Ein toller, wenn auch ziemlich dämonen-armer Abschnitt!
Leesha ist fast mit ihrer Ausbildung fertig. Sie hat viel gelernt bei Bruna, aber was mir besonders aufgefallen ist, ist, dass sie in dieser Zeit nicht nur ihr Wissen erweitert hat, sondern auch ihren Horizont. Brunas Welt ist umfassender, als ihre eigene es vorher war. Und Cutter’s Hollow wirkt auf Leesha jetzt sehr klein und beengt.
Arlen geht es ähnlich. Er findet auch, dass Miln nicht alles ist, dass das Leben noch mehr bereithält.
Mit dieser Auffassung heben sich die beiden deutlich von den meisten ihrer Mitmenschen ab, die mit den ihnen scheinbar vorgegebenen Lebensentwürfen zufrieden sind, sie nicht hinterfragen und keinerlei Motivation verspüren, neue Wege zu betreten. Dementsprechend stoßen die Pläne der beiden, ihre Absichten, Cutter’s Hollow bzw. Miln zu verlassen, nicht überall auf Verständnis und lösen zum Teil heftige Reaktion aus (in Leeshas Fall bei Elona, in Arlens Fall bei Mery und Elissa). Diese Parallelen zwischen Leesha und Arlen sind bemerkenswert, und ich finde sie auch sehr gut geschildert. Ich kann sowohl Leeshas als auch Arlens Sehnsucht nach „mehr“ nachvollziehen, aber auch die Reaktion der Menschen, denen dieses Nachvollziehen schwerfällt oder nicht möglich ist.
Interessant finde ich in diesem Zusammenhang das Verhalten von Elissa. Aus Sorge um Arlen würde sie am liebsten verhindern, dass er Kurier wird. Gleichzeitig weiß sie aber, wohl durch ihre Ehe mit Ragen, worin eine derartige Abenteuerlust begründet ist (oder was zumindest dazu beiträgt). Und obwohl sie Arlens Pläne nicht gutheißen kann, spricht sie sogar mit Mery darüber und wirbt bei ihr um Verständnis für Arlen.
Und Mery – mei, die Gute hat es aber sehr eilig! Kaum haben sie und Arlen das erste Mal ein bisschen rumgeknutscht, spricht sie von Heirat und Familiengründung! Sie sieht in Arlen offensichtlich den idealen Ehemann, ohne seinen Charakter, das, was ihn ausmacht, überhaupt zu erkennen. Sie projiziert ihre Erwartungen auf ihn und fordert, dass er sich und seine Lebensplanung an diese Vorstellungen anpasst – keine gute Grundlage für eine Beziehung! Die Trennung ist da nur folgerichtig. Merys Verhalten fand ich hier sehr anstrengend und zickig, aber eben auch wieder sehr glaubhaft und realistisch dargestellt. Und Arlens Aufbruch von Miln gleicht dann schon fast einer Flucht – vor der Stadt, die nicht frei ist, sondern einengt, vor all der Liebe, die ihn einengt …
Und dann geht’s in diesem Abschnitt auch immer wieder um Mutter-Beziehungen. Leesha hat ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter, versteht sich gut mit ihrem Vater und hat in Bruna so etwas wie eine mütterliche Bezugsperson gefunden. Arlen hat seine geliebte Mutter verloren, ist nicht sonderlich gut auf seinen Vater zu sprechen und wurde von Elissa als eine Art Ziehsohn gefunden. All diese Parallelen und Unterschiede zwischen Arlen und Leesha finde ich ziemlich faszinierend und interessant.
Überhaupt empfinde ich die ganze Geschichte als sehr vielschichtig!
Tja, und Rojer: Der entdeckt sein musikalisches Talent und kann sogar trotz seiner demolierten Hand ein Instrument spielen. Ansonsten bleibt er für mich noch eine sehr blasse Figur.
Allgemein muss ich sagen, dass ich (mittlerweile) wirklich gefangen bin in der Geschichte und es mir sehr gut gefällt, wie der Herr Brett erzählt und schreibt.
Besonders gefallen mir auch die Dialoge, die meistens so erfrischend und zum Teil humorvoll daherkommen.
Aber auch andere schöne Stellen sind mir aufgefallen, zum Beispiel Leeshas Erkenntnisse in Bezug auf ältere Menschen:
«Living with Bruna had taught her that the eccentricities of age were a small price to pay for having a lifetime of experience to draw upon.» – Wie wahr, wie wahr!
Oder auch, wie Brett (unter Bezugnahme auf Rojers Puppenfigur mit der Haarsträhne seiner Mutter) die Alkoholsucht von Arrick beschreibt:
«His master was slumped over an empty bottle, his hand wrapped tightly around ist neck as if to choke a few last drops from it.
They both had their talismans.» – Bitterkeit, mit einer Prise kindlicher Leichtigkeit.
Oder die Weisheit von Bruna (beruht vielleicht auf der erwähnten „lifetiime of experience“ :chen):
«Boys will be boys. Even when they’re men.»