Achtung! einige SPOILER!
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Liebe Hollyhollunder,
danke für Deine Rückmeldung zu meinem Beitrag.
Ich wusste gar nicht, dass es zu diesem Buch bereits eine Leserunde gegeben hat, allerdings hätte mich schon interessiert, die Meinung des Autors zu seinen Abweichungen zu erfahren.
Mein Problem mit Peter Prange ist sicher, dass sich für mich hier zum ersten Mal (wegen seines Nachwortes) zwingend die Frage gestellt hat, inwieweit Abweichung von den historischen Fakten tatsächlich zulässig ist.
Bevor ich Pranges "Maximilian"-Roman gelesen habe, war ich immer der Meinung, dass solche Abweichungen / Veränderungen bei einem Historischen Roman durchaus legitim sind, da es sich noch immer um einen Roman und kein Fachbuch handelt. Zudem war ich auch bereit, Autor/in zu zugestehen, dass Veränderungen (z. B. leichte Abweichungen von chronologischen Ablauf, Reduktion historisch belegter Figuren bzw. auch Zusammenlegung mehrerer Figuren) zur Verbesserung der Dramaturgie akzeptabel sind. Dort, wo es historisch "Lücken" oder unterschiedliche Sichtweisen gibt, hat Autor/in zudem ohnehin eine gewisse Freiheit, zudem auch ein Historischer Romane alle Voraussetzungen eines gelungenen Romans zu erfüllen hat.
Ich erinnere mich noch gut z. B. an einen Roman wie "Desiree" von Annemarie Selinko, den ich als junges Mädchen gelesen habe. Hier gab es kein Nachwort und keine Klarstellung. Natürlich gab es da eine ganze Menge Dinge, die nicht historisch waren. Wenn z. B. die Titelheldin persönlich anwesend ist, als sich Napoleon mit Josephine offiziell verlobt, sich in der Folge in die Seine stürzen will und in letzter Minute von ihrem späteren Ehemann, den sie bei dieser Gelegenheit auch kennen lernt, gerettet wird, so werden wohl die meisten Leser/innen eine solche Szene zwar genießen, aber wohl kaum glauben, dass sich das alles genauso abgespielt haben wird. Trotzdem hatte ich durchaus den Eindruck, dass die dargestellte Zeitepoche einigermaßen gut getroffen ist und dass die Hauptfiguren eine gewisse Glaubwürdigkeit hatten, was ihre Historizität betraf.
Nachdem ich den Roman fertig hatte, war ich übrigens sehr daran interessiert, mehr über die historische Desiree und ihren Napoleon zu erfahren, also auf in die Bücherei zur Fachliteratur. (Ich war übrigens sehr überrascht, als ich dabei entdeckt habe, dass sich die historische Desiree, nachdem ihr Ehemann schwedischer Thronfolger geworden war, tatsächlich noch Jahre lang in Paris aufgehalten hat, denn das hätte ich eigentlich auch weitgehend für eine Erfindung der Autorin gehalten.)
Auch bei Prange gibt es eine ganze Reihe Szenen, bei denen wohl kaum Leser/in glauben wird, dass das wirklich so war. Allerdings gibt es halt auch eine ganze Reihe von einschneidenden Veränderungen, die nicht sofort auffallen und daher tatsächlich für historische Fakten gehalten werden können, obwohl sie vollkommen falsch sind.
Bisher war ich immer der Meinung, dass Leser/in (und somit keineswegs Autor/in) Schuld ist, wenn sie alles, was in einem Historischen Romans vorkommt für bare Münze nimmt. Pranges Nachwort allerdings und seine dort zitierte Aussage (siehe oben) vermitteln aber den Eindruck, dass das, was er da berichtet, sich tatsächlich so abgespielt hat bzw. abgespielt haben könnte. Insofern liegt es in diesem Roman sicher nicht an Leser/in, wenn diese plötzlich eine ganze Reihe falscher Vorstellung von Zeit und Figuren hat.
Insofern finde ich, dass Prange seinen Leser/innen gegenüber nicht ehrlich und vor allem unfair ist.
Natürlich ist es schön, wenn sein Roman manche Leser/in dazu bringt, mehr über den historischen Maximilian I., der selbst wesentlich an seinem "Nachleben" beteiligt war (er dürfte der erste Habsburger gewesen sein, der das, was wir heute als Imagepflege oder Public Relations kennen, für seine Person erfolgreich betrieben hat) bzw. über die eine oder andere historische Figur erfahren will. Nur dürfte das Nachwort bei vielen Leser/innen den Eindruck vermitteln, dass in Pranges Roman ohnehin das Wesentliche über Maximilian erzählt wurde. (Und was die Nebenfiguren betrifft: Wer möchte nach der Lektüre z. B. wirklich mehr über den armen Charles VIII. oder seine ältere Schwester wissen? Möchte jemand wirklich nur herausfinden, dass der "Superschurke" Commynes in Wirklichkeit als Chronist und Diplomat bekannt ist, und wahrscheinlich gar kein Schurke war - parteiische Geschichtsschreibung ist schließlich kein Schurkenwerk! :chen)
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Leider habe ich auch den Eindruck, dass das "Flair" keineswegs so überzeugend rüber kommt. Sicher, einige Themen kommen vor, wie die Stellvertreter-Hochzeit, Maximilian muss in Folge eines Gelübdes einige Wochen sexuelle Enthaltsamkeit üben und Ähnliches, aber auf mich wirken sie eher, wie Versatzstücke, die nur der Unterhaltung von Leser/in dienen, allerdings kaum der Darstellung einer Epoche.
Das 15. und 16. Jahrhundert war eine Zeit des Übergangs, worauf auch bei der Bewerbung des Romans hingewiesen wird. Wo ist das in dem Roman durchgehend umgesetzt?
Mein Eindruck: es hätten sich da eine ganze Reihe von Möglichkeiten angeboten (z. B. Maximilians Umfeld, das sicher sehr stark vom "Mittelalter" geprägt war, und Burgund, wo die "Renaissance" schon wesentliche Spuren hinterlassen hatte), aber Prange hat diese nicht wirklich genutzt. (Ich werde den Eindruck leider nicht los, dass es ihm da wichtiger war, die "Großartigkeit" seines Helden Maximilian noch dadurch zu steigern, dass er ihn halt aus Verhältnissen stammen lässt, die eindeutig zweifelhaft wirken.)
Oft habe ich den Eindruck, dass Prange solche Möglichkeiten gerade deswegen zugunsten der Komik opfert. (Wobei ich finde, dass er oft dabei viel zu dick aufgetragen hat.)
Manchmal ergab sich für mich eine unfreiwillige "Komik" auch dadurch, dass Veränderungen der historischen Fakten in der Romanhandlung diese ins gänzliche Gegenteil verkehren.
Beispiel: Sigmund ist im Roman fast durchgehend in Gesellschaft von Maximilians Vater anzutreffen (sozusagen dort der Dauergast, wie es in einer Beschreibung / Rezension recht treffend heißt). Nachdem ich mich aber vor einiger Zeit ein wenig mit diesem relativ unbekannten Habsburger näher beschäftigt habe, weiß ich halt zufällig, dass der historische Sigmund nach Antritt seiner Herrschaft über Tirol und die Vorlande diese Situation nach Möglichkeit vermieden hat.
Vielleicht auch ganz interessant, mit Blick auf die genaue Recherche, die Prange angeblich gemacht haben soll und seine Faktentreue, es gibt z. B. keinen historischen Beweis dafür, dass Sigmund Alkoholiker war, und was die Anerkennung von unehelichen Kindern betrifft, so scheint der histotische Sigmund zumindest darauf Wert gelegt zu haben, dass er als möglicher Vater tatsächlich in Frage gekommen wäre. Beide Veränderungen werden zudem nicht etwa für die Handlung selbst genutzt, sie sollen offensichtlich nur für eine negativ-komische "Charakteristik" dieser Figur (Witzfigur?) beitragen.
(Zu Herzog Siegmund gibt es z. B. eine wissenschaftlich fundierte Biographie, die bereits vor etwa 25 Jahren entstanden ist. Daher lässt sich keineswegs hier als Entschuldigung anführen, dass der Autor diese Biographie nicht kennen konnte, weil sie halt erst vor kurzem erschienen ist. Da sie ihm bei einer fundierten Recherche für seinen Roman entgangen ist, lässt doch die Frage zu, wie genau und ausführlich er tatsächlich für seinen Roman recherchiert hat.)
Doch gegen Veränderungen selbst ist nichts einzuwenden, da es ein Roman ist. Allerdings für historische Genauigkeit spricht das nicht gerade, und im Nachwort erfahren wir keineswegs, dass der Autor das mit Absicht geändert hat.
Dort, wo sich Prange auch historische Fakten einbezieht, ergeben sich immer wieder Widersprüche zur Handlung, was die Notwendigkeit für eigenen "Erfindungen" bzw. "Veränderungen von Fakten" wenigstens zum Teil fragwüdig erscheinen lässt.
Ein Beispiel:
So sind Maximilians Entscheidungen vor seinem Tod historisch belegt, und damit gelingt Prange ein packender Einstieg in seine Geschichte. Was aber als einzelnes Detail (isoliert betrachtet) gelungen ist, erscheint mit Blick auf den Roman als Ganzes aufgesetzt, da der Maximilian im Roman eigentlich mit Religion (und Themen wie Sünde, Buße und Ähnliches) nichts am Hut hat. (Nicht einmal, wenn er in Nöten ist, kommt Pranges Maximilian erst einmal der Gedanke, dass das die Strafe Gottes für etwas sein könnte, was er begangen hat.)
Das ist umso auffallender, als im Roman selbst einige Geschehnisse sich dafür sogar angeboten hätten, wie z. B. die Beziehung zu seiner Freundin Rosina (Verstoß gegen das 6. Gebot / Sex außerhalb der Ehe), die Ablehnung / Verachtung für seinen Vater (Verstoß gegen das 4. Gebot) und die Notwendigkeit, Entscheidung zu treffen, die zwar nicht in Ordnung sind, aber aus politischer Sicht notwendig scheinen / z. B. Verstöße gegen das 5. und 8. Gebot).
Was die Verwendung von Begriffen wie z. B. die "Schlafmütze" (korrekt müsste es übrigens: „des heiligen Römischen Reiches Erzschlafmütze“, heißen) oder "Maitresse en titre" betrifft, sind das für mich keine sprachlichen Freiheiten des Autors, sondern Begriffe aus ganz anderen Zeitepochen, die daher in einem Roman, der ausdrücklich Wert auf Historizität legt, nichts suchen haben, da sie verfälschend sind. (Zumindest wäre hier eine Klärung Leser/in gegenüber nur fair gewesen.)
In Bezug auf Friedrich III. hätte Prange statt der "Schlafmütze" überlieferte Aussagen von Zeitzeugen verwenden können. (Dazu gibt es sogar eine wissenschaftliche Arbeit von Brigitte Haller, immerhin aus den 1960er-Jahren.)
Die "Maitresse en titre" wiederum gehört in die Barockzeit, wo Ludwig XIV. als erster Herrscher die Position seiner Maitresse zu einem offiziellen Teil des Hofes (sozusagen zu einem Hofamt machte) mit Funktionen / Aufgaben. Natürlich gab es zuvor auch Maitressen, aber ihre Rolle am Hof war allein von der Gunst des Herrschers abhängig, und es war auch seine Entscheidung, welche Rolle sie an seinem Hof einnehmen bzw. ob sie überhaupt am Hof in Erscheinung treten durften. Dieses Hofamt wurde in der Folge auch von Zeitgenossen Ludwigs XIV. übernommen, die Habsburger gehörten allerdings nicht zu diesen. (Maximilian hatte übrigens eine ganze Reihe von Maitressen, von denen allerdings nur die Namen bekannt sind. Eine öffentliche Rolle hat keine gespielt.)
Im Roman darf Maximilian diese Idee mit der "Maitresse en titre" übrigens verwirklichen, wie z. B. die Anfangsszene und die Szene, als er "erwählter römischer Kaiser" durch den Papst wird, zeigen. Aber leider entsteht nicht etwa der Eindruck, dass Maximilian in diesem Punkt seiner Zeit "eben voraus war", denn auf die Idee mit der "Maitresse en titre" wird er z. B. erst von Sigmund gebracht, wodurch wiederum der Eindruck entsteht, dass es diese Position eben bereits gegeben hat. (Im Nachwort ist außerdem ausdrücklich an die Auflistung der historischen Fakten angehängt, dass Rosina Maximilians offizielle Maitresse wurde. Hier wird also etwas als Fakt präsentiert, für das es keine historischen Belege gibt. Rosina ist lediglich in der Zeit vor der Eheschließung mit Marie als Geliebte Maximilians historisch nachgewiesen.)
Maria wiederum ist dagegen, dass Maximlian Rosina als seine Maitresse an den Hof holt, aus persönlichen Gründen. "Wir lieben uns schließlich." Dass Maximilians Plan im historischen Kontext auch eine schwere Beleidigung ihrer Person und Familie bedeutet hätte und nebenbei ihrem persönlichen Ansehen erheblich schaden würde, hat dagegen keine Relevanz. (Abgesehen davon, dass er in den Niederlanden nur Herrscher durch sie und nicht aus eigenem Recht ist, und seine Position von ihr abhängt.)
Mit Blick auf das 15. Jahrhundert wäre es vermutlich glaubwürdiger gewesen, dass Maximilian mit Rosina eine "Ehe zur linken Hand" oder "zudritt" (evt. mit päpstlicher Dispens) überlegt, dass er sie tatsächlich mit einem anderen verheiraten will, um sie so in seinem Umfeld zu haben, oder dass beide eben eine Beziehung haben, über die offiziell nicht gesprochen werden darf, auch wenn alle davon wissen. Vielleicht hätte es auch gereicht, wenn Prange nur die Bezeichnung Maitresse verwendet hätte.
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Vielleicht wäre Pranges Roman gut für eine Diskussion geeignet, wieweit Abweichungen von historischen Fakten noch zulässig sind und inwieweit Autor/in seiner Leserschaft gegenüber "verpflichtet" ist, diesbezüglich für Transparenz zu sorgen.