst.
Dass der Papst ermordet wurde, ist historisch nicht wirklich bewiesen, auch wenn es da möglicherweise Gerüchte gegeben haben könnte.
Auf jedem Fall, mit Blick auf die belegbaren Fakten, handelt es sich bei dem Mord um eine Erfindung der Autorin.
Mein Eindruck dazu:
Auf den Roman reduziert, wirkt die Idee mit dem Mord zumindest schlüssig, und auch die Vorverlegung um etwa ein Jahr macht insofern Sinn, als es dramaturgisch sinnvoller ist, diesen Handlungsstrang, der im Buch wichtig ist, auch innerhalb des Buches abzuschließen. Die Ermordung des Papstes dürfte somit hier unter die Devise fallen: Ist zwar nicht historisch, könnte aber vielleicht doch so gewesen sein? (Leser/in weiß zwar, dass es eine Erfindung der Autorin für den Roman ist, aber bereit, sie für den Roman zu akzeptieren.)
Positiva von "Mit der Kraft von Purpur" sind also die fiktive Geschichte um Monica, deren Umsetzung überzeugt (und die trotz einiger Klischees auch als Liebesgeschichte zwischen ihr und Stefano funktioniert). Diese Geschichte funktioniert auch als Aufhänger, um so die historische Figur der Caterina und ihren Lebensweg zu zeigen.
Für einen historischen Roman ebenfalls sehr gelungen ist auch, dass hier zur Abwechslung einmal versucht wird, historische Informationen zu einer Figur bzw. einer Zeit in einer Form so zu übermitteln, dass auch Leser/innen mehr als 600 Jahre später Zugang finden könnten, wenn sie bereit sind, sich darauf einzulassen.
Das ist für mich gerade mit Blick auf andere Unterhaltungsromane des beginnenden 21. Jahrhunderts, die mit dem Anspruch vermarktet werden, eine vergangenene Zeit zu zeigen, eher ungewöhnlich. Dort finden sich gewöhnlich andere Methoden, die ich selbst nicht gut finde: das heutigen Lesern/innen Fremde, das Andere wird einfach weggelassen oder lächerlich gemacht.
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Nun aber auch zu den weiteren Punkten, die mich weniger überzeugt haben bzw. die ich nicht wirklich gelungen finde. (Einige Punkte habe ich bereits in meinen früheren Statements angesprochen.)
Während die Hauptfiguren Monica, Caterina und Stefano, von den Nebenfiguren Capua, der Papst und auch Le Blanc und einige Randfiguren wie z. B. der Mann mit dem Apfelwagen oder Madame überzeugen, ist dies bei einigen Nebenfiguren nicht der Fall, was sich für mich durchwegs störend auf den Roman ausgewirkt hat, mit Blick darauf, welche Rollen diese Figuren im Roman spielen.
Das betrifft Camilla und Dominika, beide sind Randfiguren, die mal freundlich, mal böse, mal eifersüchtig sind, mal Monica den Rücken schrubben dürfen und Ähnliches, die aber kein eigenes Profil entwickeln und für die Handlung selbst nur insofern nötig sind, als Caterina mit Blick auf die geschilderte Zeit wohl nicht einfach nur mit Monica, Capua und Stefano solo nach Avignon reisen konnte. Ich habe im Buch recht unbefriedigend gefunden. Hier wäre es wohl besser gewesen, sie einfach nur vorkommen zu lassen oder beiden doch etwas eigenes Profil zu geben und sie an der Handlung auch zu beteiligen. (Was Capua z. B. gut gelungen ist.)
Die eine ist z. B. eine frühere Prostituierte aus Liebeskummer, wie Caterina Monica erzählt, das hätte für die Handlung genutzt werden können, indem Monica es selbst herausfindet, sie sich zu einer Art Vertrauten (oder erst einmal Gegnerin) zu Monica entwickelt, beide Differenzen bewältigen müssen, Monicas Liebesgeschichte auch für sie letztlich helfend ist, da es ihr so gelingt, ihr eigenes Trauma zu bewältigen oder Ähnliches.
Ebenfalls nur mit Abstrichen gelungen ist die historische Figur des Herzogs von Anjou, dies vor allem auch deswegen, weil er mehrfach aus seiner Sicht erzählt wird. Das macht in den Szenen mit dem Papst durchaus Sinn, da Leser/in so Informationen erhält, die mit der Perspektive von Caterina und Monica nicht vermittelt hätten werden könnten. Allerdings hätte es vermutlich dramaturgisch mehr Gewicht gehabt, wenn erst mit ihm Informationen über Monicas Aussehen gegeben werden. Monica selbst muss nicht von Anfang an wissen, dass sie auf Männer Wirkung ausübt, das Verhalten des Lehrlings und von Le Blanc deuten das ohnehin an, hier wird es endlich bestätigt. Als möglicher Rivale für Stefano, um die Liebesgeschichte zwischen diesem und Monica voranzutreiben (Stefano ist einfach) - hier funktioniert Anjou. Ebenso gelungen sind seine Szenen mit dem Papst, und seine zwielichtige Rolle (er unterstützt Caterina, womit er gegen die Interessen seines Cousins und Lehensherrn (des französischen Königs) handelt, macht ihn zu einer bemerkenswerten Figur.
Doch leider wird sein Potential durch seinen letzten Auftritt, was ich sehr schade finde, einfach nur verspielt. Da ist er halt plötzlich ein primitiver Vergewaltiger, vor dem Stefano Monica schützen kann. Das erscheint ber eben nicht als Entlarvung seines wahren Ichs, sondern wirkte auf mich aufgesetzt. Da Monica für Stefano bestimmt ist, muss er halt eiligst aus der Handlung verschwinden. "Der Mohr hat seine Pflicht getan, der Mohr kann gehen."
Dramaturgisch ist es schon sinnvoll, dass er noch einmal mit Monica zusammentrifft, die er nun einmal begehrt und wo er außerdem glaubt, dass sie Nonne werden soll. Aber der Vergewaltiger war mir zu primitiv.
Weiter fand ich einige Ideen unnötig.
So gesteht Monica Stefano z. B. völlig überraschend in ihrer ersten gemeinsamen Nacht, dass sie den Tod ihres Vaters verschuldet hat, worauf er ihr halt versichert, dass das doch ihre Schuld ist und damit ist die Sache wieder abgetan. Wäre diese Geschichte wirklich für Monicas Charakterentwicklung (sie fühlt sich schuldig an seinem Tod) und die Handlung wichtig, so hätte sie ausgebaut werden müssen, z. B. schon zu Beginn, als der Tod von Monicas Vater erwähnt wird, erste Andeutungen, dass an dieser Geschichte etwas nicht stimmt und vor allem immer wieder auch Hinweise darauf, dass Monica Schuldgefühle hat. Im Roman kommt dieses Geständnis einfach ganz plötzlich und die Problematik ist auch gleich wieder erledigt. ausführlicher gestaltet und bewältigt und bereits im Zusammenhang mit seinem Tod aufgebaut werden müssen. Im Endeffekt ist es völlig unwichtig, ob Monicas Vater jetzt von Wegelagerern getötet wurde oder weil sich seine Tochter aus Neugierde in eine zweifelhafte Gegend gewagt hat. Diese Enthüllung habe ich z. B. nicht nur unnötig, sondern auch störend gefunden.
Was Le Blanc-Handlung betrifft, so fehlt mir die Zwischenstufe. Problematisch ist bereits, dass Monica und er, obwohl sie doch die Gegenspieler/in sind, nach ihrer Flucht keine direkte Konfrontation haben, ehe er in das Haus ihrer Eltern einbricht, um sie mit Hilfe seines Begleiters zu ermorden. Trotzdem, bis zu Monicas Rückkehr funktioniert es ganz gut, dass er als Bedrohung anwesend ist, aber nicht direkt zuschlägt.
Dass dann allerdings, nachdem Monica wieder in Siena ist, nur mehr über ihn berichtet wird, bis er zuletzt mit Komplizen in Monicas Wohnung einbricht, was sein Ende bedeutet, dass wirkte auf mich so, als ob er halt noch schnell endlich aus dem Verkehr gezogen wird, da jetzt der Roman aus ist.
Es hätte da wohl mehr Sinn gemacht, ihn einfach nicht mehr auftauchen zu lassen (was aus ihm wurde, bleibt eben offen) oder ihn und Monica zuvor noch einmal im Rahmen der Handlung direkt aufeinander treffen zu lassen und vielleicht zu zeigen, wie sie ihm einen Strich durch seine Rechnung macht, auch wenn er dieses Mal noch entkommen kann, sodass sein letzter Auftritt vorbereitet ist und nicht einfach nur in der Luft hängt.