Zu den sympathisten und schlichtesten Kirchen in Wien, idealer Ort für stimmungsvolle Taize-Veranstaltungen, gehört St. Ruprecht - vielleicht die älteste Kirche der Stadt, und ausgerechnet dort nimmt eine mysteriöse Mordserie mit internationalen Verstrickungen ihren Anfang. Umgeben von brennenden Kerzen, die ein geheimnisvolles Symbol darstellen, liegt der Tote unmittelbar an jener Stelle an der Mauer, wo sich eine AEIOU-Signatur befindet. Neben der Polizei beginnt auch der Journalist Paul Wagner zu ermitteln. Doch um den Fall zu lösen, ist er auf die Mitarbeit des Historikers Georg Sina angewiesen, sein bester Freund seit der Studienzeit. Allerdings hat er sich seit dem Unfallstod seiner schwangeren Ehefrau Clara ins Waldviertel zurückgezogen und will mit Wagner (dem er die Schuld an ihrem Tod gibt) und anderen Menschen nichts mehr zu tun haben ...
"Ewig" ist der Titel eines Kriminalromans, den zwei österreichische Autoren Gerd Schilddorfer und David G. L. Weiß als Duo 2009 schrieben und publizierten. Inzwischen sind zwei Fortsetzungen erschienen: "Narr" und "Teufel", allerdings hat es den Anschein, dass beide keineswegs die Absicht haben, ihre Trilogie noch um weitere Bücher auszudehnen.
Das Konzept ist wirklich nicht aufregend. Man nehme etwas, was bis heute als ungelöst gilt (selbst wenn das längst nicht der Fall ist), erkläre es zum Geheimnis, von dem natürlich das Wohl der gesamten Menschheit abhängt (wenn es in falsche Hände gerät), erfinde einen Orden oder eine geheime Organisation, der bzw. die sich um dessen Wahrung kümmert
(und bisher noch jeden gekillt hat, der drauf und dran war, da etwas zu entdecken, wobei eine ganze Reihe historisch belegter Figuren in Rückblenden ihrem Ende entgegen sehen, von Faust über Brahe und Cagliostro bis Heydrich)
. (Diese Szenen hätten sie allerdings kürzen können.)
Dazu kommen noch Geheimdienste, die das Geheimnis für sich nutzen wollen und ihre "besten" Leute bzw. Killer losschicken.
Hinzu füge man ein mehr oder weniger sympathisches Ermittler-Duo (bei Schilddorfer und Weiß übrigens kein Liebespaar, sondern zwei frühere Freunde, die ihre Vergangenheit bewältigen müssen), das in die Geschichte verwickelt wird und mit dem sich Leser/in auf eine Schnitzeljagd wagt, wobei der Wettlauf mit Zeit, supergefährliche Gegnern/innen (die sich aber zum Glück für die Helden selbst ständig in die Quere kommen, was mir übrigens in "Ewig" sehr gut gefallen hat) und Action nicht fehlen darf.
Persönlich habe ich das Ermittlerduo Wagner und Sina zwar sympathisch, aber nicht wirklich interessant gefunden (da gab es zu viele Klischee), aber originelle Ideen, wie die Wohnsitze von Wagner
(wirklich schade, dass unsere Remise in Ottakring nicht von jemanden wie Wagner gekauft wurde)
und Sina, originelle Fortbewegungsmittel
(Haflinger), ein Pizza-Express als Dienstwagen für eine wichtige Mission etc.
und das Umfeld von Wagner mit sympathischen und unterhaltsamen Figuren wie der Polizeibeamte (und Gegenspieler) Bernhard Berner oder der undurchsichtige Ex-Ganove Eddy
und sein "Wunderteam" (das allerdings erst in den Fortsetzungen zum Zug kommt)
haben das für mich voll und ganz ausgeglichen.
Bei Amazon wurde "Ewig" weitgehend positiv beurteilt, allerdings keineswegs nur positiv, und häufig findet sich der Vergleich mit Dan Brown und seinem "DaVinci"-Code. Die Meinungen, welches Buch besser ist, gehen auseinander. Schilddorfer und Weiss meinten übrigens, ihr Vorbild wäre nicht Dan Brown, sondern Umberto Eco. "Das Foucaultsche Pendel" gilt allerdings auch als eine Vorlage für den "Da Vinci Code".
Ein weiteres Buch, das Schilddorfer und Weiß vielleicht gekannt haben, ist "Das Montglane-Schachspiel" von Katherine Neville.
In diesem Roman werden historische Geschehnisse wie z. B. die Ermordung Marats oder der Sturz von Napoleon mit einer fiktiven Jagd nach Schachfiguren motiviert, mit denen es möglich ist, beinahe umsterblich zu werden.
In "Ewig" gibt durchaus Parallelen,
nicht nur das Thema Unsterblichkeit spielt eine Rolle,
sondern auch historische Geschehnisse werden im Zusammenhang mit dem Geheimnis uminterpretiert. Hier sind es z. B. die Eroberungszüge des ungarischen Königs Mattyas Corvinus gegen (Erz-)Herzog Friedrich V. von Österreich, Steiermark etc. (wohl besser bekannt als Kaiser Friedrich III.), so z. B. die Eroberung der Städte Wien und Wiener Neustadt in den Jahren 1485 und 1487, die der Ungarnkönig im Roman natürlich nur unternommen hat, um Wunderwaffe 1 (zu viel will ich da nicht verraten) zu kriegen, wobei ihm die Wunderwaffe 3, über die er selbst verfügt, ganz nützlich ist. Dass Leser/in dabei auch ein wenig Geschichtswissen vermittelt wird, ist ein netter Nebeneffekt. Außerdem wird durch so eine Idee, auch die Notwendigkeit von Kriegszügen in Frage gestellt, denn die Wunderwaffe 1 ist weder in Wien oder Wiener Neustadt oder sonstwo im heutigen Bundesland Niederösterreich versteckt, und um sie zu kriegen, hätte sich der gute Corvinus (im Roman jedenfalls) seine ganzen Feldzüge ersparen können, zudem das Versteck (zumindest für mich) sehr bald klar war.
Da ich den "Da Vinci-Code" nie wirklich gelesen haben, maße ich mir keinen wertenden Vergleich beider Bücher an. Ich habe allerdings den Eindruck, dass Dan Brown zumindest damit punkten kann, dass seine Ausgangssituation für eine Schnitzeljagd in die Vergangenheit etwas mehr Plausibilität hat. Denn offensichtlich hat Leonardo da Vinci bei Brown seine Spuren gelegt, weil er möchte, dass zumindest eine spätere Generation die Chance hat, das Geheimnis, dass die "böse" katholische Kirche den Menschen vorenthält, doch zu finden und publik zu machen.
Bei Schilddorfer-Weiß kommt mir die Ausgangssituation dagegen weniger schlüssig vor. Hier geht es um eine apokalyptische Wunderwaffe pur die nicht nur der Schlüssel zur Allmacht und Weltherrschaft wäre, sondern die Menschenheit vernichten könnte. (Hinzu kommen noch zwei weitere, wenn gleich weniger gefährliche Wunderwaffen.) Aber zum Glück fällt das Geheimnis im 15. Jahrhundert mit Kaiser Friedrich III. (HRR) jemanden in die Hände, der zu viel Weitblick und Verantwortung hat, um die Büchse der Pandora tatsächlich einzusetzen. Leider bringt er es aber offensichtlich nicht fertig, sie endgültig zu vernichten. Also versteckt er sie nur und beauftragt einen Orden mit der Wahrung des Geheimnisses. Der Orden weiß allerdings nicht, wo besagter Gegenstand steckt, somit gilt es nun alle möglichen historischen Personen zu ermorden (und daneben noch eine weitere Wunderwaffe, die auftaucht, zu zerstören). Bis dahin dürfte die Ausgangssituation noch halbwegs glaubwürdig sein (vorausgesetzt Leser/in ist bereit, sich darauf einzulassen), aber warum der gute Friedrich III. auch noch eine ganze Reihe Hinweise dazu hinterlassen muss, macht eigentlich nicht viel Sinn (und zusätzliche Ideen in den beiden Folgebänden machen alles - mein Eindruck - noch verwirrender). Die Warnung im Vorwort der Fortsetzung "Narr", dass nicht alles zu ernst genommen werden sollte, dürfte schon hier mehr als berechtigt sein.
Ein weiterer Schwachpunkt, der allerdings nur auf "Ewig" zutrifft: die Balance zwischen brutalen Morden und Komik war nicht ganz ausgewogen. (Das ist in den beiden Folgebänden eindeutig besser gelöst. Während aber "Ewig" über gelungene Negativfiguren verfügt, sind diese in den Folgebüchern wieder weniger interessant.)
Abgesehen von dieser etwas hanebüchenen Ausgangssituation habe ich "Ewig" aber recht unterhaltsam gefunden, sicher kein Buch für die Ewigkeit, aber ein paar ganz nette Lesestunden.
Nebenbei hat es mir natürlich Spaß gemacht, eine Handlung zu lesen, die an Orten spielt, wo ich selbst schon einmal war oder täglich unterwegs bin. (Allerdings kann ich nicht beurteilen, ob das nicht für Westösterreicher/innen und Deutsche ein Manko ist.) Weiter kommt hinzu, dass auch einiges an geschichtlichen Wissen vermittelt wird, auch wenn sich die Autoren hier die eine oder andere Abweichung erlaubt haben, die allerdings für die Handlung selbst Sinn macht
(eine Abweichung von Fakten ist z. B., dass der Habsburger Friedrich III. nicht in seinem Hochgrab sein soll, allerdings hat diese "Entdeckung" im Roman auch einen Grund)
und eine ganze Reihe von Ideen, die ich recht witzig fand.
In der österreichischen Tageszeitung "Die Presse" ist 25. Juli 2009 ein Artikelzu "Ewig" erschienen, der ganz informativ ist. (Die scherzhafte Idee, ihr Buch als Inspiration für Wienführungen zu vermarkten, hat übrigens Einspruch von Seiten der Wiener Fremdenführer-Organisation zur Folge gehabt, wo zurzeit erbittert um jeden Rayon gekämpft wird. Offensichtlich ist es dem Humor so eine Sache.)
Fazit: ein recht unterhaltsamer Abenteuerroman mit ein wenig Krimispannung mit einer gewissen Skurrilität, vorausgesetzt Leser/in kann sich auf die Geschichte trotz einiger Schwächen einlassen.
Was die beiden Fortsetzungen betrifft:
"Narr", der zweite Band, ist sicher etwas für Leser/innen, denen "Ewig" grundsätzlich gefallen hat, die sich aber mehr Action gewünscht hätten, und eindeutig ein Thriller. Die Handlung ist vielleicht nicht gerade glaubwürdig,
Geistesgestörter Nachfahre aus zwei Habsburger Linien lässt österreichische Politiker/innen umbringen, Senfgasbomben in Wien verstecken und will Regierung so zum Rücktritt zwingen, um sozusagen wieder die Monarchie einzuführen, mit ihm an der Spitze.
, aber jedenfalls spannend und auch nicht unsinniger als das in solchen Romane beliebte: "Schurke will Weltherrschaft übernehmen"-Ding.
(Mir war das Buch allerdings insgesamt etwas zu actionlastig und einiges, wie das vom bösen Schurken herbeigeführte Zugunglück sowie einige Morde waren mir zu brutal.
) Dafür fand ich die Rückblenden, in denen auch ein wenig österreichische Geschichte bzw. Habsburgergeschichte auf etwas eigenwillige Weise erzählt wird, so kommt z. B. Fürst Metternich vor, im Gegensatz zu "Ewig" viel besser und unterhaltsamer.
(Die historischen Figuren und die fiktiven-historischen Figuren waren insgesamt besser ausgearbeitet, und dass nicht ein ständig der Superorden jemanden umbringt, habe ich keineswegs als Nachteil empfunden.)
Auch die Auflösung fand ich recht originell.
"Teufel", der dritte Band, bildet sozusagen den Abschluss - ich glaube, dass es ganz gut ist, wenn die Bände der Reihe nach gelesen werden. Das Buch, das auch auf den Da Vinci-Code indirekt Bezug nimmt (diesmal hat der Vatikan ebenfalls Auftritt, wobei dieser keineswegs negativ wegkommt) ist im Vergleich zum ersten Buch noch versponnener, die übernatürlichen Elemente, die in "Ewig" mit einem gewissen Augenzwinkern versehen waren, sind hier wesentlich mehr ausgeprägt.
(Allerdings mancher Einfall ist doch eher zum Schmunzeln, so z. B. die Szene, wo sich die höchst lebendige Terracotta-Armee eines chinesischen Kaisers, der offensichtlich schon längst nicht mehr in seinem Grab ruht und stattdessen mit einem Kollegen unterwegs ist, sich als Touristen tarnt, um in deinem verschlafenen Heurigenort im Weinviertel nicht aufzufallen.)
Die Auflösung der Handlung war nicht immer logisch.
(Wie der Schurke hier ausgeschaltet wird, war mir ein bißchen zu viel des Guten.)
Stärken sind jedenfalls auch hier die Rückblenden (Geschichte von der Hochzeit in Kana bis ins Mittelalter) und die Erkenntnis, dass es vielleicht doch besser wäre, keinen Weinkeller im Weinviertel zu kaufen.