Beiträge von BarbaraSlawig

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    Original von Findus
    Genau daran bin ich aber auch gescheitert, an der zeitlichen Reihenfolge.


    Aber warum nennst du das "Scheitern", Findus?
    Die Zeitsprünge sind ja nichts deshalb im Roman, um es den Lesern besonders schwer zu machen. Sondern es werden zwei Geschichten erzählt (die von Annika und die von Dhanavati), die beide eine eigenständige Dynamik und innere Logik haben. Dieser Logik folgen die Erzählstränge. D.h. man kann den Roman auch einfach so lesen, dass man ebenfalls den beiden Figuren folgt. Und aus ihrem Blickwinkel heraus zu verstehen versucht, was da um sie herum und mit ihnen geschieht. Das ist geradezu ein Grundmotiv des Romans: dass die beiden einer oft feindlichen und schwer durchschaubaren Welt gegenüberstehen.


    Es spricht natürlich nichts dagegen, beim Lesen oder anschließend hinzugehen und die einzelnen Erzählabschnitte zeitlich zusammenzupuzzlen. Nur dringt man damit nicht zum Kern des Romans vor. Ich glaube fast, das ist bei den meisten nicht-chronologisch erzählten Romane so.

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    Original von Nightflower
    Dhana fand ich gegen Ende dann doch ganz nett, aber es wurde nicht geklärt, warum sie Angst vor geschlossenen dunklen Räumen hat oder?


    Ich glaube, "Erklärungen" im dem Sinne, dass man ein auslösendes Ereignis festmachen kann, gibt es bei solche Phobien sehr oft nicht (außer in Romanen ;-)). Aber erste Erinnerungen an eine ähnliche Angst verbindet Dhanavati ja mit diesem Kinderzimmer unterm Dach.


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    Original von Nightflower
    Das mit Ingela hab ich mir schon gedacht, irgendwie war mir der Name so ähnlich vorgekommen. Aber verstehen kann ich das dann doch erst Recht nicht. :-(


    Dann geht es dir genau wie Dhanavati und wie Annika. Sie sagen beide fast wörtlich das gleiche. Dhanavati auf S. 360: "Ich dachte, es hilft, wenn ich ihre Gründe verstehe. Weshalb sie von den Klippen gesprungen ist. Aber jetzt weiß ich die Gründe, und ich verstehe sie immer noch nicht." Und Annika sagt etwas ganz Ähnliches zu Ingela/Gisela selbst (S. 398).


    Ich denke, bei beiden steckt dahinter, dass sie es letztlich nicht verstehen wollen. Sie kennen die Gründe, aber weigern sich, sie als zureichend anzuerkennen. Was natürlich sehr verständlich ist! Aber damit weigern sie sich auch, zu versuchen, sich die damalige Situation aus Giselas Blickwinkel auszumalen. Und das wäre ja der einzige Weg, Gisela vielleicht doch zu verstehen. Auch wenn man ihre Handlungsweise dann immer noch falsch fände.

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    Original von NightflowerEin Anruf und schwupp er ist weg und sagt nicht mal seiner Frau Bescheid, find ich beides bescheuert. Er kommt im Gespräch mit Dhana nett rüber, aber ich find sein Verhalten sehr befremdlich!
    Und ich finds auch komisch, dass er nach dem Gespräch offensichtlich nicht zu seiner Frau zurückgefahren ist!


    Da ihr ja die Autorin mit im Boot habt: ;-)
    Wenn ihr genauer hinschaut, werdet ihr sehen, dass Adrian nicht direkt nach diesem Treffen mit Dhanavati verschwindet. Sondern dies ist der Tag, an dem er erst spätabends zurückkommt und zu Hause auf die Männer trifft und Annika das Gespräch vor dem Haus belauscht. Man kann es u.a. daran erkennen, dass die Männer ja sicher kurz nach Dhanis Flucht in Westerkoog auftauchen & Dhanavati sich hier auf der Flucht befindet. Während Adrian erst mehrere Tage nach dem Auftauchen der Männer verschwindet. (Da nimmt er auch das Auto nicht mit – in Rostock ist er mit dem Auto angekommen.)


    Man muss dieses zeitliche Ineinander zwar nicht unbedingt bis ins Detail mitbekommen, um Freude an dem Roman zu haben, aber wie gesagt: Da ich hier mitlese ...

    Danke fürs Mitlesen! Und es freut mich natürlich sehr, dass du es spannend fandest.


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    Original von RougeAber ich konnte mich mit keiner der Personen so richtig identifizieren oder mich in sie hineindenken. Das fand ich ein bisschen schade.


    Das finde ich natürlich auch schade – aber aus Autorensicht ist es immer ein bisschen Glücksache, wie die Figuren bei jedem einzelnen Leser bzw. jeder Leserin ankommen, zumindest wenn man über widersprüchliche, sperrige Menschen schreiben will, und das ist es nun mal, was mich inzwischen am Schreiben reizt. Auch meine Lesevorlieben gehen immer mehr in diese Richtung. Den Wunsch, mich mit Figuren zu identifizieren, habe ich kaum noch. das beeinflusst mich natürlich auch.


    Aber wie gesagt, wenn es dir die Lesefreue getrübt hat, ist es natürlich schade.

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    Original von xexos Annika hingegen ist natürlich in der Zwickmühle. Einerseits müsste sie ihn wohl eher vergessen, da sie sich nicht auf ihn verlassen kann. Andererseits ist er der Vater ihrer Tochter und einen neuen Freund findet sie in ihrem kleinen Ort auch nicht so einfach.


    Außerdem würde sein Beitrag zum Lebensunterhalt der kleinen Familie auch dringend gebraucht. Ich finde eigentlich schon, dass Annika es sich und ihrer Tochter schuldig ist, dass sie herauszufinden versucht, was aus ihm geworden ist, bevor sie ihn abschreibt. Und sie hat ja offenbar eine relativ klare Vorstellung davon, wo sie ihn finden könnte.

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    Original von Findus
    Ich zumindest bin froh, dass Adrian nicht gefunden wurde oder zurückkam, das wäre mir zu viel Happy End gewesen.


    Das freut mich ja, dass du das auch so siehst ... ;-)


    Herzlichen Dank für Mitlesen!


    Die Einordnung als Thriller sehe ich übrigens selbst ein wenig mit gemischten Gefühlen. Auf der HC-Ausgabe stand noch "Roman". Aber das sind halt Marketing-Entscheidungen des Verlags, da muss man als Autor einfach den Experten vertrauen. Und ein Grenzfall ist es ja schon.

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    Original von RougeIch verstehe sie auch nicht so ganz, dass sie nicht mehr mit ihm geredet hat und ihn über die Vergangenheit ausgefragt hat. Sie hat wohl wirklich gehofft, dass die Vergangenheit ihn nicht mehr einholen könnte.


    Das war sicherlich nicht klug von ihr.
    Ein bisschen möchte ich Annika aber doch in Schutz nehmen. Hinterher ist man ja immer klüger. Ihr wisst jetzt, wozu es geführt hat. Dass Adrians Vergangenheit doch nicht völlig begraben war. Aus Annikas Sicht sah es aber viele viele Jahre so aus, als hätte er die Geschichte hinter sich gelassen. Ihre Beziehung hat viele Jahre gehalten und zwei Trennungen überstanden. Sie haben ein Kind zusammen. Sie können sich im Alltag aufeinander verlassen.


    Ich frage mich jedenfalls, wie viele Beziehungen es da draußen in der Realität geben mag, in denen der eine Partner etwas Wichtiges über den anderen nicht weiß – etwas, das viele Jahre zurückliegt, lange vor der gemeinsamen Zeit – und die ihr ganzes Leben so verbringen. Dass sich das immer rächt, ist ja nur in Romanen so. ;-)

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    Original von Nightflower
    Und über TB hatte sie ja schon einiges durch Maria gelernt, oder nicht? Das konnte sie dann ja bereits anwenden.


    Ja, genau, über Tuberkulose hat sie durch Maria schon dies und das gelernt.

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    Original von hasewue
    Ganz toll fand ich übrigens den Abschnitt über das Forum. Leider gibt es immer wieder solche armen Menschen, die ihren Frust anonym an anderen auslassen. Meist aus eigener Unzufriedenheit. Diesen Absatz fand ich sehr treffend!


    Das zu schreiben hat auch großen Spaß gemacht. ;-)

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    Original von Eskalina
    Von Mathematik halten Mediziner ja meistens recht wenig ;-)


    :lache
    Du darfst nicht vergessen, dass Maria ein Institut für medizinische Statistik und Epidemiologie leitet. Das ist ja schon ein recht spezielles Gebiet der Medizin. Ganz ohne Mathematik oder jedenfalls Statistik kommt sie da nicht aus.

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    Original von RougeWas ich nicht ganz verstehe ist dieser Begriff: "zelluläre Automaten" aus Dhanis Forschung.
    Darunter kann ich mir irgendwie gar nichts vorstellen. Aber ich glaube für die weitere Handlung ist das wohl nicht so wichtig.


    Das ist ein Begriff aus der Computerwissenschaft. Für die weitere Handlung ist er wirklich nicht wichtig, aber ich kann ja mal trotzdem versuchen, es ganz grob zu erklären:


    Stell dir ein Blatt Kästchenpapier vor. Die Kästchen sind die Zellen. Im ersten Schritt verteilst du (oder der Computer) nach dem Zufallsprinzip eine Handvoll schwarzer Kugeln auf die Zellen. In jede Zelle passt nur eine Kugel.


    Im nächsten Schritt geht der Computer stur der Reihe nach die Zellen durch, zählt bei jeder Zelle, wie viele Kugeln in den Nachbarzellen sind, und entscheidet nach bestimmten Regeln, ob die Zelle in der Mitte ihre Kugel behält bzw. eine Kugel bekommt oder ob sie leer bleibt bzw. leer wird. Das macht er bei allen Zellen, und wenn er fertig ist, fängt er wieder von vorn an (der dritte Schritt). Und immer so weiter.


    Die Regeln können zum Beispiel sein: nur wer mindestens drei Nachbarn hat, bleibt voll. Da kann der Programmierer dann sehr unterschiedliche Varianten ausprobieren und zuschauen, ob das Spielfeld ganz schnell leer wird, ob es ganz voll wird, ob sich stabile Formen herausbilden und vieles mehr.


    Das Beispiel, das ich da beschrieben habe, ist das "Game of Life" – Spiel des Lebens, ein sehr berühmter zellulärer Automat. Für Leute, die z.B. Epidemien simulieren wollen, ist daran interessant, dass die einzelnen Zellen nicht "wissen" müssen, wie es um das gesamte Spielfeld steht. Was aus ihnen selbst wird, entscheidet sich immer vor Ort, in ihrer nächsten Umgebung.


    Hier kann man sich so ein Game of Life anschauen: Erst auf "Random" klicken und dann auf "Start"

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    Original von logan-lady
    Barbara, wie kamst du drauf, die Geschichte aus den unterschiedlichen Perspektiven zu erzählen? Das fand ich nämlich echt gut.


    Schön, dass es dir gefallen hat!


    Ich gehöre nicht zu den Planerinnen unter den Schriftstellern, sondern finde sehr vieles über meine Geschichten erst im Schreiben heraus. Mir ist schnell klar geworden, dass Annika ihre Geschichte selbst erzählen muss. Verglichen mit Dhanavati hat sie ja die undankbarere Rolle: Sie bleibt lange passiv, wartet und denkt nach und wird erst spät selbst aktiv. Aber indem sie selber erzählt, erfährt der Leser viel mehr darüber, warum sie so ist und was in ihr vorgeht.


    Andererseits hätte sie unmöglich die gesamte Geschichte erzählen können, weil sie über weite Strecken gar nicht beteiligt ist. Dhanavati brauchte natürlich ihre eigene Perspektive - aber da sie keine Person ist, die viel über sich spricht oder auch nur lange über ihre Gefühle nachgrübelt, passte da nur die dritte Person. Damit hatte ich schon zwei Perspektiven, die sich in der Erzählweise stark unterschieden. Dass Jens dann wieder die Ich-Form brauchte, war auch schnell klar, weil ich ja wollte (hier in diesem Thread kann man es ja erwähnen), dass er lügt bzw. an strategischen Stellen Dinge verschweigt.


    Ich fand es dann übrigens auch sehr spannend, in drei verscheidenen Tonfällen zu schreiben. Ich habe dadurch viel übers Erzählen gelernt.

    Und noch ein PS: Dhanavati arbeitet ja derzeit an Marias Institut, und Marias Arbeitsschwerpunkt ist Tuberkulose. D.h. sie will Dhanis Modell irgendwann auf Tuberkulose anwenden können. Für die Lassa-Fieber-Daten interessiert sich das IAI. So weit sich Dhanavati also überhaupt um die medizinische Seite gekümmert hat, wird sie sich mit Tuberkulose befasst haben. Diese gefährlichen, biowaffentauglichen Viren sind auch medizinisch ja eine ganz andere Baustelle.

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    Original von Eskalina
    allerdings war ich etwas irritiert, dass sie ihr Projekt ohne das zugehörige Basiswissen angeht...Sorry, dass ich das so hinterfrage, aber ich habe nun mal beruflich damit zu tun. Zu den grundlegenden Parametern bei ihrem Modell des Schwarmverhaltens müssten doch unbedingt die bekannten Daten zu dem Lassafieber eingepflegt werden, damit sie eine plausible Simulation erhält und die scheint sie gar nicht zu kennen? :gruebel


    Ich finde es ganz toll, dass du das hinterfragst!


    Allerdings muss ich dir ein bisschen widersprechen. Aus Mathematikersicht kann man an diesem ganzen Forschungsthema – dem Nach"rechnen" realer Vorgänge im Computer – ja grob gesagt zwei ganz unterschiedliche Aspekte interessant finden. Man kann versuchen, Simulationen zu entwickeln, die der Realität möglichst nahe kommen – und dafür braucht man dann tatsächlich Faktenwissen über reale Epidemien, da hast du völlig recht. Das ist das, womit sich das IAI befasst. Dazu erfährt man im nächsten Leseabschnitt noch ein bisschen mehr.


    Man kann aber auch das Thema Epidemien zum Anlass nehmen, sich mit eher theoretischen, mathematischen Fragen zu befassen. Das ist Dhanavatis Arbeitsschwerpunkt. Sie interessiert sich eher dafür, ob man so ein Epidemiemodell nicht nach dem Prinzip der zellulären Automaten aufbauen kann, und für die mathematischen Fragen, die sich daraus ergeben. Darum hält Maria ihr vor, dass ihr Modell-Prototyp sich nur auf eine völlig realitätferne Situation (tausend Leute in einem geschlossenen Raum) anwenden lässt. Für dieses Typ Forschungsarbeit muss man über konkrete Krankheiten erst einmal herzlich wenig wissen.


    ich hoffe, es ist klar geworden, was ich meine ...

    Das freut mich, dass dir das Cover so gut gefällt. Ich war nämlich auch völlig begeistert, als der Verlag es mir vorgeschlagen hat. Und mein Lektor hat mir später erzählt, dass er auf der Programmkonferenz richtig ein bisschen darum kämpfen musste, weil es alle schön fanden und es sich gern noch jemand anders für seinen Titel gekrallt hätte ...


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    Original von RougeDen Namen "Dhanavati" habe ich auch noch nie gehört. Er kling in meinen Ohren sehr ungewöhnlich . Ist das ein schwedischer Name? Bedeutet er wohl irgendetwas?


    Das wird später noch erklärt, aber ich kann es ja jetzt schon mal verraten: Es ist ein indischer Name. Wie Dhanavati zu so einem Namen gekommen ist, verrate ich aber noch nicht ...

    Wie schön, dass hier so schnell schon etwas los ist!


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    Wenn ich nachher dazu kommen sollte, werde ich mal das IAI googeln.


    Das IAI habe ich erfunden. Vorbild waren dabei unter anderem – aber nicht nur – die Institute der Fraunhofer-Gesellschaft. Die haben sich auch die anwendungsorientierte Forschung auf die Fahnen geschrieben, und bei der Rüstungsforschung sind sie ebenfalls aktiv.


    Hier gehts zum Wikipedia-Eintrag über die Fraunhofer-Gesellschaft.


    Und hier mal als Beispiel eins der Institute.